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Grundprinzipien wirtschaftlichen und sozialen Handelns
Gliederung:
1.
Einführung
2.
Ökonomisches Prinzip
3.
Arbeitsteilung
4.
Produktionsumwege
5.
Tausch
6. Wettbewerb
7.
Countervailing power
8.
Drohung
9. Das
Prinzip freier Entscheidungen
10.
Haftungsprinzip und Kapitalgesellschaft
11.Versicherungs- versus Versorgung
12. Die
Spekulation
13.
Verteilungsprinzipien
14.
Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzip
Kapitel 13: Verteilungsprinzipien Forts.
Gliederung:
1. Das Problem
2. Zum Begriff Gerechtigkeit
3. Der Weg der
Grenznutzenschule
4. Differenzierungsmaßstäbe und Einkommensquoten
5. Die Grenzproduktivitätstheorie : das
Leistungsprinzip
6. Das Bedarfsprinzip
7. Schwierigkeiten aufgrund der Globalisierung
8. Rawls Maximin-Prinzip
4. Differenzierungsmaßstäbe und Einkommensquoten
Unabhängig von der Frage, inwieweit überhaupt interpersonelle
Nutzenvergleiche möglich sind, fanden Bemühungen statt, das tatsächliche Ausmaß
an Differenzierung in den Einkommen und Vermögen statistisch zu messen und als
Grundlage für die Beurteilung einer gerechten Einkommensverteilung anzusehen.
Hierzu zählen vor allem die Pareto-Konstante, die Gini-Konstante und die Lorenzkurve.
Kritisch muss als erstes darauf hingewiesen werden, dass dieser Maßstab
nur scheinbar objektiv die tatsächliche Differenzierung misst. Es wird
nämlich stillschweigend unterstellt, dass Abweichungen von der Gleichverteilung
bei allen Einkommensklassen gleich gewichtet werden, was ein eindeutiges
Werturteil darstellt und keinesfalls allgemein akzeptiert werden dürfte.
Den Abweichungen vom Gleichheitsprinzip in den untersten Einkommensklassen
dürfte aus Gerechtigkeitsgründen ein ganz anderer Stellenwert zuerkannt werden
als Abweichungen bei den obersten Einkommensklassen. Auf keinen Fall kann man
davon sprechen, dass in zwei Ländern mit einem auf diese Weise festgestellten
gleichen Differenzierungsgrad dem Postulat der Gerechtigkeit in gleicher Weise
entsprochen wird, wenn eine größere Abweichung bei den untersten
Einkommensklassen in dem einen Land dadurch kompensiert wird, dass die
Abweichungen bei den höchsten Einkommensklassen dementsprechend geringer sind.
Wenn man Differenzierungsgrade zur Beurteilung der Frage heranzieht,
inwieweit die Verteilung der materiellen Güter gerecht erfolgt, so geht man
offensichtlich von der stillschweigenden Annahme aus, dass die tatsächliche
Differenzierung wesentlich höher ist, als sie gerechterweise sein sollte, so
dass jede Verringerung in der Differenzierung als ein Weg auf mehr
Gerechtigkeit, eine Zunahme der Differenzierung jedoch als ein Weg hin zu noch
mehr Ungerechtigkeit angesehen wird.
Es ist jedoch fraglich, warum ein
noch so exakt bestimmter Differenzierungsgrad irgendetwas über das Ausmaß an
Gerechtigkeit aussagen sollte. Da nach Gerechtigkeitsvorstellungen nur Gleiches
gleich, Ungleiches aber ungleich zu
behandeln ist, sagt ein Differenzierungsgrad ohne Kenntnis dessen, in welchen
Punkten sich die einzelnen Personen gleichen und unterscheiden, überhaupt
nichts über den Grad der Gerechtigkeit aus. Unter Umständen könnte sehr wohl
ein Land mit einer höheren Differenzierung dem Gerechtigkeitsgebot besser entsprechen
als ein Land mit einem geringeren Differenzierungsgrad.
Wenn also Differenzierungsgrade nicht sehr viel über das verwirklichte
Maß an Gerechtigkeit aussagen, so entsteht die Frage, ob man mit der
Feststellung von Einkommensquoten für die einzelnen Bevölkerungsgruppen
wirklich einen besseren Maßstab für Gerechtigkeit gewinnen kann.
Genauso sagt die Feststellung über die Entwicklung von Einkommensquoten
wenig für die Beurteilung des Grades an verwirklichter Gerechtigkeit aus. Nun
mag es allerdings durchaus richtig sein, dass das Los und die materielle Lage
der Arbeiter in der Anfangsphase der Industrialisierung so extrem schlecht waren,
dass jeder Anstieg der Einkommensquote dieser Arbeitergruppe als ein Weg zu
mehr Gerechtigkeit aufgefasst werden konnte.
Heute jedoch gilt nicht mehr allgemein, dass jemand allein deshalb als
arm bezeichnet werden muss, weil er zu den Arbeitnehmern zählt oder dass er
reich ist, weil er selbständig ist. Hierbei gilt es stets zu berücksichtigen,
dass der Anstieg einer Einkommensquote, also z. B. der Lohnquote immer
identisch ist mit dem gleichgroßen Abstieg der übrigen Einkommensquoten, da die
Summe aller Einkommensquoten immer eins ergibt. Man mag aus
Gerechtigkeitsgründen einen Anstieg der Lohnanteile begrüßen, die Minderung von
Selbständigeneinkommen, die stets damit verbunden ist, kann aber sehr wohl aus
Gerechtigkeitsgründen dann negativ beurteilt werden, wenn bei gleicher Leistung
der Selbständigen deren Einkommen zurückgeht. Wiederum gilt, dass man eben mit
der Feststellung von Entwicklungen in den Einkommensquoten ohne nähere Angaben
vieler anderer Tatbestände nichts über die Veränderung in der Gerechtigkeit
aussagen kann.
Insgesamt kommen wir zu dem Ergebnis, dass zwar Differenzierungsgrade und
Einkommensquoten Feststellungen über die tatsächliche Verteilung enthalten,
aber sehr wenig darüber aussagen, inwieweit dem Gebot der Gerechtigkeit entsprochen
wurde.
5. Die Grenzproduktivitätstheorie : das
Leistungsprinzip
Einen weiteren Weg der Bestimmung der Gerechtigkeit finden wir in der
von J. B. Clark entwickelten Grenzproduktivitätstheorie. Die von J. B. Clark
entwickelte Grenzproduktivitätstheorie beschränkt sich nämlich nicht darauf,
anzugeben, welche Höhe der Lohnsatz (bzw. allgemeiner: der Faktorpreis) im
Gleichgewicht erreicht, sie will darüber hinaus auch darlegen, dass die
Entlohnung der Produktionsfaktoren zum jeweiligen Grenzprodukt als gerecht einzustufen
ist.
Das Grenzprodukt eines Faktors ist die Werthöhe, die der Markt unter den
Bedingungen der vollständigen Konkurrenz diesem Faktorbeitrag beimisst. Er entspricht
letztlich dem Grenznutzen, den der Käufer aus der Leistung des Faktors zieht.
Dies bedeutet, dass entsprechend dieser Theorie der einzelne Anbieter eines
Produktionsfaktors im Gleichgewicht und unter den Bedingungen der vollständigen
Konkurrenz eine Entlohnung erhält, die seinem Beitrag zum Inlandsprodukt
entspricht. Hier wird Gleiches (nämlich der Beitrag zum Inlandsprodukt) mit
Gleichem (dem Entlohnungssatz, der wiederum dem Grenzprodukt dieses Faktors
entspricht), entgolten.
Nun sprachen wir von funktionierenden Märkten. Die Marktformenlehre hat
nämlich gezeigt, dass der Markt nur unter den Bedingungen der vollständigen
Konkurrenz den Faktorpreis im Gleichgewicht auf das physische Grenzprodukt (den
Grenzertrag) einstellt. Allgemein – auf
alle möglichen Marktformen auf den Gütermärkten angewandt - lautet die Formel
der Faktormarkttheorie, dass der Faktorpreis im Gleichgewicht dem
Grenzerlösprodukt entspricht.
Der Grenzerlös ist nun bei allen endlichen Werten der Nachfrageelastizität
e kleiner als der Preis, da der Unternehmer für das zuletzt verkaufte Produkt
zwar den Preis erzielt, von diesem Preis jedoch den Preisabschlag abziehen
muss, den er dadurch erleidet, dass er nun mehr Produkte als bisher verkauft
und entsprechend dem negativen Verlauf der Nachfragekurve für alle Produkte
einen etwas niedrigeren Preis erzielt. Also wird auch die Entlohnung des Produktionsfaktors
in diesem allgemeinen Falle der monopolistischen Konkurrenz unter den Lohn
fallen, der bei vollständiger Konkurrenz erzielt worden wäre.
Das Wertgrenzprodukt (Preis * physischem Grenzprodukt) wird nur dann erreicht
werden, wenn die Nachfrageelastizität unendlich wird, was genau dann der Fall
ist, wenn auf den Gütermärkten die Bedingungen der vollständigen Konkurrenz
gelten. Die Unternehmer verhalten sich in diesem Falle wie Mengenanpasser und
nehmen den Preis als Datum vom Markt. Das Gesamtangebot eines einzelnen
Anbieters ist so klein, dass auch bei einer Mehrproduktion von einer Einheit
das Gesamtangebot der Branche nicht spürbar erhöht wird, der Preis bleibt davon
unberührt.
Ähnliche Überlegungen gelten für den Faktormarkt. Hat der Unternehmer
monopolistischen Einfluss auf die Lohnhöhe, so wird bei einer Mehrnachfrage
nach einer Faktoreinheit nicht nur der Faktorpreis ansteigen; zusätzlich muss
berücksichtigt werden, dass aufgrund der Mehrnachfrage der Lohn allgemein
steigt, sodass zusätzlich für jeden bereits eingestellten Faktor ein
Entlohnungszuschlag zu zahlen ist, dessen Höhe von der Preisflexibilität
abhängt.
Die Grenzausgabe des Unternehmers bei zusätzlicher Einstellung eines
Faktors um eine Einheit ist also im Allgemeinen größer als der Lohnsatz, was
gleichzeitig bedeutet, dass bei gleichem Grenzerlös der Lohnsatz niedriger
ausfällt. Nur dann, wenn die Preisflexibilität null ist, d. h., wenn der
Unternehmer keinen Einfluss auf die Faktorpreishöhe hat, wenn also auch auf dem
Faktormarkt die Bedingungen der vollständigen Konkurrenz gelten, fällt der
Lohnsatz mit den Grenzausgaben zusammen.
Sinngemäß gilt natürlich, dass der Lohnsatz höher ausfällt als das
Grenzprodukt, wenn die Faktoranbieter über monopolistische Macht
verfügen und über eine Verknappung des Angebotes eine Lohnsteigerung erzwingen
können.
Also kann man dementsprechend auch nur dann von einer gerechten Entlohnung
der Produktionsfaktoren sprechen, wenn in der Realität die Bedingungen der
vollständigen Konkurrenz realisiert wären. Dies ist jedoch im Allgemeinen nicht der Fall, so dass der Markt auch nur
mehr oder weniger gerechte Entlohnungssätze realisiert.
Erich Preiser hat noch auf eine weitere Schwierigkeit hingewiesen. Auch
dann, wenn man auf allen Märkten die Marktform der vollständigen Konkurrenz
unterstellen könnte, kämen über die Eigentumsordnung Machtfaktoren ins Spiel,
aufgrund derer die Arbeitnehmer einen geringeren und damit einen ungerechten
Lohn erhielten.
Preiser geht davon aus, dass die Arbeitnehmer „Proletarier“ sind, also
über kein Eigentum verfügen, sodass die Arbeitskraft die einzige Erwerbsquelle
darstellt. Sie seien deshalb dem Unternehmer, der über Kapital verfüge und in
der Regel in der Wohngemeinde der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt eine Art
Monopolstellung besitze, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Der Umstand, dass die Arbeitnehmer über kein Eigentum verfügen, führe
dazu, dass die Arbeitsangebotskurve starr sei und dass deshalb der Rückgang in
der Güternachfrage bei Konjunkturrückschlägen und daraus abgeleitet in der Nachfrage
nach Arbeitskräften einen rapiden Fall in den Löhnen bewirke.
Anders wäre es, wenn die Arbeitnehmer über Eigentum verfügten, dann
wären sie nicht mehr auf jedes Lohndiktat der Unternehmer angewiesen, dann
könnten sie auch ggf. mit Kündigung drohen, da sie in der Zeit der
Arbeitslosigkeit von den Zinsen ihres eigenen Kapitals leben könnten,
schlimmstenfalls ihr Vermögen versilbern könnten. Ihre Arbeitsangebotskurve
wäre also elastischer.
Nun gelten diese Überlegungen Preiser’s nur für die Anfangsphase der Industrialisierung.
In der Zwischenzeit werden Löhne zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern
ausgehandelt. Mit dem Recht zu streiken, haben die Gewerkschaften ein wirksames
Mittel, Lohnsteigerungen zu erzwingen, welche die Arbeitgeber ohne Gewerkschaftsmacht
nicht genehmigt hätten.
Des Weiteren muss darauf hingewiesen werden, dass die Arbeitslosenversicherung,
die seit Ende der 20 er Jahre des letzten Jahrhunderts allgemein eingeführt
wurde, den Arbeitnehmern einen sehr viel besseren Einkommensschutz während
vorübergehender Arbeitslosigkeit gewährt als dies ein persönliches Vermögen der
Arbeitnehmer je gewähren könnte.
Schließlich hängt die Machtposition der Arbeitnehmer ggf. auch davon ab,
welche Eigentumsform gewählt wurde. Verfügt ein Arbeitnehmer über ein Eigenheim,
das u. U. noch mit Krediten des Arbeitgebers mitfinanziert wurde, so ergibt
sich hieraus eher eine Zu- als Abnahme von der Abhängigkeit des Arbeitnehmers
von seinem Arbeitgeber.
Alles in allem verfügen immer mehr Arbeitnehmer auf der einen Seite über
eigene Ersparnisse, sie sind gegen die sozialen Risiken abgesichert und sie
werden von machtvollen Gewerkschaften vertreten, sodass die von E. Preiser
hervorgehobene Machtverschiebung zuungunsten der Arbeitnehmer für die heutige
Zeit nicht mehr als allgemein gültig angesehen werden kann.
Die Aussage der Grenzproduktivitätstheorie, dass unter Bedingungen der
vollständigen Konkurrenz im Gleichgewicht ein Faktorpreis erzielt wird, der dem
Grenzprodukt des Faktors entspricht und dass man in diesem Falle davon sprechen
kann, dass der Faktorbesitzer gerecht oder fair
entlohnt wird, gilt nach wie vor. Das Problem in der Realität liegt nur
darin, dass sehr häufig die Marktbedingungen weit entfernt sind von den
Bedingungen einer vollständigen Konkurrenz. Gelänge es den Markt in Richtung
vollständiger Konkurrenz zu bewegen, könnte man auch von einer im Ansatz
gerechten und fairen Entlohnung der Produktionsfaktoren sprechen.
6. Das Bedarfsprinzip
Das Leistungsprinzip wird im allgemeinen insoweit akzeptiert, als fast
Alle darüber einig sind, dass bei der Verteilung der Einkommen der Leistung des
Einzelnen eine entscheidende Bedeutung zugemessen werden sollte. Allerdings
wird oftmals die Vorstellung vertreten, dass das Leistungsprinzip der Korrektur
und zwar der Ergänzung durch das Bedarfsprinzip bedürfe.
Die Forderung nach einer Verteilung der Einkommen nach Bedarf kann natürlich
nicht so verstanden werden, dass jeder einzelne Anspruch auf all die Güter und
in einem solchen Maß habe, wie er selbst seinen Bedarf einschätzt. Das hieße
nur, dass derjenige, der am lautesten schreit, auch am meisten abbekommen
würde. Dies wäre sicherlich nach allgemeiner Überzeugung das Gegenteil von
einer gerechten Lösung des Verteilungsproblems.
In Wirklichkeit wird mit dem Bedarfsprinzip die Vorstellung verbunden,
dass es einen eng umgrenzten Bereich objektiv feststellbarer Bedarfselemente
gebe, die bei der Verteilung Berücksichtigung finden müssten.
Im Allgemeinen wird hierbei an zwei solcher Bedarfstatbestände gedacht:
an den Bedarf, der im Zusammenhang mit den sozialen Risiken entsteht und dem so
genannten Familienlastenausgleich.
Zu den sozialen Risikotatbeständen rechnet man im Allgemeinen Krankheit,
Pflegebedürftigkeit, Unfall, erwerbsloses Alter, Invalidität und
Arbeitslosigkeit. Man geht hierbei davon aus, dass die einzelnen Personen aus
Gründen, die sie nicht verschuldet haben, in unterschiedlichem Maße
(unterschiedlich häufig und unterschiedlich schwer) von diesen Risiken befallen
werden. Gerade deshalb ist man in der Regel der Meinung, dass die Kosten, die
im Zusammenhang mit diesen Risiken auftreten (Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte,
Medikamente, Rehabilitationsmaßnahmen etc.) von der Allgemeinheit
(Versichertengemeinschaft) zu tragen seien. Der Einzelne habe also in dem Maße,
in dem er überdurchschnittlich von den sozialen Risiken betroffen werde, einen
Anspruch auf einen materiellen Ausgleich.
So sehr ich das Anliegen, das hinter dieser Forderung steht, teile, sehe
ich in dem kollektiven Schutz gegenüber den sozialen Risiken kein primäres
Problem der Einkommensumverteilung. Der einzelne hat ein eigenes Interesse
daran, sich gegen diese sozialen Risiken zu versichern, da ja niemand sicher
sein kann, dass er nicht von diesen Risiken eines Tages befallen wird. Im
Rahmen einer privaten Versichertengemeinschaft findet jedoch nur ex post
gesehen eine Umverteilung statt, nicht jedoch ex ante. Der Versicherungsgeber
bemisst den zu zahlenden Beitrag nach der Höhe der Wahrscheinlichkeit des
Eintretens eines Versicherungsfalles, sodass hier Leistung und Gegenleistung
entsprechen. Dies ist gemeint, wenn man
sagt, dass im Rahmen der privaten Versicherung ex ante keine
Umverteilung stattfindet.
Ex post gesehen, sozusagen nach dem Ableben eines Versicherten wird man natürlich
feststellen, dass diejenigen, die überdurchschnittlich vom Risiko betroffen
waren, auch insgesamt mehr materielle Mittel aus der privaten Versicherung
ausgezahlt bekamen, als sie in Form von Beiträgen zeit ihres Lebens eingezahlt
haben.
Im heutigen System der Sozialversicherung gibt es eine ganze Reihe von
weitergehenden Versuchen einer Umverteilung. Als erstes wäre in diesem Zusammenhang
die Tatsache zu erwähnen, dass zumindest bis vor kurzem die Hälfte der Beiträge
von den Arbeitgebern zu entrichten war. Begründet wurde die Beteiligung der
Arbeitgeber auf zweierlei Weise. Auf der einen Seite wird darauf hingewiesen,
dass die Beteiligung der Arbeitgeber bei der Selbstverwaltung eine Gewähr für
einen effizienten Einsatz der materiellen Mittel sei. Der Umfang der nun seit
Jahrzehnten anhaltenden Krisen zeigt, dass auch die Mitwirkung der Arbeitgeber
diese Krisen nicht verhindern konnte. Man sollte dieses Argument vergessen.
Von größerer Bedeutung ist der Versuch, mit Hilfe der Arbeitgeberbeiträge
eine Art Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer, zu Lasten der Unternehmer vorzunehmen.
Es muss jedoch bezweifelt werden, ob dieser Versuch erfolgreich ist. Die
Finanzwissenschaft hat schon sehr früh darauf hingewiesen, dass Steuern und
Zwangsbeiträge überwälzt werden können, sodass es keinesfalls sicher ist, dass
letztendlich die Arbeitgeber diese Lasten zu tragen haben.
Zwei Überwälzungsprozesse kommen hierbei in Frage: Die Arbeitgeberbeiträge
können erstens auf die Güterpreise und damit auf die Konsumenten abgewälzt
werden und dies sind zum großen Teil die Arbeitnehmer, die eigentlich durch
diese Maßnahme entlastet werden sollten. Eine zweite Überwälzungsmöglichkeit
besteht in einer Rückwälzung auf die Löhne: Da die Arbeitgeber einen Teil ihrer
Erträge in Form von Arbeitgeberbeiträgen zu zahlen haben, stehen diese Ertragsteile
nicht mehr zur Verteilung an die Arbeitnehmer in Form von Löhnen zur Verfügung.
Wiederum erfährt der Arbeitnehmer letztlich keine Entlastung.
Ob, in welchem Maße und welche Art der Überwälzung in Wirklichkeit
stattfindet, hängt von den jeweiligen Marktbedingungen ab. Prinzipiell gilt,
dass die Höhe der Überwälzung von den Elastizitäten von Angebot und Nachfrage abhängt.
Da prinzipiell alle Unternehmer, die auf den Gütermärkten in Konkurrenz
zueinander stehen, sich derselben Situation gegenübersehen, werden sie auch mit
Erfolg die Arbeitgeberbeiträge auf den Güterpreis abwälzen können. Anders ist
die Situation, wenn die Unternehmer in starker Konkurrenz zu ausländischen
Anbietern stehen, die geringere oder gar keine Arbeitgeberbeiträge entrichten
müssen, in diesem Falle würde der Versuch einer Überwälzung auf die Güterpreise
zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber den ausländischen Anbietern führen.
Eine Rücküberwälzung liegt vor allem in zentralen Verhandlungen nahe, wenn die Unternehmer untereinander
nicht in Konkurrenz um Arbeitskräfte stehen, hier ist die Verhandlungsmasse der
Arbeitgeber wegen der bereits abgezogenen Arbeitgeberbeiträge geringer und
dementsprechend wird auch das Lohnangebot der Arbeitgeber geringer ausfallen.
Ob also durch die Arbeitgeberbeiträge eine nennenswerte Umverteilung
zugunsten der Arbeitnehmer stattfindet, muss sehr bezweifelt werden. Soweit es
den Unternehmern nicht gelingt, die Arbeitgeberbeiträge auf die Arbeitnehmer
rückzuwälzen, erhöhen sich die Arbeitskosten und dies wiederum verschlechtert
die internationale Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Unternehmungen.
Es wäre besser, man würde auf diese Art Umverteilung ganz verzichten und
damit das Problem der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmungen von der ganz
anderen Frage nach der Höhe des sozialen Risikoschutzes trennen. Je nach Risikolage
und Bedarf nach sozialen Leistungen kann es sehr erwünscht sein, die sozialen
Leistungen zu erhöhen. Dieser Bedarf sollte nicht deshalb herabgesetzt werden,
weil sich sonst die internationale Wettbewerbslage der Unternehmungen
verschlechtert. Die Bestimmung der erwünschten Höhe der Sozialleistungen und
die Bestimmung der Arbeitskosten sind im Grunde zwei grundverschiedene Fragen
und man kann nicht erwarten, dass die richtigen Antworten auf beide Fragen zu
den gleichen Ergebnissen führen.
Wie viel für Soziale Sicherheit ausgegeben werden sollte, ist eine Frage
der Bedürfnisse der Bevölkerung. Es ist nichts schlechtes dabei, wenn eine
Bevölkerung einen größeren Bedarf nach Schutz vor den sozialen Risiken sucht
als eine andere Bevölkerung. Zum Problem wird dieses größere Schutzbedürfnis
jedoch dann, wenn man über die Erhebung von Arbeitgeberbeiträgen diese Frage
mit der Höhe der Arbeitskosten koppelt. Damit wird automatisch die internationale
Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Unternehmer gegenüber den ausländischen
Unternehmern gefährdet, die geringere Sozialleistungen oder geringere
Arbeitgeberbeiträge vorsehen.
Da das bestehende System einkommensproportionale Beiträge vorsieht,
liegt im Hinblick auf die Sachleistungen zweitens eine Umverteilungsabsicht von
Reich zu Arm vor. Obwohl z. B. in der Krankenversicherung Umfang und Höhe der
bei Krankheit benötigten Leistungen unabhängig von der Einkommenshöhe anfallen,
trägt der Arbeitnehmer mit dem höheren
Einkommen mit seinem Beitrag stärker zur Finanzierung der Krankheitskosten bei
als der Arbeitnehmer mit einem geringeren Einkommen.
Diese Umverteilungsabsicht begegnet einer mehrfachen Kritik. Erstens
findet hier in Wirklichkeit gar nicht eine Umverteilung von den Reichsten zu
den Ärmsten, sondern in Wirklichkeit eine Umverteilung zu Lasten der nicht ganz
Reichen und zugunsten der nicht ganz Armen statt. Die eigentlich Reichen sind
gar nicht Mitglieder der gesetzlichen Sozialversicherung und können deshalb zu
dieser Umverteilung gar nicht beitragen. Und die eigentlich Armen sind nicht
beschäftigt und kommen deshalb auch nicht in den Genuss der Sozialversicherungsleistungen.
Zweitens greift diese Art Umverteilung in die Allokation ein und
vermindert auf diese Weise die Effizienz der Sozialsysteme. Jede Allokationsentscheidung
wird von den Faktorpreisen gelenkt. Da die Versicherungsbeiträge nicht
marktgerecht festgelegt werden, tragen sie zu einer Verzerrung und damit zu
einer Fehlallokation bei. Es wäre besser, wenn Allokation und Umverteilung
getrennt würden, wenn also Umverteilungsprozesse gewählt werden, die allokationsneutral
ablaufen. Jede Ineffizienz vermindert nicht nur die allgemeine Wohlfahrt,
sondern trägt auch dazu bei, dass insgesamt weniger Geld für soziale Zwecke zur
Verfügung steht.
Drittens schließlich kann eine gerechte Umverteilung immer nur zentral
von einer Stelle aus wirken. Jeder Versuch, dezentral und an den
verschiedensten Stellen Begünstigungen zugunsten der Armen vorzusehen, führt
nur dazu, dass die einzelnen Betroffenen nicht gleichmäßig behandelt werden, es
hängt vielmehr von Zufällen ab, wie viel der Einzelne in der Summe erhält.
Zwei Ausnahmen von der Regel, dass die Sozialversicherung weitgehend
ohne Umverteilung auskommen kann, sind
allerdings zu erwähnen. Auf der einen Seite gibt es erblich bedingte Schäden, sodass
hier ein Versicherter auch dann, wenn er seit dem ersten Tag seines Lebens
versichert wird, wegen dieses höheren Risikos mehr zahlen muss als andere, ohne
dass er diese höhere Belastung in irgendeiner Weise verschuldet hat. Hier hat
es einen Sinn, im Namen der Gerechtigkeit zu fordern, dass die Gemeinschaft
(der Staat) diese Kosten übernehmen sollte. Hier liegt dann eine echte Umverteilung
vor. Diese Belastungen sollten jedoch nicht aus den Beiträgen, sondern aus
staatlichen Steuerzuschüssen finanziert werden, da nur auf diese Weise
Allokationsmängel vermieden werden.
Eine zweite Ausnahme ergibt sich beim Arbeitslosenrisiko. Zumindest in
der Vergangenheit war die Arbeitslosigkeit ein im Rahmen der Privatwirtschaft
kaum versicherungsfähiges Risiko. Hier zumindest sollte der Staat eine gesetzliche
Arbeitslosenversicherung zur Verfügung stellen.
Allerdings fragt sich, ob das Arbeitslosenrisiko wirklich primär durch
eine Arbeitslosenversicherung gelöst werden sollte, zumindest, so lange eine
gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit vorliegt. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit
ergibt sich in erster Linie aus gesamtwirtschaftlichen ungelösten Problemen.
Die Gesamtnachfrage nach Arbeit entspricht nicht mehr dem Gesamtangebot, obwohl
nach dem von Say formulierten Gesetz
eigentlich keine Gesamtarbeitslosigkeit bestehen dürfte. Es sind hier in erster
Linie Inflexibilitäten, welche die
Arbeitslosigkeit auslösen und es wäre sehr viel vernünftiger, wenn man diese
Inflexibilitäten abbauen würde, so dass es gar nicht in großem Maße und auf
lange Zeit zur gesamtwirtschaftlichen Arbeitslosigkeit kommen müsste.
Es wäre zu überlegen, ob man das Problem der Massenarbeitslosigkeit
nicht besser dadurch in den Griff bekäme, dass man ganz generell einen
sekundären Arbeitsmarkt schafft. Alle Arbeitnehmer, die in Unternehmungen der
freien Marktwirtschaft entlassen werden oder als Arbeitssuchende keinen
Arbeitsplatz im primären Arbeitsmarkt finden, werden in diesem Falle
automatisch im sekundären Arbeitsmarkt beschäftigt.
Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem sekundären Markt können der Staat,
Gemeinden und karitative und gemeinnützige Einrichtungen ausüben. Wichtig ist,
dass diese Organisationen nicht in Konkurrenz zu den Unternehmungen der
privaten Wirtschaft treten dürfen. Sie dürfen also mit den Arbeitskräften aus
dem sekundären Markt nur Leistungen produzieren, die sich für eine private
Produktion nicht eignen.
Diese Einrichtung kann nämlich nur funktionieren, wenn einige
Voraussetzungen erfüllt werden. Als erstes muss sichergestellt sein, dass das
Einkommen und der Status der Arbeitnehmer geringer sein muss als im normalen
primären Markt, da nur so die betroffenen Arbeitnehmer überhaupt ein Interesse
haben, nach einem normalen Job im primären Arbeitsmarkt zu suchen. Nur so kann
verhindert werden, dass sich der sekundäre Markt nicht auf lange Sicht auf Kosten
des primären Marktes ausweitet und somit die eigentliche Marktwirtschaft
aushöhlt. Man sollte stets bedenken, dass die Finanzierungsmöglichkeiten der
sozialen Leistungen letztlich nur aus dem primären Markt aufgebracht werden
können.
Ansonsten sollte der Handlungsspielraum der Arbeitnehmer so groß wie technisch
machbar sein, der Einzelne sollte sich unter den gegebenen Arbeiten diejenige
aussuchen können, die ihm am meisten zusagt.
Im Hinblick auf die Finanzierung der Arbeiten im sekundären Markt sollte
zunächst einmal so effizient wie möglich produziert werden, wobei es jedoch
nicht Sinn dieser Einrichtung sein kann, die neuesten Techniken anzuwenden und
kapitalintensiv zu produzieren, da auf diese Weise nur Kapital von den primären
Märkten abgezogen würde und das Problem der Arbeitslosigkeit im primären
Bereich noch verschärft würde. Natürlich ist damit zu rechnen, dass die Produktion
im sekundären Bereich nicht immer, vielleicht noch nicht einmal in der Regel
kostendeckend produziert werden kann, sodass der Staat Finanzierungsmittel für
diese Zwecke zur Verfügung stellen muss, die aus den Geldern genommen werden
können, welche die Arbeitslosenversicherung wegen Rückgangs der
Arbeitslosenzahl einspart.
Auf jeden Fall dürfen auch für die Unternehmungen des ersten Marktes
keine Anreize geschaffen werden, die weniger produktiven Arbeitnehmer
abzustoßen, um auf diese Weise die Effizienz größer erscheinen zu lassen als
sie volkswirtschaftlich eigentlich ist. Auf lange Sicht sollten nämlich alle Arbeitskräfte
im primären Arbeitsmarkt beschäftigt werden. Entlassungen dürfen nur
stattfinden aus betrieblichen Gründen, weil die zu entlassenden Arbeitskräfte
entweder zu den geltenden Löhnen nicht in der Lage sind, die entsprechenden
Grenzerträge zu erwirtschaften oder weil wegen Absatzrückgangs oder veränderter
Technik weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Entlassungen haben
gesamtwirtschaftlich gesehen allein den Sinn, die Arbeitskräfte an einer
anderen, effizienteren Stelle einzusetzen.
Ein weiteres Problem ergibt sich im Zusammenhang mit den sozialen
Risiken daraus, dass ein einzelner auch dann, wenn er ein Interesse an einem
Versicherungsabschluss besitzt, trotzdem auf einen Abschluss eines
Versicherungsvertrages verzichten kann. Da es zu den oben erwähnten
Menschenrechten zählt, dass jeder zumindest über ein Existenzminimum verfügt
und das Existenzminimum kann bei Ausbruch eines Risikos sehr wohl gefährdet
sein, müsste die Staatengemeinschaft in diesem Falle einspringen und die Kosten
der notwendigen Behandlung übernehmen, da ja in diesem Falle keine
Privatversicherung zur Übernahme der Kosten verpflichtet ist.
Gerade aus diesen Gründen kann aus Gerechtigkeitsgründen gefordert
werden, dass sich jeder gegen die sozialen Risiken versichern lässt (Versicherungszwang).
Und zwar sollte die Versicherung für jeden von seinem ersten Lebenstag an beginnen,
so dass wirklich nur die erblich bedingten Schäden eine echte Umverteilung
rechtfertigen. Dieser Versicherungszwang setzt jedoch nicht voraus, dass auch öffentlich-rechtliche
Zwangsversicherungen errichtet werden, das Versicherungsgeschäft als solches
kann sehr wohl von privaten Versicherungsgesellschaften übernommen werden, die
im Allgemeinen im Wettbewerb stehen und so einen stärkeren Anreiz zur effizienten
Erstellung der Leistungen haben als öffentlich-rechtliche Einrichtungen.
Kommen wir zu dem Problem des Familienlastenausgleichs. Dieses Problem
gilt allgemein als der zweite wichtige Tatbestand, der dem Bedarfsprinzip
zugrunde liegt. Auch dann, wenn zwei Arbeitnehmer am Arbeitsplatz die gleiche
Leistung verrichten und deshalb entsprechend dem Leistungsprinzip einen
Anspruch auf einen gleich hohen Lohn besitzen, billigt man diesem Arbeitnehmer
entsprechend dem Bedarfsprinzip wegen des höheren Bedarfs auch ein höheres Einkommen
zu.
Nun lässt sich dieses Problem in einer freien Marktwirtschaft nicht
einfach dadurch regeln, dass die Arbeitnehmer mit Familie jeweils vom
Arbeitgeber zu den Leistungsanteilen des Lohnes noch zusätzlich entsprechende
Kinderzuschläge erhalten. Unternehmungen, die dies aus ethischen Grundsätzen
heraus von selbst täten, gerieten automatisch in eine Benachteiligung gegenüber
all den Unternehmungen, die sich nicht zu dieser Zahlung verpflichtet fühlten.
Die zahlenden Unternehmungen hätten höhere Kosten und könnten deshalb
nicht im Wettbewerb mit den anderen Unternehmungen bestehen. Götz Briefs sprach
in diesem Zusammenhang von der auf Märkten herrschenden Grenzmoral: Die
moralischen Vorstellungen dessen, der die geringsten Ansprüche an die Moral
stellt, setzen sich auf freien Märkten langfristig durch, diejenigen, die höhere
moralische Ansprüche stellen, werden aus dem Markt gedrängt.
Nun könnte man auf den Gedanken kommen, alle Unternehmungen von Gesetzes
wegen zu verpflichten, den Arbeitnehmern mit Kindern entsprechende Kinderzuschläge
zu zahlen. Trotzdem wäre das Problem nicht gelöst. Die Stückkosten der
Unternehmungen würden nämlich nun u. a. auch davon abhängen, wie viel Arbeitnehmer
mit Kindern in den einzelnen Unternehmungen beschäftigt werden, Unternehmungen
könnten versucht sein, durch Beschäftigung von möglichst wenig Arbeitnehmern
mit Kindern die Stückkosten zu drücken und auf diese Weise Wettbewerbsvorteile
zu erlangen.
Wiederum würde gelten, dass Unternehmer mit höherer sittlicher Verantwortung,
die sich also bei der Einstellung nicht nach dem Familienstand richten und ganz
bewusst auch Arbeitnehmer mit Kindern einstellen würden, Wettbewerbsnachteile
in Kauf nehmen würden. Gleichzeitig hätten es Arbeitnehmer mit Kindern sehr
viel schwerer einen neuen Arbeitsplatz zu erhalten (oder den bisherigen zu
behalten) als ledige Arbeitnehmer.
Eine sachgerechte Lösung des Problems des Familienlastenausgleichs kann also
nur dadurch erfolgen, dass die Kinderzuschläge von einer anderen Stelle als dem
jeweiligen Arbeitgeber ausgezahlt werden.
Es können allerdings Zweifel angemeldet werden, ob es sich bei diesem
zweiten Bedarfselement um ein Problem einer primären Umverteilung handelt, bei
dem also demjenigen, der keine Kinder hat, Steuern entzogen werden müssen, um
sie dann denjenigen Personen mit Kindern in Form von Subventionen oder Steuerbefreiungen
zu gewähren.
Wilfried Schreiber hat die These aufgestellt, dass das Problem des
Familienlastenausgleichs primär nicht ein Problem der interpersonellen
Umverteilung, sondern vielmehr ein Problem der intrapersonellen
Einkommensumschichtung des Lebenseinkommens darstelle. Es gehe nicht darum, dem
einen etwas zu nehmen und dem andern etwas zu geben. Vielmehr gelte für jeden
heute lebenden Erwachsenen ausnahmslos, dass er während seiner Kindheit eine
Phase der Erwerbsunfähigkeit durchlaufen hat, innerhalb der sein Lebensunterhalt
vorfinanziert werden musste.
Jeder hat also in seiner Kindheit de facto von einem Kredit gelebt, den
er als Erwachsener und während seiner Erwerbszeit zurückzuzahlen hat. Das Lebenseinkommen,
das in der Erwerbszeit erwirtschaftet wird, muss umgeschichtet werden auf die
Zeit vor der Erwerbszeit wie auf die Zeit nach der Erwerbszeit. In dem einen
Fall müssen Einkommensteile für das erwerbslose Alter zurückgelegt werden, in
dem anderen Falle muss während der Kindheit ein Kredit aufgenommen werden, der
aus dem späteren Erwerbseinkommen des Herangewachsenen letztlich zurückgezahlt
werden muss.
Natürlich entstehen auch in diesem Zusammenhange sekundäre
Probleme einer Umverteilung. Als erstes muss festgestellt werden, dass diese
Kredite nicht von privaten Banken gewährt werden können, da für die
heranwachsenden Kinder keine Sicherheiten gegeben werden können. Es ist ja
unsicher, ob und wann und in welcher Höhe die Herangewachsenen über
Erwerbseinkommen verfügen werden, um diese Kredite zurückzahlen können. Gerade
deshalb muss ein öffentlich rechtlicher Weg gewählt werden, z. B. dadurch, dass
der Staat Bürgschaften übernimmt. Es ist aber nicht unbedingt notwendig, dass
eine öffentlich-rechtliche Stelle diese Kreditvergabe vornimmt und die
Rückzahlung organisiert.
Darüber hinaus entsteht die weitere Frage, in welcher Höhe diese Kredite
gewährt werden sollen. Da die Kinder ja wohl den Lebensstandard der Eltern
während ihrer Kindheit übernehmen, läge es nahe, dass die Höhe der Kredite vom
Einkommen der Eltern abhängig gemacht wird. Dies führt jedoch zu erheblichen
Problemen, da nicht damit gerechnet werden kann, dass die Zahlungsfähigkeit und
das zukünftige Einkommen der Herangewachsenen stets denen der Eltern
entspricht. Es fände deshalb auf diesem Umwege eine inverse Umverteilung von
unten nach oben statt. Man wird sich deshalb zu dem Kompromiss bereit finden
müssen, die Kredite in einer einheitlichen Höhe unabhängig vom Einkommen der
Eltern zu gewähren, was zur Folge hat, dass die Eltern – vor allem die
reicheren - de facto immer einen Teil der Erziehungskosten übernehmen müssen.
Während bei einer Regelung ohne Familienlastenausgleich und ohne allgemeinem
Kreditsystem die Arbeitnehmer, welche Kinder aufziehen, die gesamten Lasten der
Erhaltung der Bevölkerung übernehmen, trägt in diesem System fast jeder zu
seiner eigenen Erziehung in der Kindheit bei, mit dem Schönheitsfehler, dass
Einige wegen späterer Erwerbslosigkeit diese Schulden nicht mehr zurückzahlen
können.
Es wird bisweilen behauptet, diese Lösung sei familienfeindlich, weil
sie die Rolle und Bedeutung der Eltern als Ernährer ihrer Kinder abschwäche.
Dem ist nicht so. Ganz im Gegenteil stärkt dieses Kreditsystem das
Familiensystem, da nun die Kosten der Aufziehung nicht mehr nur einem Teil der
Familien aufgebürdet werden. Die Kredite sind selbstverständlich an die Eltern
auszuzahlen, die diese Gelder für ihre eigenen Kinder verwalten und ausgeben.
Missbrauchen Eltern in Ausnahmefällen ihre Macht, so kann auf diesem Wege eine
sachgerechte Ausgabe dieser Gelder auch sehr viel einfacher vom Staat (von den Jugendämtern)
kontrolliert werden als im heutigen System.
7. Schwierigkeiten aufgrund der Globalisierung
Es entspricht allgemeiner Überzeugung, dass es aufgrund der Globalisierung
der Weltwirtschaft immer schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich werde, Gerechtigkeitsvorstellungen
durchzusetzen.
Die Folge dieser Globalisierung ist, dass das Kapital in die Regionen
und Produktionsbereiche wandert, in denen es den höchsten Ertrag erzielt.
Hierbei richtet sich das Kapital am Nettoertrag nach Abzug der Steuern aus. Ein
Staat kann also durch eine Herabsetzung der Kapitalertragssteuer den
Nettoertrag künstlich erhöhen und so dafür sorgen, dass möglichst viel Kapital
importiert wird. Umgekehrt gilt, dass Staaten, welche die Kapitalerträge
stärker besteuern als die Nachbarstaaten, befürchten müssen, dass Kapital ins
Ausland mit den geringeren Steuern exportiert wird, auch dann, wenn der reale
Bruttoertrag im Ausland geringer ist als im Inland. Gleichzeitig kann dieses
Land nicht damit rechnen, dass ausländisches Kapital ins Land in ausreichendem Maße importiert wird.
Es wird nun von den Gegnern der Globalisierung die Befürchtung geäußert,
dass ein „race to bottom „, ein Wettlauf zwischen den Staaten um die geringste
Kapitalbesteuerung stattfindet, sodass die Tendenz besteht, dass sich allgemein
die Höhe der Kapitalertragssteuer desjenigen Staates durchsetzt, der die geringste
Steuer ansetzt und dem eine gerechte Besteuerung, wonach das Kapital genauso
hoch wie alle anderen Faktoren besteuert werden sollte, am wenigsten am Herzen
liegt. Wir sprachen schon in einem etwas anderen Zusammenhang von Götz Briefs,
der diese Zusammenhänge als Grenzmoral bezeichnete, die sich auf freien Märkten
durchsetze. Gemeint war, dass sich im Wettbewerb die moralischen Vorstellungen desjenigen
durchsetzen, welcher die geringsten moralischen Vorstellungen besitzt.
Es entspricht sicherlich allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen – auch
dem deutschen Steuerrecht -, dass alle Produktionsfaktoren gleichartig
besteuert werden, dem Grundgedanken des deutschen Steuerrechts entspricht es z.
B., dass die Steuerhöhe unabhängig von der Einkommensquelle, nur von der Höhe
des Einkommens abhängt.
Man könnte sich deshalb die Frage stellen, ob die Freizügigkeit des Kapitals
aus Gerechtigkeitsgründen wieder aufgehoben werden sollte. Sicherlich wäre dies
aus allgemeinen Überlegungen heraus nicht empfehlenswert, da die Garantie für
eine höchstmögliche Weltwohlfahrt nur dann gegeben ist, wenn das Kapital auch
dort eingesetzt werden kann, wo es den höchsten Ertrag erzielt. Und dies wird
nur dann der Fall sein, wenn das Kapital überall in allen Ländern und Regionen
unabhängig von den Landesgrenzen eingesetzt werden kann.
Auch aus Gerechtigkeitsgründen wäre bei einer Aufhebung der
Freizügigkeit des Kapitals nicht viel gewonnen. Man würde, wenn man
gleichzeitig das Kapital höher besteuert als das Ausland nur verhindern, dass
überhaupt Kapital ins Land importiert wird und damit die Voraussetzungen für
ein mit dem Ausland vergleichbares Wachstum verhindern. Wettbewerbsnachteile
würden eintreten, mit der Folge, dass trotz hoher Kapitalbesteuerung der
Kapitalsteuerertrag niedrig bliebe und die Finanzierung der sozialen Leistungen
erschwert würde.
Der einzige Ausweg, der zunächst ohne grundsätzliche Änderung in der
Steuerstruktur scheinbar bleibt, besteht darin: Will man den „race to bottom“
vermeiden, muss man auf internationaler Ebene um eine möglichst gerechte und
allgemeine Kapitalbesteuerung kämpfen. Wie schwierig dieser Weg bereits
innerhalb Europas ist, zeigen die Verhandlungen der jüngsten Monate und Jahre
um eine Angleichung der Kapitalbesteuerung. Weltweit wäre es utopisch zu
unterstellen, eine solche Angleichung könnte mit Erfolg in unmittelbarer
Zukunft durchgesetzt werden.
8. Rawls Maximin-Prinzip
Wir haben gesehen, dass dem Gerechtigkeitspostulat nicht entsprochen
werden kann, wenn man den Grad der Gerechtigkeit am Grad der Nivellierung bzw.
Differenzierung in den Einkommen misst. Diese Vorgehensweise wäre nur dann
sachgerecht, wenn wir unterstellen könnten, dass alle Menschen in allen, die materiellen
Ressourcen betreffenden Fragen als gleich anzusehen seien. De facto haben wir
gesehen, dass sich die Menschen sowohl im Hinblick auf ihre Bedürfnisse als
auch ihre speziellen Fähigkeiten stark von einander unterscheiden. Aus
Gerechtigkeitsgründen kann deshalb weder eine vollständige Egalität gefordert
werden, noch lässt es den Schluss zu, dass ein Abbau in der Differenzierung der
Einkommen auf jeden Fall als ein Abbau von Ungerechtigkeit angesehen werden
kann.
Gerade aus diesen Gründen bietet das von John Rawls formulierte
Maximin-Prinzip eine gute Grundlage, wirtschaftspolitische Maßnahmen auf ihre
Gerechtigkeit hin zu überprüfen. Nach diesem Prinzip kann eine wirtschaftspolitische
Maßnahme dann als gerechtfertigt und in Einklang mit dem Gerechtigkeitspostulat
gesehen werden, wenn diese Maßnahme geeignet ist, das Einkommen der untersten
Einkommensklasse (der Ärmsten also) zu steigern und zwar unabhängig davon,
inwieweit diese Maßnahmen auch den reicheren Bürgern zugute kommen. Selbst
dann, wenn die Einkommen der Reicheren in stärkerem Maße ansteigen sollten als
die Einkommen der Ärmsten, wenn also der Differenzierungsgrad ansteigen sollte,
würde Rawls immer noch von einer Maßnahme sprechen, die mit der Gerechtigkeit
in Einklang steht, die mehr und nicht weniger Gerechtigkeit bringt.
Man achtet also mit anderen Worten nicht auf die relativen Einkommensverhältnisse
und ihre Änderungen, sondern allein darauf, was mit dem Einkommen der Ärmsten
absolut und real passiert. Steigt dieses an, so ist es eine gerechtfertigte
(gerechte) Maßnahme und nur dann. Eine Nivellierung der Einkommen, die zu
keiner Steigerung in den Einkommen der Ärmsten führen würde, wäre in diesem
Sinne nicht der Gerechtigkeit dienend. Das von Rawls entwickelte
Maximin-Prinzip bedeutet also: Maximiere das Einkommen der untersten
(minimalen) Einkommensklasse.
Man kann diese Überlegungen in einer Graphik zusammenfassen, in der auf der Y-Achse das Einkommen der
einkommensschwächsten Bürger und auf der X-Achse die Einkommen der übrigen Bürger
abgetragen werden. Die Wirkungszusammenhänge der wirtschaftspolitischen
Maßnahmen seien derart – so wollen wir unterstellen –, dass diese Maßnahmen
zunächst beiden Einkommensgruppen zugute kämen, dass u. U. sogar die
Einkommens-Quote der Ärmeren anstiege, dass aber bei Ausdehnung der Maßnahmen
das Einkommen der besser verdienenden Bürgern stärker stiege, obwohl auch das
Einkommen der Ärmeren nach wie vor ebenfalls ansteige, bis dann schließlich nur
noch das Einkommen der Reichen steige, das der Ärmeren hingegen falle.
Wir erhalten auf diese Weise in unserem Diagramm eine Kurve, die vom Koordinatenursprung
ausgehend zunächst ansteigt, irgendwann ein Maximum erreicht und dann wieder
abfällt. Anhand dieser Kurve lässt sich der Unterschied unterschiedlichster
politischer Varianten ablesen.

Ziehen wir vom Koordinatenursprung aus eine Linie, so misst der Winkel
dieser Linie die Einkommensquoten.
Entspricht dieser Winkel 45°, so erhalten beide Einkommensgruppen die gleiche
Einkommensquote von 50%. Schneidet nun die wirtschaftspolitische
Maßnahmen-Kurve diese 45°-Linie, so würde das Maximum an Gerechtigkeit nach
sozialistischer Sicht erreicht, jede Gruppe würde das gleiche Einkommen
beziehen. Hier wäre der Anteil der bisher Armen-Gruppe, die nun das gleiche
Einkommen wie die andere Gruppe bezieht, maximiert.
Legt man das Maximin - Prinzip von J. Rawls zugrunde, so würde eine
Ausweitung der Maßnahmen von diesem sozialistischen Optimalpunkt aus nach wie
vor dem Gerechtigkeitspostulat genügen, da annahmegemäß das Einkommen der
Ärmsten weiter ansteigen würde, obwohl bereits die Einkommen der Reicheren
stärker anstiegen und somit die Einkommensquote der Ärmeren bereits zurückginge.
Dort, wo die Maßnahmenkurve ihr Maximum erreicht, ist dann auch der
Maximin-Punkt erreicht, eine weitere Ausdehnung der Maßnahmen würde wieder zu
einer Minderung der Einkommen der Ärmeren führen, widerspräche also der
Gerechtigkeitsforderung, obwohl das Gesamteinkommen beider Gruppen nach wie vor
ansteigen würde.
Nach einer streng liberalen Vorstellung wäre eine solche Ausweitung der
Maßnahmen nach wie vor gerechtfertigt, da das Inlandsprodukt immer noch steigt.
Erst in dem Punkte, wo die Maßnahmenkurve die negativ geneigte 45° - Linie
tangiert, wäre der Optimalpunkt (die Maximierung des Sozialproduktes) erreicht,
eine weitere Ausdehnung der Maßnahmen wäre auch nach radikalliberaler Sicht
unerwünscht, da nun die Einkommen der Reicheren weniger steigen als die
Einkommen der Schwachen fallen, mit dem Ergebnis, dass das Gesamteinkommen nun
sinkt.