Macht, Machtmissbrauch und Machtkontrolle
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Gliederung:
0. Die Entstehung von Macht
1. Das Machtmonopol des Staates
2. Gewaltenteilung u. die Bedeutung der Opposition
3. Vollständige Konkurrenz und countervailing
powers
4. Die Glaubensfreiheit
5. Die Pressefreiheit
6. Streik und Aussperrung
7. Die Macht im Betrieb
8. Die Macht in der Familie
9. Informelle Macht
2. Gewaltenteilung u. die Bedeutung der Opposition
Zu den wichtigsten Prinzipien zur Sicherstellung der Zielsetzungen einer
repräsentativen Demokratie gehört das von Charles Montesqieu und John Locke im
18. Jahrhundert entwickelte Prinzip der Gewaltenteilung.
Dieser Grundsatz gilt für jeden Rechtsstaat. In einer Demokratie geht nun
dieses Machtmonopol vom Volke aus, in einer repräsentativen Demokratie sind es
die vom Volk gewählten Politiker und die im Namen des Volkes eingeführten
Einrichtungen, welche allein Macht austeilen und ausüben dürfen.
Das große, niemals hier auf Erden restlos befriedigend zu lösende Problem
besteht hierbei darin, dass – wie bereits gezeigt – jedes Machtmonopol eine
enorme Zusammenballung von Macht in wenigen Händen bedeutet und dass genauso
wie es keine Gemeinschaft gibt, in der jeder von selbst darauf verzichtet,
seinem Nächsten zu schaden, gerade auch diejenigen, welche nun im Auftrag des
Staates Macht ausüben dürfen, nicht vor Missbrauch zurückschrecken.
Wenn wir etwas aus der Geschichte der Menschheit gelernt haben, dann ist es
die Erkenntnis, dass Macht korrumpiert und zum Machtmissbrauch verleitet und
diese traurige Erkenntnis gilt um so mehr, je größer die einzelnen Menschen
übertragene Macht ist. Auch derjenige, der Machtausübung kontrollieren soll,
ist nicht davor gefeit, die ihm übertragene Macht zu missbrauchen.
Diese Erkenntnis gilt für alle Zeiten der Geschichte und für alle Bereiche
zwischenmenschlichen Lebens. Es gilt für das Altertum, für das Mittelalter sowie
für die Neuzeit und Moderne. Schwerer Machtmissbrauch wurde im wirtschaftlichen
Bereich bei Konzernen festgestellt, welche ihre Monopolmacht missbrauchten.
Auch die politische Macht wurde immer wieder von Politikern, nicht nur von
Diktatoren, missbräuchlich eingesetzt. Schließlich waren selbst die Religionsgemeinschaften,
von denen man ja am ehesten unterstellen sollte, dass sie jeden Missbrauch zu
vermeiden versuchen, von diesen Gefahren nicht verschont. Das Sündenregister
einiger Päpste ist genauso lang wie das korrupter und machtbesessener
Politiker.
Entscheidend ist, dass jeder, der Macht erlangt hat, aus Eigeninteresse
bestrebt ist, diese Macht zu erhalten und der beste Weg der Machterhaltung
besteht nun einmal darin, diese Macht – wo immer nur möglich – zu mehren.
Montesqieu und Locke meinten nun, ein wirksames Mittel zur Machtbegrenzung
und zur Verhinderung von Machtmissbrauch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung
gefunden zu haben. Die Gesamtmacht des Staates wird in drei Bereiche getrennt:
in die Legislative, in die Exekutive sowie in die Jurisdiktion.
Der Legislative (dem Parlament) ist es aufgetragen, in Form von Gesetzen
die Regeln zu bestimmen, nach denen das zwischenmenschliche Leben ablaufen
soll. Der Exekutive (der Regierung und der ihr unterstellten Ministerien) fällt
die Aufgabe zu, einerseits diese Gesetze vorzubereiten – es ist die Regierung,
welche die meisten Gesetzesvorlagen in das Parlament einbringt –, andererseits
die vom Parlament beschlossenen Gesetze auszuführen. Der Jurisdiktion (Polizei,
Staatsanwaltschaft und Gerichte) schließlich obliegt es, Verstöße gegen die
Gesetze zu verfolgen und Strafen auszusprechen.
Wichtig ist nun in diesem Zusammenhang, dass keine dieser drei Gewalten
einer anderen Gewalt unterstellt ist. Der Exe-kutive ist es nicht erlaubt, die
Gesetzgebung so zu beeinflussen, dass Regeln erlassen werden, welche die
Mitglieder der Exekutive begünstigen, die Exekutive darf die Mitglieder des
Parlaments nicht unter Druck setzen. Die einzelnen Abgeordneten sind nur ihrem
Gewissen verantwortlich. Die Exekutive darf auch die Rechtsprechung nicht unter
Druck setzen und ihr unangenehme Strafverfolgungen unterbinden.
Es leuchtet ohne weiteres ein, dass derjenige, der eventuell bestraft
werden soll, das Verhalten eben der Personen nicht beeinflussen darf, welche
darüber zu befinden haben, ob und gegebenenfalls welche Strafe verhängt werden
soll. Jeglicher Einfluss der Exekutive auf die Jurisdiktion käme einem Vorgehen
gleich, bei dem der Bock zum Gärtner gemacht wird.
Gleichermaßen ist es jedoch auch der Legislative weder erlaubt, Gesetze zu
erlassen, welche einseitig die Rechte der Abgeordneten stärken. Für jedes
Gesetz gilt, dass es für alle Angehörigen einer Volksgemeinschaft gleichermaßen
gilt, vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich. Noch ist es erlaubt, dass die
Legislative die Exekutive dahin gehend zu beeinflussen versucht, dass in
Ausführung der Gesetze die Abgeordneten begünstigt werden.
Auch die Angehörigen der Jurisdiktion stehen nicht außerhalb des Gesetzes,
auch für sie gelten die gleichen Gesetze wie für die Personen, denen
Gesetzesübertretungen vorgeworfen werden. Die Gerichtsbarkeit hat von dem
Grundsatz auszugehen, dass die Beweislast nicht bei den Angeklagten, sondern
bei den strafverfolgenden Behörden liegt, dass eine Verurteilung nur erfolgen
darf, wenn die Schuld eindeutig bewiesen werden konnte, dass also jeder
Angeklagte mangels Beweises freigesprochen werden muss, falls es nicht gelingt,
die Schuld einwandfrei nachzuweisen. Schließlich sind die Verurteilungen nach
allgemein gültigen Grundsätzen und nicht willkürlich für Jeden anders
auszusprechen.
Dieses Prinzip begegnet nun in praxi vor allem zweierlei Schwierigkeiten.
Auf der einen Seite müssen wir feststellen, dass in den modernen repräsentativen
Demokratien Exekutive und Legislative keinesfalls von einander getrennt sind,
so wie es das Prinzip der Gewaltenteilung eigentlich verlangt. Auf der anderen
Seite gibt es neben den offiziellen Institutionen und Regeln immer auch eine
Vielzahl informeller Gruppierungen, deren Spielregeln zu einem beachtlichen
Teil den offiziellen Regeln zuwiderlaufen und die auch keinesfalls vollständig
kontrolliert, schon gar nicht unterbunden werden können.
Befassen wir uns zunächst mit der erstgenannten Schwierigkeit. Das von
Montesqieu und Locke postulierte Prinzip der Gewaltenteilung ist im Grunde
genommen gar nicht für eine repräsentative Demokratie, sondern für eine
konstitutionelle Monarchie formuliert worden. In dieser Staatsform waren in der
Tat Exekutive und Legislative – zumindest von ihrem Anspruch her – streng voneinander getrennt.
Die Exekutive ging vom Monarchen aus. Dieser war ein Fürst von
Gottesgnaden, er kam zu seinem Amt entweder dadurch, dass er von einer kleinen
Gruppe von Fürsten – im Deutschen Reich römischer Nation den Kurfürsten – gewählt
oder aufgrund einer bestimmten, von vornherein festgelegten Erbfolge die
Staatsgewalt übernahm. Der Monarch selbst konnte wiederum Beamte ernennen,
welche die staatlichen Geschäfte in seinem Auftrag zu erledigen hatten.
Unabhängig hiervon entstand die Legislative, zunächst als Ständeparlamente,
später als Volksvertretungen, die aus allgemeinen Wahlen hervorgingen.
Historisch gesehen war es im ausgehenden Mittelalter den Ständen (dem Adel, den
Geistlichen sowie einem Teil der Bürger) gelungen, dem Monarchen gewisse Rechte
abzutrotzen.
So hatten sich die Ständeparlamente schon sehr früh das Recht erkämpft,
dass die Einführung von (direkten) Steuern vom Parlament bewilligt werden
musste. Später erkämpften sich die Volksvertretungen das Recht, das Budget des
Staates festzulegen und allgemeine Gesetze zu erlassen, die auch für den
Monarchen bindend waren.
Eine moderne repräsentative Demokratie funktioniert jedoch vollkommen
anders. Die Exekutive erwächst aus der Mitte der Parteien, welche bei der Wahl
zum Parlament die Mehrheit erlangt haben, es ist die Regierung, welche zum
größten Teil bestimmt, welche Gesetze verabschiedet werden. Die Regierung kann
sich darauf verlassen, dass die von ihr eingebrachten Gesetze im Normalfall
auch verabschiedet werden. In aller Regel ist der Regierungschef (die Regierungschefin)
gleichzeitig der (die) Vorsitzende der Mehrheitspartei.
Zwar werden in formalem Sinne die Abgeordneten von einem
Fraktionsvorsitzenden geleitet, der wohl in keinem Falle mit dem
Parteivorsitzenden zusammenfällt, und auch der einzelne Abgeordnete ist in
formalem Sinne von den Parteispitzen unabhängig und in den einzelnen Abstimmungen
nur seinem Gewissen verantwortlich.
De facto jedoch lässt sich die Aufgabe der Regierung und der Parlamente nur
dadurch bewältigen, dass die Vorstellungen der einzelnen Abgeordneten
koordiniert werden, sodass zwar vor der Verabschiedung eines Gesetzes eine intensive
Diskussion zwischen den einzelnen Abgeordneten in aller Regel stattfinden wird.
Aber selbst hier bedarf es einer führenden Hand, die dafür Sorge trägt,
dass sich die einzelnen Diskussionsbeiträge nicht verzetteln und gegenseitig
aufheben und es ist dafür zu sorgen, dass schließlich die Diskussion zu einem
Ergebnis führt, dem möglichst alle aus der Regierungspartei, aber zumindest
soviel Abgeordnete zustimmen können, dass die Gesetzesvorlage zum Schluss von
einer Mehrheit des Parlaments angenommen werden kann.
Wenn schon die innere Logik des Gesetzgebungsverfahrens eine Führung
notwendig macht, so tragen vor allem auch zahlreiche Anreizsysteme dazu bei,
dass sich de facto die einzelnen Abgeordneten in aller Regel durchaus den Vorstellungen
der mehrheitsbildenden Parteivorstände beugen.
Damit nämlich der einzelne Abgeordnete überhaupt die Möglichkeit erhält,
bei der Festsetzung der verschiedensten Aufgaben und Posten berücksichtigt zu
werden, liegt es sehr wohl im Interesse des einzelnen Abgeordneten, sich den Vorstellungen
der Parteiobersten unterzuordnen. Nur auf diesem Wege hat ein Abgeordneter die
Chance, aus der Anonymität herauszuwachsen und in der Parteihierarchie aufzusteigen.
Wir wollen also festhalten, dass sowohl aufgrund der tatsächlichen
Einigungsmechanismen als auch aus der Sicht des als erwünscht erachtenden
Erfolges in praxi immer davon ausgegangen werden muss, dass sich die
Abgeordneten der Führungsspitze unterordnen und dass die Führung der Regierung
und der Mehrheitsparteien im Parlament in einer engen Personalunion stehen und
somit keinesfalls voneinander unabhängig sind und dass deshalb keinesfalls die
Regierung in jedem Falle von den Abgeordneten kontrolliert wird.
Befassen wir uns nun etwas ausführlicher mit der zweiten Schwierigkeit, der
das Prinzip der Gewaltenteilung de facto begegnet. Wie bereits angedeutet,
bilden sich in der Realität immer wieder neben den formellen, also offiziellen
Institutionen und Regelungen informelle Gruppierungen heraus, deren Regeln
oftmals den formellen Regelungen zuwiderlaufen. Es sind mehrere Faktoren, die
zu diesem Misslingen der Gewaltenteilung beitragen.
Erstens entstehen informelle Gruppierungen bisweilen dadurch, dass
Führungskräfte in Eliteinternaten und Hochschulen erzogen werden, dort
Freundschaften bilden, die für das gesamte weitere Leben Bestand haben und
durchaus die Gefahr enthalten, dass aufgrund dieser Beziehungen Straftaten
vertuscht und eine Strafverfolgung vereitelt werden kann, da in diesem Falle
auf informellem Wege Verbindungen zwischen den offiziell unabhängigen Gewalten
(vor allem zwischen Exekutive auf der einen Seite und der Jurisdiktion auf der
anderen Seite) geknüpft werden.
Als zweites gilt es zu berücksichtigen, dass informelle Gruppierungen vor
allem auch in den Intimsphären entstehen und von dort aus zu einer Behinderung
der öffentlichen Aufgaben beitragen. Diese Einflüsse sind nun vor allem auch
deshalb so stark und von offizieller Seite wenig kontrollierbar, da es gerade
zu den Grundprinzipien eines freiheitlichen Staates zählt, die Intimsphäre
jedes Einzelnen zu wahren und zu schützen.
Dieser Schutz zählt zur Menschenwürde, welche in unserem Grundgesetz nicht
nur zu den Menschenrechten zählt, sondern auch als unantastbar gilt, sodass
also selbst dann, wenn ein Konflikt zwischen einzelnen Grundrechten besteht, die
Menschenwürde auch nicht zur Sicherstellung eines anderen Grundrechtes
eingeschränkt werden darf.
Die informellen Bindungen der Familienmitglieder sind so stark, dass dann,
wenn es zu einem Konflikt zwischen Treue zur Familie und zum Staat kommt, wohl kaum
erwartet werden kann, dass der Einzelne – falls gefordert – bewusst gegen die
Familienmitglieder handelt. Immerhin berücksichtigt die Rechtsprechung diese
starken Bindungen insoweit, als z. B. die Eltern nicht verpflichtet sind, gegen
ihre Kinder vor Gericht auszusagen.
An dritter Stelle ist in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung der
Religionsgemeinschaften und auf ihren Einfluss auf das Verhalten der Mitglieder
dieser Gemeinschaft hinzuweisen. Unsere Verfassung sieht auf der einen Seite
eine strikte Trennung zwischen Staatsgewalt und Einfluss der Kirchen vor, zum
andern garantiert unsere Verfassung die Freiheit, selbst zu bestimmen, ob sich
der Einzelne einer Religionsgemeinschaft anschließt oder nicht und inwieweit er
die Gebote dieser Gemeinschaft achtet.
Wenn auch die offizielle Lehre davon ausgeht, dass sich jeder an die
Gesetze des Staates zu halten hat und dass der Einzelne dann, wenn die Gesetze
des Staates mit den Vorschriften der Religionsgemeinschaft in Konflikt geraten,
dem Gesetz zu gehorchen hat, ist es trotzdem unrealistisch zu unterstellen,
dass sich Gläubige im Konfliktfalle gegen die eigene religiöse Überzeugung
entscheiden werden. Gerade für den redlichen Gläubigen werden Gott und seine Gebote
immer über restlos alle von Menschen erlassene Gebote gestellt, es ist für
einen bekennenden Gläubigen ganz unmöglich im Konfliktfalle, Gottesgebote
menschlichen Geboten unterzuordnen.
Die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten lassen sich nur dadurch lösen,
dass auf der einen Seite den Angehörigen der Religionsgemeinschaft die
Freiheit, sich entsprechend der religiösen Gebote verhalten zu können, durch
die Verfassung garantiert wird. Hierzu zählt z. B. das Recht, dass sich ein
Gläubiger dann, wenn der Gebrauch der Waffe für ihn als Verletzung religiöser
Vorschriften gilt und wenn eine Wehrpflicht besteht, er auch das Recht hat, den
Militärdienst zu verweigern.
Auf der anderen Seite kann natürlich auch nicht geduldet werden, dass
Religionsgemeinschaften zu Handlungen aufrufen, welche entsprechend der
Verfassung als Verbrechen eingestuft werden. So kann es also z. B. nicht
geduldet werden, dass einzelne Bürger Blutrache üben, also die Verfolgung einer
Straftat selbst in die Hand nehmen. Eine Religionsgemeinschaft oder eine andere
informelle Gruppierung, welche ernsthaft solche Forderungen an ihre Mitglieder
stellt, hat in einem freiheitlichen Rechtsstaat nichts zu suchen. Der Staat
kann solche Übertretungen auch nicht dulden.
Wir hatten weiter oben gesehen, dass das Prinzip der Gewaltenteilung in den
modernen repräsentativen Demokratien gar nicht in der Lage ist, eine echte
Machtkontrolle auszuüben. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in diesen politischen
Systemen überhaupt keine Machtkontrolle mehr stattfindet. Vielmehr hat das
Zusammenwirken von Regierung und Opposition die Rolle übernommen, die bei Montesqieu
und Locke die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative zu erfüllen
hatte.
In Wirklichkeit besteht nämlich zwischen Regierung und Parlament eine enge
Verbindung. Die Regierung geht anders als in einer konstitutionellen Monarchie
aus den Mehrheitsparteien des Parlaments hervor und die Führungsspitze der
Mehrheitspartei kontrolliert oft sogar in einer Personalunion das Verhalten von
Regierung und Mehrheitspartei im Parlament.
Allerdings darf man sich das Zusammenspiel von Regierung und Opposition im
Parlament auch nicht so vorstellen, dass im Parlament zwischen Regierungs- und
Oppositionsparteien bei jedem einfachen Gesetz um die beste Lösung gerungen
wird. In aller Regel verfügen die Regierungsparteien im Parlament über eine
Mehrheit und sie brauchen deshalb auch nicht darum zu bangen, dass sie die
Mehrheit verfehlen, wenn sie sich nicht von den Argumenten der Opposition
überzeugen lassen und diesen Vorstellungen nicht entgegenkommen.
Ja man wird sogar sagen müssen, dass es aus gesamtpolitischer Sicht auch
gar nicht erwünscht wäre, wenn die Regierungsparteien bei den normalen
Gesetzesvorlagen den Vorstellungen der Oppositionsparteien jedes Mal entgegenkommen
würden. Die Regierungsparteien sind ja gerade aufgrund der Vorstellungen und
Kompromisse, welche sie vor der Wahl der Bevölkerung ausgebreitet hatten,
gewählt worden und die Vorschläge der Opposition sind gleichermaßen von der
Mehrheit der Wähler abgelehnt worden, sodass jedes Entgegenkommen gegenüber den
Vorstellungen der Opposition einer Verwässerung des Wählerwillens gleichkommen
würde.
Die dem Zusammenwirken von Regierung und Opposition zugedachte Machtkontrolle
erwächst vielmehr aus ganz anderen Zusammenhängen. Die Diskussion im Parlament
richtet sich immer auch an die Öffentlichkeit. Der Wähler soll überprüfen
können, ob die Regierungsparteien auch wirklich willens und fähig sind, das,
was sie vor den Wahlen versprochen haben, auch durchzuführen. Weiterhin soll
durch das Ringen von Regierungs- und Oppositionsparteien im Parlament offenbar
werden, ob die Regierung auch in der Lage ist, ihre Konzeption glaubhaft zu
verteidigen und die von der Opposition vorgetragenen Argumente zu entkräften
weiß.
Schließlich soll der Wähler aus der Debatte im Parlament auch erfahren,
welche Gegenvorschläge denn die Oppositionsparteien gegenüber den
Gesetzesvorlagen der Regierung vorzubringen haben. Nur auf diese Weise kann der
Wähler bei der nächsten Wahl sachgerecht entscheiden, welche der Parteien, die
bisherige Regierungs- oder Oppositionspartei, seinen Vorstellungen am nächsten
kommt.
Anderes gilt für die Gesetzesvorlagen, bei denen die Verfassung eine
qualifizierte Mehrheit wie z. B. bei Veränderungen der Verfassung verlangt.
Hier verfügt die Regierung in der Regel nicht über die erforderliche Mehrheit
der Stimmen, hier bedürfen die Regierungsparteien der Zustimmung zumindest
einiger Abgeordnete der Opposition, um die erforderliche qualifizierte Mehrheit
zu erlangen. Hier haben die Regierungsparteien ein Interesse daran, auf die
Opposition zuzugehen, da sie wissen, dass sie die Zustimmung der Opposition nur
dann erreichen können, wenn sie selbst den Vorstellungen der Opposition
entgegenkommen.
Hier ist es auch erwünscht, dass Kompromisse mit der Opposition eingegangen
werden, da ja auch die Regierungsparteien von den Wählern keine Zustimmung
erhalten haben, auch solche Gesetzesvorlagen zu beschließen, welche laut Verfassung
eine qualifizierte Mehrheit erfordern.
Ähnliches gilt für den Fall einer Minderheitsregierung. Auch hier gilt
einerseits, dass die Regierungspartei ein Interesse daran hat, Stimmen aus dem
Oppositionslager zu gewinnen, andererseits sind Kompromisse mit der Opposition
auch deshalb angezeigt, weil die Regierung als Minderheitskabinett von den
Wählern ja auch kein eigentliches Mandat erhalten hat, solche Gesetze zu
verabschieden, welche nur die Zielsetzungen der Regierungsparteien
verwirklichen.
Die eigentliche Stunde der Opposition schlägt jedoch dann, wenn es darum
geht, Verfehlungen von Politikern im Rahmen von parlamentarischen
Untersuchungsausschüssen zu überprüfen. Hier sehen die Satzungen der meisten
Parlamente vor, dass auch kleinere Oppositionsparteien das Recht erhalten,
einen Untersuchungsausschuss zu beantragen und gegen den Willen der
Mehrheitsparteien durchzusetzen. Auch wird den Oppositionsparteien zumeist in
diesen Untersuchungsausschüssen ein stärkeres Gewicht zuerkannt als sich aus ihrer
Anzahl von Parlamentssitzen ergeben würde.
Eine solche Regelung ist auch durchaus berechtigt. Gerade weil
Machtmissbrauch bei denjenigen zu befürchten ist, welche über Macht verfügen
und dies sind nun einmal die Regierungsparteien, besteht die Gefahr, dass die
Mehrheitsparteien bestrebt sind, Verfehlungen ihrer eigenen Parteimitglieder
herunterzuspielen oder vielleicht sogar zu vertuschen. Wenn Verfehlungen offen
gedeckt werden sollen, dann erfolgt dies insbesondere von Seiten der Oppositionsparteien.
Allerdings richtet das übliche Prozedere in den Untersuchungsausschüssen
mehr Schaden als Nutzen an. Die Art und Weise, wie bestimmte Politiker hier
vorverurteilt und bloßgestellt werden, führt zu einer Vergiftung in den Beziehungen
der Parteien zueinander, vernichtet die gegenseitige Vertrauensbasis und
erschwert die Zusammenarbeit der Parteien. Hier wird das Grundrecht der
Menschenwürde verletzt, das für alle Menschen, auch für die Politiker, gilt und
das unantastbar ist und deshalb auch nicht verletzt werden darf, um andere
durchaus berechtigte Zielsetzungen zu verfolgen.
Gerade dann, wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Regierungen
von einer einzigen Partei gebildet werden können, wenn es vielmehr zur
Erreichung der Mehrheit einer Koalitionsregierung bedarf und wenn weiterhin
davon ausgegangen werden muss, dass Parteien, welche bisher der Opposition
angehörten, in der nächsten Legislaturperiode mit gerade den Parteien
zusammenarbeiten müssen, die sie heute kritisieren, bedarf es eines vertrauensvollen
Verhältnisses, um Kompromisse zu finden, welche von allen Koalitionsparteien
getragen werden. Und dieses Vertrauen wird zerstört, wenn zuvor einzelne
Mitglieder der zukünftigen Koalition beleidigt und gedemütigt wurden.
Ein weiterer Schaden dieser Vorgehensweise erwächst für die
Volksgemeinschaft auf lange Sicht daraus, dass viele Politiker aufgrund dieses
‚schmutzige Wäsche Waschen‘ der Politik den Rücken kehren und
Führungspositionen in privaten Unternehmungen übernehmen. Wenn auf diese Weise
gerade die zweit- und drittrangigen Führungskräfte die politische Ebene
verlassen würden, wäre diese Abkehr durchaus zu verkraften, vielleicht sogar zu
begrüßen. De facto verlassen jedoch zumeist gerade Spitzenkräfte die politische
Ebene.
Dies hat vor allem zwei Gründe. Auf der einen Seite ist es falsch zu
meinen, dass moralische Integrität im privaten Bereich und politische Kompetenz
stets zusammengehen. Höchster moralischer Standard in jeder Hinsicht ist noch
kein Ausweis dafür, dass die betreffenden Politiker auch die Fähigkeit
besitzen, politisch schwierige Probleme zu lösen.
Für die Wohlfahrt einer Bevölkerung ist es aber sehr viel wichtiger,
Politiker an der Spitze unseres Gemeinwesens zu haben, welchen es z. B.
gelingt, Arbeitslosigkeit abzubauen, als die Frage, ob ein Politiker eine
Geliebte hat und deshalb seinen Ehepartner betrügt. Wir brauchen in der Politik
keine Saubermänner, sondern Persönlichkeiten, welche über Sachwissen und
politische Kompetenz verfügen. Leider sind diese Eigenschaften nicht so auf die
einzelnen Führungskräfte verteilt, dass der eine sowohl politische Kompetenz
besitzt und sich gleichzeitig als Muster an moralischem Verhalten darstellt.
Dies bedeutet keineswegs, dass moralische Verfehlungen hingenommen werden
sollen oder sogar erwünscht sind. So weit die Verfehlungen jedoch in einer
Übertretung von Gesetzen liegen, ist es sehr viel zweckdienlicher, diese
Aufgabe den Organen der Rechtssprechung zu übertragen, die im Allgemeinen über
sehr viel mehr Kompetenz bei der Aufklärung von Straftaten verfügen als
Politiker im Allgemeinen.
Soweit es sich um Verfehlungen handelt, welche nicht in einer Verletzung
der Strafgesetze bestehen, sollten in viel größerem Maße als bisher die sonst
üblichen Regeln eines Rechtsstaates beachtet werden. Man kann bei Verfehlungen
auch sachlich argumentieren, ohne beleidigend zu werden, auch ohne mit Tricks
zu arbeiten, vor allem aber sollte auch hier der Grundsatz der Rechtsprechung
gelten: Nicht wer angeklagt wird, sondern derjenige, welcher anklagt, hat den
Beweis der Verfehlung zu führen.
Weiterhin gilt zunächst die Unschuldsvermutung, es darf nicht zu einer
Vorverurteilung kommen, bevor der Beweis der Verfehlung eindeutig nachgewiesen
wurde. Es mag zwar richtig sein, dass es genauso wie bei Gerichtsverfahren oftmals
schwierig ist, die Verfehlung eindeutig nachzuweisen. Aber nach wie vor gilt
wie bei einem Gerichtsverfahren, dass es besser ist, dass man einem Schuldigen
die Verfehlung nicht nachweisen konnte, als dass man einen Unschuldigen zu
Unrecht verurteilt und damit gleichzeitig auf die Kompetenz unter Umständen
gerade der am meisten befähigten Politiker verzichtet.
3. Vollständige Konkurrenz und countervailing
powers
Wir wollen uns in diesem Abschnitt mit der Bedeutung des Wettbewerbs im
Wirtschaftssystem befassen. Wir haben davon auszugehen, dass dem Wettbewerb
innerhalb der Marktwirtschaft eine besondere, konstitutive Bedeutung zukommt.
Es ist vor allem dem Wettbewerb zu verdanken, dass die verschiedenen Interessen
so kanalisiert werden, dass im Endergebnis die Güter produziert werden, welche
von den Konsumenten nachgefragt werden. Es ist deshalb auch vor allem der
Wettbewerb, der den einzelnen Unternehmungen keine monopolistische Macht
verleiht und somit auch Machtmissbrauch verhindert.
Gleichgültig, ob wir nach der Bedeutung des Wettbewerbes im Rahmen der
älteren Klassik bzw. des Liberalismus oder im Rahmen der Neoklassik bzw. des
Neoliberalismus fragen, stets steht der Wettbewerb im Mittelpunkt der Analysen.
In einem Punkt unterscheiden sich allerdings die verschiedenen Richtungen. Adam
Smith und die Vertreter des früheren Liberalismus gingen noch von der
Vorstellung aus, dass es ausreicht, eine freie auf Wettbewerb beruhende Marktwirtschaft
in einem einmaligen politischen Akt einzuführen und dass der Markt von sich aus
stabil sei und den Wettbewerb erhalte.
In dieser Frage unterschied sich Walter Eucken, einer der wichtigsten
Vertreter des Neoliberalismus, vom Frühliberalismus. Nach Meinung Walter
Euckens reicht es nicht aus, in einem einzigen Akt eine Wettbewerbsgesellschaft
zu schaffen. Der Wettbewerb sei stets gefährdet, da Wettbewerb für die
Unternehmungen immer lästig erscheine und da sich deshalb die Unternehmer stets
darum bemühten, Wettbewerb wo immer nur möglich auszuschalten, indem sie sich
in Kartellen zusammenschließen oder Preisabsprachen treffen, welche den
Wettbewerb umgehen.
Es bedürfe deshalb einer aktiven Wettbewerbspolitik des Staates. Walter
Eucken schlug sogar vor, die Bildung künstlicher Monopole zu verbieten. In
dieser Frage folgten ihm nicht alle liberal gesinnten Ökonomen vor allem
deshalb, weil es ja auch Absprachen gibt, bei welchen – wie z. B. bei der
Einführung von DIN-Normen – durchaus positive Funktionen erwartet werden
können.
Es bestand aber weitgehend Einigkeit darin, dass Monopole staatlicherseits
kontrolliert werden müssen und dass eine Kartellbehörde mit weitgehenden
Vollmachten ausgestattet werden sollte, um die monopolistischen Unternehmungen
daran zu hindern, Preisabsprachen zu treffen, bzw. durch Zusammenschluss
mehrerer Unternehmungen eine marktbeherrschende Stellung zu erlangen.
Nun gibt es allerdings auch sogenannte natürliche Monopole, welche aus der
jeweiligen Situation erwachsen, ohne dass die Unternehmungen von sich aus diese
Marktform herbeiführen. Ein solches natürliches Monopol liegt z. B. dann vor,
wenn der Bedarf nach einem bestimmten Produkt so gering ist, dass die
Produktion ohne Verluste nur von einer einzigen Unternehmung durchgeführt
werden kann. Oder um ein zweites Beispiel zu bringen: Zu Beginn der
Industrialisierung gab es in vielen Gemeinden lediglich ein einzelner
Unternehmer, welcher Arbeitnehmer beschäftigte. Deshalb waren hier die
Arbeitnehmer einem natürlichen Nachfragemonopol ausgesetzt, da sie noch nicht
die Möglichkeit hatten, eine erwerbswirtschaftliche Arbeit in Nachbargemeinden
aufzunehmen.
Liegt ein natürliches Monopol vor, so kann dieses auch nicht verboten
werden. Miksch, ein Schüler Walter Euckens, hat deshalb vorgeschlagen, in
solchen Fällen, in denen kein Wettbewerb realisiert werden könne, staatlicherseits
einen ‚Wettbewerb als ob‘ zu organisieren. Die monopolistischen Marktteilnehmer
müssten dann z. B. angehalten werden, sich wie Wettbewerber zu benehmen und vor
allem auf eine aktive Preispolitik zu verzichten.
Seit Ende des ersten Weltkrieges finden regelmäßig in fast allen Branchen
Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer
und den Arbeitgeberverbänden (oder auch einzelner großer Unternehmungen) statt.
Damit ist in der Realität in fast allen Branchen auf den Arbeitsmärkten die
Marktform des bilateralen Monopols verwirklicht.
John Kenneth Galbraith hatte in diesem Zusammenhang in seiner Theorie der Gegenkräfte
darauf hingewiesen, dass die Funktionen, welche im Allgemeinen dem Wettbewerb
zugedacht sind, im bilateralen Monopol auch dadurch ausgeübt werden können,
dass von den Gegenkräften auf beiden Marktseiten die dem Wettbewerb zugedachten
Funktionen erfüllt würden.
So wird bei vollständiger Konkurrenz der einzelne Unternehmer durch die
Aktivitäten seiner Mitkonkurrenten kontrolliert, diese Kontrollfunktion werde
im bilateralen Monopol von der jeweiligen Gegenseite ausgeübt. Die Macht der
Gewerkschaften verhindere, dass die Unternehmer zu starken Druck auf die
Arbeitnehmer ausüben könnten.
Friedrich von Hayek hat die Diskussion um die Bedeutung des Wettbewerbes um
zwei neue Begriffe erweitert. Im Allgemeinen misst man die Intensität des
Wettbewerbes anhand morphologischer Merkmale. So hatte Heinrich von Stackelberg
ein Schema entwickelt, wonach die Marktform anhand der Anzahl der Anbieter oder
Nachfrager (einer, wenige, viele) oder auch anhand der relativen Größe (klein,
mittel, groß) gemessen wird. Walter Eucken hatte dieses Schema übernommen und
weitergeführt, in dem er z. B. auch berücksichtigte, dass eine Marktseite
dadurch bestimmt wird, dass ein großer (oder einige wenige) neben einer
Vielzahl kleiner Unternehmungen den Markt beherrscht (bzw. beherrschen).
Friedrich von Hayek hat darauf aufmerksam gemacht, dass es für die
erwünschte Wirkung eines Wettbewerbs weniger auf die morphologische Struktur
eines Marktes ankomme. Auch von einer potentiellen Konkurrenz könnten
die erwünschten Wirkungen ausgehen. Im Allgemeinen reiche es aus, dass der
Staat alle Beschränkungen des Außenhandels wie Importzölle oder
Importkontingente aufhebe. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass den
inländischen Unternehmungen auch bei einer monopolistischen Morphologie im
Inland eine Konkurrenz immer dann entstehe, wenn diese Monopolisten den Versuch
unternehmen würden, ihre Monopolmacht auszuspielen.
Friedrich von Hayek prägte weiterhin den Begriff des Wettbewerbs als
Entdeckungsverfahren, um anzudeuten, dass der Wettbewerb vor allem ein
Verfahren sei, Erneuerungen (Innovationen) auszulösen und damit die Wohlfahrt
einer Volkswirtschaft zu mehren.
Dem Wettbewerb wird nicht nur in den Wirtschaftstheorien des Liberalismus
und des Neoliberalismus eine zentrale Bedeutung zuerkannt. So hatte auch Karl
Marx in seiner Kapitalismuskritik dem Wettbewerb eine entscheidende Bedeutung
in der Frage zugedacht, wie der Kapitalismus von selbst Kräfte entfaltet, um
die kapitalistische Gesellschaft durch eine sozialistische Gesellschaft abzulösen.
Es ist bei Marx der Wettbewerb, der die Kapitalisten (Unternehmer) zwingt, den
Mehrwert (Gewinn) immer wieder im eigenen Betrieb zu akkumulieren (zu
investieren) und dieser Wettbewerb führe dazu, dass die kleineren
Unternehmungen von den großen Konzernen übernommen würden.
Während Karl Marx dem Wettbewerb eine Funktion bei der Ablösung der
kapitalistischen Wirtschaft durch den Sozialismus zudachte, hatte dann Oskar
Lange – auch ein sozialistischer Denker – die Vorstellung entwickelt, dass innerhalb
einer staatlich gelenkten Planwirtschaft die Betriebsleiter sich so verhalten
sollten, als stünden sie in Konkurrenz. Die von Oskar Lange propagierte Form
des Sozialismus wird deshalb auch als Konkurrenzsozialismus bezeichnet.
Danach geht Lange davon aus, dass über den Wettbewerb tatsächlich die
Produktion bestmöglich an den Bedürfnissen der Konsumenten ausgerichtet werde.
Er wandte sich jedoch gegen die kapitalistische Produktionsweise, weil in einem
kapitalistischen Wirtschaftssystem die Eigentümer von Produktivvermögen das
Sagen hätten und auch die Einkommensverteilung zu ihren Gunsten beeinflussen
könnten.
Er sprach sich deshalb für eine Verstaatlichung des Produktivvermögens aus,
wobei jedoch die Ausrichtung der Produktion genauso erfolgen solle, wie sie bei
vollständiger Konkurrenz erreicht würde. Der Unternehmer in Konkurrenz nimmt
den Preis als Datum und passt seine Produktionsmenge an diesen Preis an, wobei
er die Produktion solange ausdehnt, bis die Grenzkosten dem von außen vorgegebenen
Preis entsprechen. Genauso sollten sich auch die staatlichen Betriebsleiter
verhalten, nur dass eben die Preise nun von der staatlichen Planungsbehörde und
nicht vom anonymen Markt vorzugeben seien.
Der Wettbewerb spielt allerdings nicht nur in den wirtschaftlichen Systemen
eine entscheidende Rolle, sondern ist eine ganz allgemeine gesellschaftliche
Einrichtung. So hat vor allem Joseph Schumpeter in seiner Arbeit über Kapitalismus
Sozialismus und Demokratie gezeigt, dass in einer repräsentativen Demokratie dem
Wettkampf der politischen Parteien bei den Wahlen zum Parlament genau die
gleiche Funktion zukomme wie dem Wettbewerb der Unternehmer im Rahmen der
Marktwirtschaft.
Es ist dem Wettbewerb der Parteien zu verdanken, dass die Politiker ihre
Entscheidungen an den Wünschen der Wähler ausrichten. Genauso, wie man im
Rahmen der Marktwirtschaft davon ausgeht, dass die Unternehmer ihren Gewinn zu
maximieren suchen, dass aber der Wettbewerb die verschiedenen Interessen so
kanalisiert, dass die Unternehmer genau dann ihr Gewinnziel realisieren, wenn
sie die Güter produzieren, welche von den Konsumenten nachgefragt werden,
genauso seien die Politiker bestrebt bei der Wahl die Stimmen, welche für sie
abgegeben werden, zu maximieren. Und nur dem Wettbewerb der Parteien
untereinander sei es zu verdanken, dass im Endergebnis derjenige Politiker die
Wahl gewinnt, dessen Programm am nächsten den Vorstellungen und Wünschen der
Mehrheit der Wähler entspricht.
Dem Wettbewerb kommt wohl in allen größeren Gesellschaften eine entscheidende
Rolle bei der Begrenzung der Macht und vor allem bei dem Versuch zu,
Machtmissbrauch zu unterbinden. Die geschichtliche Erfahrung hat gezeigt, dass
überall dort, wo Macht entsteht, auch die Gefahr besteht, dass diese Macht
missbraucht wird. Diese Gefahr besteht immer, unabhängig davon, ob es um die
monopolistische Macht einzelner Unternehmer oder um die Macht eines Diktators,
eines Gewerkschaftsbosses oder sogar eines kirchlichen Würdenträgers handelt.
In der Geschichte sind wohl nur ganz wenige Fälle bekannt, in denen
Machtfülle nicht auch zum Machtmissbrauch ausgenutzt wurde. Karl Popper hat in
diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass der wesentliche Vorteil
einer repräsentativen Demokratie vor allem in der Möglichkeit liegt, einen
Politiker, der seine Macht missbraucht, abzuwählen, während ein
nichtdemokratisches System nur durch eine Revolution abgelöst werden könne.
Nun kann dieser Wettbewerb extern oder intern erfolgen. Ein externer
Wettbewerb liegt z. B. in einer Marktwirtschaft vor, in der ein Konsument, der
mit den Leistungen eines Anbieters nicht zufrieden ist, jederzeit die
Möglichkeit hat, zu einem Konkurrenten überzuwechseln. Beim externen Wettbewerb
wird also die Organisation (in unserem Beispiel die Unternehmerorganisation)
selbst gewechselt.
Beim internen Wettbewerb hingegen findet ein Wettbewerb innerhalb einer
Organisation statt. Ein interner Wettbewerb würde also in einer demokratisch
organisierten Staatengemeinschaft vorliegen. Ist der Bürger z. B. mit den
Leistungen der bisherigen Regierung nicht zufrieden, so kann er bei der
nächsten Wahl diesen Politiker abwählen.
Ein externer Wettbewerb würde auf Staatsebene nur vorliegen, wenn der
unzufriedene Bürger damit drohen könnte, in ein anderes Land auszuwandern. Da gerade
ein solcher externe Wettbewerb auf Staatsebene mit hohen Kosten verbunden wäre
und deshalb nur selten zum Zuge käme, kommt auf der politischen Bühne dem
internen Wettbewerb eine besondere Funktion zu.
Auch auf Verbandsebene stellt sich die Frage nach einem externen oder
internen Wettbewerb. Von einem externen Wettbewerb würde man z. B. auf
Gewerkschaftsebene dann sprechen, wenn mehrere Gewerkschaften um die Gunst der
Arbeitnehmer miteinander konkurrieren. Interner Wettbewerb liegt hingegen dann
vor, wenn die Gewerkschaftsspitze von den Gewerkschaftsmitgliedern gewählt
wird.
Auch hier gilt, dass die eigentliche Kontrollfunktion des externen
Wettbewerbs darin liegt, dass der einzelne Arbeitnehmer, welcher mit der Arbeit
seiner Gewerkschaft unzufrieden ist, die Möglichkeit besitzt, zu einer anderen
konkurrierenden Gewerkschaft überzuwechseln. Bei internem Wettbewerb würde sich
die Unzufriedenheit eines Gewerkschaftsmitgliedes darin äußern, dass er eben
bei den Vorstandswahlen den bisherigen Vorstand abwählen kann.
In der BRD wurde bei der Neubelebung der Gewerkschaften nach dem
Zusammenbruch des dritten Reiches weitgehend der Versuch unternommen, eine
Einheitsgewerkschaft zu bilden, bei der also eine Konkurrenz der Gewerkschaften
untereinander weitgehend ausgeschlossen ist. Erst in den letzten Jahrzehnten
entstanden in größerem Maße kleinere Gewerkschaften (wie z. B. im Bereich der
Bundesbahn), die in Konkurrenz um die gleichen Arbeitnehmer stehen.
Aber auch in den Ländern, in denen mehrere Gewerkschaften nebeneinander
bestehen, ist die faktische Konkurrenz extrem gering. Ein überzeugter Kommunist
wird nicht deshalb von einer kommunistischen Gewerkschaft zu einer christlichen
Gewerkschaft überwechseln, weil er mit der Arbeit seiner Gewerkschaft unzufrieden
ist. In ähnlicher Weise dürfte ein überzeugter Christ nicht deshalb einer
kommunistischen Gewerkschaft beitreten, weil diese in stärkerem Maße von ihrem
Streikrecht Gebrauch macht und deshalb unter Umständen höhere Lohnsteigerungen
erkämpfen konnte als die christlichen Gewerkschaften, welche einen Streik nur
als eine Ultima Ratio ansehen.
Da also im Gewerkschaftswesen ein externer Wettbewerb wohl kaum als
allgemeines und durchgehendes Prinzip realisiert werden kann, fällt der
internen Konkurrenz eine besondere Bedeutung zu. Ein interner Wettbewerb setzt
jedoch voraus, dass bei den Vorstandswahlen auch wirklich mehrere Kandidaten
zur Auswahl stehen und dass diesen Kandidaten auch gleiche Wahlchancen
eingeräumt werden. In beiden Fragen entstehen jedoch innerhalb der
Gewerkschaften erhebliche Schwierigkeiten. Oftmals stellt sich allein der
bisherige Vorstand zur Wahl oder den Gewerkschaftsmitgliedern bleibt nur die
Wahl, einer vom bisherigen Vorstand vorgeschlagenen Einheitsliste zuzustimmen
oder sie in Gänze abzuwählen.
Seymour Martin Lipset hat darauf aufmerksam gemacht, dass
Gewerkschaftsbosse vor allem der größeren Gewerkschaften gegenüber ihrer
bisherigen Position als einfacher Arbeiter einen enormen Aufstieg in Prestige
und Macht erlebt haben und dass es deshalb nur natürlich ist, dass diese
Führungskräfte auf jeden Fall ein Zurückfallen ins einfache Glied zu vermeiden
versuchen.
Auch die zweite Bedingung für eine erfolgreiche interne Konkurrenz, die
Forderung nach gleichberechtigten Chancen aller Bewerber um das Vorstandsamt,
ist auf Gewerkschaftsebene keinesfalls immer erfüllt. Bewirbt sich nämlich der
bisherige Vorstand um eine Wiederwahl, steht ihm die gewerkschaftliche
Organisation zur Verfügung. Lipset weist deshalb darauf hin, dass die Forderung
nach gleichen Chancen eigentlich nur in den Verbandsorganisationen erfüllt ist,
in denen die Mitkonkurrenten in Unterorganisationen des Verbandes ebenfalls
bereits Führungsaufgaben erfüllen und deshalb ebenfalls über einen Machtapparat
verfügen oder in denen den Mitbewerbern eigens Ressourcen für den Wahlkampf zur
Verfügung gestellt werden.
In der BRD gehen gewisse kontrollierende Funktionen auch von der durch das
Grundgesetz geschützten sogenannten negativen Koalitionsfreiheit aus. Unter
negativer Koalitionsfreiheit versteht man das Recht eines Arbeitnehmers, selbst
zu entscheiden, ob er einer Gewerkschaft beitritt bzw. wenn er bereits Mitglied
ist, das Recht, die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu kündigen. Gerade deshalb,
weil sich der Einrichtung eines externen oder internen Wettbewerbs eine Reihe
von Schwierigkeiten auf Verbandsebene in den Weg stellen, kommt der negativen
Koalitionsfreiheit in der BRD eine entscheidende Rolle bei der Machtkontrolle
zu.
Fortsetzung!