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Gliederung:
1. Einführung
2. Wettbewerb ein Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck
3. Freihandel als alleinige Ursache für Wettbewerb?
4. Die Wettbewerbsfunktionen: Allokation
5. Die Wettbewerbsfunktionen: Verteilung
6. Die Wettbewerbsfunktionen: Technischer Fortschritt
7. Die Wettbewerbsfunktionen: Haftungsprinzip
8. Verschiedene Wettbewerbsarten
9. Wettbewerbspolitik
10. Der Wettbewerb zwischen den Staaten: race to bottom
7. Die Wettbewerbsfunktionen: Haftungsprinzip
Der Wettbewerb sorgt schließlich dafür, dass das Haftungsprinzip garantiert wird. Nach Walter Eucken gehört das Haftungsprinzip zu den konstituierenden Prinzipien einer Marktwirtschaft. Das Haftungsprinzip besagt hierbei, dass die Unternehmer, welche mit ihren Produktions-, Investitions- und Innovationsentscheidungen Risiken eingehen, zwar das Recht auf die Erträge dieser Entscheidungen haben, sofern diese Aktivitäten für die Volkswirtschaft erfolgreich waren und die allgemeine wirtschaftliche Wohlfahrt gefördert haben, dass sie aber bei einer erfolglosen Handlung auch die hiermit entstandenen Verluste voll mit ihrem Vermögen tragen müssen.
Der größte Teil der unternehmerischen Entscheidungen ist mit Risiken verbunden, es können bei der Produktion unvorhergesehene Unfälle entstehen, es besteht weiterhin die Gefahr, dass die Unternehmer die Nachfrage nach ihren Produkten überschätzt haben oder schließlich, dass sie nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt hatten, dass ein Teil ihrer bisherigen Kunden zu konkurrierenden Unternehmungen abwandern, wenn diese ihre Produkte billiger oder mit einer höheren Qualität verkaufen können. Gesamtwirtschaftlich kommt es nun darauf an, dass es auf der einen Seite genügend Unternehmer gibt, welche zu der Übernahme dieser Risiken bereit sind, dass aber auf der anderen Seite keine zu riskanten Investitionen geplant werden, von denen von vornherein feststeht, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum Erfolg führen können.
Gerade in dieser Fähigkeit privater Unternehmer, verantwortungsvoll Risiken zu übernehmen, wird der wichtigste Vorteil einer freien Marktwirtschaft gegenüber einer staatlichen Planwirtschaft gesehen. Gerade weil staatliche Bürokraten bei erfolgreichen Investitionen nicht an den Erträgen dieser Aktivitäten beteiligt werden, zumindest keine materiellen Gewinne erzielen dürfen, besteht in einer staatlichen Planwirtschaft stets die Gefahr, dass es an Bereitschaft, Risiken einzugehen, mangelt. Andererseits muss jedoch gerade deshalb, weil staatliche Bürokraten auch nicht die materiellen Verluste einer erfolglosen Investition mitzutragen haben, stets befürchtet werden, dass bisweilen auch in verantwortungsloser Weise besonders riskante Investitionen durchgeführt werden.
Dieses marktwirtschaftliche Haftungsprinzip ist nun bei monopolistischen Marktstrukturen gefährdet. Wenn sich nämlich nur wenige Unternehmungen in den Markt teilen, besteht die Gefahr, dass diese wenigen Unternehmer zwar auf der einen Seite die Gewinne aus riskanten Investitionen vereinnahmen, falls diese Investitionen erfolgreich waren, dass aber immer dann, wenn diese Aktivitäten zu volkswirtschaftlichen Verlusten geführt haben, die Forderung erhoben wird, dass der Staat diese Verluste übernehmen müsse.
Im Allgemeinen übernimmt der Staat dann auch diese Verluste, da immer dann, wenn die Gefahr besteht, dass eine dieser oligopolistischen Unternehmungen Konkurs geht, aufgrund ihres großen Marktanteils weitere Unternehmungen in den Abgrund mitgerissen würden und die Gefahr bestehen würde, dass auf diese Weise der gesamte betroffene Wirtschaftszweig zusammenbrechen müsste. Wenn Unternehmungen mit einem zweistelligen Marktanteil Konkurs gehen, besteht sogar die Gefahr, dass die gesamte Konjunktur zusammenbricht und diese Gefahr kann eben nur dadurch vermieden werden, wenn der Staat diese Unternehmungen mit Steuergeldern stützt und so verhindert, dass weitere – an und für sich unter normalen Bedingungen durchaus rentable – Unternehmungen ebenfalls insolvent werden.
Bei einer solchen Aufweichung des Haftungsprinzips gehen jedoch die Vorteile einer Marktwirtschaft gegenüber einer staatlichen Planwirtschaft verloren. Wenn die Unternehmer bei verlustreichen Investitionen gar nicht mehr mit ihrem Vermögen haften müssen, entfällt auch vor einer riskanten Investition jeder Anreiz, verantwortungsvoll zu überprüfen, ob mit einem Erfolg gerechnet werden kann. Damit entfällt jedoch auch jede Rechtfertigung dafür, dass den Unternehmern bei erfolgreicher Investition die Gewinne zufließen.
Das generelle Haftungsprinzip wurde ohnehin bereits durch die Haftungsbeschränkung bei Kapitalgesellschaften in ihrer Wirksamkeit vermindert. Natürlich ist es richtig, dass es auf der einen Seite in hohem Maße erwünscht ist, dass auch Arbeitnehmer und Selbstständigen mit einem geringen oder mittleren Einkommen an der Aufbringung von Kapital beteiligt werden und dass auf der anderen Seite gerade wegen ihres relativ geringen Vermögens eine volle Haftung dieser Kapitalgeber nicht gerechtfertigt ist. Eine volle Haftung mit dem gesamten Vermögen ist nur demjenigen zuzumuten, der nicht bei jeder geringsten Haftung bereits sein gesamtes Vermögen verliert. Es kommt noch hinzu, dass ein Kleinaktionär im Vergleich zum Mehrheitsaktionär auch gar nicht an den unternehmerischen Entscheidungen beteiligt ist und dass schon deshalb der Kleinaktionär nicht zur Rechenschaft für Handlungen gezogen werden kann, die er selbst nicht überprüfen und somit mitverantworten kann.
Wenn also auch vieles dafür spricht, dass Kleinaktionären nur mit ihrer Einlage, aber nicht mit ihrem gesamten Vermögen haften, bleibt es unklar, warum die Haftungsbeschränkung nicht auf Kleinaktionäre beschränkt bleibt. Wenn ein Vermögender sich dafür entscheidet, sein Vermögen in eine Kapitalgesellschaft einzubringen, aber wegen seines Kapitalanteils trotzdem die wichtigsten Unternehmungsentscheidungen genauso beeinflussen kann wie ein Unternehmer, welcher eine Personengesellschaft leitet, gibt es keinen überzeugenden Grund, weshalb er im Hinblick auf die Haftung anders behandelt wird als persönlich haftende Unternehmer. Auch dem Großaktionär ist es zuzumuten, das volle Haftungsrisiko zu übernehmen.
Wenn aber auf den einzelnen Märkten eine Vielzahl kleiner oder mittlerer Unternehmungen mit einstelligen Marktanteilen agiert, ist es durchaus akzeptabel, dass eine erfolglose Unternehmung pleite geht. Diese Unternehmung trägt in diesem Falle, wie das Haftungsprinzip verlangt, das volle Risiko, es haftet mit seinem Vermögen, ohne dass die Gefahr groß ist, dass weitere an und für sich rentable Unternehmungen ebenfalls Konkurs anmelden müssen und damit die gesamte Branche oder sogar die gesamte Konjunktur zusammenbricht und somit staatliche Unterstützung notwendig wird.
Natürlich ist es unerwünscht, dass durch einen Konkurs auch Arbeitnehmer arbeitslos werden. Ein Konkurs bedeutet jedoch nicht in jedem Falle auch, dass die Unternehmung aufgelöst werden muss und dass damit die Arbeitnehmer automatisch entlassen werden. Es ist auch denkbar, dass einfach nur die Führungskräfte ausgetauscht werden, dass diejenigen, welche für die Verluste verantwortlich sind durch neue Führungskräfte ersetzt werden. Auch ist es denkbar, dass die gesamte Unternehmung – bei grundsätzlicher Beibehaltung der Betriebsstruktur und Übernahme der gesamten Belegschaft – von anderen Unternehmungen bzw. anderen Kapitalgebern übernommen werden, bzw. dass einzelne Betriebsteile an unterschiedliche Unternehmungen verkauft werden.
Welche dieser Alternativen zum Zuge kommt, hängt entscheidend davon ab, worin die Gründe für die Insolvenz dieser Unternehmung liegen. Wenn z. B. nur Mängel in der Finanzierung oder im Verkauf die Ursache für die Illiquidität waren, gibt es gute Gründe dafür, dass die Produktionsstätten und mit ihnen der größte Teil der Belegschaft erhalten bleiben. Wenn hingegen z. B. Produkte produziert wurden, für welche kein Bedarf besteht oder welche nur mit wesentlich höheren Kosten als bei konkurrierenden Unternehmungen produziert wurden, ist die Gefahr groß, dass die Produktion aufgegeben werden muss und dass im Zuge der Stilllegung dieser Betriebe auch größere Teile der Belegschaft entlassen werden müssen.
Dass Arbeitnehmer arbeitslos werden aufgrund von Fehlentscheidungen anderer, ist zwar äußerst ungerecht. Eine Lösung dieses Problems kann jedoch nur dadurch erreicht werden, dass von Seiten des Staates (der Arbeitsämter) alles mögliche getan wird, um die entlassenen Arbeitnehmer so schnell wie möglich an anderer Stelle zu beschäftigen. Und wenn es wegen zu geringer Gesamtnachfrage nicht möglich ist, die durch Konkurs einzelner Unternehmungen arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer in anderen Unternehmungen zu beschäftigen, bedarf es der Errichtung eines sekundären Arbeitsmarktes von öffentlich-rechtlichen und caritativen Organisationen, welche die Arbeitslosen solange beschäftigen, bis für sie eine normale Beschäftigung in einer erwerbswirtschaftlich orientierten Unternehmung möglich wird.
8. Verschiedene Wettbewerbsarten
Bei unseren bisherigen Überlegungen sprachen wir im Allgemeinen vom Wettbewerb, ohne uns darüber klar zu werden, welche Eigenschaften der Wettbewerb aufweisen muss, um die ihm zugedachten Funktionen zu erfüllen. Wir erwähnten allerdings bereits, dass es verschiedene Arten des Wettbewerbs gibt und dass nicht alle Wettbewerbsarten diese Funktionen auch erfüllen können. Wir wollen uns nun in diesem Abschnitt mit einzelnen Wettbewerbsarten etwas näher befassen. Wir beginnen mit der vollständigen Konkurrenz.
Morphologisch gesehen sprechen wir immer dann von vollständiger Konkurrenz, wenn auf beiden Marktseiten (also sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite) eine Vielzahl kleiner Marktteilnehmer mit jeweils einem kleinen Marktanteil auftritt. Aber nicht die reine Morphologie ist dafür maßgebend, ob vom Wettbewerb die erhofften positiven Wirkungen ausgehen. Es kommt vielmehr auf das Verhalten der Marktpartner an und die Morphologie spielt nur insofern eine Rolle, als man davon ausgehen kann, dass eben die morphologische Struktur im Allgemeinen bestimmte Verhaltensweisen nahelegt.
Während bei der Diskussion über die Marktform der vollständigen Konkurrenz auf den Marktanteil der einzelnen Marktteilnehmer geachtet wird, hebt man beim Begriff der vollkommenen Konkurrenz darauf ab, ob weitgehend identische Güter gehandelt werden oder ob die einzelnen Güter gewisse Substitutionsbeziehungen aufweisen, sich also einander ersetzen können, obwohl sie nicht durch identische Merkmale gekennzeichnet sind. Hierbei kommt es weniger darauf an, ob die sachlichen Merkmale der einzelnen Güter überstimmen, sondern darauf, ob zwei Güter von den Nachfragenden als identisch aufgefasst werden und ob deshalb die potenziellen Käufer gleiche oder unterschiedliche Präferenzen besitzen. Unvollkommen wäre also z. B. die Konkurrenz auf einem bestimmten Markt bereits dann, wenn der Nachfragende seine Entscheidung, bei welchem Anbieter er eine Ware kaufen will, davon abhängig macht, welche Beziehungen er gegenüber den Anbietern pflegt (hier liegt eine personelle Präferenz vor) oder an welchem Ort dieses Gut angeboten wird (hier würde man von einer regionalen Präferenz sprechen). Ein vollkommener Markt liegt also nur dann vor, wenn die Nachfrager keinerlei Präferenzen äußern und von diesen Präferenzen ihre Nachfrageentscheidungen abhängig sein lassen.
Eine vollständige Konkurrenz liegt nun genau dann vor, wenn weder Anbieter noch Nachfrager über soviel Marktmacht verfügen, dass sie über eine Verknappung ihres Angebotes (bzw. ihrer Nachfrage) den Preis dieses Gutes beeinflussen können. Wenn wir die Marktform eines Monopols betrachten, wenn also ein einziger Anbieter einer Vielzahl von Nachfragern gegenüber tritt, müssten wir feststellen, dass bei einer Reduzierung der angebotenen Gütermenge der Preis dieses Gutes automatisch angehoben werden würde. Wir unterstellen ja im Normalfall, dass die Nachfrage vom Preis abhängt in dem Sinne, dass bei einer Verringerung der angebotenen Menge die Nachfrager bereit sind, einen höheren Preis zu akzeptieren.
Wenn nun eine Vielzahl von Anbietern mit jeweils einem verschwindend kleinen Anteil am Gesamtmarkt auf einem Markt auftreten, kann der einzelne Anbieter nun nicht mehr damit rechnen, dass er durch Reduzierung seiner Angebotsmenge einen Anstieg des Preises auslösen kann. Das Gesamtangebot würde in diesem Falle kaum merkbar reduziert werden und nur dann, wenn das Angebot spürbar reduziert würde, wären die Nachfrager bereit, einen höheren Preis zu zahlen.
Nehmen wir z. B. an, dass insgesamt 100 Unternehmer mit einem weitgehend gleichen Marktanteil ein bestimmtes Gut anbieten. Der einzelne Anbieter hätte also einen Marktanteil von gerade einem Prozent. Selbst dann, wenn er nun sein Angebot halbieren würde – und dies wäre aus seiner Sicht eine außerordentlich hohe Reduzierung – würde das Gesamtangebot annahmegemäß nur um einen halben Prozent reduziert werden und es könnte damit gerechnet werden, dass die übrigen Anbieter in diese Lücke einspringen könnten, da sie ja ihr Angebot im Durchschnitt nur um 0,005 Prozent vergrößern müssten. Es kann also davon ausgegangen werden, dass es dem einzelnen Anbieter auch bei größten Anstrengungen nicht gelingen wird, den Marktpreis entscheidend zu beeinflussen.
Mit anderen Worten: Bei Vorliegen einer vollständigen Konkurrenz verhält sich der einzelne Anbieter (und gleiches gilt mutatis mutandis für den Nachfrager) wie ein Mengenanpasser. Er nimmt den Marktpreis als vorgegebene, von ihm allein nicht zu beeinflussende Datengröße und passt seine Angebotsmenge diesem vorgegebenen Preis an. Unterstellen wir nun, dass die einzelnen Anbieter eine solche Angebotsmenge ansteuern, welche ihnen unter den gegebenen Umständen ein Maximum an Gewinn verspricht, erreicht der einzelne Anbieter gerade dann sein Ziel, wenn seine Grenzkosten (der Kostenzuwachs der letzten Produktionseinheit) dem vorgegebenen Preis entspricht. Im Rahmen der Wohlfahrtstheorie wurde nun gezeigt, dass gerade in diesem Falle der Markt seine allokative wie distributive Funktion voll erfüllt. Also kommen wir zu dem Ergebnis, dass bei vollständiger Konkurrenz tatsächlich vom Wettbewerb die ihm zugedachten Funktionen erfüllt werden.
Hierbei gilt zu berücksichtigen: Wir haben davon gesprochen, dass der Markt bei vollständiger Konkurrenz Ergebnisse ansteuert, welche eine optimale Allokation und eine befriedigende Verteilung sicherstellen. In der Realität haben wir stets davon auszugehen, dass die tatsächlichen Verhältnisse immer nur mehr oder weniger diesem Ideal gleichkommen. Wenn wir z. B. statt hundert nur zehn Anbieter auf einem Markt vorfinden, wird zwar der Einfluss des einzelnen Anbieters auf den Preis ebenfalls sehr gering sein, er wird trotzdem in der Lage sein, einen begrenzten Einfluss auf den Güterpreis durch eine drastische Reduzierung seiner Angebotsmenge auszuüben. Wir haben uns in diesem Falle zwar dem Ideal einer vollständigen Konkurrenz genähert, aber dieses Ziel bei Weitem nicht erreicht. Und wenn es uns gelänge, einen Wettbewerb zu erzielen, bei dem immerhin zehn Unternehmer ein gleiches Gut anbieten, dann wären wir dem Ziel einer optimalen Allokation gegenüber einer Wirklichkeit, in der nur zwei Anbieter miteinander in Konkurrenz stehen, entscheidend näher gekommen.
In diesem Zusammenhang kommt nun auch der vollkommenen Konkurrenz eine gewisse Bedeutung zu. Wenn es nämlich einem Anbieter gelingt, z. B. über Werbung bei den potenziellen Nachfragern eine spezielle Präferenz gerade für sein Produkt zu erzeugen, dann würde dieser Anbieter zu einer Art Monopolist aufgrund von Präferenzen und könnte deshalb den Preis auch dann noch beeinflussen, wenn er im Hinblick auf die sachlichen Merkmale seiner Ware in Konkurrenz mit vielen Anbietern stehen würde.
Wenden wir uns nun einer Wettbewerbsart zu, welche auf jeden Fall zu unerwünschten Ergebnissen führt: der sogenannten ruinösen Konkurrenz. Ein ruinöser Wettbewerb findet dann statt, wenn ein Marktteilnehmer bewusst darauf abzielt, seinen Mitbewerber in den Ruin zu führen. Das wichtigste und auch wohl häufigste Beispiel eines ruinösen Wettbewerbs liegt dann vor, wenn z. B. ein Anbieter seine Preise deutlich unter seinen Stückosten ansetzt und damit ganz bewusst eigene Verluste in Kauf nimmt. Eine solche Strategie kann trotzdem auf lange Sicht gewinnbringend sein. Der Anbieter hofft hierbei, dass sich nun auch sein Konkurrent gezwungen sieht, seine Preise unter den Stückkosten anzusetzen, um überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben. Er geht jedoch davon aus, dass sein Konkurrent über ein geringeres Vermögen als er selbst verfügt oder dass sein Mitbewerber über geringere Möglichkeiten verfügt, durch Kredite eine vorübergehend verlustbringende Durststrecke zu überbrücken.
Entsprechen die Annahmen dieses Anbieters der Wirklichkeit, wird sein Konkurrent über kurz oder lang Konkurs anmelden müssen und deshalb aus dem Markt scheiden, zu einer Zeit, innerhalb welcher der – ruinöse Konkurrenz betreibende – Anbieter nach wie vor über Vermögen oder Kreditmöglichkeiten verfügt, die ihm gestatten, mit der verlustreichen Produktion fortzufahren.
In dem Augenblick, in dem sein Mitbewerber jedoch ausgeschieden ist und der besagte Anbieter nun eine Monopolstellung erlangt hat oder zumindest bei Vorhandensein mehrerer Konkurrenten seine Marktmacht vergrößert hat, kann dieser Anbieter nun mit Erfolg über eine Verknappung seines Angebotes die Preise deutlich über die Stückkosten anheben und damit die anfangs in Kauf genommenen Verluste nicht nur wettmachen, sondern sie überkompensieren. Trotz anfänglicher Verluste hat diese Strategie einer ruinösen Konkurrenz langfristig zu einer Gewinnsteigerung geführt. Und gerade deshalb, weil nun auf lange Sicht die Preise über den Stückkosten angehoben werden können, gehen von dieser Art von Wettbewerb gesamtwirtschaftlich unerwünschte Wirkungen aus: Die Produktion entspricht nun nicht mehr dem Bedarf der Konsumenten und die auf dem Markt verwirklichten Preise garantieren auch keine faire Verteilung der allgemeinen Wohlfahrt.
Diese Art von ruinösem Wettbewerb ist vor allem dann möglich, wenn sich nur zwei Anbieter (oder auch zwei Nachfrager) in den Markt teilen. Ist es gelungen, den Mitbewerber auszuschalten, nimmt der verbleibende Marktteilnehmer im morphologischen Sinne eine Monopolsituation ein und kann auf diese Weise die Monopolmacht voll ausschöpfen. Natürlich kann sich unter Umständen die Strategie einer ruinösen Konkurrenz auch dann auszahlen, wenn zu Beginn mehrere Konkurrenten vorhanden sind. In diesem Falle ist nach dem Ausscheiden eines ersten Konkurrenten der Kampf noch nicht beendet, er hat es immer noch mit weiteren Konkurrenten zu tun, welche seine Macht einschränken. In diesem Falle geht der ruinöse Wettbewerb weiter, bis dann schließlich auch der letzte Konkurrent durch Konkurs ausscheidet. Vielleicht findet dieser Wettbewerb auch schon vorher sein Ende, in dem der (oder auch die ) verbleibende(n) Mitbewerber mit unserem Marktteilnehmer ein Kartell mit Preisabsprachen bildet (bilden).
Es ist jedoch ganz unwahrscheinlich, dass bei Vorliegen einer vollständigen Konkurrenz eine solche Strategie der ruinösen Konkurrenz zum Erfolg führt, da hier der Vernichtungsprozess in die Länge gezogen wird. Vor allem besteht hier die Gefahr, dass in der Zwischenzeit wiederum neue Konkurrenten in den Markt drängen und der Verdrängungswettbewerb einer Sisyphosarbeit gliche. Sisyphos wurde bekanntlich von Hermes für seinen Frevel in die Unterwelt gezwungen, wo er zur Strafe einen Felsblock auf einen Berg hinaufzuwälzen hatte, der, am Gipfel angelangt, immer wieder ins Tal rollte und deshalb erneut nach oben gerollt werden musste.
Auch die Möglichkeit, dass sich die Konkurrenten zusammentun und kartellartige Absprachen treffen, sinkt mit der Zahl der Mitbewerber, da aus der Sicht der einzelnen Mitbewerber ganz unterschiedliche Strategien als gewinnbringend angesehen werden müssen.
Ob eine solche ruinöse Konkurrenz als erfolgreich zu gelten hat, hängt unter anderem auch entscheidend davon ab, inwieweit die einzelnen Konkurrenten die Vermögenssituation ihrer Konkurrenten kennen. Wenn ein Anbieter nur eine ganz vage Vorstellung darüber hat, ob sein Mitbewerber über eine geringere Vermögensmasse als er selbst verfügt, ist die Strategie einer ruinösen Konkurrenz ein zweischneidiges Schwert. Wenn er sich nämlich in dieser Annahme täuscht und sein Konkurrent einen längeren Atem hat, dann erweist sich diese Strategie für denjenigen, der sie anwendet, nicht nur als nicht gewinnbringend, vielmehr läuft er Gefahr, nun selbst aus dem Markt auszuscheiden und sein gesamtes Vermögen einzubüßen.
Das beste Mittel um zu verhindern, dass die Strategie einer ruinösen Konkurrenz häufig angewandt wird, besteht nun in der Garantierung des Bankgeheimnisses. Es darf nicht erlaubt sein, dass ein Anbieter über die Vermögensverhältnisse seiner Mitkonkurrenten Auskunft erhält. Nur dadurch, dass sich die einzelnen Anbieter über die Vermögensverhältnisse ihrer Mitbewerber nicht sicher sein können, ist diese Strategie riskant und nur in diesem Falle bestehen Tendenzen, dass diese Strategie nur sehr selten angewandt wird. Dies gilt vor allem deshalb, weil es im konkreten Einzelfall sehr schwierig ist, den Tatbestand einer ruinösen Konkurrenz nachzuweisen und sie damit auch strafrechtlich zu verfolgen. Das Bankgeheimnis trägt somit nicht nur dazu bei, eine Steuerhinterziehung zu begünstigen.
Eine ähnliche Beurteilung findet sich auch im Sport. Auch hier geht man davon aus, dass zwischen den einzelnen Sportlern ein Wettbewerb veranstaltet wird und dass den einzelnen, an diesen Spielen teilnehmenden Sportlern nicht alle Erfolg versprechenden Mittel erlaubt sind. Es wird wie im Wirtschaftssystem ein fairer Wettbewerb gefordert und die Fairness kommt dadurch zum Ausdruck, dass auch hier Spielregeln festlegen, welche Formen des Wettbewerbs als unerwünscht zu gelten haben.
In einem Punkt unterscheidet sich jedoch der faire Wettkampf im Bereich des Sportes gegenüber der Fairness im Wirtschaftssystem. Der sportliche Wettbewerb hat das erklärte Ziel, dass am Ende eines Spieles ein eindeutiger Sieger feststeht. Zwar dürfen im Allgemeinen die Spieler, welche in einem Spiel besiegt wurden, an den folgenden Spielen erneut teilnehmen und um den Sieg kämpfen. Jedes Spiel beginnt im Grunde genommen ganz von vorne. Auch dann, wenn der eine Spieler (oder die eine Mannschaft) aus dem vergangenen Spiel als Verlierer hervorging, kann er in den folgenden spielen sehr wohl als Sieger auftreten.
Der faire Wettbewerb eines marktwirtschaftlichen Systems hat demgegenüber zum Ziel, dass eben gerade nicht ein einziger Marktteilnehmer als Sieger, also als Monopolist hervorgeht. Den Funktionen des wirtschaftlichen Wettbewerbs ist am besten gedient, wenn die Marktteilnehmer möglichst keine Vorrangstellung erlangen, wenn sich alle gleich verhalten und darauf verzichten, über Verknappungsstrategien Macht zu erlangen.
9. Wettbewerbspolitik
Wir hatten weiter oben festgestellt, dass die Altliberalen von der Überzeugung ausgingen, es reiche aus, dass der Staat in einem einmaligen Akt einen freien Handel sowohl in der Binnen- wie auch in der Außenwirtschaft einführe. Auf diese Weise entstehe Wettbewerb und dieser Wettbewerb erhalte sich von selbst, da überall dort, wo Gewinnchancen entstehen, genügend Unternehmer in den Markt drängen, um sich an der Produktion zu beteiligen. Wir hatten dann später auch gesehen, dass sich Walter Eucken in dieser Frage vom Altliberalismus unterschied. Er wies daraufhin, es reiche nicht aus, den Wettbewerb einmalig einzuführen. Es bestünde vielmehr die Gefahr, dass die Unternehmer stets bemüht seien, den Wettbewerb durch kartellartige Absprachen und durch Zusammenschlüsse von Unternehmungen zu untergraben, da Wettbewerb stets für diejenigen, welche unter starkem Wettbewerb produzieren müssen, als lästig und als Gewinn mindernd empfunden werde.
Walter Eucken zog aus dieser Erkenntnis den Schluss, dass es eines starken Staates bedürfe, der in einer aktiven Wettbewerbspolitik dafür Sorge trage, dass der Wettbewerb erhalten bleibe. Wir wollen uns nun in diesem letzten Abschnitt die Frage stellen, worin denn eine aktive Wettbewerbspolitik besteht und welche Maßnahmen der Wettbewerbspolitik dazu beitragen, dass der Wettbewerb auch dann erhalten bleibt, wenn sich die Unternehmer selbst darum bemühen, Wettbewerb soweit wie nur möglich zu unterbinden.
Walter Eucken hatte in diesem Zusammenhange vor allem dafür plädiert, Kartelle generell zu verbieten. Nun mag zwar ein kartellartiger Zusammenschluss von Unternehmungen eine wichtige Ursache dafür sein, dass der Wettbewerb immer wieder unterlaufen wird. Ein Kartellverbot ist jedoch weder eine notwendige noch ausreichende Voraussetzung dafür, dass stets Wettbewerb herrscht und damit die dem Wettbewerb zugedachten Funktionen erfüllt werden.
Es ist nicht immer notwendig, ein generelles Kartellverbot auszusprechen, da es sehr wohl einige Formen von Absprachen zwischen Unternehmungen gibt, von denen keine – die oben dargestellten Wettbewerbsfunktionen – beeinträchtigenden Wirkungen ausgehen. Wenn z. B. Unternehmungen vereinbaren, bestimmte DIN-Normen für den Handel mit Waren einzuführen, so erleichtert diese Absprache den Handel und trägt auf diese Weise zur Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt bei, ohne dass aber Allokation und Verteilung beeinträchtigt werden und das Haftungsprinzip gelockert wird.
Auf der anderen Seite ist ein Kartellverbot aber auch nicht ausreichend, um die Entstehung von Monopolen und Oligopolen wirksam zu verhindern. Monopolmacht entsteht nicht nur dadurch, dass sich mehrere Unternehmungen, die rechtlich gesehen selbstständig bleiben, zu Kartellabsprachen verabreden, sondern auch dadurch, dass vor allem Großunternehmungen andere Unternehmungen aufkaufen und auf diesem Wege ihren Marktanteil vergrößern. Es ist ein normaler Wettbewerbsprozess, der automatisch dazu führt, dass sich diejenigen Unternehmungen durchsetzen, welche die geringeren Stückkosten aufweisen, wobei die am wenigsten produktiven und deshalb unrentablen Unternehmungen durch Konkurs vom Markte verschwinden.
Diese Tatsache macht es notwendig, dass sich der Staat nicht nur darum bemüht, Kartellabsprachen zu verbieten. Aktive Wettbewerbspolitik hat darüber zu wachen, dass die einzelnen Unternehmungen nach Möglichkeit gar nicht monopolistische Machtstellungen erlangen. Es bedarf also nicht nur eines Kartellverbotes und einer staatlichen Monopolbehörde, welche überwacht, dass es zu keinen Kartellabsprachen kommt. Wenn sich eine Unternehmung im Rahmen eines ganz normalen Wettbewerbsprozesses gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzt und auf diesem (ganz normalen) Wege Monopolmacht erlangt, gehen von dieser Unternehmung auch dann negative Wirkungen auf Allokation und Verteilung aus, wenn diese Unternehmung ohne jegliche Kartellabsprachen zu dieser Machtfülle gelangt ist. Als Monopolist kann diese Unternehmung den Preis über die Stückkosten setzen und damit eine optimale Ausrichtung der Produktion am Konsumentenbedarf verhindern, kann den Anteil der Gewinne über das notwendige Maße hinaus anheben und ermöglicht vor allem eine Aufweichung des Haftungsprinzips.
Es ist also notwendig, dass sich der Staat im Rahmen seiner Wettbewerbspolitik nicht darauf beschränkt, Kartellabsprachen zu verbieten. Kartellabsprachen sind ohnehin nur sehr schwer zu erkennen. Es bedarf vielmehr einer weitergehenden Monopolkontrolle, welche die Märkte überwacht mit dem Ziel, dass der Marktanteil keiner Unternehmer eine kritische Grenze überschreitet. Das Hauptgewicht dieser Monopolbehörde sollte deshalb auch nicht darin liegen, Unternehmungen mit Geldstrafen zu belegen, wenn nachgewiesen werden kann, dass diese Unternehmungen monopolistische Praktiken angewandt haben. Ein rechtsstaatlich einwandfreier Beweis, dass solche Praktiken angewandt wurden, ist ohnehin in nur sehr unvollkommener Weise möglich. Viel wichtiger ist es, darüber zu wachen, dass der Marktanteil der einzelnen Unternehmungen nicht so stark ansteigt, dass sich diese Unternehmungen dieser monopolistischen Praktiken bedienen können.
Nun müssen wir anerkennen, dass Wettbewerb nicht in jedem Falle realisiert werden kann. Es gibt in der Realität Fälle eines natürlichen Monopols. Ein solches natürliche Monopol liegt vor allem dann vor, wenn der Bedarf der Konsumenten nach bestimmten Produkten so gering ist, dass eine Unternehmung allein den gesamten Bedarf befriedigen kann und dass die Aufteilung der nachgefragten Gütermenge auf mehrere Unternehmungen dazu führen müsste, dass diese Unternehmungen Kosten aufweisen, die höher sind als der Preis, den die Konsumenten akzeptieren.
Wir haben davon auszugehen, dass bei den meisten industriellen Produkten Fixkosten entstehen, welche unabhängig von der ausgebrachten Gütermenge anfallen. So benötigen Unternehmungen z. B. Maschinen, mit deren Hilfe eine Vielzahl von Produkten produziert werden kann. Diese Maschinen sind jedoch auch dann notwendig, wenn nur eine kleine Zahl von Produkten produziert wird, mit anderen Worten die mit der Anschaffung einer solchen Maschine verbundenen Kosten sind in ihrer Gesamtheit gleich groß, ob wenig oder viel produziert wird. Dies bedeutet aber, dass die fixen Stückkosten bei einer sehr geringen Ausbringungsmenge sehr hoch sind. Würde diese Unternehmung nur eine Gütereinheit produzieren, so fiele für dieses Produkt der Gesamtwert der Anschaffungskosten mit den fixen Stückkosten zusammen. Würde jedoch diese Unternehmung tausend Gütereinheiten produzieren, so betrügen die fixen Stückkosten lediglich ein Tausendstel des Anschaffungspreises dieser Maschine.
Diese Zusammenhänge haben nun zur Folge, dass in den modernen Industriebetrieben, welche zumeist eine Vielzahl von Maschinen zur Produktion benötigen, erst ab einer bestimmten Gütermenge an die Stückkosten unter den Preis fallen, den die Konsumenten entsprechend der Nachfragekurve zu zahlen bereit sind. Dies bedeutet aber auch, dass bei einer geringen Gesamtnachfrage nach einem Produkt unter Umständen die Gesamtgütermenge zu klein ist, damit sich mehrere Unternehmungen in die Produktion dieses Gutes teilen können. Der Versuch, die Gesamtnachfrage durch mehrere Unternehmungen zu befriedigen, müsste hier zwangsweise dazuführen, dass die Unternehmungen nur mit Verlusten produzieren könnten und dies wiederum würde bewirken, dass sich langfristig im Markt nur eine Unternehmung halten könnte und diese deshalb aus natürlichen Gründen eine monopolistische Macht erlangen würde.
Allerdings müssen wir bei der Frage, wie oft denn mit einem solchen natürlichen Monopol gerechnet werden muss, bedenken, dass diese Tendenz entscheidend auf der einen Seite davon abhängt, inwieweit ein freier internationaler Markt zugelassen wird. Auf der anderen Seite hängt diese Mindestgröße, von der ab überhaupt erst eine Produktion rentabel wird, auch von der angewandten Technik ab.
Wenn also Unternehmungen die Möglichkeit erhalten, ihre Produkte weltweit zu exportieren, dürften nur in den seltensten Fällen Situationen auftreten, bei denen der weltweite Gesamtbedarf nur von einer einzigen Firma produziert werden kann.
Auf der anderen Seite gibt es fast immer eine Vielzahl von konkurrierender Techniken, welche zur Produktion eines bestimmten Produktes angewandt werden können. Nicht jeder technische Fortschritt ist größenintensiv, es gibt sehr unterschiedliche Arten von technischem Fortschritt und es spricht nichts dafür, dass jeweils der größenintensive Fortschritt die größte wirtschaftliche Wachstumsrate zu Folge hat. Vor allem ist auch zu bedenken, dass selbst dann, wenn man nachweisen könnte, dass für bestimmte Produkte die höchstmögliche Produktivitätssteigerung bei einem größenintensiven Fortschritt erreicht werden könnte, dieser partielle Vorteil dadurch durch andere Wohlfahrtsverluste überkompensiert werden könnte, dass wegen der Entstehung von Monopolen die dem Wettbewerb zugedachten Funktionen vereitelt werden.
Trotzdem mag es einzelne Fälle geben, in denen die Voraussetzungen für ein natürliches Monopol vorliegen. Für diese (wenigen) Ausnahmefälle hat Leonhard Miksch, ein Schüler Walter Euckens die Einführung eines ‚Wettbewerbs als ob‘ gefordert. Die Wirtschaftsverfassung sei so zu gestalten, dass der marktwirtschaftliche Prozess dort, wo er nicht funktioniert, nachgeahmt werde. (Miksch, Leonhard, 1949, Die Wirtschaftspolitik des Als-Ob, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 105, S. 310 – 338.)
Von einem solchen, natürlichen Nachfragemonopol kann auch im Hinblick auf die Arbeitsmärkte gesprochen werden. Ein natürliches Nachfragemonopol wurde in der Anfangsphase der Industrialisierung damit begründet, dass wegen fehlender Mobilität ein Arbeitnehmer auf die wenigen Angebote an Arbeitsplätzen in der jeweiligen Wohngemeinde angewiesen war. Oftmals gab es in einer Gemeinde nur eine Unternehmung und mangels eines ausgebauten Verkehrsnetzes war es für die meisten Arbeitnehmer unzumutbar, in Nachbargemeinden eine Arbeit zu suchen.
Heute ist es aufgrund der drastischen Senkung der Verkehrskosten für den Arbeitnehmer möglich, seinen Arbeitsplatz auch in benachbarten Gemeinden zu suchen. Viele Arbeitnehmer legen heutzutage viele KM im eigenen Wagen oder mit dem Motorrad oder mit den öffentlichen Verkehrseinrichtungen zurück, um täglich zur Arbeitsstelle, welche sich in benachbarten Gemeinden befindet, zu fahren.
Trotzdem kann man auch heute noch von einer nachfragemonopolartigen Macht sprechen, da die Arbeitgeber vor allem der Großunternehmungen bei der Einstellung von Arbeitskräften über ein Informationsmonopol verfügen. Während ein Arbeitnehmer oftmals nur einmal während seines gesamten Lebens eine neue Arbeitsstelle sucht oder zumindest nur einige wenige mal auf Arbeitsplatzsuche gehen muss, ist die Suche von Arbeitskräften für Großunternehmungen ein Routinegeschäft, aufgrund dessen sich der Arbeitgeber Spezialwissen aneignet und eigene ausgebildete Fachkräfte für Personalangelegenheiten beschäftigen kann.
Es besteht also die Gefahr, dass ohne gesetzliche Ausnahmeregelung auf den Arbeitsmärkten wegen dieses natürlichen Nachfragemonopols die Startchancengleichheit gravierend verletzt wäre. Das Recht der Arbeitnehmer, sich in Gewerkschaften zu organisieren und in Tarifverhandlungen für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, trägt somit auch heute noch dazu bei, auf den Arbeitsmärkten die Startchancengleichheit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern durchzusetzen und zu verhindern, dass sich auf den Arbeitsmärkten ein Nachfragemonopol durchsetzt.
Diese Tarifautonomie richtet sich zunächst gegen den Staat: Es ist in der BRD nicht Aufgabe des Staates, Lohnpolitik zu betreiben und die Rechte der Tarifpartner zu beschneiden. Der Staat hat sich darauf zu beschränken, allgemeine Richtlinien für die Tariflohnpolitik zu verabschieden, die notwendig sind, um negative Auswirkungen der Tariflohnpolitik auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele zu verhindern. Tarifautonomie bedeutet jedoch zweitens auch, dass Tarifverhandlungen auf Arbeitnehmerseite nur von den Gewerkschaften, aber z. B. nicht von den Betriebsräten, die ja ebenfalls die Interessen der Arbeitnehmer vertreten, geführt werden dürfen.
Nicht in allen Ländern der westlichen Welt besteht eine derartige Tarifautonomie, obwohl fast in allen Staaten kollektive Tarifverhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geführt werden. Es gibt Staaten (z. B. die Niederlande oder Schweden), in denen der Staat Mindestlöhne vorschreibt oder vorschrieb und andere Staaten (z. B. Dänemark, die USA), in denen die Regierung das Recht besitzt (besaß), unter gewissen Voraussetzungen die Beendigung des Streiks festzusetzen (bzw. einen Streik vorübergehend auszusetzen und einen bindenden Schiedsspruch zu fällen).
In begrenztem Umfang konnten jedoch bis heute auch die Arbeitsbedingungen in der BRD vom Staat festgesetzt werden. So hatten die Arbeitsminister des Bundes und der Länder schon immer die Möglichkeit, auf Antrag eines der Tarifpartner den zunächst nur für die Gewerkschaftsmitglieder gültigen Tarifvertrag auf die ganze Branche zu übertragen. Weiterhin wurde seit den 90er Jahren zunächst in der Baubranche, später auch in einer Reihe von weiteren Branchen ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt. Es ist das Ziel der Gewerkschaften, aber auch der SPD, einen gesetzlichen Mindestlohn für die gesamte Volkswirtschaft einzuführen.
John Kenneth Galbraith hat nun in seiner Theorie der ‚countervailing powers’ die Auffassung vertreten, dass von den ‚countervailing powers’ eine ähnliche – nämlich Ordnung stiftende – Funktion ausgehe, wie sie allgemein dem Wettbewerb im Rahmen liberaler Theorien zugedacht werde. Vor allem in verteilungspolitischer Hinsicht könne eine Gegenmacht auf der Arbeitnehmerseite die sonst monopolbedingten Lohnverzerrungen abbauen.
Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Entstehung eines einseitigen Monopols, z. B. des Nachfragemonopols der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt, welches entsprechend der von Antoine Augustin Cournot entwickelten Monopoltheorie dazu führt, dass die Löhne und die Nachfrage nach Arbeit im Vergleich zu den Konkurrenzmärkten zu niedrig ausfallen. Diese sowohl allokations- wie auch verteilungspolitisch unerwünschten Wirkungen eines Nachfragemonopols könnten nun nach Galbraith dadurch wiederum behoben werden, dass sich auch die Angebotsseite des Arbeitsmarktes monopolistisch organisiere. Die Löhne könnten nun wiederum auf das Konkurrenzniveau angehoben werden und die Nachfrage nach Arbeit würde dementsprechend auch wiederum der Nachfrage bei Konkurrenz entsprechen.
Es bleibt allerdings unklar, ob die Bildung eines Monopols der Angebotsseite des Arbeitsmarktes das Pendel nicht wiederum in die andere Richtung ausschlagen lässt, also Löhne erzielt werden, die zu hoch sind und die Knappheit der Arbeitskräfte nicht korrekt widerspiegeln und welche deshalb auch die Produktionslenkung – nun in die andere Richtung – verzerren.
Es liegt nahe, zur Klärung dieser Frage die Theorie des bilateralen Monopols heranzuziehen. Die Theorie des bilateralen Monopols wurde zunächst für Gütermärkte entwickelt, aber sehr bald (z. B. von William J. Fellner) auf den Arbeitsmarkt übertragen. Diese Theorie konnte zwar im Hinblick auf die Frage nach der genauen Höhe des im bilateralen Monopol erzielten Lohnsatzes keine neuen wesentlichen Erkenntnisse bringen. Die Theorie des bilateralen Monopols geht nämlich davon aus, dass die Morphologie dieser Marktform die Verhaltensweisen der Marktpartner nicht eindeutig bestimmt, wie dies ansonsten auf Wettbewerbsmärkten, aber auch im Cournot‘schen Monopol der Fall ist, dass also im bilateralen Monopol recht unterschiedliche Verhaltensweisen möglich sind. Die Partner können sich wie auf Wettbewerbsmärkten als Mengenanpasser, weiterhin wie Monopolisten, aber auch als Optionsfixierer verhalten, welche sowohl den Preis wie auch die Menge bestimmen und ihren Partner nur die Option lassen, entweder zu diesen Bedingungen den Vertrag abzuschließen oder vom Vertrag zurückzutreten.
Schließlich gibt es auch die Strategie der schrittweisen Einigung. Danach einigt man sich in einem ersten Schritt auf die Regelungen, die auch zu Beginn der Verhandlungen bereits unstrittig sind, um sich dann in weiteren Schritten auf Veränderungen zu einigen, welche beiden Partnern Nutzengewinne versprechen. Die Strategie der schrittweisen Einigung endet in dem Punkt, in welchem jede weitere Änderung mindestens einem der Tarifpartner einen Nachteil bringen würde.
Der Hinweis, dass von den morphologischen Bedingungen her recht unterschiedliche Verhaltensweisen der Marktpartner möglich sind, führt dann dazu, dass der Lohnsatz zwar nicht über das Durchschnittsprodukt der Arbeit und auch nicht unter das Existenzminimum der Arbeitnehmer fallen kann, dass aber innerhalb dieser Grenzen jede Lohnhöhe je nach Machtverhältnissen der Tarifpartner erreicht werden kann. Dies ist eine Binsenwahrheit und bringt keinerlei neuen Erkenntnisse. Insoweit brachte diese Theorie keinen befriedigenden zusätzlichen informativen Gehalt.
Vielleicht lässt sich jedoch aus diesem Hinweis in negativem Sinne ableiten, dass die von Galbraith ins Gespräch gebrachte Korrekturfunktion der Countervailing Powers doch nicht in jedem Falle zu erwarten ist, dass zwar in einem bilateralen Monopol eine Angleichung der Löhne an das Konkurrenzniveau möglich ist, dass aber nicht mit Sicherheit mit diesem positiven Ergebnis gerechnet werden kann.
Es ist vielmehr durchaus möglich, dass die Korrektur auf der einen Seite über ihr Ziel hinausschießt und den Gewerkschaften so etwa bei Optionsfixierung seitens der Arbeitnehmerseite so viel Macht bringt, dass den Unternehmungen keine Gewinne verbleiben und diese somit auch nicht in der Lage sind, durch Investitionen Qualitätsverbesserungen und Kostensenkungen herbeizuführen. Auf der anderen Seite ist es aber auch denkbar, dass den Arbeitgeberverbänden so viel Macht verbleibt, um im Sinne einer Optionsfixierung die Löhne auf das Existenzminimum zu drücken.
Diese Erkenntnis führt dann zu der Schlussfolgerung, dass von der Tarifautonomie nur dann eine positive Korrekturfunktion ausgeht, wenn zusätzlich zu der im Grundgesetz verankerten Tarifautonomie durch die Arbeitsgerichte Spielregeln entwickelt werden, welche sicherstellen, dass diese möglichen Fehlfunktionen eines bilateralen Monopols in praxi nach Möglichkeit unterbunden werden. In der Tat haben die obersten Arbeitsgerichte in der Bundesrepublik eine Reihe von Prinzipien entwickelt, welche ein positives Ergebnis der Tarifpraxis ermöglichen sollen.
In einem Punkt allerdings brachte die Theorie des bilateralen Monopols eine neue Erkenntnis. Man kann nämlich nachweisen, dass unter gewissen vereinfachenden Bedingungen die Strategie der schrittweisen Einigung genau bei der Arbeitsmenge und damit bei der Allokation endet, die auch unter Wettbewerbsbedingungen erreicht worden wäre. Zu diesen Bedingungen zählt einmal, dass die Tarifpartner eine Strategie der schrittweisen Anpassung wählen (eine Annahme, welche durchaus realistisch erscheint) und dass unter Bedingungen homogenlinearer Ertragsfunktionen produziert wird, eine Annahme, welche zwar in der Regel in der Ertragstheorie unterstellt wird, welche jedoch keinesfalls immer der Realität entspricht.
Die traditionelle Wohlfahrtstheorie hatte bekanntlich nachgewiesen, dass bei vollständiger Konkurrenz auf allen Märkten (und bei Fehlen externer Effekte) gerade das gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsoptimum und damit auch Vollbeschäftigung erreicht werde. Dies bedeutet nun gleichzeitig, dass bei Anwendung der Strategie der schrittweisen Einigung zwar Löhne erreicht werden können, die über den Wettbewerbslöhnen liegen, dass aber trotzdem das Ziel der Vollbeschäftigung nicht verletzt wird. Damit glaubte man nachgewiesen zu haben, dass im bilateralen Monopol die allgemeine Regel, dass Abweichungen vom Konkurrenzlohn immer zu Fehlallokationen und damit zu Arbeitslosigkeit führen müssen, außer Kraft gesetzt sei.
Darüber hinaus gelang es der Theorie des bilateralen Monopols nachzuweisen, dass das Cournot’sche Monopol keinesfalls immer eine für den Arbeitgeber optimale Lösung darstellt, der Cournot’sche Punkt umschließt nämlich im Allgemeinen eine Fläche (von Kombinationen zwischen Lohnsatz und Arbeitsmenge), welche beiden Tarifpartnern vom Cournot’schen Punkt ausgehend einen Nutzengewinn ermöglichen.
Wir können also davon ausgehen, dass in der BRD nahezu in allen größeren Wirtschaftszweigen Tarifverhandlungen stattfinden, in denen neben anderen Arbeitsbedingungen Tariflöhne vereinbart werden, welche für die Mitglieder der tarifführenden Verbänden Mindestlöhne darstellen, welche entsprechend dem Grundsatz der Unabdingbarkeit selbst dann nicht unterschritten werden dürfen, wenn dies von einzelnen Arbeitnehmern und Arbeitgebern vereinbart würde, um z. B. eine Sicherung des Arbeitsplatzes zu erreichen.
Wenn also auch dieser Mindestlohn zunächst nur für Arbeitnehmer gilt, welche der Gewerkschaft angehören und welche zusätzlich bei Arbeitgebern beschäftigt sind, welche diesen Tarifvertrag akzeptiert haben, kennt das geltende Recht die Möglichkeit, diese tariflichen Bestimmungen auf alle Arbeitnehmer eines Tarifbereiches auszudehnen, sofern einer der Tarifparteien einen Antrag beim zuständigen Arbeitsminister (des Bundes oder eines Bundeslandes) auf Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages stellt.
Vereinzelt mag es jedoch auf Arbeitsmärkten Situationen geben, in denen trotz gesetzlich geschützter Tarifautonomie nach wie vor ein natürliches Nachfragemonopol bestehen bleibt, genauso wie auf Gütermärkten bisweilen die Bedingungen eines natürlichen Angebotsmonopols vorliegen. Hier könnte man in Weiterführung der Gedankengänge von Leonhard Miksch auch für die Arbeitsmärkte auf gesetzlichem Wege eine ‚Als - Ob‘ Regelung einführen, in dem z. B. dann, wenn in bestimmten Branchen kein normaler Tarifvertrag zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern geschlossen wird, von Staatswegen – vielleicht unter Aufsicht eines staatlichen Vermittlers – Tarifverhandlungen zwischen Arbeitnehmervertreter und Arbeitgeber erzwungen werden. Eine solche Regelung wäre der Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden und einheitlichen Mindestlohnes vorzuziehen, da hier die Gefahr, dass Löhne erzwungen werden, welche unter der Arbeitsproduktivität einer Branche liegen und deshalb notwendiger Weise zur Verringerung der Produktion und damit auch zu Entlassungen führen würde, geringer ist.
10. Der Wettbewerb zwischen den Staaten: race to bottom
Hans Werner Sinn hat die These aufgestellt, dass in einer freien globalisierten Welt kein Staat mehr in der Lage sei, Steuersätze und Sozialversicherungsbeiträge nach eigenständigen sozialpolitischen Kriterien festzusetzen; vielmehr bestehe in dieser Frage ein Wettbewerb der Staaten untereinander um die Höhe der Steuersätze und Sozialversicherungsbeiträge.
Wenn ein einzelner Staat seine Steuersätze heruntersetze, stünden die andern Staaten unter starkem Druck, diesem Beispiel zu folgen. Die Herabsetzung der Steuersätze und Sozialversicherungsbeiträge würde nämlich den Unternehmungen dieser Staaten Kostensenkungen bringen, mit der Folge, dass ihre eigene internationale Wettbewerbsfähigkeit steige, die der ausländischen Konkurrenten jedoch sinke. Unter diesen Umständen ständen dann die anderen Staaten unter starkem Druck, diesem Beispiel zu folgen und die Abgabensätze ebenfalls zu senken.
In diesem Wettbewerbskampf bestimme letztendlich der Staat, der sich die geringsten Steuer- und Sozialversicherungslasten leiste, die Höhe der international gültigen Abgaben. Da es aber nun von der Höhe der Abgaben abhänge, wie viel der Staat für Infrastrukturinvestitionen und für Umverteilungsmaßnahmen ausgeben könne, bestehe in diesem Wettbewerb eine Tendenz, das Niveau der öffentlichen Ausgaben an dem Staat auszurichten, der die geringsten Ausgaben für das öffentliche Wohl plane. Also könnte man auch hier von einer Art Grenzmoral der Staaten sprechen, die durch Wettbewerb ausgelöst werde.
Die hier aufgezeigten Zusammenhänge des ‚race to bottom’ entsprechen sicherlich weitgehend der Realität, wenn auch im Hinblick auf die Schlussfolgerungen einige Einschränkungen zu machen sind. Der Wettbewerb dreht sich hier um die Steuer- und Beitragssätze, das Ausgabenvolumen der Staaten, das darüber entscheidet, welche sozialen Ziele realisiert werden, wird jedoch von der Summe dieser Abgaben bestimmt, welche sich als Produkt aus Abgabensatz und Niveau der Bemessungsgrundlage errechnet. Es ist durchaus denkbar, dass der Staat mit den geringsten Steuersätzen trotzdem ein mit den anderen Staaten vergleichbar hohes Abgabenaufkommen und damit Ausgabenvolumen aufweist, wenn die geringeren Steuersätzen durch ein höheres Inlandsprodukt überkompensiert werden.
In der Realität zeichneten sich in der Vergangenheit vor allem Staaten, die am Anfang der industriellen Entwicklung standen, darin aus, Anreize zu setzen, internationales Kapital und Arbeitskräfte durch ein Angebot geringerer Steuersätze ins eigene Land zu locken. Das Abgabenvolumen dieser Staaten war jedoch trotzdem relativ (d. h. bezogen auf das Inlandsprodukt) hoch, da ein Staat in der Anfangsphase der industriellen Entwicklung weit höhere Wachstumsraten als die bereits wirtschaftlich gesättigten Staaten aufweist. Da in diesen Staaten zumeist auch das Lohnniveau mangels starker Gewerkschaften relativ gering ist, gelingt es diesen Staaten, Kapital zu importieren, damit die Produktivität weiter zu steigern und schließlich trotz niedriger Steuersätze ein besonders hohes Niveau an Infrastrukturinvestitionen zu garantieren.
Aus moralischer Sicht ist diese Vorrangstellung der am Anfang der Entwicklung stehenden Staaten in diesem Wettbewerb allerdings auch nicht unbedingt verwerflich. Es sind ja die Staaten, die innerhalb der internationalen Einkommensskala an unterer Stelle stehen, sodass diese Verbesserung in den Startbedingungen durch eine Politik niedriger Abgabensätze moralisch durchaus begrüßt werden kann. Benachteiligt sind in diesem Wettbewerb die reichsten Volkswirtschaften, deren Wachstumsrate gerade wegen ihres bereits erreichten Wachstumsniveaus geringer ausfällt und auch geringer ausfallen darf.
Weiterhin zeigt die Politik Ronald Reagans in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA, dass auch Staaten mit sehr hohem Wachstumsniveau unter gewissen Bedingungen durchaus in der Lage sind, den Umfang der Steuereinnahmen durch Herabsetzung der Steuersätze zu erhöhen. Wenn durch die Herabsetzung der Steuersätze konjunkturelle Aufwärtsimpulse ausgelöst werden, kann u. U. der Anstieg des Inlandsproduktes höher ausfallen als der Rückgang der Steuereinnahmen pro Inlandsprodukteinheit und damit das Steuervolumen sogar vergrößern. Gleichzeitig kann die Herabsetzung der Steuersätze den Umfang der Steuerhinterziehung und -umgehung vermindern, da illegale Aktivitäten sich nicht mehr so sehr wie bisher lohnen und da das bei jeder illegalen Aktion vorhandene Risiko nun von den potenziellen Steuersündern als zu hoch eingeschätzt wird.
Insbesondere muss jedoch festgestellt werden, dass durch diesen Wettbewerb zunächst nur die bisherige Steuerpolitik ineffizient wird. Änderungen in der internationalen Arbeitsteilung, wie sie durch eine weltweite Globalisierung eingetreten sind, verlangen eben auch eine Anpassung der Abgabenpolitik der Staaten.
In meinem Artikel über Wege zur Gerechtigkeit habe ich dargelegt, dass man das Steuersystem durchaus so reformieren könnte, dass die sozialen Ziele auch unter den Bedingungen einer Globalisierung erreicht werden. Im Hinblick auf die notwendigen Infrastrukturinvestitionen des Staates ließe sich an Wicksells Idee anknüpfen, die Steuern als Preis der öffentlichen Investitionen zu verstehen; man würde damit ein Verfahren in Gang setzen, bei dem die einzelnen öffentlichen Träger (Gemeinden, Staaten) in Wettbewerb zueinander um die Standorte der Unternehmungen eintreten; die zu zahlenden Steuern dürften keine einseitigen Belastungen bzw. die Steuernachlässe keine einseitigen Begünstigungen darstellen. Die Unternehmungen erhielten vielmehr - genauso wie beim Ankauf privater Güter - auch für die Entrichtung einer Steuer mit der in Anspruch genommenen Infrastruktur einen vollen Gegenwert.
Der wichtigste Grund für die Forderung nach einer Reform des Steuersystems zur Zeit der Schröderregierung wurde in der Tatsache gesehen, dass die deutschen Unternehmungen wegen zu hoher Belastungen aufgrund der Steuern und der Arbeitgeberbeiträge im internationalen Handel nicht mehr wettbewerbsfähig wären.
Die Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit hatte in der Vergasngenheit eine geringere Rolle gespielt, da die Unternehmungen in Deutschland zunächst durch zahlreiche Beschränkungen des internationalen Wettbewerbs vor ausländischer Konkurrenz weitgehend geschützt waren. Dieser Schutz entfiel durch die immer stärker wirkende Liberalisierung des zunächst europäischen, aber danach auch weltweiten Handels und - damit zusammenhängend - der Zunahme der Mobilität von Kapital und etwas geringer von Arbeit. In einer liberalisierten Welt ohne Schutzzölle und Zuwanderungsbeschränkungen entscheidet allein oder zumindest vorwiegend die Kostenhöhe, welche Unternehmungen im internationalen Handel konkurrenzfähig sind.
Die weltweite Globalisierung belastet jedoch nicht nur die Wachstumschancen der saturierten Volkswirtschaften mit einem hohen Produktivitätsniveau; auch die Ziele der Verteilungspolitik ließen sich in den hoch entwickelten Staaten unter diesen Bedingungen nicht mehr voll realisieren.
Im Hinblick auf die Besteuerungsinstrumente müssen wir uns darüber im klaren sein, dass die traditionellen direkten und indirekten Steuern (Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuer) im Zeitalter der Globalisierung nicht geeignet erscheinen, das Problem der gerechten Verteilung befriedigend zu lösen. Da nun einmal ein ‚race to bottom’ stattfindet, bei dem die Steuerhöhe an die Staaten angepasst wird, welche die geringsten Steuersätze vornehmen, ist ein Umdenken notwendig.
Untersuchen wir hierzu die Vorstellungen von Knut Wicksell, der die Steuern als Preis für Kollektivgüter verstand, etwas genauer. In diesem Sinne bietet der Staat Leistungen, insbesondere Infrastrukturinvestitionen an und die Käufer dieser Leistungen zahlen eine Steuersumme als Preis, wobei die Höhe der geforderten Steuersumme wie beim Kauf privater Güter von den in Anspruch genommenen Leistungseinheiten abhängen sollte.
Als erstes begegnen wir hierbei allerdings der Schwierigkeit, dass die Leistungen des Staates Kollektivgüter darstellen, die nicht wie private Güter auf freien Märkten angeboten und nachgefragt werden können. Legen wir die Definition von Mancur Olson zugrunde, so liegt immer dann ein Kollektivgut vor, wenn derjenige, der sich weigert, sich an den Kosten zur Erstellung dieses Gutes zu beteiligen, trotzdem nicht vom Konsum dieses Gutes ausgeschlossen werden kann.
Nun gibt es in Wirklichkeit nur eine kleine Gruppe von reinen Kollektivgütern in strengem Wortsinne. Autoren von finanzwissenschaftlichen Lehrbüchern haben große Schwierigkeiten, geeignete Beispiele für reine Kollektivgüter zu finden. So wird oft auf das Beispiel einer Laterne hingewiesen, die in einer Straße errichtet werden soll. Finanziert werden soll die Laterne durch eine Umlage auf die Bewohner dieser Straße. Wenn sich nun ein Bewohner weigert, sich an der Umlage zu beteiligen, kann er nicht vom Konsum dieser Laterne ausgeschlossen werden, da die Laterne für alle in der Straße leuchtet, wenn man nicht gleichzeitig bereit ist, sein Wohnrecht in dieser Straße in Frage zu stellen.
Dieser Einwand ist jedoch weniger von Bedeutung, wenn man neben reinen Kollektivgütern den Begriff der Klubgüter einführt. Die Bewohner einer Straße wären in diesem Falle die Klubmitglieder und den Klubmitgliedern werden eine Reihe von Dienstleistungen in einem Paket angeboten, d. h., wer Klubmitglied werden will, muss die ihm in einem Paket angebotenen Güter und Dienstleistungen zu dem Klubmitgliederpreis entrichten oder er kann eben dem Klub nicht beitreten. Er darf in dem Laternenbeispiel eben nur dann in die Straße ziehen oder in der Straße verbleiben, wenn er bereit ist, die Leistungen, zu denen auch unter anderem die Beleuchtung der Straße durch eine Laterne zählt, zum Klubpreis zu kaufen.
Nun ist von zentraler Bedeutung, dass die Klubgüter den Klubmitgliedern als Paket angeboten werden. Grundsätzlich ist das gesamte Paket zu kaufen oder der Kaufvertrag kommt nicht zustande. Das bedeutet allerdings nicht, dass eine öffentlich-rechtliche Organisation alle ihre Leistungen im Paket anbieten muss. Es ist durchaus denkbar, dass nur ein Mindestpaket verpflichtend ist (die allgemeinen staatlichen Hoheitsfunktionen z. B. können nicht abgewählt werden), während im Hinblick auf weitere Leistungen durchaus Wahlfreiheit bestehen kann.
So ist es z. B. durchaus denkbar, dass ein Unternehmer oder Bewohner nicht alle von der Gemeinde oder vom Staat angebotenen Leistungen des Eigentumsschutzes kaufen muss, er kann z. B. darauf verzichten, dass ein ihm zugefügtes Eigentumsdelikt von Staats wegen verfolgt wird, dass er vielmehr eine Versicherung über Diebstahl abschließt oder eigene Sicherungsanlagen vorsieht und insgesamt mit der Versicherung besser und billiger fährt als mit einer polizeilichen und gerichtlichen Verfolgung. Es wäre in diesem Beispiel aber wahrscheinlich, dass die Versicherungen selbst an den staatlichen Leistungen zum Eigentumsschutz interessiert wären und diese Leistungen ankaufen würden.
Ein weiterer Einwand geht davon aus, dass der Staat gar nicht die Strukturen und Anreizsysteme besitzt, die es möglich machen, dass der Staat zu annehmbaren Preisen seine Leistungen anbieten kann. Nun ist ganz klar, dass bestimmte Bedingungen gegeben sein müssen, damit ein solches Modell funktioniert und diese Bedingungen sind heutzutage sicherlich noch nicht alle erfüllt.
Der Staat muss in der Lage sein, seine Leistungen zu einem Preis anzubieten, der geringer ist als der Nutzen, den potenzielle Käufer der staatlichen Leistungen haben werden. Der Staat muss hierfür in der Lage sein, seine Leistungen zu so niedrigen Kosten zu produzieren, dass er ohne finanzielle Verluste die Leistungen zu dem genannten Preis absetzen kann. Die dem Staat entstehenden Kosten müssen also im Endergebnis geringer sein als der Nutzen, den die potenziellen Käufer von diesen Leistungen haben werden. Ist dies überhaupt möglich?
Genau dies sind jedoch auch die Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit auch private Märkte funktionieren. Es können langfristig nur solche Güter produziert werden, die auf der einen Seite den Unternehmungen gestatten, ohne Verluste möglichst mit Gewinn zu produzieren. Auf der anderen Seite müssen die Kosten und damit die Preise so niedrig sein, dass die Endverbraucher bei diesen Preisen einen Nutzenvorteil gegenüber anderen, alternativen Käufen haben werden. Diese Voraussetzungen liegen im allgemeinen auf privaten Märkten vor, weil die Anreizsysteme so gesetzt sind, dass über Spezialisierung und Wettbewerb genügend Spielraum für gewinnbringende Produktionen gegeben ist.
Die Voraussetzungen, die hierzu notwendig sind, liegen also einmal in einem funktionsfähigen Wettbewerb zwischen den Anbietern. Dem Wettbewerb ist es – wie wir gesehen haben – im Allgemeinen zu verdanken, dass die Anbieter nach den effizientesten Produktionsmethoden Ausschau halten und dass sie auch bereit sind, den größten Teil der Kosteneinsparungen aufgrund neuer Techniken im Preis an den Käufer weiterzugeben.
Wenn also auch der Staat genauso günstig wie private Anbieter seine Leistungen (die Kollektivgüter) anbieten können soll, dann muss auch zwischen den öffentlichen Anbietern ein Wettbewerb stattfinden. Bei freiem Verkehr ist dies im allgemeinen auch möglich. Eine Unternehmung kann z. B., wenn sie beabsichtigt, eine neue Betriebsstätte zu errichten, im allgemeinen wählen, in welchem Land und in welcher Gemeinde sie diesen Betrieb errichten möchte. Genauso wie die privaten Unternehmungen müssten sich auch die öffentlichen Anbieter spezialisieren können, sodass sie sich im Wettbewerb um die anderen öffentlichen Träger bewähren können.
In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag Bruno Freys und anderer von Bedeutung, die öffentlichen Aufgaben nicht nur von regional abgegrenzten Trägern erfüllen zu lassen, sondern auch funktionelle Einheiten zu bilden mit hoheitlichen Aufgaben, bei denen aber die einzelnen Einheiten unabhängig von den regionalen Grenzen nach funktionellen Aufgaben abgegrenzt werden und damit quer über die regionalen Körperschaften wirksam werden. Eine Person oder Unternehmung kann dann auch mehreren solchen Funktionseinheiten angehören.
Wichtig ist darüber hinaus, das Anreizsystem bei den für die Erstellung der öffentlichen Leistungen Verantwortlichen dem der privaten Wirtschaft anzupassen. Dies bedeutet auf der einen Seite, dass sich Erfolge bei der Leistungserstellung in materiellen Prämien und anderen Vergünstigungen niederschlagen, während die Verantwortlichen auch für Misserfolge zur Verantwortung gezogen werden müssen.
Nachfrager für die Leistungen der öffentlichen Hand können in diesem Falle Unternehmer sein, welche die Absicht haben, Güter oder Leistungen zu produzieren und hierzu die von der öffentlichen Hand angebotenen Infrastrukturinvestitionen benötigen. Nachfrager nach den Leistungen des Staates können weiterhin auch Konsumenten sein, die in einer bestimmten Gegend wohnen wollen oder die für ihre Kinder Bildungsleistungen nachfragen. In all diesen Fällen gehen wir davon aus, dass der Staat Leistungen anbietet, dass diese Leistungen von Produzenten oder Konsumenten nachgefragt werden und dass die Leistungen des Staates von Produzenten oder Konsumenten mittels einer Steuer bezahlt werden.
Die Höhe der Steuer richtet sich stets nach dem Wert der Leistung, die der Staat im konkreten Einzelfall anbietet. In diesem Falle können auch Staaten mit überdurchschnittlich hohen Sozialleistungen oder Infrastrukturinvestitionen im Konkurrenzkampf mit anderen Staaten bestehen, da den höheren Abgaben dann auch höhere Leistungen entsprechen. Auch ist es in diesem Modell durchaus möglich, dass der Staat einzelnen Bürgern aus sozialpolitischen Gründen Steuernachlässe bei der Nachfrage nach diesen Kollektivgütern wie auch bisher gewährt.