Politische Maßnahmen können nur dann als befriedigend angesehen werden, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind:
Die Politiker haben erstens Ziele zu verfolgen, welche im Einklang mit der Verfassung stehen. Eine Verfassung zeigt auf, welche Grundwerte als unverzichtbar angesehen werden.
Die Politiker müssen zweitens darüber hinaus Maßnahmen treffen, welche auch in der Lage sind, die Ziele zu erfüllen. Da wir in einer hochkomplexen Gesellschaft leben, ist es im Allgemeinen nicht von vornherein klar, welche Maßnahmen hierzu notwendig sind. Erst eine gründliche Analyse der Ursachen für die zugrunde liegenden Probleme kann darlegen, welche Maßnahmen notwendig sind, um vorliegende Probleme befriedigend zu lösen.
Hierbei ist eine Maßnahme nicht nur dann befriedigend, wenn sie als effizient gelten kann, also die Zielgröße erreicht. Es ist stets damit zu rechnen, dass nahezu alle politischen Maßnahmen unerwünschte Nebenwirkungen auf andere Ziele der Politik haben werden. Deshalb bedarf es stets eine Abwägung, also Bewertung der einzelnen Wirkungen, um zu einem abschließenden Urteil über die geplante Maßnahme zu gelangen.
Politische Maßnahmen können drittens nur dann zu einem anhaltenden Erfolg führen, wenn die der Bevölkerung gesetzten Anreize dazu führen, ein Verhalten aufzuweisen, das die Ziele der Gemeinschaft unterstützt und dass politisch unerwünschte Maßnahmen auch aus der Sicht der einzelnen Individuen nicht erstrebenswert sind.
Das Verhalten vieler Politiker zeichnet sich nun dadurch aus, dass diese drei unabdingbaren Bedingungen für eine erfolgreiche Politik vor allem aus zweierlei Gründen nicht erfüllt sind.
Sie handeln erstens im Sinne einer Gesinnungsethik, Verhaltensweisen einzelner Bürger, welche die politischen Ziele gefährden, sind einfach zu verbieten. Sie fragen nicht, wie es eigentlich eine Verantwortungsethik verlangen würde, auf welche Ursachen die politischen Missstände zurückzuführen sind und welche Maßnahmen geeignet sind, diese Ursachen zu beseitigen, es kommt nur auf die Ziele an.
Zweitens werden Zielsetzung und Motiv fälschlicher Weise gleichgesetzt, wer bei seinem gesellschaftlich relevanten Handeln das eigene Wohl verfolgt, wird verurteilt. In Wirklichkeit entscheiden über den Erfolg einer politischen Maßnahme immer nur die tatsächlich eintretenden Wirkungen und nicht die Motive, aus denen heraus die Handlungen erfolgen.
Wenden wir uns dem erstgenannten Mangel zu. Wenn Politiker von der Überzeugung ausgehen, es komme allein auf die richtigen Ziele an, welche Maßnahmen ergriffen werden, sei weniger von Bedeutung oder es liege auf der Hand, was getan werden muss, nämlich unerwünschte Prozesse zu verbieten, besteht die Gefahr der Verunglimpfung der Gegner.
Der Angriff auf die eigene Position wird dann fast immer als Angriff gegen die vom Angegriffenen verfolgten Ziele angesehen. Und da der Angegriffene stets gute, mit der Verfassung in Einklang stehende Ziele verfolge, seien eben die Gegner gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen böse, da sie sich gegen die Ziele der Verfassung wenden würden.
Es wird nicht gesehen, dass man eine Maßnahme auch dann ablehnen kann, wenn man das Ziel, das von den Gegner verfolgt wird, bejaht, jedoch der Überzeugung ist, dass die eingeleiteten Maßnahmen nicht geeignet sind, das vorliegende Problem zu lösen und unter Umständen mehr Wohlfahrt vernichten als sie durch diese Maßnahmen vergrößern.
Eine solche Haltung ist aus mehreren Gründen unerwünscht. Erstens werden die Gegner dieser Vorschläge pauschal herabgesetzt und damit die Grundsätze einer fairen politischen Auseinandersetzung verletzt.
Zweitens ist gerade eine solche Vorgehensweise dafür verantwortlich, dass die vorliegenden Probleme nicht gelöst werden. Wäre man nämlich vor der Festlegung einer Maßnahme zu einer ehrlichen Debatte darüber, mit welchen Maßnahmen ein Übelbekämpft werden kann, hätte man sich zu einer erfolgreichen Maßnahme durchgerungen und gerade deshalb wären die vorliegenden Probleme gelöst worden.
Stattdessen lehnen sich diese Politiker selbstgefällig zurück, sie sind es ja, welche für das Gute eintreten. Und wenn dann trotzdem die eingeschlagenen Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, so liegt es nicht an ihnen, also an den eingeschlagenen ineffizienten Maßnahmen, sondern an den Anderen, welche angeblich die richtige Politik verhindert haben, also an den Bösen, welche trotz Verbote immer wieder die politischen Maßnahmen verhindern.
Demgegenüber muss betont werden, dass die Diskussion über die richtigen Maßnahmen in aller Regel viel wichtiger als eine Debatte über die richtigen Ziele ist.
Ein Großteil der politischen Ziele ergibt sich nämlich aus unserem Grundgesetz, sie lassen sich damit begründen, dass sie sich unmittelbar aus der Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz, aus dem Diskriminierungsverbot aus Gründen des Geschlechts, der Rasse und der Religion ergeben oder dass die Menschenwürde unantastbar ist.
Damit ergeben sich die meisten politischen Forderungen unmittelbar aus den Grundwerten der Verfassung, allein die Ziele des Klimaschutzes sind nicht im Grundgesetz verankert, da zu der Zeit, in welcher das Grundgesetz verabschiedet wurde die ökologischen Probleme noch nicht erkannt waren.
Darüber hinaus führt der Prozess der repräsentativen Demokratie automatisch dazu, dass sich die Ziele der Parteien einander annähern. Die größeren Volksparteien stützen sich zunächst einmal auf ihre Stammwähler, also z. B. die SPD auf Arbeiter im engeren Sinne, die CDU auf den Mittelstand. In diesem Sinne sind auch die Grundsatzprogramme dieser beiden Parteien ausgerichtet.
Allerdings kann keine der Parteien auf diese Weise die Mehrheit erringen, welche sie benötigen, um die Regierung zu übernehmen. Sie stehen somit unter dem Zwang, auch andere Bevölkerungsgeschichten als ihre Stammwähler anzusprechen. Auf diese Weise nähern sich die Programme der größeren Parteien einander an, mit dem Ergebnis, dass die unterschiedlichen Positionen der Parteien aufgeweicht werden.
Der Hauptunterschied der großen Parteien besteht dann neben unterschiedlichen Stammwählern in der Frage, welche Partei über die befähigteren Spitzenpolitiker verfügt. Und so ist es auch verständlich, dass sich Parteien, wenn sie längere Zeit an der Macht waren, verbrauchen und dass immer wieder ein Regierungswechsel stattfindet, obwohl sich die Grundsatzprogramme der großen Parteien kaum von einander unterscheiden. Damit kommt es aber in viel stärkerem Maße auf die Maßnahmen an, in denen sich die Parteien unterscheiden und weniger auf die letztlichen Ziele.
Wenden wir uns nun dem zweitgenannten Kritikpunkt zu: dem Umstand, dass die politischen Gegner allein aufgrund ihrer Motive angegriffen werden. Eine solche Haltung ist aus mehreren Gründen nicht akzeptabel.
Als erstes gilt es festzustellen, dass es gar nicht möglich ist, das wahre Motiv eines Individuums eindeutig festzustellen. Politiker können durchaus ihre wahren Motive verschleiern und nach außen vorgeben sie würden von hochstehenden und nicht von egoistischen Zielen geleitet. Die Verstellungskünste sind jedoch von Person zu Person sehr unterschiedlich.
Neuerdings wurden zwar Computerprogramme entwickelt, die es schon an der Mimik der Betroffenen erkennen lassen, ob bestimmte Äußerungen der Wahrheit entsprechen oder nur ‚Fakes‘ darstellen.
Es ist jedoch mehr als fragwürdig, ob auf diese Weise auf Dauer die wahren Absichten eines Individuums erkannt werden können. Genauso wie es möglich ist, Programme zur Entschleierung von Absichten zu entwickeln, wird es auch möglich sein, Programme zu entwickeln, welche Gesten notwendig sind, um das Gegenüber von seinen Äußerungen zu überzeugen, gleichgültig welche wahren Absichten ein Individuum verfolgt.
Zweitens gilt es festzustellen, dass die allgemeine Wohlfahrt der Bevölkerung nicht davon abhängt, welche Motive die einzelnen politischen Akteure verfolgen., sondern ganz allein die Wirkungen, welche von den Handlungen der Politiker ausgehen.
So hatte z. B. Bismarck bei der Einführung der gesetzlichen Sozialversicherung mit dieser Maßnahme das Motiv verfolgt, die Arbeitnehmer von ihren Interessenvertretern, den sozialistischen Parteien und der Gewerkschaften zu verfremden, ein Ziel, das sicherlich nicht als ethisch vertretbar gehalten werden kann.
Trotzdem besteht kein Zweifel, dass die von Bismarck eingeführte Sozialversicherung in der damaligen Zeit zu den fortschrittlichsten sozialpolitischen Maßnahmen in ganz Europa gezählt hat. Auch hier galt, dass die allgemeine Wohlfahrt in diesem Zusammenhange nicht davon abhängt, aus welchen Motiven heraus Bismarck diese Gesetze eingeführt hat, sondern allein davon, welche objektiv feststellbaren Wirkungen von diesem Gesetzgebungswerk auf die soziale Lage der Arbeiter ausging.
In gleicher Weise mögen Politiker für ihre Maßnahmen hehre Ziele vortäuschen, obwohl die eingeführten Maßnahmen nur zur Folge haben, die Machtposition der Regierenden zu stärken du die der Bevölkerung zu schwächen.
Drittens schließlich gefährdet eine Politik, bei der die Handelnden ihren Gegnern egoistische Ziele vorwerfen, langfristig das politische Klima und damit auch den politischen Erfolg.
Nahezu alle politischen Probleme zeichnen sich dadurch aus, dass Kompromisse notwendig werden und dass die einzelnen Parteien immer wieder auf einander angewiesen sind. Wenn sich die Politiker gegenseitig unwahre Gesinnung vorwerfen, so erschwert dies auf der einen Seite die immer wieder notwendige Zusammenarbeit der Parteien.
Auf der anderen Seite vergrämt es gerade die an und für sich erfolgreichsten Politiker und führt sie dazu, sich von der Politik zurückzuziehen. Es verbleiben dann nur noch Individuen, deren Moral äußerst zweifelhaft ist.
Für einen langfristigen Erfolg ist es wesentlich besser, dass man den politischen Gegner fair behandelt, ihm nicht immer wieder vorwirft, er handle ja nur aus Egoismus, ihn viel mehr als würdigen Partner behandelt, auch dann, wenn man der festen Überzeugung ist, dass die vom politischen Gegner vorgeschlagenen Maßnahmen gar nicht zu dem erwünschten Erfolg führen.