Ordnungsdynamik (Fortsetzung)
Vor allem Walter Eucken machte darauf aufmerksam, dass Ordnungen interdependent sein müssten, dass sich die einzelnen Ordnungen der gesellschaftlichen Subsysteme entsprechen müssten. So geht Walter Eucken davon aus, dass eine Marktwirtschaft nur dann reibungslos funktionieren könne, wenn auf der politischen Ebene eine freiheitlich demokratische Ordnung gegeben ist. Umgekehrt könne eine Zentralverwaltungswirtschaft nur funktionieren, wenn auf der politischen Ebene eine Diktatur verwirklicht sei.
Walter Eucken hat seine Überlegungen zur Interdependenz auf die Beziehungen zwischen wirtschaftlichem und politischem Subsystem beschränkt. Nun unterscheiden wir im Allgemeinen zwischen drei Subsystemen unserer modernen Sekundärgesellschaft, neben Wirtschaft und Politik wird drittens noch der kulturelle Bereich unterschieden. In diesem Sinne könnte man das Problem der Interdependenz auch noch auf die Beziehungen zwischen kulturellen und wirtschaftlichen Ordnungen ausdehnen.
So kannte das Christentum im Mittelalter ein Zinsverbot, da man von der Auffassung ausging, dass das Verleihen von Geld ohne Arbeit möglich sei und dass deshalb auch hierfür kein Entgelt verlangt werden dürfte. Ähnlichen Vorstellungen begegnen wir in den islamischen Volkswirtschaften, in denen ein Gottesstaat errichtet wurde. Auch hier ist es Gläubigen aus religiösen Gründen verboten, für ein Kapitalangebot einen Zins zu verlangen. Schließlich kannte der Kommunismus ein Zinsverbot, hier von der Überzeugung geleitet, dass nur der Einsatz von Arbeit Wert erzeuge und deshalb nur die Arbeit einen Anspruch auf Entlohnung habe.
Es ist klar, dass ein eindeutiges Zinsverbot die Effizienz jeglichen Wirtschaftens beeinträchtigt. Die Preisrelationen zwischen Lohn und Zins spiegeln die Knappheitsverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital wider. Wird für Kapital kein Preis gezahlt, so ist die Nachfrage nach Kapital größer als das Angebot, die Kapitalintensität der Produktionen ist zu hoch, Arbeit wird in zu geringem Maße nachgefragt, es entsteht auf diese Weise Arbeitslosigkeit.
Wie im Rahmen des Artikels über die Ordnungsanalyse gezeigt wurde, hat Walter Eucken lediglich die beiden wirtschaftlichen Ordnungsformen der Verkehrswirtschaft und der Zentralverwaltungswirtschaft unterschieden. Wir selbst waren in diesem Artikel allerdings einer Vierteilung von Markt, Verhandlung, Wahl und Bürokratie gefolgt. Folgt man diesem Einteilungsschema, so könnte man zwischen der politischen Ordnung des Feudalismus im Mittelalter oder des bisweilen in der modernen Zeit propagierten Ständestaates und der Verhandlungslösung gewisse Korrespondenzen sehen.
Die These von der Interdependenz der Ordnungen kann nun erstens in dem Sinne verstanden werden, dass den einzelnen Ordnungen vor allem in ihrer idealtypischen Form ganz bestimmte Leitbildern zugrunde liegen und dass deshalb das gleiche gesellschaftliche Leitbild auch ganz bestimmte Ordnungsarten auf den einzelnen Stufen der Subsysteme erforderlich macht. Das Leitbild einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist die größtmögliche Verwirklichung der individuellen Freiheit; auf politischer Ebene wird dieses Freiheitsideal aber nur in einer rechtsstaatlichen Demokratie realisiert.
Umgekehrt gilt, dass sowohl im Rahmen einer Zentralverwaltungswirtschaft wie auch in seiner politischen Entsprechung einer Diktatur das oberste Ziel in der Unterordnung der einzelnen Bürger unter die Ziele der Gesamtgesellschaft liegt, wobei diese Ziele von staatlichen Repräsentanten formuliert werden. Im feudalen System schließlich bildete sich der Gemeinschaftswille aus dem Zusammenwirken der einzelnen Bevölkerungsgruppen (der Stände), sodass hier die wirtschaftliche Ordnung der Verhandlungslösung dieser Zielsetzung am besten entspricht.
Die These von der Interdependenz kann zweitens aber auch in dem Sinne verstanden werden, dass das reibungslose Funktionieren einer wirtschaftlichen Ordnung nur dann gewährleistet ist, wenn auf der politischen eine ganz bestimmte Ordnung verwirklicht ist. Während im ersten Falle eher von einen normativen Zusammenhang gesprochen wird, wird im Rahmen des zweiten Zusammenhanges eher an einen Sachzusammenhang gedacht; damit die Wohlfahrt in einer marktwirtschaftlichen Ordnung maximiert werden kann, bedarf es einer ganz bestimmten Ordnung auch im politischen Bereich.
Eine politische Diktatur führt im Allgemeinen zu einer Behinderung einer Marktwirtschaft. Der Diktatur kann nämlich seine Ziele nur dann durchsetzen, wenn diese nicht durch das Zulassen einer marktwirtschaftlichen Freiheit der einzelnen Individuen durchkreuzt werden können. So bringt vor allem der freie Handel mit anderen Volkswirtschaften die Gefahr mit sich, dass die einzelnen Bürger die Leistungen der eigenen Regierung mit den Leistungen der ausländischen Regierung vergleichen können, die Bürger erfahren durch den freien Verkehr mit dem Ausland auch, in welchen Punkten die eigene Regierung versagt hat; es besteht hier die Gefahr, dass die Kritik an der eigenen Regierung überhandnimmt und dass auf diese Weise die Stellung der eigenen Regierung langfristig gefährdet wird.
Nun gab es in den letzten Jahrzehnten auch Versuche kommunistischer Staaten, welche die politische Form der Diktatur gewählt haben, auf wirtschaftlichem Gebiet marktwirtschaftliche Beziehungen zuzulassen. Der Grund hierfür lag vor allem darin, dass sich im Wettbewerb der Systeme (Kapitalismus versus Sozialismus) die Zentralverwaltungswirtschaft der Marktwirtschaft als unterlegen erwiesen hat und dass sich deshalb die kommunistischen Machthaber gezwungen sahen, Methoden der Marktwirtschaft auf wirtschaftlichem Gebiet zu übernehmen. Auf der einen Seite konnte nur dadurch die Gefahr einer Revolution verhindert werden, dass der Konsumstandard dem freiheitlich demokratischer Staaten angepasst wurde, auf der anderen Seite konnte die Verteidigungsbereitschaft gegenüber den ausländischen Staaten nur dadurch aufrechterhalten werden, in dem die Effizienz marktwirtschaftlicher Systeme übernommen wurde.
In ähnlicher Weise würden jedoch auch die Ziele einer Marktwirtschaft (die Wohlfahrtssteigerung der Individuen) gefährdet, wenn auf politischer Ebene eine Diktatur realisiert wäre. Eine Diktatur wird zur bestmöglichen Erreichung ihrer politischen Ziele immer dann in den Markt eingreifen und die Marktergebnisse korrigieren, wenn die politischen Ziele gefährdet erscheinen. Da der Diktator bestimmte Vorstellungen darüber hat, wie sich der einzelne zu verhalten habe, was für ihn gut und was für ihn schlecht ist, bedarf es von Seiten des Staates zahlreicher Korrekturen des freien Marktes.
Die These von der Interdependenz kann drittens auch so verstanden werden, dass von den Ordnungsformen der einzelnen gesellschaftlichen Subsysteme Wirkungen auf andere Subsysteme ausgehen, welche entweder die Ordnungen der jeweils anderen Subsysteme gefährden oder umgekehrt deren Stabilität verstärken.
So können vor allem die Versuche der Politik, den Markt zu korrigieren, schließlich zu einem Zusammenbruch des marktwirtschaftlichen Systems überhaupt führen. Walter Eucken hat in diesem Zusammenhang die These vertreten, dass Mischsysteme instabil seien und schließlich notwendigerweise dazu führen müssten, dass das Wirtschaftssystem schließlich in einer totalen Zentralverwaltungswirtschaft ende.
Walter Eucken erklärt diese Tendenz zur Zentralverwaltungswirtschaft damit, dass wegen der wechselseitigen Beziehungen der Märkte untereinander ein Eingriff in den einen Markt notwendiger Weise Eingriffe in weitere Märkte erzwinge und dass auf diese Weise auf immer mehr Märkten politisch interveniert werden müsse.
Dass Märkte miteinander verbunden sind und dass deshalb der Eingriff auf einem Markt weitere Eingriffe nach sich zieht, ist weitgehend unbestritten. Zwischen den einzelnen Märkten bestehen substitutive sowie komplementäre Beziehungen. Wer den Ölmarkt regulieren möchte, um auf diese Weise den Energieverbrauch zu reduzieren, wird nicht darum herumkommen, auch den Gasmarkt in die Regulierung einzubeziehen, da ansonsten damit zu rechnen ist, dass die Verbraucher auf die Energieform Gas ausweichen werden und dass auf diese Weise die Ziele der Regierung durchkreuzt werden können. Gleichzeitig bedarf es einer gemeinsamen Regelung komplementärer Güter, da Knappheitserscheinungen auf dem einen Markt automatisch Rückwirkungen auf Märkten mit komplementären Gütern haben müssen.
Trotzdem ist es mehr als fraglich, ob die These, dass Eingriffe auf einzelnen Märkten notwendiger Weise damit enden müssen, dass auf allen Märkten politisch interveniert wird und dass deshalb am Ende dieses Prozesses notwendigerweise eine Zentralverwaltungswirtschaft steht, gültig ist. Die Wirklichkeit spricht eindeutig gegen diese These. So hat die Bundesrepublik in ihren Anfangsjahren mit starken Reglementierungen zahlreicher Märkte begonnen; diese Reglementierungen führten jedoch nicht dazu, den Umfang der bürokratischen Regelungen auszuweiten, sondern ganz im Gegenteil wurde ein Großteil der reglementierten Märkte wiederum freigegeben.
Es bleibt auch unklar, weshalb einzelne Reglementierungen in einer totalen Zentralverwaltungswirtschaft enden sollten, da nicht alle Güter in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen. Zwar stehen alle Güter in gewissem Sinne in Konkurrenz zueinander – sie konkurrieren um das gleiche Volkseinkommen – aber die Substitutionselastizität der einzelnen Güter zueinander ist oftmals so gering, dass sie vernachlässigt werden kann.
Wir haben also davon auszugehen, dass von politischen Systemen negative Wirkungen auf die wirtschaftliche Ordnung ausgehen und dass diese negativen Wirkungen in stärkerem Maße von einer politischen Diktatur als von einer demokratischen Ordnung zu erwarten sind. Wie steht es jedoch mit dem umgekehrten Zusammenhang, haben wir auch damit zu rechnen, dass z. B. ein freier Markt von sich aus den Zusammenbruch diktatorischer Systeme nach sich zieht? Sicherlich haben in der Vergangenheit kommunistische Diktatoren marktwirtschaftliche Ordnungen vor allem deshalb unterdrückt, weil sie befürchteten, dass freie Märkte das politische System bedrohen. Umgekehrt war es die Hoffnung der westlichen Regierungen, dass durch Einführung marktlicher Elemente der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme eingeleitet werde.
Im Rahmen der Ordnungsanalyse haben wir gesehen, dass Friedrich von Hayek zwischen Ordnungen unterscheidet, welche spontan gebildet werden und solchen, welche gesetzt werden. Diese Unterscheidung spielt auch im Rahmen der Ordnungsdynamik eine entscheidende Rolle. Die Entwicklung eines Ordnungssystems, seine Entstehung und sein Untergang wurden bisher in Abhängigkeit der Stabilität eines Systems sowie der Interdependenz der einzelnen Ordnungen zueinander betrachtet.
Im historischen Verlauf sind jedoch Ordnungssysteme bisweilen entstanden oder beendet worden aufgrund des Eingreifens ausländischer Mächte. Diese Feststellung gilt ganz eindeutig für die Entstehung des Sowjetblocks in der Nachkriegszeit. Nur die Sowjetunion selbst hat eine sozialistische Ordnung aus ihrer eigenen Kraft, durch eine soziale und politische Revolution erhalten. In den anderen der von Russland abhängigen Staaten, vor allem in der ehemaligen DDR wurde die Wirtschaftsordnung von der Siegermacht Sowjetunion oktroyiert. Weder waren in diesen Staaten die Voraussetzungen zur eigenständigen Entstehung einer sozialistischen Ordnung gegeben, noch haben diese Ordnungen den Zerfall des sowjetischen Reiches überlebt, sie brachen in dem Augenblick zusammen, in dem auch die Sowjetunion ihr Ende fand.
In ähnlicher Weise kann man davon sprechen, dass auch in Westdeutschland die Siegermächte dafür verantwortlich waren, dass die ursprüngliche Bundesrepublik als marktwirtschaftliche Ordnung geschaffen wurden, in beiden Fällen (in Ost- wie Westdeutschland) trugen also die Siegermächte dazu bei, dass in den von ihnen verwalteten Zonen die Wirtschaftsordnung errichtet wurde, welche auch in den eigenen Ländern vorherrschte.
In einem Punkt unterscheidet sich jedoch diese Abhängigkeit von ausländischen Mächten in gravierendem Maße. In Westdeutschland entwickelte sich eine recht stabile Wirtschaftsordnung, welche nicht mehr von der Entwicklung der Wirtschaftsordnung der ehemaligen Siegermächte abhing, wie wir dies für Ostdeutschland feststellen mussten. Natürlich hängen auch in den westlichen Ländern die einzelnen Volkswirtschaften von der Entwicklung in den anderen Staaten ab, auch hier gilt, dass sich eine konjunkturelle Krise, welche z. B. in den USA ihren Ursprung hat, auch auf die anderen marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften negativ auswirkt.
Es handelt sich hier jedoch um keine einseitigen Abhängigkeiten, die Konjunkturlage in den USA ist selbst wiederum von der Entwicklung in den europäischen Staaten abhängig, die hier zur Diskussion stehenden Abhängigkeiten ergeben sich aus dem Zusammenspiel der marktwirtschaftlichen Ordnungen zueinander, während in den oben genannten Abhängigkeiten das politische System ausländischer Mächte für diese Abhängigkeit verantwortlich ist.
Natürlich kann man sich die Frage stellen, wie es zu einer solchen Vormachtstellung ausländischer Mächte kommen kann, die so weit geht, dass diese ausländischen Mächte die Wirtschaftsordnung der abhängigen Staaten bestimmen kann. In den oben genannten Beispielen ergab sich diese Vormachtstellung aus kriegerischen Auseinandersetzungen, diejenigen Staaten, welche als Sieger aus diesen Konflikten hervorgingen, hatten die Macht, die Wirtschaftsordnung der besiegten Länder festzulegen.
Ganz allgemein gibt es auch für das Zusammenwirken der Staaten unterschiedliche Ordnungstypen. Vor allem England hatte lange Zeit eine Strategie des Gleichgewichts verfolgt, wonach England bestrebt war, keine Vorherrschaft innerhalb Europas zuzulassen; England verbündete sich deshalb jeweils mit den Ländern, welche ohne englische Beteiligung Gefahr liefen, zu unterliegen.
Auch Bismarck versuchte mit seinen Bündnissen nach Beendigung des französisch-deutschen Krieges der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts den Ausbruch weiterer Kriege durch Bündnisse sowohl mit den potentiellen Verbündeten wie auch Gegnern zu verhindern und damit die Voraussetzungen für das Entstehen einer Vormachtstellung eines der europäischen Länder zu verhindern. Bismarcks Politik erreichte allerdings langfristig nicht ihr Ziel, vor allem weil unter der Herrschaft Wilhelm II. diese wechselseitige Bündnispolitik wieder aufgegeben wurde.
Nach dem Zusammenbruch Deutschlands im zweiten Weltkrieg entstand eine neue internationale Ordnung. Auf der einen Seite wurde der Versuch unternommen, durch Bildung der UNO – einer Art Weltregierung – zu verhindern, dass es in Zukunft zu einseitigen Vormachtstellungen kommen kann. De facto wurde die politische Entwicklung in viel stärkerem Maße durch das atomare Gleichgewicht der beiden Großmächte USA und Sowjetunion bestimmt, welche beide über die Macht verfügten, durch einen atomaren Schlag den Gegner auszulöschen, und zwar so, dass auch nach einem überraschenden Erstschlag der angegriffene Staat nach wie vor die Möglichkeit besaß, den Angreifer vernichtend zu schlagen.
Da beide Mächte weiterhin rationalen Kalkülen zugänglich waren und nicht bereit waren, aus ideologischen Gründen den eigenen Untergang zu riskieren, wurde durch diese Pattstellung lange Zeit der Ausbruch eines dritten Weltkrieges verhindert. Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion ist allerdings diese Ordnung zusammengebrochen und es bleibt zunächst unklar, durch welche Strategien der Weltfrieden aufrechterhalten werden kann.
Geschichtliche Ereignisse lassen sich auf zweierlei Weise analysieren. Im Rahmen der Geschichtswissenschaft werden historische Gegebenheiten als Ergebnis einzelner Persönlichkeiten und deren Ideen verstanden. Es waren herausragende Personen, welche das Ereignis herbeigeführt haben, in dem sie zündende Ideen zur Lösung der anstehenden Probleme hatten, indem sie weiterhin den Mut hatten, ein Risiko auf sich zunehmen und die Tat zu wagen und indem sie die Überzeugungskraft besaßen, die Massen von der Richtigkeit und Notwendigkeit ihrer Handlungen zu überzeugen.
Im Rahmen der theoretischen Wissenschaften werden hingegen Ereignisse als Ergebnis ganz bestimmter Konstellationen verstanden, die Zeit war reif für die eingetretenen Veränderungen, die historischen Abläufe können danach eindeutig auf bestimmte objektive Gegebenheiten zurückgeführt werden.
Bringen wir für diese beiden Betrachtungsweisen je ein Beispiel. Für den Historiker war es Fürst Bismarck, der es verstanden hatte, die europäischen Verhältnisse so neu zu ordnen, dass ein friedliches Nebeneinander bisher zerstrittener Nationen möglich erschien. Auf der einen Seite war Bismarck davon überzeugt, dass nur ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland aus der Sackgasse herausführen könnte, in welche Europa im Zuge der napoleonischen Kriege gestürzt worden war.
Auf der anderen Seite habe Bismarck aber auch Augenmaß besessen, nach dem Sieg Deutschlands gegenüber Frankreich nicht auf weitere Eroberungen zu drängen, sondern durch Abschluss wechselseitiger Verträge mit den wichtigsten Großmächten das bisher Erreichte zu sichern. Immerhin brachte die Bündnispolitik Bismarcks Europa einen Frieden von über 30 Jahren und der erste Weltkrieg brach vor allem deshalb aus, weil die Nachfolger Bismarcks seine Bündnispolitik aufgaben.
Versuchen wir andererseits den Zusammenbruch der Sowjetunion als Ergebnis ganz bestimmter historischer Entwicklungen zu verstehen. Die Überlegenheit des Westens, vor allem der USA, in materieller Hinsicht führte dazu, dass Russland im Wettrüsten überfordert wurde; auch habe sich die bürokratische Ordnung des Kommunismus als unfähig erwiesen, auf Dauer ein Riesenreich wie Russland mit seinen Satelliten effizient zu führen. Der Zusammenbruch des russischen Imperiums war also nach dieser Sicht nur eine Frage der Zeit.
Eine genauere Analyse der Geschichte macht jedoch deutlich, dass sich historische Ereignisse nicht allein auf das Wirken von einzelnen Persönlichkeiten noch auf objektive Gegebenheiten allein zurückführen lassen. Es bedarf fast immer des Zusammenwirkens beider Kräfte: dem Einsatz von Persönlichkeiten sowie dem Vorliegen bestimmter objektiver Strukturen. Die Geschichte kann noch so sehr von außen betrachtet als von einzelnen führenden Personen bewirkt erscheinen, es müssen stets bestimmte objektive Voraussetzungen vorliegen, ohne die ein noch so beispielhaftes Handeln nicht zu dem erwünschten Ergebnis führt, die Zeit muss – wie man sagt – für die angestrebten Veränderungen reif sein.
So haben führende Ökonomen schon seit den Tagen Adams Smith und vor allem in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg überzeugend darauf hingewiesen, dass dirigistische Schutzzollpolitik die materielle Wohlfahrt der internationalen Handel betreibenden Volkswirtschaften beeinträchtige und zwar nicht nur für die Länder, gegen die sich die Importzölle richten, sondern auf lange Sicht auch für die den Importzoll erhebenden Länder. Die einseitige Erhebung von Importzöllen verbessert zwar kurzfristig die terms of Trade für das zollerhebende Land, der Umfang des produktivitätssteigernden Außenhandelsvolumens sinkt jedoch. Langfristig werden sich die negativ betroffenen Regierungen wehren und ihrerseits Zölle erheben; es kommt zum Zollkrieg, die terms of Trade kehren zu ihrer Ausgangslage zurück, die Reduzierung des Außenhandelsvolumens steigt erneut und mit ihr verringert sich die materielle Wohlfahrt aller am Außenhandel beteiligten Länder.
Obwohl im Rahmen der Havanna-Charta der Versuch unternommen wurde, einen freien internationalen Handel einzuführen, blieb es jedoch lange Zeit bei einer Vielzahl dirigistischer Behinderungen des Außenhandels und erst seit den 80 er Jahren waren die Politiker – zunächst innerhalb Europas, später auch weltweit – bereit, einen Großteil der dirigistischen Eingriffe in den internationalen Handel abzubauen. Obwohl also schon sehr lange die Idee eines die Wohlfahrt steigernden Freihandels entwickelt worden war, waren die Politiker trotzdem noch nicht bereit, diese Ideen in die Tat umzusetzen, erst aufgrund ganz bestimmter objektiver Entwicklungen war die Zeit dann seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts für die Einführung eines Freihandels reif.
Es bedarf also ganz bestimmter objektiver Entwicklungen, damit neue Ideen auch in die Tat umgesetzt werden können. Es reicht nicht aus, dass herausragende Persönlichkeiten neue Gedankengänge entwickeln. Andererseits mag die Zeit für einen Umbruch noch so reif sein, wenn es an Persönlichkeiten mangelt, die über Ideen darüber verfügen, auf welche Weise bestimmte Schwierigkeiten überwunden werden können und die auch bereit sind, diese Ideen unter persönlichem Einsatz – auch gegen größte Widerstände – zu verwirklichen, wird es trotzdem nicht zu der erwünschten Lösung kommen.
Nehmen wir nochmals das Beispiel des Zusammenbruchs der Sowjetunion; dieser war schon lange vorausgesagt, wiederholt war darauf hingewiesen worden, dass das kommunistische System eigentlich schon lange hätte zusammenbrechen müssen; es war die Öffnung des sowjetischen Systems sowohl nach außen wie nach innen, welche Gorbatschow eingeleitet hatte, welche dann tatsächlich zu dem Zusammenbruch geführt hatte.
Dieses Zusammenspiel zwischen persönlichen Entscheidungen und objektiven Voraussetzungen lässt sich auch im Rahmen des Streits um die Frage feststellen, ob der Mensch die Freiheit zur Entscheidung habe oder ob jegliches Handeln das Ergebnis eines deterministischen Prozesses darstellt. Richtig ist, dass menschliches Handeln stets mehr oder weniger dadurch eingeengt ist, dass aufgrund objektiver Umstände immer nur einige wenige Alternativen überhaupt ergriffen werden können und dass nicht jede beliebige Wunschvorstellung verwirklicht werden kann.
Genauso richtig ist es jedoch auch, dass in der Mehrzahl der Fälle sehr wohl der einzuschlagende Weg nicht eindeutig vorgezeichnet ist, dass auch anders hätte gehandelt werden können. Dies gilt auch dann, wenn wir eine Entscheidung eines Individuums auf ganz bestimmte objektive Gegebenheiten – z. B. auf charakterliche Eigenschaften dieser Person – zurückführen können und deshalb im Nachhinein die Entscheidung als deterministisch vorgegeben erscheint; eine andere gegenteilige Entscheidung hätte vermutlich genauso einleuchtend auf andere charakterliche Eigenschaften dieser Person zurückgeführt werden können, da die Persönlichkeit eines Individuums im allgemeinen recht unterschiedliche und sich im Einzelnen durchaus widersprechende Eigenschaften aufweisen kann.
Die Frage nach dem Einfluss von Ideen und Persönlichkeiten wurde zunächst ganz allgemein auf jegliche historische Entwicklung bezogen. Diese Überlegungen gelten jedoch insbesondere auch für die Einführung und Entwicklung von Ordnungssystemen. Sicherlich lässt sich die Einführung einer liberalen Gesellschaft am Ausklang des Merkantilismus Ende des 18. Jahrhunderts nicht ohne die Beiträge von Adam Smith, Jeremy Bentham und John Locke verstehen. Aber auch hier zeigen sich Unterschiede in den einzelnen Ländern. Vergleichen wir hierzu die Einführung des Liberalismus in England und in Frankreich. Beide Länder hatten eine merkantilistische Wirtschaftsverfassung, in beiden Ländern wurde der Merkantilismus durch Einführung liberaler Wirtschaftsformen überwunden.
Trotz dieser Gemeinsamkeiten ergaben sich beachtliche Unterschiede zwischen beiden Ländern, welche damit erklärt werden können, dass auf der einen Seite die merkantile Ausgangsform in Frankreich sehr viel ausgeprägter verlief als in England, auf der anderen Seite die geistige Auseinandersetzung mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten von anderen Ideen und Persönlichkeiten geführt wurde. In England ging die Renaissance der Wirtschaft von der Idee der Freihandelsbewegung aus und es waren vor allem Anleihen aus der Physik, welche zur Erklärung des Wirtschaftsprozesses herangezogen wurden, während in Frankreich Quesnay eher den Wirtschaftskreislauf mit biologischen Zusammenhängen zu erklären versuchte.
Ähnliche Unterschiede lassen sich auch in der Entwicklung klassischer und liberaler Gedankengänge feststellen. Wir haben auf der einen Seite eine im Wesentlichen auf den deutschen Sprachraum beschränkte Entstehung des Ordo - Gedankens Walter Euckens, der sich aus der Kritik am Nationalsozialismus, aber auch an den interventionistischen Eingriffen während der Weimarer Republik herausbildete, während in den angelsächsischen Staaten der Neoliberalismus von Haberler, Pigou und Friedman vor allem aus der Kritik am Keynesianismus entstanden ist und deshalb vor allem den Bereich der Konjunkturpolitik zum Gegenstand hatte.
Bei unseren bisherigen Überlegungen wurde der Wandel in den Ordnungssystemen einerseits damit erklärt, dass die einzelnen Ordnungsformen unterschiedliche Merkmale aufweisen oder damit dass unterschiedliche Entwicklungen der Wirtschaftsordnungen in den einzelnen Ländern darauf zurückgeführt werden können, dass eine unterschiedliche Interaktion mit den politischen Ordnungsformen stattfand. Bisweilen begegnet uns die Vorstellung, dass Ordnungen ähnlich wie Lebewesen eine biographische Entwicklung durchlaufen: Sie haben eine Geburtsstunde, sie haben in den ersten Jahren nach ihrer Entstehung mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen, zeigen jedoch nach Überwindung dieser Anfangsschwierigkeiten die Fähigkeit, sich an die stets wandelnde Umwelt anzupassen; als reifere Volkswirtschaften stellen sich fast unüberbrückbare Schwierigkeiten ein, sie verlieren ihre Anpassungsfähigkeit, sie beginnen wie die älteren Menschen an Sklerose zu leiden, an der sie dann auch eines Tages zugrunde gehen.
Diese Thesen von einer Sklerose reifer Volkswirtschaften wurde in der Literatur vor allem von Mancur Olson vertreten. Die älteren Industriegesellschaften seien nicht mehr in der Lage, sich an die Veränderungen der Umwelt anzupassen und würden an dieser zu geringen Flexibilität schließlich zugrunde gehen. Natürlich ist es richtig, dass im historischen Ablauf fast keine Wirtschaftsordnung über Jahrhunderte hinweg Bestand hatte, die im Altertum und im Mittelalter entstandenen Wirtschaftsordnungen sind alle mit der Entstehung der Neuzeit untergegangen. Allerdings zeigt eine nähere Betrachtung auch, dass es oftmals eben nicht endogene, sondern von außen aufgezwungene Prozesse waren, welche den Zerfall vergangener Wirtschaftssysteme herbeiführten.
Fragen wir uns aber trotzdem, aufgrund welcher einzelner Prozesse Wirtschaftsordnungen in der Vergangenheit zugrunde gingen. Wir hatten im zweiten Abschnitt dieses Artikel bereits aufgezeigt, dass die Stabilität eines Systems vor allem von drei Faktoren bestimmt wird: von der Preisflexibilität, welche angibt, wie schnell und wie stark Datenänderungen und die sie auslösenden Ungleichgewichte Preisänderungen hervorrufen, weiterhin von der Preiselastizität von Angebot und Nachfrage, also von der Frage, wie schnell, in welchem Umfang und in welche Richtung Angebot und Nachfrage auf Preisvariationen regieren; schließlich von der Frage, wie häufig Datenänderungen eintreten und wie sich diese Datenänderungen auf die Gleichgewichtslage auswirken. Atomisierte Datenänderungen verursachen in weit geringerem Maße Marktungleichgewichte als Datenänderungen, welche von den Regierungen per Gesetz verordnet werden.
Nun gibt es verschiedene Faktoren, welche eine Reduzierung der Stabilität bei zunehmender Wohlfahrt verursacht haben. Man muss davon ausgehen, dass Anpassungsprozesse an Datenänderungen im Allgemeinen als unangenehm und lästig angesehen werden. Es nimmt deshalb kein Wunder, dass die Individuen bestrebt sind, mit wachsender Wohlfahrt die Zeiten, in welcher Anpassungen zu erfolgen haben, ausweiten. Die Preisanpassung erfolgt dann nur noch in gewissen Abständen, so werden etwa tarifliche Lohnerhöhungen nur noch nach Auslaufen eines Tarifvertrages beschlossen, wobei die Vertragsdauer in der Regel ein bis zwei Jahre dauert. Die Planungssicherheit sowohl der Arbeitnehmer wie Arbeitgeber erhöht sich zwar hierdurch, aber die Zeit, welche verstreicht, bis ein Ungleichgewicht abgebaut ist, wird länger und mit ihr natürlich auch die Wohlfahrtsverluste, welche dadurch eintreten, dass die Preisrelationen längere Zeit nicht mehr den Knappheitsverhältnissen entsprechen.
Zwar kann dieser Tendenz dadurch entgegengewirkt werden, dass innerhalb der Tarifvertragsdauer eine Marktkorrektur durch Erhöhung oder Verringerung übertariflicher Lohnzuschläge erfolgt; aber die Praxis der Arbeitsgerichte hat den Anpassungsprozess wiederum vermindert, in dem die Gerichte dann einen Rechtsanspruch auf Weiterzahlung von übertariflichen Lohnzuschlägen bejaht haben, wenn diese Lohnzuschläge schon längere Zeit gezahlt worden seien. Die Unternehmungen können in diesen Fällen diese Lohnzuschläge nur noch dann bei Bedarf reduzieren, wenn sie bei der Einführung dieser Zuschläge eigens darauf hingewiesen haben, dass diese nicht auf Dauer gezahlt werden können.
Auch die Anpassungszeiten der Mengenreaktionen auf Preisvariationen wurden im Zuge der Ausweitung der Kündigungsfristen erhöht und damit erneut die Zeit der Marktanpassung an die Datenänderungen verlängert. Gerade durch diese Tendenzen besteht die Gefahr, dass Unternehmungen, welche in Absatzkrisen geraten, nicht mehr in der Lage sind oder zumindest größere Schwierigkeiten haben, sich auf Marktänderungen anzupassen, z. B. dadurch, dass sie die Produktion auf andere Produkte umstellen, was natürlich auch eine Entlassung bestimmter Arbeitskräfte nach sich ziehen kann.
Es besteht hier auch die Gefahr, dass der konjunkturelle Aufschwung hinausgezögert wird, da die Unternehmungen Neueinstellungen erst dann vornehmen werden, wen sie sicher sein können, dass die Zunahme von Aufträgen eine langfristige Erholung signalisiert. Kündigungsschutz ist berechtigt und notwendig, wenn es darum geht, Arbeitnehmer willkürlich zu entlassen, nicht aber dann, wenn nur durch Entlassungen eine Anpassung an die Datenänderungen möglich ist.
Eine Verschlechterung des Anpassungsprozesses wird mit zunehmendem Wachstum aber auch durch die Art des technischen Fortschrittes ausgelöst. Technischer Fortschritt ist in vielen Fällen damit verbunden, dass – wie bereits gezeigt – zu immer größeren und kapitalintensiveren Produktionsanlagen übergegangen wird und dass im Zuge dieser technischen Änderungen der Anteil der Fixkosten an den gesamten Kosten einer Unternehmung ansteigt. Fixkosten zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Höhe von der Ausbringungsmenge unabhängig ist, sodass die Stückkosten mit wachsender Produktionsmenge zurückgehen. Die Stückkosten einer Produktionsanlage im Werte von 10000 € betragen, wenn nur eine Produktionseinheit produziert würde, ebenfalls 10000 €, sie fallen jedoch bei einer Produktionsmenge von 10000 auf 1 €.
Ist nun der Anteil der Fixkosten an den Gesamtkosten sehr hoch, steigen nicht nur die fixen, sondern auch die gesamten Stückkosten bei einem Rückgang der Produktion, mit der Folge, dass die Unternehmungen bestrebt sind, die Güterpreise bei einem Absatzrückgang zu erhöhen. Ein Abbau des Angebotsüberhanges könnte jedoch nur dann erwartet werden, wenn die Preise bei Absatzrückgang fallen und nicht steigen würden.
Nun hat bereits Erich Schneider darauf aufmerksam gemacht, dass der Mechanisierungsprozess, also die Erhöhung des Anteils der Kapitalkosten nicht unbedingt bedeuten muss, dass die Fixkosten ansteigen. Es liegt immer an der Entscheidung einer Unternehmung, ob sie bestimmte Kostenarten als fixe oder als variable Kosten einplant. Würde eine Unternehmung z. B. eine Produktionsanlage anmieten und im Mietvertrag die Miethöhe davon abhängig sein lassen, wie viel Produkte mit dieser Anlage produziert werden, hätten diese Kapitalkosten die Eigenschaft variabler Kosten. Es müssen sich aber in diesem Falle Anbieter von Produktionsanlagen finden, welche bereit sind, dieses hierdurch entstehende Risiko (, dass die Mieteinnahmen von der Höhe der Produktion abhängen,) auf sich zu nehmen.
Die Oligopoltheorie hat auf eine weitere Ursache für eine Verzögerung des Anpassungsprozesses hingewiesen. Unter den Bedingungen oligopolistischer Konkurrenz müsse sehr oft damit gerechnet werden, dass der Preis nach unten unflexibel ist; erklärt wird diese Tatsache damit, dass die Preis-Absatz-Funktion einen Knick aufweist, wenn Oligopolisten damit rechnen, dass ihre Konkurrenten zwar Preissenkungen, nicht aber Preiserhöhungen bei ihren eigenen Produkten übernehmen. Ein Knick in der Preis-Absatzfunktion bewirkt jedoch, dass die hiervon abgeleitete Grenzumsatzfunktion (die erste Ableitung der Preis-Absatz-Funktion) an der Stelle des Knicks einen Sprung aufweist.
Kommt es nun zu einer Verringerung der Kosten durch Absenkung der Angebots- (Grenzkosten-)kurve, so führt dies zunächst zu keiner Mengenanpassung, da aufgrund des Knicks der Nachfragekurve der Schnittpunkt nach wie vor bei der bisherigen Ausbringungsmenge liegt:
Was hat jedoch nun dieses Verhalten der Oligopolisten mit dem Wachstumsprozess zu tun? Wir können davon ausgehen, dass der Mechanisierungsprozess nicht nur zu einer Erhöhung der Fixkosten, sondern gleichzeitig auch oftmals zu einer Verringerung in der Anzahl der konkurrierenden Unternehmungen führt: Die Marktform der vollständigen Konkurrenz wird zugunsten oligopolistischer Marktstrukturen verlassen. Vorausgesetzt wird hier stillschweigend, dass die Ausweitung der Gesamtproduktion geringer ausfällt als die Ausweitung der Produktionskapazität einer einzelnen Unternehmung.
Allerdings kann dieser Prozess dadurch wiederum verhindert oder zumindest verlangsamt werden, dass im Zuge des Wirtschaftswachstums der internationale Handel ansteigt und mit ihm die Zahl der konkurrierenden Unternehmungen. Die Zahl der inländischen Unternehmungen geht dann zwar zurück, die inländischen Unternehmungen konkurrieren jedoch nun vermehrt mit ausländischen Unternehmungen mit der Folge, dass die Zahl der insgesamt konkurrierenden Unternehmungen aufgrund dieser Wachstumsprozesse keinesfalls zurückgehen muss.
Übrigens dürften auch monopolistische Marktstrukturen dazu beitragen, dass die Preise im Zeitablauf möglichst konstant gehalten werden. Die Monopolisten versuchen beim Käufer eine Verknüpfung zwischen Preiskonstanz und Konstanz der Qualität herzustellen. Der konstant bleibende Preis soll als Indiz für gleichbleibende Qualität gelten.
Auch der Umfang der nicht atomisierten Datenänderungen dürfte im Zuge des Wachstums angestiegen sein. Wir haben oben darauf hingewiesen, dass die Stabilität eines Ordnungssystems nicht nur davon abhängt, in welchem Maße auf Datenänderungen reagiert wird, sondern dass auch der Umfang der Datenänderungen die Stabilität gefährden kann, vor allem dann, wenn vorwiegend nicht atomisierte Datenänderungen zu erwarten sind. Je mehr Datenänderungen eintreten, welche zum selben Zeitpunkt auftreten und in die gleiche Richtung weisen, umso größer sind die hierdurch verursachen Ungleichgewichte und umso länger wird der Abbau der Ungleichgewichte dauern.
Der Wachstumsprozess und der mit ihm einhergehende Anstieg in der durchschnittlichen Unternehmungsgröße hat nun auch die Entstehung von Verbänden begünstigt, welche den Versuch unternehmen, durch lobbyistische Aktivitäten auf die Politik Einfluss zu nehmen. Es werden Subventionen gefordert, welche die Anpassung der Preisrelationen an die veränderten Knappheitsverhältnisse erschweren mit der Folge, dass die realen Anpassungsprozesse immer weniger geeignet sind, Ungleichgewichte abzubauen.
Im Rahmen des Abschnitts über die Interdependenzproblematik haben wir gesehen, dass die einzelnen Subsysteme unseres Gesellschaftssystems in Beziehung zueinander stehen. Es gibt jedoch nicht nur Beziehungen der einzelnen Subsysteme zueinander, sondern auch Zusammenhänge zwischen den Ordnungssystemen der einzelnen Staaten zueinander. Mit dieser Problematik soll sich dieser Abschnitt nun befassen.
Die hier zu behandelnde Konvergenzthese ist entstanden aus den wechselseitigen Beziehungen der westlichen und kommunistischen Staaten. Nach dieser These führen die Wechselbeziehungen beider Staaten zueinander zu einer systematischen Annäherung. Jedes System übernimmt gewisse Eigenschaften des jeweils anderen Systems. Denkt man diesen Zusammenhang zu Ende, so müssten schließlich beide Systeme sich einander gleichen.
Rein äußerlich scheinen die Tatsachen diese These zu bestätigen. In der Tat sind die marktwirtschaftlichen Systeme zunächst als reine Laisser faire – Volkswirtschaften entstanden, in dem alle wesentlichen wirtschaftlichen Aufgaben dem Markt überlassen wurden. Mit der Zeit entstand jedoch das Bedürfnis, vor allem aufgrund der teilweise verheerenden sozialen Zuständen zu Beginn der Industrialisierung durch sozialpolitische und später auch konjunkturpolitische Maßnahmen die marktwirtschaftlichen Systeme menschlicher zu gestalten.
Man erkannte, dass der Markt bei der Verteilung der Einkommen nur das Leistungsprinzip berücksichtigen kann und dass deshalb dem Bedarfsprinzip nur durch staatliche Systeme entsprochen werden kann. Vor allem ein Familienlastenausgleich und ein befriedigender Schutz vor den sozialen Risiken der Krankheit, des Unfalls, des Alters und der Arbeitslosigkeit lassen sich marktwirtschaftlich allein kaum befriedigend lösen. Insoweit als gerade die kommunistischen Staaten insgesamt mehr Vorkehrungen für soziale Belange trafen, näherten sich in der Tat die westlichen Volkswirtschaften den kommunistischen Staaten mit der Zeit an.
Umgekehrt kann man auch feststellen, dass die kommunistischen Länder, welche in einem ersten Schritt den Vorstellungen einer reinen Zentralverwaltungswirtschaft entsprachen, mit der Zeit – vor allem unter Chruschtschow und später unter Gorbatschow – eine Annäherung an die marktwirtschaftlichen Systemen vollzogen haben. So wurde unter Chruschtschow unter dem Stichwort des Konsumkommunismus eine gewisse begrenzte Konsumfreiheit eingeführt und unter Gorbatschow eine starke Dezentralisierung der Planung vollzogen.
Betrachtet man allerdings die Beziehungen zwischen den westlichen und kommunistischen Volkswirtschaften etwas genauer, so stellt man fest, dass auf keinen Fall eine geradlinige Annäherung beider Staatensysteme stattfand. Natürlich ist es richtig, dass der Westen einige politische Lösungen der kommunistischen Staaten übernahm genauso, wie die kommunistischen Staaten bereit waren, gewisse Merkmale marktwirtschaftlicher Systeme zu übernehmen.
Es war aber keinesfalls eine immer größer werdende, kontinuierliche Annäherung; vielmehr wechselten sich Perioden der Annäherung mit anderen Perioden ab, in dem sich die Staaten stärker um eine gegenseitige Abgrenzung bemüht haben. Der Kommunismus in Russland begann mit einer Verstaatlichung und Zentralisierung beinahe der gesamten Produktion und Verteilung, mit einem Abgabezwang für Lebensmittel, einem Verbot des privaten Handels. In Folge dieser radikalen Umstruktuierung der Volkswirtschaft war es zu einem gravierenden Rückgang in der Produktion und zu drastischen Versorgungsengpässen bis hin zu einer schweren Hungersnot gekommen. Die Bevölkerung reagierte hierauf mit Streiks und Unruhen. Im März 1921 setzte sich Lenin auf dem X. Parteitag der KPR(B) mit seinem Konzept der Neuen Ökonomischen Politik (NEP), einer vorübergehenden Liberalisierung der Wirtschaft, durch, welche einen Aufschwung vor allem der Agrarproduktion brachte.
Im Jahre 1927/28 hatte sich die Wirtschaft
Russlands so weit erholt, dass Stalin die liberale Übergangsperiode der Neuen
Ökonomischen Politik Lenins für beendet erklären und die Planwirtschaft
einführen konnte. Mit dem ersten Fünfjahresplan (1928-1932) wurde die
Industrialisierung, vor allem durch Ausbau der Schwerindustrie, eingeleitet und
durch Liquidierung der Kulaken die Landwirtschaft durch Bildung von Kolchosen
und Sowchosen kollektiviert. Nachdem die Produktion von Konsumgütern lange Zeit
vernachlässigt worden war, leitete Chruschtschow eine Wende ein, in dem er vor
allem eine Steigerung der Konsumgüterproduktion in Aussicht stellte.
Kommunistische Wirtschaftswissenschaftler plädierten dafür, Elemente des Kapitalismus in die kommunistische Wirtschaftsordnung einzubringen, um auf diese Weise die Produktion zu steigern. Das Profitdenkens sollte als Anreiz zur Steigerung der Effektivität in den Betrieben anerkannt werden. Vor allem Kossygin und Breschnew standen diesen Gedankengängen wohlwollend gegenüber. So wurde zwar das Prinzip der zentralistischen Wirtschaftsplanung im Prinzip beibehalten, mit Hilfe einer Betriebskalkulation, einer Bedarfsproduktion und Lohnanreizen wurden jedoch einige Elemente des Kapitalismus eingeführt.
Schließlich brach in den 90 er Jahren des letzten Jahrhunderts der Kommunismus zusammen, was sicherlich der Konvergenzthese widerspricht. Entsprechend den Vorstellungen der Konvergenzthese hätte ja der Kommunismus dadurch, dass er sich den marktwirtschaftlichen System angenähert hat, auch an Stabilität gewinnen müssen.
Auch innerhalb der westlichen Staaten zeichnete sich keinesfalls eine geradlinige Annäherung an planwirtschaftliche Elemente ab. Vielmehr brachte es bereits der Umstand, dass in Demokratien Parteien abgewählt werden können, mit sich, dass bald mehr marktwirtschaftliche Elemente, bald mehr planwirtschaftliche Methoden eingeführt wurden. Erlangen bei den Wahlen die konservativen und liberalen Parteien die Oberhand, wurden marktwirtschaftliche Elemente gestärkt, kam es jedoch zum Sieg der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien, so näherten sich die Volkswirtschaften wiederum einer staatlichen Planwirtschaft an.
Fragen
wir uns nun danach, welche Kräfte darüber entscheiden, ob eine Konvergenz der
Systeme stattfand oder auch ausblieb. Angewandt auf die Beziehungen zwischen
den westlichen und kommunistischen Systemen der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg
waren es vor allem zwei Faktoren, welche eine gewisse Konvergenz erwarten
ließen.
Auf
der einen Seite hing die Verteidigungsbereitschaft der beiden Weltmächte entscheidend
von dem Verhältnis des wirtschaftlichen Wachstumsniveaus ab. Der eine Block
konnte sich nur dann als sicher vor Übergriffen der feindlichen Macht fühlen,
wenn seine Verteidigungsanlagen in etwa der des Feindes entsprachen. Das war
aber nur möglich bei etwa gleichem Wohlstandsniveau des Gegners. Ist das
Wachstumsniveau einer Volkswirtschaft wesentlich geringer als das des jeweils
anderen Blocks, so gerät dieser Staat ins Hintertreffen: Der materielle Wert
der Verteidigungsanlagen ist geringer, wenn beide Blöcke etwa den gleichen
Prozentsatz des Inlandsproduktes für Verteidigungszwecke verausgaben. Also
müsste der Staatenblock mit dem geringeren Wachstumsniveau einen größeren
Prozentsatz des Inlandsproduktes für Verteidigungszwecke reservieren, um
überhaupt vor Angriffen des Gegners sicher zu sein.
Aber
gerade hierin liegt ein zweites Problem. Die Ideologien beider Machtblöcke
nahmen für sich in Anspruch, den ‚wahren’ Bedürfnissen der Bevölkerung besser
zu entsprechen. Nun kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die
Marktwirtschaft im Hinblick auf das Ziel der Maximierung der materiellen
Wohlfahrt das effizientere System darstellt. Wenn der Kommunismus als
wirtschaftlich schwächeres System ohnehin einen geringeren Prozentsatz des
Inlandsproduktes für die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung ausgeben muss, steht
das kommunistische System unter starkem Druck, die effizienteren
Produktionsmethoden einer marktwirtschaftlich gesteuerten Volkswirtschaft zu
übernehmen.
Wie
kommt es aber dann, dass vor allem in der Entwicklung der kommunistischen Staaten
der Annäherungsprozess trotzdem immer wieder gestoppt wurde? Nun setzt der
Zwang zur Übernahme der effizienteren Methoden des Marktes offensichtlich
voraus, dass die Bevölkerung in den kommunistischen Staaten auch von dem
Wohlstand in den westlichen Staaten erfährt. Diese Voraussetzung war aber lange
Zeit gar nicht gegeben. Die kommunistischen Machthaber schotteten die
einheimische Bevölkerung vor ausländischen Einflüssen weitgehend ab.
Die
Bevölkerung durfte nicht ins Ausland reisen und der Versuch, sich Informationen
über die Verhältnisse im Ausland durch Presse und Rundfunk zu besorgen, wurden
unter Strafe gestellt. Auf diese Weise konnten die kommunistischen Staaten
lange Zeit verhindern, dass die einheimische Bevölkerung ihren Konsumstandard
mit dem der Ausländer vergleichen konnten und auf diese Weise konnte damit auch
das Streben nach mehr Konsumfreiheit unterdrückt werden. Aus diesen Gründen
waren die kommunistischen Machthaber lange Zeit auch nicht bereit, einen
größeren internationalen Handel zuzulassen, da jede Öffnung der Handelsgrenzen
notwendiger Weise mit sich bringt, dass die einheimische Bevölkerung
Informationen über die Verhältnisse im Ausland erhält.
Diese
Möglichkeiten der Abschottung sind allerdings im Zuge der modernen Nachrichtentechnik
immer mehr zurückgegangen. Das Lesen von ausländischen Zeitungen ließ sich noch
relativ leicht dadurch unterbinden, dass man den Import von Zeitungen nicht
zuließ. Das Abhören von Nachrichten aus ausländischen Rundfunkstationen war
schon etwas schwieriger, da Radiowellen keine Grenzen kennen und das Abhören
von ausländischen Sendern zwar verboten werden konnte und durch Einsatz von
Störsendern etwas erschwert werden konnte, aber einfach deshalb nicht gänzlich
unterbunden werden konnte, da die Einhaltung dieses Verbotes kaum kontrolliert
werden konnte.
Noch
schwieriger gestalten sich die Kontrollmöglichkeiten gegenüber Fernsehen und
vor allem dem Internet. Worte aus ausländischen Sendern können als falsch und
demagogisch hingestellt werden, während Bilder aus dem Fernsehen für sich
sprechen und die Zustände im Aus- und Inland so darstellen, dass sie durch
Gegenpropaganda kaum widerlegt werden können.
Bei
unseren bisherigen Überlegungen bezogen wir die These von der Konvergenz ordnungspolitischer
Systeme stets auf das Verhältnis inländischer zu ausländischer Staaten. Man
spricht allerdings auch davon, dass innerhalb einer politischen Ordnung die mit
einander konkurrierenden Parteien die Tendenz aufweisen, sich einander
anzunähern.
Auch
in diesem Zusammenhang können wir historisch feststellen, dass die Parteien zu
Beginn demokratischer Ordnungen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ansprachen
und sich deshalb entscheidend voneinander unterschieden. Wir kennen konservative
und liberale Parteien, welche traditionell die Interessen der Unternehmer und
der bürgerlichen Führungskräfte vertreten haben, und diese Parteien haben sich
deutlich abgehoben von den sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien,
welche das Interesse der Arbeitnehmer in den Mittelpunkt ihrer Ziele stellen.
Nun
zwingt der Wettbewerb der Parteien diese dazu, in den Wahlen die Mehrheit zu erringen,
nur dann werden sie mit der Regierungsbildung beauftragt; in der Regel ist aber
keine Bevölkerungsgruppe so groß, dass sich eine Partei nur auf ihre
Stammwähler und auf eine eng begrenzte Bevölkerungsgruppe stützen kann. Der
demokratische Wettkampf in den Wahlen zwingt somit die Parteien, möglichst
viele Bevölkerungsgruppen anzusprechen und das wiederum führt zwangsweise dazu,
dass sich die einzelnen Parteien in ihren Leitvorstellungen immer mehr
annähern.
Im
Rahmen der ökonomischen Theorie der Demokratie wurde deshalb auch die These
entwickelt, dass der Wettbewerb der Parteien schließlich dazu führt, dass alle
Parteien den gleichen Kompromiss zwischen den Interessen der einzelnen
Bevölkerungsgruppen ansteuern. Die Zielvorstellungen der Wähler und die
Verteilung der Bevölkerung auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen legen ein ganz
bestimmtes Bündel an politischen Maßnahmen fest, das zur Erlangung der Mehrheit
bei den Wahlen notwendig ist; legt man rationales Verhalten der Politiker
zugrunde und unterstellt man, dass ein effektiver Wettbewerb zwischen den
Parteien besteht, so müsste entsprechend dieser Theorie jede Partei das gleiche
Bündel an politischen Maßnahmen in Aussicht stellen.
Diese
Schlussfolgerung bedarf allerdings gewisser Einschränkungen. Als erstes gilt es
festzustellen, dass dieser Annäherungsprozess eher bei einem Mehrheitswahlrecht
als bei einem Proporzwahlrecht Gültigkeit hat. Bei einem Mehrheitswahlrecht,
wie es vor allem in den angelsächsischen Staaten verwirklicht ist, erlangt eine
Partei in einem Wahlbezirk nur dann einen Sitz im Parlament, wenn sie die
absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erlangt; dieses Ziel können nur große
Parteien verwirklichen, welche die meisten Bevölkerungsgruppen ansprechen. Das
Mehrheitswahlrecht kennt deshalb auch nur den Wettbewerb zwischen zwei großen
Parteien, die eine Partei geht als Sieger aus den Wahlen hervor und stellt die
Regierung, die andere Partei unterliegt und bildet im Parlament die Opposition.
Bei
einem Proporzwahlsystem entspricht die Zusammensetzung im Parlament im allgemeinen
der Aufteilung der Wähler auf die einzelnen Parteien. Hier tritt in der Regel
eine Vielzahl kleinerer Parteien zur Wahl. Die einzelnen Parteien können es
sich leisten, eine kleine Interessengruppe zu vertreten, ohne dass hierdurch
ihre Chancen, an der Regierung teilzunehmen, verringert werden. Der Zwang sich den
Vorstellungen der anderen Parteien anzunähern, entfällt hier weitgehend. Keine
Partei erreicht hier die Mehrheit, es sind deshalb Koalitionsregierungen
notwendig. Die Regierungsfähigkeit wird hier weniger daran gemessen, ob die
Mehrheit der Wähler hinter dieser Partei steht, sondern daran, inwieweit
zwischen den Regierungsparteien gemeinsame Zielvorstellungen bestehen, welche
eine Regierungsarbeit möglich machen.
Aber
auch in einem Mehrheitswahlsystem wird der Annäherungsprozess immer wieder
unterbrochen. Eine Opposition hat nur dann Aussicht, bei der nächsten Wahl die
Mehrheit zu erlangen, wenn sie nachweisen kann, dass sie die politischen
Geschäfte besser führen kann als die derzeitige Regierung. Es scheint
notwendig, sich von der gegnerischen Partei deutlich abzugrenzen.