Schneller Schuldenabbau erwünscht?

 

 

Seit einigen Wochen wird die Frage diskutiert, wie schnell nach Beendigung der Pandemie die in den beiden letzten Jahren enorm angestiegenen Staatsschulden wieder abgebaut werden sollen. Die Antworten auf diese Frage reichen von dem Vorschlag, möglichst schnell den bisherigen Schuldenstand auf sein altes Niveau zurückzuführen, bis hin zu dem Vorschlag, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wiederum abzuschaffen.

 

Bei der Beantwortung dieser Frage gilt es zwischen der Frage nach dem laufenden Defizit im Staatsbudget und der Frage nach dem erwünschten Schuldenstand des Staates zu unterscheiden. Der Schuldenstand des Staates unterrichtet darüber, inwieweit sich der Staat in der Vergangenheit verschuldet hat, während das Defizit des Staatsbudgets darüber Auskunft gibt, um wieviel der bisherige Schuldenstand im laufenden Jahr (und in den kommenden Jahren) vergrößert oder verringert wird.

 

Als die Europäische Eurozone gebildet wurde, hatten die Staaten, welche in die Euro-Gemeinschaft aufgenommen werden wollten, unter anderem zwei Bedingungen zu erfüllen. Auf der einen Seite sollte der Schuldenstand nicht mehr als 60% des gesamten Volksvermögens betragen, auf der anderen Seite durfte das laufende Defizit des Staatsbudgets nicht 3% übersteigen.

 

In der Bundesrepublik wurden im Jahre 2009 diese Bedingungen insoweit verschärft, als das Grundgesetz insoweit verändert wurde, dass grundsätzlich überhaupt kein Budgetdefizit des Staates mehr erlaubt wird, allerdings mit der Einschränkung, dass sich der Bund in Ausnahmesituationen (und die Bekämpfung der Corona-Pandemie war ein solcher Ausnahmefall) verschulden darf.

 

Dass ein Defizit des Staatsbudgets grundsätzlich unerwünscht ist, habe ich wiederholt an anderer Stelle aufgezeigt. Hierbei wies ich darauf hin, dass das in der Öffentlichkeit immer wieder vorgebrachte Argument, eine Staatsverschuldung benachteilige die zukünftigen Generationen, nicht überzeugt. Die Belastung in den zukünftigen Perioden besteht entweder darin, dass der Staat für die aufgenommenen Kredite Zinsen zu zahlen hat und auf der anderen Seite darin, dass der Staat in Zukunft die in der Vergangenheit aufgenommenen Kredite zurückzahlt. In beiden Fällen hat der Staat Steuergelder aufzubringen, welche deshalb nicht mehr für andere Ausgaben (konsumtive wie investive) eingesetzt werden können. In diesem Ausfall wird allgemein die Belastung der zukünftigen Generation gesehen.

 

Diese Argumentation übersieht jedoch, dass diese Gelder ja selbst wiederum an Angehörige der zukünftigen Generation ausgezahlt werden, sodass die Gesamtbevölkerung aufgrund dieser Transaktionen nicht belastet wird, es findet lediglich eine Umverteilung innerhalb der gesamten Bevölkerung statt. Diejenigen, welche in den gegnwärtigen Perioden die Staatspapiere erworben haben, sind in der zukünftigen Periode verstorben und können deshalb nicht mehr in den Genuss dieser Gelder gelangen, es sind die Erben, welche diese Zahlungen erhalten und die Erben gehören ex definitione der zukünftigen Generation an.

 

Nun könnte man einwenden, dass bei der Rückzahlung der in der Vergangenheit aufgenommenen Kredite insofern doch eine Belastung der zukünftigen Generation insoweit erfolgt, als hiermit eine sozial unerwünschte Umverteilung (und zwar von Arm zu Reich) erfolge. Auch diese Argumentation überzeugt jedoch nicht, da ja erfahrungsgemäß und zwar wegen der Steuerprogression der größte Teil der Steuereinahmen von den reicheren Bürgern erbracht wird, sodass die unteren Einkommensschichten in Zukunft wegen der Zurückzahlung der in der Vergangenheit aufgenommenen Kredite auch nicht zusätzlich in starkem Maße belastet werden.

 

Die Höhe des heutigen Defizites des Staatsbudgets sagt in Wirklichkeit nichts über die Wohlfahrt einer zukünftigen Bevölkerung aus. Die zukünftige Wohlfahrt einer Bevölkerung wird vorwiegend durch die Wachstumsrate bestimmt und diese hinwiederum hängt davon ab, wieviel Resourcen in der Vergangenheit für konsumtive und für investive Zwecke eingesetzt wurden. Wenn die Kredite, welche der Staat im Zusammenhang mit einem Budgetdefizit aufnimmt, vorwiegend für investive Zwecke verwandt werden und wenn es sich hierbei nicht um Fehlinvestitionen handelt, steigt die Wachstumsrate und die zukünftige Bevölkerung kann trotz Budgetdefizts in der Vergangenheit eine höhere Wohlfahrt als ohne diese Investitionen erzielen.

 

Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein Budgetdefizit erwünscht ist, sofern nur die aufgenommenen Kredite investiv eingesetzt werden. Ein Budgetdefizit ist aus ganz anderen Gründen und zwar im Allgemeinen aus politischen Gründen unerwünscht. Die Wähler bestimmen bei den Wahlen zu den Parlamenten nur dann die grundsätzliche Ausrichtung der Politik, wenn ihnen klar ist, inwieweit die Wahlprogramme der einzelnen Parteien ihren Interessen und Werteinschätzungen am besten entsprechen. Die Interessen und Wertschätzungen der Bürger werden dadurch bestimmt, dass auf der einen Seite durch die in Aussicht genommenen Staatsausgaben ihre Interessen begünstigt werden und dass auf der anderen Seite das privatverfügbare Einkommen durch Steuerzahlungen verringert wird.

 

Wird ein Teil der geplanten Staatsausgaben über Kredite finanziert, bleibt davon das privatverfügbare Einkommen der Wähler unberührt. Es wird also der Anschein erweckt, als ob hier über Stsaatsausgabensteigerungen die Wohlfahrt der Bürger vergrößert wird. Die durch Staatsausgabensteigerungen hervorgerufene Wohlfahrtssteigerung wird nicht dadurch korrigiert, dass das nominelle ProKopfeinkommen der Bürger in gleichem Umfang verringert wird. Dieser Eindruck täuscht jedoch, da im Zusammenhang mit den Staatsausgaben knappe Ressourcen eingesetzt werden, welche von anderen Verwendungszwecken abgezogen werden müssen und insoweit die Wohlfahrt der Bürger genauso belasten, wie wenn diese Staatsaugaben über Steuerreinnahmen finanziert würden.

 

In Wirklichkeit stellt sich bei einer defizitären Finanzierung der Staatsausgaben diese zusätzliche Belastung dadurch ein, dass aufgrund der Mehrnachfrage des Staates die Güterpreise steigen und dass sich auf diese Weise das reale privat verfügbare Einkommen der Bürger verringert. Da diese Preissteigerungen von den Unternehmern erhoben werden, hat es den Anschein, als sei der Staat für diese Preissteigerungen nicht verantwortlich. In Wirklichkeit ist es jedoch der Staat, der diese Preissteigerung auslöst, da er die Nachfrage nach Gütern erhöht und aus Gründen der hierdurch bedingten zunehmenden Knappheit notwendiger Weise Preissteigerungen verursacht.

 

Nun mag man einwenden, dass der Staat ja eine Defzitpolitik in Zeiten der gesamtwirtschaftlichen Arbeitslosigkeit betreibt und dass bei Arbeitslosigkeit eine Mehrnachfrage nicht auf Kosten der bisherigern Nachfrage gehe. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit vollzieht sich der wirtschaftliche Aufschwung nicht in allen Branchen synchrom, in einzelnen Branchen tritt eine Verknappung und damit Preissteigerung bereits in Zeiten auf, in denen in anderen Branchen immer noch hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Entweder mangelt es an Rohstoffen und Halbfabrikaten oder an Fachkräften oder die wirtschaftliche Kapazität kann aus den verschiedensten Gründen (fehlende Kreditwürdigkeit oder staatliche Behinderungen) nicht schnell genug ausgeweitet werden.

 

In diesem Falle steigen jedoch die Preise, zunächst nur in einzelnen Branchen, wegen der vielfältigen Komplimentätsbeziehungen aller Branchen kommt es jedoch sehr bald und zwar lange bevor die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit abgebaut ist, zu genrellen Preissteigerungen und dies bedeutet, dass auch in Zeiten der gesamtwirtschaftlichen Arbeitslosigkeit generelle Preissteigerungen stattfinden, sodass die oben geschilderten Probleme auch in Zeiten der Rezession auftreten.

 

Wenden wir uns nun der Nachfrage zu, was denn für oder gegen einen schnellen Abbau der Staatsschulden spricht. Im Hinblick auf den Abbau der Staatsschulden gelten ganz andere Überlegungen als im Zusammenmhang mit einem laufenden Budgetdefizit. Wenn der Staat seine in der Vergangenheit realisierten Schulden in der heutigen oder in zukünftigen Perioden abbauen will, erfolgt dies dadurch, dass Wertpapiere ausgezahlt werden und dies hat stets zur Folge, dass Steuereinnahmen für weniger sonstige Ausgaben des Staates zur Verfügung stehen.

 

Diese Kürzung der Staatsausgaben kann nun prinzipiell im Hinblick auf konsumtive oder investive Ausgaben erfolgen. Es ist allerdings zu befürchten, dass vorwiegend investive Ausgaben gekürzt werden, da die konsumtiven Ausgaben zum größten Teil gesetzlich vorgeschrieben sind und deshalb kurzfristig nur sehr schwer gekürzt werden können. Kürzungen im konsumtiven Bereich können deshalb allenfalls langfristig vorgenomen werden. Es kommt noch hinzu, dass Kürzungen in den Konsumausgaben von den Betroffenen unmittelbar wahrgenommen werden können, während die Folgen von Kürzungen bei den staatlichen Infrastrukturmaßnahmen erst später eintreten und deshalb auch erst später wahrgenommen werden. Der Staat hat also einen Anreiz, die notwendigen Kürzungen in den Staatsausgaben vorwiegend bei den Infrastrukturinvestitionen vorzunehmen.

 

Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass ein weiteres wirtschaftliches Wachstum augenblicklich vor allem deshalb verhindert oder zumindest erschwert wird, weil Infrastrukturmaßnahmen im Bereich der Telekommunikation in der Vergangenheit vernachlässigt wurden. So verhinderte der fehlende Ausbau des Telekommunikationsnetzes in vielen ländlichen Bereichen, dass anstelle der absterbenden Wirtschaftszweige neue Industriebetriebe errichtet werden konnten. Der Verlauf der Pandemie hat weiterhin gezeigt, dass die fehlende Vernetzung gerade der staatlichen Behörden die Durchführung staatlicher Aufgaben im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Pandemie stark behindert hat.

 

Dies bedeutet, dass der Abbau der alten Staatsschulden sehr viel weniger dringend ist als das Vermeiden eines Budgetdefizites. Nun könnte man einwenden, dass bei der Rückzahlung der bisherigen Staatsschulden die Besitzer der bisherigen Staatspapiere Geld erhalten, das sie investiv anlegen können. Da private Investitionen jedoch im Allgemeinen produktiver als staatliche Investitionen sind, könnte in der Rückzahlung der Staatsschulden trotzdem ein volkswirtschaftlicher Gewinn gesehen werden. Private Investitionen gelten hierbei als produktiver, da private Investoren einem stärkeren Anreiz und einer stärkeren Kontrolle als der Staat ausgesetzt sind. Private Investoren werden in einer funktionierenden Marktwirtschaft für wirtschaftliche Erfolge belohnt (ihre Gewinnsumme steigt) und für Fehlinvestionen in Form von Verlusten bestraft. Die staatlichen Beamten und die Politiker, welche staatliche Investitionen durchführen, erfahren keinerlei wirtschaftliche Anreize (Gewinne) bzw. Strafen (Verluste).

 

Wenn auch der These, dass private Investionen im Allgemeinen produktiver ausfallen als staatliche Investitionen, zugestimmt werden kann, ist sie jedoch in unserem Zusamenhang nicht von Bedeutung. Auch die Produktion im privaten Bereich kommt ohne Infrastrukturmaßnahmen nicht aus. Zwar könnten auch Infrastrukturmaßnahmen an und für sich von privaten Investoren durchgeführt werden. Es müsste jedoch befürchtet werden, dass wegen einer unterschiedlichen Rentabilität in unterschiedlichen Regionen auf diese Weise kein gleichmäßiger Ausbau der Infrastrukturmaßnahmen stattfinden würde. Eine solche Lösung würde jedoch dem grundgesetzlich garantierten Auftrag, dass in allen Gegenden gleiche Ausgangsbedingungen garantiert werden, nicht entsprechen.

 

Wir kommen somit zu dem Ergebnis, dass es nicht erwünscht ist, die bisher bereits realisierten Staatsschulden so schnell wie möglich abzubauen. Es kommt allein darauf an, die Zunahme von Staatsschulden zu bremsen, im Hinblick auf den bisher bereits in der Vergangenheit realisierten staatlichen Schuldenberg würde ein schneller Abbau der bisherigen Schulden sowohl das wirtschaftliche Wachstum hindern und gleichzeitig die Forderung nach gleichen Startchancen für alle Regionen gravierend verletzen.