Gliederung:
01.
Betrachtungsweisen
02.
Methoden
03.
Zielanalyse
04.
Mittelanalyse
05.
Trägeranalyse
06.
Politische Ökonomie
07.
Wohlfahrtstheorie
08.
Ordnungsanalyse
09.
Ordnungskonzeption
10.
Ordnungsdynamik
Gliederung:
01.
Einführung
02.
Der Laisser-faire-Liberalismus
03.
Der Ordo-Liberalismus
04.
Der Volkskapitalismus
05.
Der Versorgungsstaat
06.
Die Globalsteuerung
07.
Die Planifikation
08.
Die Konzertierte Aktion
09.
Die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien
10.
Der Konkurrenzsozialismus
11.
Das Jugoslawische Modell
12.
Die Zentralverwaltungswirtschaft
05. Der Versorgungsstaat
Auch
das von den schwedischen Sozialdemokraten in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg
propagierte Modell des Versorgungsstaates stellt eine Variante einer marktwirtschaftlichen
Ordnung dar. Die Allokation wird dem freien Markt überlassen, da man überzeugt
ist, dass der Markt Allokationsprobleme weit besser als jede staatliche
Planwirtschaft lösen kann. Die vom Markt ausgehenden Anreizsysteme fördern auf
der einen Seite einen effizienten Einsatz der knappen Ressourcen und tragen auf
der anderen Seite dazu bei, dass permanent nach neuen, produktiveren
technischen Verfahren Ausschau gehalten wird. Bürokratische Systeme hingegen
tragen wegen fehlender materieller Verantwortung für die Folgen der Entscheidungen
eher zu einer Vergeudung der knappen Mittel bei.
Genauso
wie bei der Variante des Volkskapitalismus lehnt man jedoch eine reine
marktwirtschaftliche Lösung deshalb ab, da sie die Frage der sozialen
Sicherheit und der Einkommensverteilung zuungunsten der Empfänger niedriger
Einkommen löse. Aufgrund monopolistischer Strukturen kann der Lohnsatz unter
das Wertgrenzprodukt gedrückt werden; weiterhin findet der Arbeitnehmer in
einer reinen Marktwirtschaft keinen ausreichenden Schutz gegenüber den sozialen
Risiken der Krankheit, des Unfalls, der Invalidität, des Alters und schließlich
der Arbeitslosigkeit.
Nach
der Konzeption des Versorgungsstaates wird die Allokation also dem freien Markt
überlassen, Verteilungs- und Sicherungsprobleme jedoch im Rahmen großzügiger
Wohlfahrtseinrichtungen angegangen.
Der
schwedische Wohlfahrtsstaat scheiterte allerdings an der Überforderung der
Wirtschaft aufgrund einer zu hohen Steuerlast sowie an der Ineffizienz der bürokratischen
Sicherungssysteme. Auf der einen Seite gilt: Je höher die Steuerlast ansteigt,
um so geringer fallen die finanziellen Anreize des Marktes aus, auf der anderen
Seite sinkt mit wachsender Gewährung von leistungsfreien Transfereinkommen die
Bereitschaft zur eigenen Leistung.
06. Die Globalsteuerung
In
der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wurde von Karl Schiller, welcher während
der großen Koalition in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts Wirtschafts- und
Finanzminister war, das Konzept der Globalsteuerung entwickelt. Karl Schiller
war Anhänger der Keynesschule, wollte aber eine Versöhnung mit dem Neoliberalismus
erreichen, in dem er eine Synthese zwischen beiden Richtungen versuchte. Er
übernahm vom Liberalismus die Erkenntnis, dass der freie Wettbewerbsmarkt am
besten in der Lage ist, die Produktion an den Bedürfnissen der Konsumenten
anzupassen. Mit Keynes war er aber auch der Überzeugung, dass die
Marktwirtschaft bei der Lösung der makroökonomischen Probleme versage und
deshalb einer Korrektur von Seiten des Staates bedürfe.
Es
entsprach keynesianischen Vorstellungen, dass der Kapitalmarkt nicht von selbst
in der Lage sei, Ungleichgewichte abzubauen, da weder die Ersparnis noch die
Investition auf Zinsänderungen in ausreichendem Maße reagierten. Komme es zu einem
Konjunkturabschwung und mit ihm zu einem Überschuss der Ersparnis über die
Investition, so müssten eigentlich die Zinsen gesenkt und damit die Ersparnis
reduziert und die Investition erhöht werden.
Dieser
Ausgleichsmechanismus versage jedoch, da die Ersparnis allein von der Höhe der
Einkommen abhänge und da die Unternehmer auch bei Zinssenkungen nicht bereit
seien, die Investitionsausgaben zu erhöhen. Aufgrund des Rückgangs in der
Nachfrage während des Konjunkturabschwungs sei die Produktionskapazität ohnehin
zu groß und die Unternehmer hätten kein Interesse daran, über Investitionen die
Produktionskapazität um ein Weiteres zu erhöhen.
Vielmehr
werde auf den Kapital- und Gütermärkten das Ungleichgewicht (der
Angebotsüberhang) dadurch abgebaut, dass die Güterproduktion und mit ihr die Höhe des Einkommens verringert
werde. Damit entstehe jedoch Arbeitslosigkeit, es bestehe zwar auf den
Gütermärkten, nicht aber auf den Arbeitsmärkten eine Gleichgewichtstendenz.
Die
keynesianische Theorie wurde ursprünglich entwickelt, um die Unterbeschäftigung
während einer Depression oder Rezession zu erklären. Später in den 60er und
70er Jahren wurde die Weltwirtschaft weniger durch Arbeitslosigkeit als durch
Inflationsprozesse erschüttert; man versuchte nun die keynesianischen
Grundmodelle auch auf das Problem der Inflation zu übertragen.
Genauso
wie in Zeiten des Konjunkturabschwunges ein Gütermarktgleichgewicht bei
Unterbeschäftigung entsteht, muss nun in Zeiten der konjunkturellen Überhitzung
mit einem Gütermarktgleichgewicht bei Überbeschäftigung gerechnet werden. Ein
Gleichgewicht auf den Gütermärkten könnte sich nur bei einer Beschäftigung
einstellen, welche das vorhandene Angebot an Arbeitskräften übersteigen würde.
Da dies nicht möglich ist, kommt hier der Gütermarkt nicht mehr zum
Gleichgewicht, es entsteht eine inflatorische Lücke.
Die
keynesianische Theorie wurde schon sehr früh – vor allem von Roy F. Harrod –
auf die Probleme des wirtschaftlichen Wachstums übertragen. Roy F. Harrod
versuchte aufzuzeigen, dass ein langfristiges Gleichgewicht zwischen Investition
und Ersparnis nur bei einer Wachstumsrate der Investition erreicht werden
könnte, welche in den hochentwickelten, gesättigten Industriestaaten
keinesfalls mehr erwartet werden könnte. Alvin Hansen ergänzte diese
Überlegungen dadurch, dass er die zu geringe Investitionsbereitschaft auf die
Stagnation im Bevölkerungswachstum zurückführte. Nur bei einem starken
Bevölkerungswachstum würden zusätzliche Wohnungen und Arbeitsplätze benötigt,
welche eine hohe Investitionsnachfrage notwendig machten.
Mit
anderen Worten: Die Schwächen auf den Kapitalmärkten führen dazu, dass die
gesamtwirtschaftlichen Probleme der Vermeidung von Arbeitslosigkeit und
Inflation sowie des Erreichens einer anhaltenden Wohlfahrtssteigerung nicht
mehr dem Markt allein überlassen werden könnten, dass es vielmehr einer aktiven
Konjunktur- und Wachstumspolitik des Staates bedürfe.
Das
keynesianische Grundrezept zur Vermeidung von gesamtwirtschaftlicher
Arbeitslosigkeit bestand nun darin, dass der Staat durch ein Defizit im Budget
die zu geringe private Nachfrage auszugleichen versucht. In gleichem Maße hat
der Staat nach keynesianischer Vorstellung in Zeiten der konjunkturellen Überhitzung
die Inflationstendenzen, welche auf eine zu große private Nachfrage zurückgeführt
werden müssen, durch einen entsprechend hohen Überschuss im Staatsbudget
auszugleichen. Schließlich gilt es im Rahmen der Wachstumspolitik, entweder
durch eine Zunahme der staatlichen Infrastrukturinvestitionen oder durch
finanzielle Anreize gegenüber den Unternehmungen die private oder staatliche
Investition soweit anzuheben, dass eine gleichgewichtige Wachstumsrate des
Inlandsproduktes ermöglicht wird.
In
der Kritik an der Konzeption der Globalsteuerung wurde vor allem auf dreierlei
hingewiesen: Erstens gilt es zu berücksichtigen, dass gesamtwirtschaftliche
Arbeitslosigkeit nicht immer keynesianischer Natur ist, also bisweilen nicht
auf Nachfragedefizite zurückgeführt werden kann. Wir haben auch mit der Möglichkeit
zu rechnen, dass autonome Kostensteigerungen Inflationsprozesse auslösen
können. Zweitens hat vor allem Milton Friedman darauf aufmerksam gemacht, dass
gerade die keynesianische Konjunkturpolitik zu einem beachtlichen Teil zu der
Instabilität beigetragen hat, die sie mit dieser Politik zu bekämpfen versucht.
Die
keynesianische Konjunkturpolitik zeichnet sich durch ein ‚go and stop’
aus, sie gibt in Zeiten des Konjunkturabschwungs Gas und bremst in Zeiten der
konjunkturellen Überhitzung. Gerade weil eine längere Zeit (etwa 1 bis 1 1/2
Jahre) vergeht, bis heute eingeleitete Konjunkturmaßnahmen Wirkung zeigen und
weil weiterhin die Möglichkeiten der Prognose begrenzt sind, besteht immer die
Gefahr, dass die Maßnahmen des Staates zu spät kommen, dass z. B. noch Konjunkturspritzen
gewährt werden, obwohl bereits Nachfragedrosselungen angezeigt wären.
Zusätzlich
muss berücksichtigt werden, dass Investitionen für einen längeren Zeitraum
geplant werden müssen und dass durch ständige Änderungen in den Zinsen das unternehmerische
Risiko erhöht wird und deshalb die Gefahr besteht, dass die private Investitionsbereitschaft
eher zurückgeht als ansteigt.
In
der Literatur wurde drittens noch auf einen weiteren Zusammenhang hingewiesen;
unabhängig von der langfristigen Investitionsbereitschaft der Unternehmer kann
die Defizitpolitik des Staates indirekt über Zinssteigerungen zu einem Rückgang
des Investitionsvolumens führen. Man spricht hierbei von einem crowding out der Fiskalpolitik. Der Staat finanziert seine
Budgetdefizite durch Ausgabe von staatlichen Wertpapieren; hierdurch steigt die
Nachfrage nach Kapital und dies führt tendenziell zu einem Anstieg im
Zinsniveau und kann auf diesem Wege die private Investitionsnachfrage
reduzieren. Es fände in diesem Falle weniger eine Erhöhung als lediglich eine
Umstruktuierung der effektiven Nachfrage von einer privaten zu einer
staatlichen Aktivität statt.
Natürlich
könnte man dieses ‚crowding out’ dadurch vermeiden,
dass der Staat entweder sein Budgetdefizit unmittelbar durch Kredite bei der
Notenbank finanziert oder aber durchsetzt, dass die Notenbank die expansive
Fiskalpolitik durch eine gleichgroße expansive Geldpolitik
(Geldmengenausweitung) unterstützt.
In
praxi ist dieser Weg in Deutschland jedoch verbaut. So verbietet das Grundgesetz
der BRD dem Staat, Budgetdefizite mit Notenbankkrediten langfristig zu
finanzieren, nur vorübergehende Finanzlücken dürfen auf diesem Wege überbrückt
werden. Weiterhin ist die Notenbank (früher die Bundesnotenbank, heute die
Europäische Notenbank) autonom und kann nicht von den Regierungen zu einer
bestimmten expansiven Geldpolitik gezwungen werden.
07. Die Planifikation
Die
vor allem von den Gaullisten propagierte Ordnungskonzeption der Planifikation der
französischen Nachkriegszeit war geprägt durch Misstrauen gegenüber den
Allokationsleistungen des Marktes. Der freie Markt weise eine Reihe von
Marktunvollkommenheiten auf.
Auf
der einen Seite müsse mit Marktversagen gerechnet werden. Ein Markt versage z.
B. immer dann, wenn das Angebot anomal reagiere. Nehmen wir den Fall des
Angebotes der Kleinschiffer, welche lediglich über einen einzigen Kahn verfügen
und deren Einkünfte am Rande des Existenzminimums liegen. Kommt es nun zu einem
Rückgang in der Nachfrage, so müsste eigentlich auf einem funktionierenden
Markt auch das Angebot zurückgehen und sich damit der Nachfrage anpassen.
Um
ihr Existenzminimum zu erhalten, sehen sich jedoch die Kleinschiffer veranlasst,
ihr Angebot sogar zu vergrößern; sie gleichen damit den partiellen Rückgang
ihres Einkommens aufgrund gesunkener Preise durch eine Zunahme in der
Angebotsmenge aus. Damit wird jedoch das Marktungleichgewicht größer und die Gefahr,
dass immer mehr Anbieter Konkurs anmelden müssen und aus dem Markt ausscheiden,
steigt an. Um eine solche Existenzkrise zu vermeiden, sieht sich der Staat
gezwungen, in den Markt einzugreifen.
Auf
der anderen Seite ist mit Marktmängeln zu rechnen. Hier bleibt zwar die
Gleichgewichtstendenz erhalten, die Marktergebnisse weichen jedoch mehr oder
weniger vom Wohlfahrtsoptimum ab. Die beiden wichtigsten Ursachen für
Marktmängel liegen einmal in den Vermachtungserscheinungen der Märkte, zum
andern in der Existenz von externen Effekten.
Eine
der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass die Märkte automatisch ein
Wohlfahrtsoptimum ansteuern und die Produktion an den Konsumentenwünschen
anpassen, besteht darin, dass auf allen Märkten und auf beiden Marktseiten
vollständige Konkurrenz besteht. Es könne nun nicht damit gerechnet werden,
dass diese Voraussetzungen in der Realität gegeben seien, vielmehr seien die
Marktstrukturen teils monopolistisch, teils oligopolistisch vermachtet.
Darüber
hinaus wird das Wohlfahrtsoptimum auch dann verfehlt, wenn externe Kosten (oder
auch Erträge) auftreten. Hierbei ist der Fall der externen Kosten der
wichtigere. Von externen Kosten sprechen wir immer dann, wenn bei der
Produktion (oder auch beim Konsum) bestimmter Güter der Volkswirtschaft Kosten
verursacht werden, welche von den Unternehmungen und damit letzten Endes auch
nicht von den Verbrauchern) getragen werden müssen.
Wegen
zu geringer privatwirtschaftlicher Kosten werden diese Güter in diesem Falle
von den Unternehmungen zu billig angeboten mit der Folge, dass auch die
Nachfrage nach diesen Gütern zu groß ist. Mit anderen Worten: Die knappen
Ressourcen werden nicht für diejenigen Verwendungen eingesetzt, bei denen sie
die größte Wohlfahrt erreichen würden.
Der
wohl wichtigste Fall externer Kosten liegt in der Umweltverschmutzung, in der
Tatsache also, dass die Unternehmungen im Zuge der Produktion giftige Abwässer
in die Flüsse und in die Meere sowie giftige Abgase in die Atmosphäre
emittieren und damit die Umwelt belasten, aber für diese Belastung keine Kosten
tragen. Obwohl es volkswirtschaftlich in höchstem Maße erwünscht wäre, dass die
Produktion umweltbelastender Produkte reduziert würde, werde auf einem freien
Markt von diesen Produkten aufgrund zu geringer Preise mehr nachgefragt, als
dem Wohlfahrtsoptimum entspreche.
Das
Zauberwort gegen diese Mängel des Marktes lautet im Rahmen der Ordnungskonzeption
der Planifikation indikative Planung von Seiten des Staates. Eine staatliche
Behörde zeigt auf, wie die knappen Ressourcen der Volkswirtschaft auf die
einzelnen Wirtschaftszweige aufzuteilen sind. Wie in einer normalen freien
Marktwirtschaft entscheiden jedoch die Unternehmer frei über Investitionsvorhaben
und Produktion.
Der
vom Staat aufgestellte Plan ist nicht verbindlich, er zeigt nur auf, welche Investitionen
aus der Sicht des Staates volkswirtschaftlich möglich und erwünscht sind. Der
Grund dafür, dass die Unternehmungen nicht gezwungen werden, den staatlichen
Plänen zu folgen, liegt vor allem darin, dass man die individuelle Konsum- und
Produktionsfreiheit erhalten möchte.
Wie
werden aber ohne staatlichen Zwang die in den staatlichen Plänen aufgestellten
Ziele und Ressourcenverwendungen erreicht? Die Planifikation sieht hier ein
zweifaches Vorgehen vor. Auf der einen Seite werden positive Anreize gesetzt,
aufgrund derer darauf vertraut wird, dass die Unternehmer den staatlichen
Vorgaben von selbst entsprechen: Die Unternehmerverbände werden an der Aufstellung
der staatlichen Pläne beteiligt.
Auf
der anderen Seite müssen die Unternehmungen befürchten, dass sich der Staat dann,
wenn die Unternehmungen nicht den staatlichen Vorgaben entsprechen, gezwungen
sieht, die Schlüsselindustrien zu verstaatlichen. Die Planifikation geht also
im Sinne von Zuckerbrot und Peitsche vor: Die Beteiligung der Unternehmerverbände
an den staatlichen Plänen stellt das Zuckerbrot dar, die versteckte Androhung,
notfalls wichtige Industriezweige zu verstaatlichen, ist hingegen die Peitsche,
welche das Befolgen der staatlichen Zielvorgaben erzwingen soll.
Der
effektive Einfluss der Planifikation blieb allerdings gering. Auf der einen
Seite war der Einfluss der Unternehmerverbände groß genug, um solche staatlichen
Vorgaben zu verhindern, welche dem Interesse der Unternehmungen widersprochen
hätten. Auf der anderen Seite war offensichtlich die Androhung mit
Verstaatlichungen zu stumpf, um Wirkung zu zeigen. Eine in großem Stil durchgeführte
Verstaatlichung widersprach den französischen Grundvorstellungen einer
freiheitlichen Wirtschaft, auch waren die Misserfolge staatlicher Planung in
der Vergangenheit und in anderen Staaten zu offensichtlich, als dass eine Verstaatlichung
eine plausible Alternative dargestellt hätte.
08.
Die Konzertierte Aktion
Das
im Jahre 1967 verabschiedete Stabilitätsgesetz erlaubte dem Bundesminister für Wirtschaft
die Einberufung einer Konzertierten Aktion. Hierbei sollten sich die Regierung
und die Tarifpartner gemeinsam auf Orientierungsdaten für die anstehenden
Tarifverhandlungen einigen. Diese Lohnleitlinien waren jedoch nicht bindend.
Karl
Schiller (damaliger Wirtschafts- und Finanzminister der Bundesregierung) hatte
diese Ordnungskonzeption entwickelt, da er der Auffassung war, dass das Ziel
der Geldwertstabilität den Charakter eines Kollektivgutes besitze und deshalb –
entsprechend einer von Mancur Lloyd Olson entwickelten Theorie – in
unzureichendem Maße nachgefragt werde.
Mancur Lloyd Olson hatte aufgezeigt, dass
Kollektivgüter in zu geringem Maße nachgefragt würden. Der Grund hierfür liege
darin, dass bei Kollektivgütern die den Produzenten zufließenden privatwirtschaftlichen
Grenzerträge stets geringer seien als die der gesamten Volkswirtschaft
entstehenden Grenzerträge mit der Folge, dass der Schnittpunkt zwischen der
Nachfrage- und der Angebotskurve (das privatwirtschaftliche Gleichgewicht) bei
einer geringeren Ausbringungsmenge liege als der Schnittpunkt zwischen
gesamtwirtschaftlichen Grenzerträgen und der Angebotskurve (dem Wohlfahrtsoptimum).
Folgende Graphik verdeutlicht diese Zusammenhänge:
Die
rote Linie zeige den Verlauf der Angebots- (Grenzkosten-) kurve, die hellblau
dargestellte Kurve die gesamtwirtschaftliche, die dunkelblau eingezeichnete
Kurve schließlich die privatwirtschaftliche Grenzertragskurve. (xp) markiere das
privatwirtschaftliche, (xg)
hingegen das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht.
Da
der Schnittpunkt mit der privatwirtschaftlichen Grenzertragskurve bei einer geringeren
Ausbringungsmenge liegt als der Schnittpunkt mit der gesamtwirtschaftlichen
Kurve, ist nachgewiesen, dass von den Kollektivgütern eine zu geringe Menge
nachgefragt wird. Jeder ist an dem Kollektivgut ‚Geldwertstabilität’ interessiert,
trotzdem werden zu wenig Anstrengungen unternommen, um dieses Gut zu erhalten.
Dieser Konflikt wird in der Literatur als Kollektivgutdilemma bezeichnet.
Karl
Schiller hat nun die Konzertierte Aktion zur Überwindung dieses Kollektivgutdilemmas
vorgeschlagen. Werden die Lohnsätze in den einzelnen Tarifverhandlungen
beschlossen, so muss befürchtet werden, dass oftmals auch Lohnsteigerungen
durchgesetzt werden, welche die Geldwertstabilität gefährden.
Die
einzelne Gewerkschaft würde sich besser stellen, wenn sie geringere Lohnsteigerungen
fordern würde und wenn gleichzeitig die Geldwertstabilität gewahrt bliebe.
Hierfür wäre jedoch Voraussetzung, dass alle Gewerkschaften preisniveauneutrale
Lohnforderungen durchzusetzen versuchten. Eine einzelne Gewerkschaft würde sich
somit nur dann bei einer preisniveauneutralen Lohnsteigerung besser stellen,
wenn sie fest damit rechnen könnte, dass sich auch die übrigen Gewerkschaften
Geldwert bewusst verhielten.
Da
sie jedoch damit nicht rechnen können, werden sie Lohnsteigerungen durchsetzen,
welche preisniveausteigernd wirken. Verhält sich nämlich eine Einzelgewerkschaft
konform zur Geldwertstabilität, folgen ihr jedoch die übrigen Gewerkschaften in
diesem Verhalten nicht, so fallen auf der einen Seite die realisierten
Lohnsteigerungen in diesen Wirtschaftszweigen unterdurchschnittlich hoch aus,
auf der anderen Seite tragen die Arbeitnehmer in diesen Wirtschaftszweigen
jedoch die von den übrigen Gewerkschaften verursachten Preissteigerungen mit.
Es lohnt sich somit für die Gewerkschaften nicht, sich Geldwert konform zu
verhalten.
Hier
setzt nun der Vorschlag der Konzertierten Aktion ein. Wenn alle Gewerkschaften
zusammen mit der Regierung festlegen, welche Lohnsteigerungen als
geldwertneutral eingestuft werden und damit gesamtwirtschaftlich verkraftet
werden können, dann könne auch jede einzelne Gewerkschaft damit rechnen, dass
sich alle übrigen Gewerkschaften an die gemeinsam festgelegten Beschlüsse
halten. Wenn jedoch eine Gewerkschaft davon ausgehen kann, dass sich alle übrigen
Gewerkschaften Geldwert konform verhalten, ist es auch für sie zweckmäßig, sich
diesem konzertierten Verhalten anzuschließen und sich ebenfalls Geldwert
konform zu verhalten.
Dieses
Konzept gleicht den Ordnungsvorstellungen der französischen Planifikation. Auch
hier liegt seitens des Staates eine indikative Planung vor, die eigentliche
Entscheidungshoheit verbleibt bei den Tarifpartnern. Auch hier wird mit
Zuckerbrot und Peitsche gearbeitet. Das Zuckerbrot besteht darin, dass die Tarifverbände
bei der Beratung über die Lohnleitlinien beteiligt werden. Die Peitsche stellt
die versteckte Drohung dar, dass dann, wenn dieses Konzept nicht zum Erfolg
führt, immer noch eine Einschränkung der Tarifautonomie erfolgen könnte.
Da
die damalige Große Koalition im Parlament über eine ausreichende Mehrheit
verfügte, hätte in der Tat notfalls eine die Tarifautonomie einschränkende Änderung
des Grundgesetzes beschlossen oder zumindest ein Ausführungsgesetz zur
Tarifautonomie durchgesetzt werden können, welches die gesamtwirtschaftliche
Verantwortung der Tarifpartner unterstreicht und den Tarifpartnern gewisse
Auflagen auferlegt.
Zur
Eindämmung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen wurde 1977 ebenfalls eine Konzertierte
Aktion eingeführt. Hier sollten die beteiligten Gruppen
(Krankenversicherungsträger, Ärzteschaft, Tarifpartner) zusammen mit dem Staat
wiederum unverbindliche Leitlinien für die gesamtwirtschaftlich noch tragbaren
Kostensteigerungen beschließen.
In
beiden Bereichen konnten in den ersten Jahren nach ihrer Einführung gewisse
Anfangserfolge erzielt werden. Die von den Gewerkschaften durchgesetzten
Lohnsteigerungen blieben zunächst weitgehend preisniveauneutral, entsprachen
also dem Wachstum der Arbeitsproduktivität, die Kosteninflation im Gesundheitswesen
konnte in der Tat für die Jahre nach Einführung der Konzertierten Aktion
reduziert werden.
Dieser
anfängliche Erfolg konnte jedoch nicht auf längere Zeit beibehalten werden.
Sowohl auf dem Arbeitsmarkt wie vor allem im Gesundheitswesen traten
Kostensteigerungen ein, welche die Geldwertstabilität beeinträchtigten.
Diese
historische Entwicklung (anfängliche Erfolge sowie Versagen in langfristiger
Hinsicht) lässt sich auch theoretisch leicht erklären. Man kann Interessengruppen
sehr wohl dazu bewegen, aus gesamtwirtschaftlicher Verantwortung heraus ihre
Einzelinteressen einmalig hinter das Gemeinwohl hintanzustellen. Es wird jedoch
nicht gelingen, ein solches verantwortungsbewusstes Verhalten auf Dauer
herbeizuführen. Aufgabe der Interessengruppen ist nun einmal die Vertretung
ihrer eigenen Interessen, von diesem Ziel wird man keine Gruppe langfristig
abbringen können.
In
Wirklichkeit ist es auch nicht gelungen, mit der Einführung der Konzertierten
Aktion das Kollektivgutdilemma aufzulösen. In Wirklichkeit gehen nämlich von
der Einrichtung der Konzertierten Aktion ebenfalls Fehlanreize aus, welche denjenigen
belohnen, welcher sich nicht an die gemeinsam beschlossenen Lohnleitlinien hält
und denjenigen materiell bestraft, der sich Lohnleitlinien konform verhält.
Setzt nämlich eine Einzelgewerkschaft Lohnsteigerungen durch, welche über der
Leitlinie liegen, so erhält sie auf der einen Seite eine überdurchschnittlich
hohe nominelle Lohnsteigerung, die hierdurch verursachten Preissteigerungen
müssen jedoch von allen getragen werden, sodass das Realeinkommen der jeweils
anderen Arbeitnehmergruppen zurückgeht.
Es
dürfte sich nun folgende Dynamik ergeben: Zunächst einmal halten sich fast alle
Gewerkschaften an die gemeinsam beschlossenen Lohnleitlinien; da sich alle
daran halten, werden ihre Erwartungen auch bestätigt. Über kurz oder lang wird
jedoch eine Einzelgewerkschaft aus diesem Konzert ausbrechen und höhere Lohnforderungen
durchsetzen, entweder weil in diesem Tarifbereich ein besonders hoher
Nachholbedarf besteht oder auch deshalb, weil aufgrund überdurchschnittlich
hoher Gewinne die Unternehmungen diesen Forderungen nachgeben werden.
Der
Erfolg dieser Einzelgewerkschaft wird in den nächsten Tarifrunden weitere
Gewerkschaften in diesem inkonformen Verhalten folgen lassen. Nun da mehrere
Gewerkschaften aus dem Konzert ausbrechen, werden die hierdurch bedingten
Preissteigerungen immer größer und dies bedeutet, dass konformes Verhalten
immer mehr materiell bestraft wird und dass gerade deshalb die Gefahr besteht,
dass immer mehr Einzelgewerkschaften aus der Konzertierten Aktion ausbrechen.
Eines Tages bricht deshalb die Konzertierte Aktion schließlich notwendigerweise
zusammen. Diese Prognose ist in der Tat auch sowohl im Bereich der
Arbeitsmärkte wie im Gesundheitswesen eingetreten.
Auch
die innere Logik, nach der Tarifverhandlungen stattfinden, spricht gegen einen
langfristigen Erfolg der Konzertierten Aktion. Tarifverhandlungen sind
langfristig erfolgreich, wenn beide Tarifpartner zu Kompromissen bereit sind
und deshalb keine Tarifseite auf Dauer ihr Gesicht verliert. Um aber überhaupt
Kompromisse schließen zu können, werden die Arbeitgeber die Tarifverhandlungen
mit Lohnzugeständnissen beginnen, welche deutlich unter dem Lohnniveau liegen,
welches sie bereit sind zuzugestehen, während umgekehrt die Gewerkschaften mit
Lohnforderungen in die Tarifverhandlungen eintreten, welche deutlich über dem
Lohnniveau liegen, welche sie für realistisch ansehen.
Wenn
nun im Rahmen einer Konzertierten Aktion eine bestimmte Lohnsteigerung als
akzeptabel und erwünscht beschlossen wird, so ist es für die Arbeitgeber kaum
möglich, die Tarifverhandlungen mit einem Angebot zu beginnen, welches
unterhalb dieser Lohnleitlinie liegt. Schließlich wurde ja bereits hoch offiziell
eine höhere Lohnsteigerung als erwünscht akzeptiert. Die Arbeitgeber müssen
also wohl oder übel mit einer Lohnbewilligung in die Tarifverhandlungen
einsteigen, welche der von der Konzertierten Aktion beschlossenen Lohnleitlinie
weitgehend entspricht.
Jedes
andere Verhalten wäre widersprüchlich und würde auch den Erfolg weiterer Runden
der Konzertierten Aktion gefährden, da die Arbeitgeber nicht einerseits in der
Konzertierten Aktion den beschlossenen Lohnleitlinien zustimmen können,
andererseits aber in den nachfolgenden Tarifverhandlungen diesen gemeinsam beschlossenen
Leitlinien widersprechen können.
In
diesem Falle fehlt jedoch den Arbeitgebern der Spielraum für weitere Konzessionen
im Verlaufe der Tarifverhandlungen; das Verhandlungsklima verschärft sich, es
wird nun schwieriger, zu einem Ergebnis zu gelangen. Auf jeden Fall werden die
Tarifverhandlungen in der Regel mit höheren Lohnsteigerungen enden, als in der
Konzertierten Aktion als erwünschte Lohnsteigerungen bezeichnet wurden.
Nun
könnte man diesem Einwand dadurch begegnen, dass man vorschlägt, in der
Konzertierten Aktion solle bei der Festlegung der Lohnleitlinie dieser Zusammenhang
berücksichtigt werden und etwas geringere Lohnsteigerungen festgelegt werden,
als tatsächlich erwünscht sind. Betrage also z. B. die erwartete Steigerung der
Arbeitsproduktivität 3%, so müsse eben nur eine 2%ige
Lohnsteigerung als Lohnleitlinie ausgegeben werden, damit dann während des Verlaufs
der Tarifverhandlungen die eigentlich erwünschte Lohnsteigerung von 3% erreicht
würde. Aber gerade damit würden sicherlich die Gewerkschaften im Rahmen der
Konzertierten Aktion nicht bereit sein und gesamtwirtschaftliche Argumente
dafür anführen, dass die volkswirtschaftlich erwünschte Lohnsteigerung eben
doch 3% betrage.
Ein
weiteres Argument kommt hinzu. De facto haben wir davon auszugehen, dass in den
Verhandlungen einer Tarifrunde unterschiedliche Lohnabschlüsse vereinbart
werden, da die einzelnen Gewerkschaften über unterschiedliche Machtpositionen
verfügen und da die einzelwirtschaftlichen Steigerungen der Arbeitsproduktivität
in den einzelnen Wirtschaftszweigen unterschiedlich ausfallen. Solche
unterschiedlichen Abschlüsse mögen sogar in begrenztem Umfang volkswirtschaftlich
erwünscht sein, da sich die Knappheitsrelationen der einzelnen
Wirtschaftszweige immer wieder verändern und deshalb auch Veränderungen in der
Lohnstruktur notwendig werden.
Wird
nun jedoch im Rahmen der Konzertierten Aktion eine generelle Lohnleitlinie
festgelegt, so werden auch diejenigen Gewerkschaften diese allgemein akzeptierte
Lohnsteigerung durchzusetzen versuchen, welche aufgrund der Besonderheiten in
den einzelnen Branchen durchaus ansonsten mit etwas unterdurchschnittlich hohen
Lohnsteigerungen zufrieden gewesen wären. Der Druck der Mitglieder auf die
gewerkschaftlichen Verhandlungsführer wird größer, wenn generelle
Lohnleitlinien beschlossen werden, mag die Regierung oder auch die
Wissenschaftler noch so sehr darauf hinweisen, dass eine Lohnleitlinie nur den
Durchschnitt der Lohnsteigerungen festlege.
Liegen
hingegen die in der Konzertierten Aktion beschlossenen Lohnleitlinien unterhalb
dem Niveau, das die Gewerkschaften in diesem Wirtschaftszweig anstreben, werden
sie Argumente finden, weshalb in ihrem Tarifbereich ein Abweichen in der
Lohnhöhe nach oben angezeigt ist. Sie melden vielleicht einen Nachholbedarf an,
weil in den vergangenen Tarifrunden nur eine unterdurchschnittlich hohe
Lohnsteigerung durchgesetzt wurde oder aber in der eigenen Branche werden
überdurchschnittlich hohe Gewinn erzielt, welche es aus verteilungspolitischen
Gründen notwendig werden lassen, an diesem überdurchschnittlich hohem Wachstum
beteiligt zu werden.
Auch
gilt es zu berücksichtigen, dass in der Konzertierten Aktion niemals alle
Verhandlungsführer beteiligt werden können, zu groß ist wegen der dezentralen
Struktur die Zahl der einzelnen Tarifverhandlungen, die in der BRD stattfinden,
nur die Vertreter der Spitzenverbände und einzelner sehr großer Gewerkschaften
können an der Sitzung der Konzertierten Aktion teilnehmen.
In
diesem Falle aber fällt es einem Verhandlungsführer sehr viel leichter, sich
von den Beschlüssen der Konzertierten Aktion zu distanzieren; er selbst hat ja
an diesen Beschlüssen in der Regel gar nicht teilgenommen. Damit entfällt jedoch
eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Gelingen der Konzertierten
Aktion. Karl Schiller wollte ja gerade dadurch das Kollektivgutdilemma der
Geldwertstabilität überwinden, dass die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen
die Lohnleitlinien als ihre eigenen Beschlüsse akzeptieren und sich deshalb
auch an diese Beschlüsse halten.
Diese
Überlegungen dürften im Großen und Ganzen auch für die Konzertierte Aktion im
Gesundheitswesen gelten. Überprüfen wir die Erfolgsaussichten einer
Konzertierten Aktion im Gesundheitsbereich, so kommt jedoch ein weiteres Argument
hinzu. Legt man Leitlinien für erlaubte Kostensteigerungen fest, so werden die
beteiligten Gruppen nach Argumenten suchen, warum gerade in ihrem Bereich
besonders hohe Kostensteigerungen gerechtfertigt sind. Ein solches Verhalten
ist jedoch in einer Wettbewerbswirtschaft kontraproduktiv.
Erwünscht
ist nämlich, dass die beteiligten Unternehmungen nach möglichen Kostensenkungen
Ausschau halten und durch Verbesserung der Produktionstechnik die Kosten
senken. Es besteht nun die Gefahr, dass bei Vorliegen einer Konzertierten
Aktion die Unternehmungen oder Krankenhäuser immer weniger nach Rationalisierungen
und immer stärker nach Argumenten zugunsten von Kostensteigerungen oder
zumindest eines Festhaltens am bisherigen Kostenniveau suchen. Auf diese Weise
unterbleiben immer mehr mögliche Kostensenkungen und das allgemeine
Kostenniveau steigt.
Fortsetzung
folgt!