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Volkswirtschaftslehre
für Laien
Gliederung:
1. Genügt der gesunde
Menschenverstand?
2. Was heißt Wirtschaften?
3. Wie funktioniert ein
Markt?
4. Ist von ‚Arbeitsmarkt‘ zu
sprechen entwürdigend?
5. Ist das Eigeninteresse
moralisch verwerflich?
6. Die Rolle des
Wettbewerbs
7. Umverteilung zu Lasten
der Millionäre?
8. Moral Hazard und
Versicherung
9. Von ideologischen
Betrachtungsweisen
10. Können Werturteile wissenschaftlich bewiesen werden?
11. Die Rolle des Staates in einer sozialen Marktwirtschaft
12. Staatliche Planwirtschaft versus Marktwirtschaft
11. Die Rolle des
Staates in einer sozialen Marktwirtschaft
Gliederung:
1. Problemeinführung
2. Konstituierende Prinzipien
3. Die regulierenden Prinzipien
4. Begrenzung auf marktkonforme Eingriffe
5. Das Kollektivgüterangebot
6. Die These vom
‘race to bottom’
7. Verteilungs- und Sozialpolitische Eingriffe
1. Problemeinführung
Wir wollen uns in diesem Kapitel mit der Rolle des Staates in einer
sozialen Marktwirtschaft befassen. Nach weitverbreitetem Verständnis ist die
Marktwirtschaft das vom Liberalismus geprägte und empfohlene Wirtschaftssystem.
Danach strebe der Liberalismus an, das Wirtschaftssystem von den Einflüssen des
Staates zu befreien. Das vom Liberalismus geprägte Freiheitsideal bezieht sich
in allererster Linie auf die Freiheit vom Staat.
In diesem Sinne wurde von Gegnern des Liberalismus auch in diesem
Zusammenhange von einem Nachtwächterstaat gesprochen. Der Staat habe nur noch
die Aufgabe, wie ein Nachtwächter für Ruhe zu sorgen, aber keinesfalls das
Recht, das Wirtschaftsgeschehen zu steuern oder auch nur nachträglich zu
korrigieren.
Diese Interpretation stellt sicherlich ein Zerrbild des Liberalismus dar.
Zwar ist es richtig, dass der Frühliberalismus, wie er von Adam Smith, dem
Begründer der modernen Volkswirtschaftslehre, geprägt wurde, sich entschieden
gegen die interventionistischen Eingriffe des merkantilistischen Staates gewandt
hatte und der Überzeugung war, dass die vom Staat ausgehenden vielfältigen Reglementierungen
der Unternehmungen für die Entfaltung der Wirtschaft und damit für ein Wachstum
der Produktion hinderlich waren und deshalb als Ideal eines Wirtschaftssystems
den freien Markt sahen, der automatisch – wie durch eine unsichtbare Hand – die
knappen Ressourcen in die Verwendungen lenkt, welche aus der Sicht der
Endverbraucher eine möglichst effiziente Aufteilung herbeiführt.
Aber dies bedeutet nicht, dass der Liberalismus dem Staat keinerlei
Funktionen bei der Erfüllung der wirtschaftlichen Aufgaben zuerkennt. Bereits
John Stuart Mill, einer der Hauptvertreter des Frühliberalismus, hat sehr wohl
anerkannt, dass der freie Markt durchaus in Einzelfällen versagen kann und dass
hier der Staat die Aufgabe habe, Korrekturen am Markt anzubringen.
Vor allem aber ist zu betonen, dass der Liberalismus wie alle anderen
wirtschaftswissenschaftlichen Richtungen eine Entwicklung durchlaufen hat und in
einigen wesentlichen Punkten auch in dieser Frage zu einem entscheidenden
Richtungswandel geführt hat. Der heute propagierte Liberalismus ist keinesfalls
mehr der Liberalismus eines Jeremy
Bentham, welcher das Lustprinzip zur Maxime wirtschaftlichen Handelns erhoben
hatte, schon gar nicht mehr eines Bernard
de Mandeville‘s, der von der Vorstellung ausging, dass es im Wesentlichen Neid und Laster seien, welche
letztendlich zu einer Steigerung der gesamten Wohlfahrt einer Nation führten.
Der moderne Neoliberalismus, wie ihn vor allem Walter Eucken, der Begründer
der Freiburger Schule geprägt hat, weist dem Staat sehr wohl eine wesentliche
Rolle im Rahmen der Marktwirtschaft zu. Eucken ist nicht mehr der Meinung
einiger Frühliberaler, dass es ausreiche, in einem einzigen staatlichen Akt
eine freie Wettbewerbsordnung einzuführen und sich danach aus der Wirtschaft
zurückzuziehen. Vielmehr vertrat Walter Eucken vehement die Auffassung, eine
Wettbewerbsordnung sei stets der Gefahr ausgesetzt, dass der Wettbewerb wieder
verlassen werde, da eben nicht nur der Staat die freie Entfaltung der
Wirtschaftenden behindere, sondern auch private Unternehmer den Wettbewerb als
lästig empfänden und darum bemüht seien, durch Absprachen und Zusammenschlüssen
den Wettbewerb auszuschalten. Walter Eucken trat aus diesen Gründen für einen
sehr starken Staat ein.
In einem Punkt allerdings gleichen sich die Positionen der älteren und der
neueren Liberalen. Sie waren fast durchgehend der Auffassung, dass die
eigentliche wirtschaftliche Aufgabe, die stets knappen Ressourcen möglichst
effizient und im Sinne der Endverbraucher auf die einzelnen Verwendungsarten aufzuteilen,
immer nur von einem freien, vom Staat nicht beeinflussten Preismechanismus erfüllt
werden könnte. Keine staatliche Planbehörde verfüge über das Wissen, das für
eine effiziente Produktion unerlässlich sei. Nur dann, wenn die Preise der
Güter und Produktionsfaktoren dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage auf
einem Wettbewerbsmarkt unbeeinflusst folgen, sei Gewähr gegeben, dass die
Preisverhältnisse den Knappheitsverhältnissen entsprechen, die wohl wichtigste
Voraussetzung für eine weitgehend optimale Produktion.
Nur Paul K. Hensel, ein Schüler Walter Euckens, war der Auffassung, dass
auch eine rationale Planung einer zentralen staatlichen Behörde das
wirtschaftliche Grundproblem überhaupt lösen könne, dass sehr wohl auch durch
einen reinen Mengenmechanismus die gleiche Aufgabe erfüllt werden könne wie vom
freien Preismechanismus des Marktes.
Es war schon etwas verwunderlich, dass gerade Hensel in dieser zentralen
Frage der Produktionssteuerung von dem Credo der Freiburger Schule abwich,
obwohl es ihm zu verdanken ist, dass die Grundsätze der Wirtschaftspolitik des
Ordoliberalismus überhaupt veröffentlicht werden konnten. Bekanntlich war
Eucken schon sehr früh Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts auf einer
Vertragsreise in England verstorben, seine wirtschaftspolitischen
Grundüberzeugungen waren in einem unveröffentlichten Manuskript niedergelegt,
wobei einige wesentliche Teile lediglich aus Stichworten bestanden.
Dass wir heute also über das gesamte Grundkonzept des Ordoliberalismus in
schriftlicher Form verfügen, verdanken wir neben Euckens Frau K. Paul Hensel,
welcher die Grundsätze der Wirtschaftspolitik von Walter Eucken überarbeitete
und dort ergänzte, wo nur Stichworte vorlagen und dieses Gesamtwerk dann posthum veröffentlichte.
2. Konstituierende Prinzipien
In seinen Grundsätzen der Wirtschaftspolitik hat Eucken sieben
konstituierende und vier regulierende Prinzipien entwickelt. Die
konstituierenden Prinzipien sind hierbei unerlässlich für das Funktionieren
einer Marktwirtschaft, die regulierenden Prinzipien sind zwar für das
Funktionieren der Marktwirtschaft nicht unerlässlich, sind aber trotzdem
notwendig, um unerwünschte Ergebnisse des marktwirtschaftlichen Prozesses zu
verhindern.
Das eigentliche Grundprinzip jeder marktwirtschaftlichen Ordnung hat ein
funktionierendes Preissystem zu sein. Nur dann, wenn ein freier, von
staatlichen Einflüssen unabhängiger Preismechanismus gegeben ist, ist auch
garantiert, dass die Produktion am Bedarf der Individuen bestmöglich
ausgerichtet ist. Eine optimale Allokation setzt voraus, dass die einzelnen
Preise die Knappheitsrelationen widerspiegeln und dies ist nur dann der Fall,
wenn ein freier Preismechanismus zugelassen wird.
Zu den weiteren 6 konstituierenden Prinzipien zählen der Primat der
Währungspolitik, das Privateigentum, das Haftungsprinzip, die Konstanz der
Wirtschaftspolitik, die Vertragsfreiheit sowie die Garantie offener Märkte. Sie
dienen letztlich dazu, einen funktionierenden Preismechanismus zu ermöglichen.
Hierbei erfordert vor allem der Primat der Währungspolitik, das
Haftungsprinzip, die Konstanz der Wirtschaftspolitik sowie die Garantie offener
Märkte eine aktive Rolle des Staates.
Es muss – im Zusammenhang mit dem Primat der Währungspolitik – immer wieder Sorge
dafür getragen werden, dass die Geldmenge
(die Geldwertsumme) nur in dem Umfang vergrößert wird, wie das Inlandsprodukt steigt.
Nur so wird der Wert des Geldes stabil (unverändert) bleiben. Diese Aufgabe
fällt zwar nicht den Staatsorganen im engeren Sinne zu, nicht die Regierung
oder das Parlament, sondern eine von den sonstigen staatlichen Organen unabhängige
öffentliche Notenbank hat die Regulierung der Geldmenge permanent zu
kontrollieren. Da auch die Privatbanken die Möglichkeit einer Geldschöpfung
(des Giralgeldes) haben, hat der Staat der Zentralnotenbank die geldpolitischen
Instrumente (Pensionsgeschäfte, Offenmarktpolitik, Mindestreservepolitik) zur
Verfügung zu stellen, damit die gesamte
umlaufende Geldmenge stets den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen
entspricht.
Volle Haftung ist eine weitere Voraussetzung dafür, dass auf der einen
Seite die wirtschaftenden Personen genügend Anreize besitzen, um jeweils die
effizientesten Produktionsmethoden anzuwenden, dass aber auf der anderen Seite
auch keine Möglichkeit besteht, die Freiheit der Marktpartner einzuschränken
und die eigenen Kosten auf dritte unberechtigterweise abzuwälzen. Dieses für
das Funktionieren der Marktwirtschaft unerlässliche Haftungsprinzip bedeutet
auch – in negativem Sinne-, dass der Staat dieses Prinzip nicht dadurch außer
Kraft setzt, dass er die Verluste der Unternehmungen übernimmt.
Eine Konstanz der Wirtschaftspolitik hält Walter Eucken weiterhin für das
Funktionieren einer Marktwirtschaft für unerlässlich. Nur dann entsteht das
Vertrauen, das Voraussetzung dafür ist, dass die Unternehmer auch bereit sind,
die mit Innovation und Investition verbundenen Risiken auf sich zu nehmen.
Diese Forderung gilt auch für die Zinspolitik der Notenbank. Investitionen
beeinflussen die Kosten- und Ertragsverhältnisse für eine Vielzahl von Jahren;
nur dann, wenn die Zinsen langfristig weitgehend konstant bleiben, kann
erwartet werden, dass die Unternehmungen auch bereit sind, die für ein Wachstum
der Produktion notwendigen Investitionen durchzuführen.
Damit setzt sich der Neoliberalismus deutlich von gewissen Lehren des Keynesianismus
ab. In anderen hier im Internet veröffentlichten Artikeln habe ich gezeigt,
dass keynesianische Politik in einem ‚go and stop‘
Verfahren besteht. Wenn die private Nachfrage nachlässt, hat danach der Staat
‚Gas zu geben‘, sprich die Staatsausgaben zu erhöhen und die Zinsen zu senken
und umgekehrt, wenn die private Nachfrage überschäumt und
Inflationserscheinungen befürchtet werden müssen, dann sollte der Staat
‚bremsen‘, also die Staatsausgaben verringern und die Zinsen anheben. Ein
solches ‚go and stop‘ beraubt jedoch jede sichere
Risikoeinschätzung langfristiger Investitionen, sodass im Endergebnis gerade
eine Politik, welche ergriffen wird um auf diese Weise die Beschäftigung zu
steigern, dazu beiträgt, dass die privaten Investitionen und mit ihnen die
Beschäftigung zurückgehen.
Als letztes konstituierendes Prinzip fordert Walter Eucken eine Offenhaltung
der Märkte. Nur dann, wenn die Märkte gegenüber dem Ausland offen gehalten
werden und wenn nicht versucht wird, lästige Konkurrenz aus dem Ausland durch
Importzölle und andere Importbeschränkungen abzuwehren, können im Inland
wirkungsvoll die Schäden einer Monopolisierung einzelner Wirtschaftszweige
verhindert werden.
Walter Eucken spricht sich damit gegen eine Praxis der Staaten aus, welche
bereits bei den Merkantilisten eingeführt wurde und dann auch bis fast zu den
90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer wieder angewandt wurde. In
diesem Punkte sind sich Eucken und von Hayek durchaus einig, obwohl Friedrich
von Hayek Walter Eucken den Vorwurf gemacht hatte, er würde im Rahmen seiner
Marktformenlehre allzu sehr auf die morphologischen Strukturen achten und
übersehen, dass von einer potenziellen Konkurrenz – ermöglicht durch einen
freien Handel mit dem Ausland – genauso positive Effekte ausgehen wie von
tatsächlicher Konkurrenz im Inland.
3. Die regulierenden Prinzipien
Neben den konstituierenden Prinzipien, welche für die Märkte eine Ordnung
(Konstitution) schaffen, hat die Wirtschaftspolitik immer auch die Aufgabe,
einerseits die innere Aushöhlung der einmal geschaffenen Wettbewerbsordnung zu
verhindern, anderseits unerwünschte Marktergebnisse zu verhindern und zu
koordinieren. Auch im Zusammenhang mit diesen regulierenden Prinzipien ist eine
permanent wirkende Aktivität des Staates gefordert.
Das wichtigste regulierende Prinzip sieht Walter Eucken in einer aktiven
Wettbewerbspolitik, welche die Bildung von Monopolen verhindern soll. Im
Gegensatz zu den Altliberalen ist Eucken nicht der Auffassung, dass es
ausreiche, Wettbewerb einmalig herzustellen. Die Wettbewerbsordnung sei stets gefährdet,
stets müsse damit gerechnet werden, dass die Unternehmungen den für sie
lästigen Wettbewerb durch Zusammenschluss von Unternehmungen auszuschalten
versuchen. Hierbei reiche es nicht aus, durch Kontrolle der bestehenden
Monopole einen Missbrauch zu unterbinden, vielmehr sei es notwendig, die
Entstehung von Monopolen durch ein grundsätzliches Verbot von monopolistischen
Zusammenschlüssen zu verhindern.
Wettbewerb ist jedoch für den Erfolg einer freien Marktwirtschaft
unerlässlich. Es ist dem Wettbewerb zu verdanken, dass die Unternehmungen unter
dem permanenten Druck stehen, nach Kostensenkungen und Qualitätsverbesserungen
Ausschau zu halten, um nicht von den Mitbewerbern in den Konkurs getrieben zu
werden. Gleichzeitig sorge jedoch ein intensiver Wettbewerb zwischen den
Unternehmungen auch dafür, dass die erzielten Kostensenkungen an die
Endverbraucher in Form von Preissenkungen weitergegeben werden.
Ein Monopolist stehe nicht vor diesem Zwang. Da er sich nicht von einer
Konkurrenzfirma bedroht fühle, könne er auch auf den vergangenen Ergebnissen
ausruhen. Vor allem aber habe ein Monopolist die Möglichkeit, die Produktion zu
verknappen und damit die Preise anzuheben. Statt das der Markt hier eine
Leistung honoriere, erhalte der Monopolist einen Gewinn dafür, dass er die
Wohlfahrt der Bevölkerung einschränkt.
Walter Eucken grenzte sich mit dieser Forderung sowohl gegenüber
altliberalen als auch gegenüber interventionistischen Vorstellungen ab. Der
Altliberalismus war der Überzeugung, dass es ausreiche, eine Wettbewerbsordnung
einzuführen und dass sich eine einmal konstituierte Wettbewerbsordnung von
selbst erhalte. Demgegenüber betonte Walter Eucken immer wieder, das eine
Wettbewerbsordnung zwei Feinde habe, nicht nur – wie die Altliberalen glaubten,
den Staat –, sondern eben auch private Unternehmungen, welche bestrebt seien,
ihren Gewinn dadurch zu sichern und zu vergrößern, dass sie Wettbewerb durch
Fusionen und Zusammenschluss auszuschalten versuchen.
Die altliberale Vorstellung wurde demgegenüber von Friedrich von Hayek
aufgegriffen. Bei der Erhaltung der Wettbewerbsordnung komme es nicht so sehr
darauf an, die augenblicklichen tatsächlichen Wettbewerbsverhältnisse zu
kontrollieren, da auch von einem potenziellen Wettbewerb die dem Wettbewerb
zugedachten Funktionen ausgehen könnten. Es reiche also aus sicherzustellen,
dass potenzieller Wettbewerb stets zugelassen und nicht durch politische
Maßnahmen (Importbeschränkungen) unterbunden werde.
Wenn vor allem in der Außenwirtschaft alle protektionistischen Maßnahmen
zum Schutze der inländischen Unternehmungen unterlassen würden, seien die
inländischen Unternehmungen selbst dann, wenn sie auf den Inlandsmärkten eine
im morphologischen Sinne Monopolsituation inne hätten, nicht in der Lage, ihre
Monopolmacht auszuspielen; denn dann, wenn sie dies versuchen würden und durch
Verknappung des Inlandsangebotes die Preise nach oben anzuheben versuchten,
müssten sie stets damit rechnen, dass aus dem Ausland Konkurrenz entstünde, da
aufgrund der gestiegenen Inlandspreise ein Import ausländischer Waren
gewinnbringend werde. Eine Offenhaltung der Märkte reiche also aus, um Monopole
langfristig zu verhindern.
Gegenüber mehr interventionistisch orientierten Wissenschaftlern und
Politikern unterschied sich Walter Eucken dadurch, dass er nicht über eine
Missbrauchskontrolle, sondern durch striktes Kartellverbot eine Monopolbildung
zu verhindern versuchte. Nach Auffassung der mehr interventionistisch orientierten
Wissenschaftlern ist ein generelles Kartellverbot unerwünscht, da auf der einen
Seite bisweilen eine Monopolstellung gar nicht verhindert werden könne, dann
nämlich, wenn der Bedarf so gering sei, dass eine einzelne Unternehmung
ausreiche, um diesen Bedarf abzudecken. Auf der anderen Seite seien jedoch
bisweilen Zusammenschlüsse erwünscht, um z. B. Strukturkrisen zu überwinden.
Allerdings haben die Erfahrungen mit Kartellen zur Überwindung von
Strukturkrisen vor allem während der Weimarer Republik gezeigt, dass auf diesem
Wege wohl kaum Krisen überwunden werden können.
Die drei weiteren regulierenden Prinzipien dienen dazu, Marktversagen
möglichst auszuschließen. Im Rahmen einer Einkommenspolitik soll allen Menschen
ein minimaler Lebensstandard garantiert werden, wobei nach wie vor der
Grundsatz zu gelten habe, dass die Einkommensverteilung im Wesentlichen durch
den Markt zu koordinieren sei.
In der sozialen Marktwirtschaft wurde in der BRD mit der Tarifautonomie ein
Weg gefunden, die Einkommensverteilung möglichst marktnah zu gestalten. Die
Tarifautonomie weist die Festlegung der Tariflöhne und der anderen
Arbeitsbedingungen eindeutig den Tarifpartnern zu, wobei sich sowohl auf Seiten
der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber private Organisationen bilden
konnten, welche die Interessen beider Marktpartner vertreten.
Die regulierenden Prinzipien verlangen weiterhin, dass externe Effekte in
„exakt feststellbaren Fällen“ durch staatliche Eingriffe internalisiert werden.
Von externen Kosten spricht man hierbei immer dann, wenn knappe Ressourcen bei
der Produktion eingesetzt werden, welche mangels einer Eigentumsordnung
kostenlos bezogen werden können. Angesprochen ist in diesem Zusammenhang vor allem
die Umweltproblematik. Viele industrielle Unternehmungen leiten Abwässer in die
Flussläufe oder Umweltgifte wie Kohlendioxid in die Luft, ohne dass sie den
Schaden tragen, der durch diese Aktivitäten entsteht. Hier gilt es nach
Lösungen zu suchen, diese Kosten zu internalisieren, also den Urhebern dieser
Umweltschäden anzulasten.
Zu der Zeit, als Walter Eucken seine Grundsätze formulierte, gab es in der
Wirtschaftswissenschaft nur sehr wenige und nicht sehr hilfreiche Vorschläge,
auf welchem Wege diese externen Effekte internalisiert werden können. Im
Wesentlichen hatte Arthur Cecil Pigou
den Vorschlag unterbreitet, den externe Effekte erzeugenden Unternehmungen
eine Steuer in Höhe der jeweiligen externen Kosten aufzuerlegen. Die
Schwierigkeit bei diesem Vorschlag lag nur darin, dass es für diese
Umweltschäden keine Märkte gab und dass es deshalb auch gar nicht möglich war,
den Umfang der Schäden in Form eines Preises anzugeben.
Später wurden dann von der property-right-Bewegung,
einer Gruppe liberal denkender Ökonomen Vorschläge zur Internalisierung
externer Effekte vorgelegt, die eine Lösung dieses Problems brachten. Diese
Gruppe erkannte richtig, dass der eigentliche Grund dafür, dass externe Effekte
entstehen, darin liegt, dass für bestimmte Güter keine Eigentumsrechte existieren.
Luft wurde lange Zeit als freies Gut angesehen, das jeder in jeder beliebigen
Menge in Anspruch nehmen kann. Durch die externen Effekte wurde die Luft
verunreinigt und somit die reine Luft zu einem knappen Gut.
Nach diesem Vorschlag gibt der Staat sogenannte Verschmutzungsrechte aus,
welche die Unternehmungen, die umweltverschmutzende Produktionen durchführen,
erwerben müssen. Auf diese Weise erlangen die Unternehmungen starke Anreize,
neue umweltschonendere Verfahren zu entwickeln, weil sie auf diese Weise für
die gleiche Produktmenge weniger Verschmutzungsrechte erwerben müssen. Indem
der Staat nach gewisser Zeit einen Teil dieser Rechte zurückkaufen kann,
besteht auf diesem Wege zusätzlich die Möglichkeit, den Umfang der
Umweltverschmutzung zu reduzieren.
Gewisse Eingriffe in den Markt hält Walter Eucken auch dann für
gerechtfertigt, wenn auf den Arbeitsmärkten ein anomales Verhalten festgestellt
werden müsste. Als normal bezeichnet bekanntlich die neoklassische Theorie ein
Angebotsverhalten, wenn bei Preissenkungen eine Reduzierung, bei Preissteigerungen
hingegen eine Ausweitung des Angebots erfolgt. Ein normales Arbeitsangebot kann
im Allgemeinen aus dem Verlauf des abnehmenden Grenznutzens der Freizeit bzw.
aus dem Verlauf des ansteigenden Grenzleides der Arbeit erklärt werden. Wie
haben wir nun die Möglichkeit eines anomalen Arbeitsangebots zu erklären?
Wir wollen unterstellen, dass der Lohnsatz sinke und dass diese
Lohnvariation bei bestimmten Arbeitnehmern zu einer Zunahme des Arbeitsangebotes
führe. Ein solches Verhalten wird verständlich, wenn wir unterstellen, dass der
untersuchte Arbeitnehmer bisher ein Lohneinkommen nahe am Existenzminimum
erhalten hatte. Sinkt nun der Lohnsatz, so würde das Lohneinkommen bei einer
Reduzierung des Angebotes, aber bereits auch schon bei einem konstant
bleibenden Angebot unter das Existenzminimum sinken. Der Arbeitnehmer hat in
dieser Situation ohne Hilfe des Staates gar keine andere Möglichkeit als durch
Mehrarbeit wiederum auf das Existenzminimum zu gelangen. Es besteht wohl Einigkeit
darüber, dass dies eine sozialpolitisch nicht hinzunehmende Situation darstellt
und dass auch dann, wenn man im Allgemeinen die Marktergebnisse für die bessere
Lösung ansieht, in diesem Falle staatliche Hilfen unerlässlich sind.
4. Begrenzung auf marktkonforme Eingriffe
Der Liberalismus in seiner ursprünglichen Form lehnte jeden staatlichen
Eingriff in den Wirtschaftsprozess ab, da er von der Vorstellung ausging, dass
eine freie Marktwirtschaft auch ohne oder gerade ohne staatlichen Eingriff die
bestmöglichen Ergebnisse liefere. Walter Eucken urteilte in dieser Frage sehr
viel differenzierter. Auf der einen Seite ging er davon aus, dass der freie
Markt nicht immer zu sozial befriedigenden Ergebnissen führt, dass es unter
bestimmten Bedingungen durchaus staatlicher Maßnahmen bedürfe. Auf der anderen
Seite war er aber auch der Meinung, dass nicht jede staatliche Einflussnahme
für die Erhaltung des Marktes schädlich sei. Wichtig sei allein, dass der Staat
sich solcher Maßnahmen enthalte, welche den Markt gefährden.
Zur Klärung der Frage, welche staatlichen Maßnahmen denn ungefährlich seien
und welche anderen Maßnahmen auf jeden Fall unterbleiben sollten, formulierte
Walter Eucken das Kriterium der Marktkonformität. Eine Maßnahme des Staates
gilt solange als marktkonform, als der Staat sich darauf beschränkt, nur die
Daten des Wirtschaftsprozesses zu beeinflussen, die eigentlichen wirtschaftlichen
Entscheidungen jedoch den privaten Marktteilnehmern überlässt. Zu den wichtigsten
wirtschaftlichen Entscheidungen zählen hierbei die Festlegung der Angebots-
und Nachfragemengen von Gütern und Produktionsfaktoren, die Bildung des
Preises, die Wahl der Produktionstechnik und die Bestimmung des Produktionsstandortes.
Wenn der Staat also Preise – vielleicht auch nur in Form von Mindestpreisen
– verordnet, greift er in den Marktprozess ein, er übernimmt einen Teil der
wirtschaftlichen Entscheidungen, welche den privaten Marktpartnern überlassen
bleiben sollten. Wenn der Staat jedoch die Unternehmer oder aber auch
Arbeitnehmer zwingt, einen Teil ihrer Einkommen in Form einer Einkommenssteuer
an den Staat abzuführen, so handelt es sich hier um eine Änderung der Daten,
von denen die wirtschaftlichen Entscheidungen zwar abhängen, aber nicht diese
Entscheidungen als solche darstellen.
Es handelt sich hierbei also um eine marktkonforme Maßnahme, die zwar das
Ergebnis, nicht aber den eigentlichen Marktmechanismus beeinflusst. Der Staat
übt hier zwar einen Zwang aus, jeder einzelne Marktteilnehmer kann jedoch im
Prinzip nach wie vor frei entscheiden, ob er sein Angebot oder seine Nachfrage
aufrechterhält und zu welchen Bedingungen er zu dieser Marktteilnahme bereit
ist.
Die Frage, ob eine staatliche Maßnahme als marktkonform eingestuft werden
kann, wird hier eindeutig daran gemessen, ob und inwieweit die Vertragsfreiheit
erhalten bleibt. Eine marktkonforme Maßnahme kann zwar die Zahl der möglichen
Alternativen verringern, solange jedoch mehrere Alternativen verbleiben und der
einzelne nicht zu einer ganz bestimmten Entscheidung bei der Ausübung seines
Angebotes oder seiner Nachfrage gezwungen wird, liegt nach wie vor eine freie
Entscheidung des Marktteilnehmers vor.
5. Das Kollektivgüterangebot
Eine Marktwirtschaft ist dadurch ausgezeichnet, dass private Unternehmer
Individualgüter anbieten, wobei jeder Konsument – unabhängig von den
Entscheidungen der anderen Konsumenten – frei darüber entscheiden kann, welche
Güter er kaufen will und in welchen Mengen. Neben Individualgütern werden auch
Kollektivgüter benötigt. Kollektivgüter zeichnen sich nach einer Definition von
Mancur Lloyd Olson dadurch aus, dass kein Verbraucher vom Konsum dieses Gutes
ausgeschlossen werden kann, auch dann nicht, wenn dieser nicht bereit ist, für
die Herstellungskosten aufzukommen. Als klassisches Beispiel eines solchen
Kollektivgutes gilt die Straßenlaterne. Sie gibt jedem Licht, der in dieser
Straße wohnt oder diese benutzt, unabhängig davon, ob er sich an den Kosten zur
Erstellung dieser Straßenlaterne beteiligt oder nicht.
Mancur Lloyd Olson hat nun aufgezeigt, dass Kollektivgüter – würden sie auf
einem freien Markt angeboten – in zu geringem Maße nachgefragt würden. Der
Grund hierfür liegt darin, dass bei Kollektivgütern die den Produzenten
zufließenden privatwirtschaftlichen Grenzerträge stets geringer seien als die
der gesamten Volkswirtschaft entstehenden Grenzerträge. Privatwirtschaftliche
Grenzerträge entstehen immer dann, wenn jemand dieses Gut käuflich erwerben
würde. Da aber auch andere, welche zu keinem Kauf dieses Gutes bereit sind, aus
der Bereitstellung dieses Gutes Nutzen ziehen, übersteigt der
gesamtwirtschaftliche Grenzertrag stets den privatwirtschaftlichen.
Die gesamtwirtschaftliche Grenzertragskurve liegt also stets oberhalb der
privatwirtschaftlichen Grenzertragskurve. Dies hat selbst wiederum zur Folge,
dass der Schnittpunkt zwischen der Nachfrage- und der Angebotskurve (das
privatwirtschaftliche Gleichgewicht) bei einer geringeren Ausbringungsmenge
liegt als der Schnittpunkt zwischen gesamtwirtschaftlichen Grenzerträgen und
der Angebotskurve. Aber nur der Schnittpunkt der Angebotskurve mit der gesamtwirtschaftlichen
Grenzertragskurve zeigt das Wohlfahrtsoptimum an. Folgende Graphik verdeutlicht
diese Zusammenhänge:
Die rote Linie zeige den Verlauf der Angebots- (Grenzkosten-)kurve, die
hellblau dargestellte Kurve die gesamtwirtschaftliche, die dunkelblau
eingezeichnete Kurve schließlich die privatwirtschaftliche Grenzertragskurve.
Der Ausdruck (xp) markiere das privatwirtschaftliche,
der Ausdruck (xg) hingegen das gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht.

Da der Schnittpunkt mit der privatwirtschaftlichen Grenzertragskurve bei
einer geringeren Ausbringungsmenge liegt als der Schnittpunkt mit der
gesamtwirtschaftlichen Kurve, ist nachgewiesen, dass von den Kollektivgütern
eine zu geringe Menge nachgefragt wird. Jeder ist z. B. an dem Kollektivgut
‚Geldwertstabilität’ interessiert, trotzdem werden zu wenig Anstrengungen
unternommen, um dieses Gut zu erhalten. Dieser Konflikt wird in der Literatur
als Kollektivgutdilemma bezeichnet.
Aus diesen Überlegungen wurde nun der Schluss gezogen, dass das Angebot von
Kollektivgütern nicht dem freien Markt übertragen werden dürfe. Um eine
suboptimale Ausstattung einer Volkswirtschaft mit Kollektivgütern zu vermeiden,
müsse der Staat selbst diese Güter anbieten. Wenn man allerdings auch für das
Kollektivgüterangebot das Angebot an den Bedürfnissen der Bürger ausrichten
möchte, bedarf es wiederum einer Vorkehrung, die sicherstellt, dass sich das
Angebot an den Wünschen der Nachfrager ausrichtet.
Knut Wicksell hat in diesem Zusammenhang die Steuern als die eigentlichen
Preise für Kollektivgüter angesehen. Mit der Bereitschaft, Steuern in einem
bestimmten Umfang zu zahlen, geben die Steuerzahler zugleich kund, in welchem
Umfang sie Kollektivgüter nachfragen. Die Übereinstimmung zwischen Angebot und
Nachfrage erfolgt hier über die Wahlen zum Parlament.
Nehmen wir einmal an, dass sich zwei Parteien zur Wahl stellen: Partei C
und Partei S. Beide Parteien werben vor den Wählern damit, dass sie ein ganz
bestimmtes Paket von Kollektivgütern in Aussicht stellen für den Fall, dass sie
gewählt werden und die Regierung bilden können. Wir wollen unterstellen, dass
Partei C insgesamt ein kleineres Kollektivgüterpaket in Aussicht stellt als
Partei S. Indem sich nun die Mehrheit der Wähler für eine Partei entscheidet,
gibt sie kund, dass sie das von dieser Partei angebotene Kollektivgüterangebot
bevorzugt.
Nun müssen wir uns darüber klar werden, dass ein größeres Kollektivgüterangebot
auch höhere Steuereinnahmen bedeutet und dass in diesem Falle weniger Einkommen
zum Kauf von Individualgütern übrig bleibt. Indem also die Wähler eine
bestimmte Partei wählen, entscheiden sie sich für eine bestimmte
Zusammensetzung des Inlandsproduktes aus Individual- und Kollektivgüter.
Die Wahl zum Parlament wird jedoch nur dann die Nachfrage der Mehrheit der
Wähler zum Ausdruck bringen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Erstens gilt, dass nur dann, wenn sich mindestens zwei Parteien zur Wahl
stellen, auch der Wähler überhaupt die Möglichkeit erhält, sich zwischen
verschiedenen Alternativen zu entscheiden.
Zweitens können sich die Wähler nur dann zwischen den einzelnen
Alternativen rational entscheiden, wenn die Regierungen über die Legislaturperiode
hinweg verpflichtet sind, ihre Ausgaben mit regulären Steuereinnahmen zu
decken. Haben nämlich die Politiker die Möglichkeit, die Staatsausgaben
teilweise mit Krediten zu finanzieren, machen sie also ein Defizit des
Staatshaushaltes, dann bleibt es den Wählern verborgen, inwieweit das
Kollektivgüterangebot ihren privaten Konsum beschneidet.
Werden alle Staatsausgaben mit regulären Steuereinnahmen finanziert, dann
erfährt der einzelne Wähler unmittelbar in der Höhe der zu bezahlenden Steuern,
um wie viel er seinen privaten Konsum
dafür einschränken muss, dass er sich für eine Erhöhung des Kollektivgüterangebotes
entschieden hat. Werden jedoch die Kollektivgüter teilweise oder ganz defizitär
(also mit Krediten) finanziert, wird dem Wähler vorgegaukelt, er müsse auf
weniger Individualgüter verzichten, da er ja auch weniger Steuern zu zahlen
habe.
Diese Optik täuscht jedoch. In Wirklichkeit wird der Anteil der Individualgüter
in gleichem Umfang reduziert, wie der Anteil der Kollektivgüter vermehrt wird.
Wird der Zuwachs an Kollektivgüter nicht über zusätzliche Steuern finanziert,
dann zahlt der Bürger trotzdem die ‚Zeche‘ und zwar dadurch, dass die
Güterpreise steigen und damit das privat verfügbare reale Einkommen der Bürger
geschmälert wird. Der Bestand an Ressourcen ist stets knapp, je mehr für die
eine Verwendungsart (Kollektivgüter) eingesetzt wird, umso weniger bleibt für
die andere Verwendung (Individualgüter) übrig. Da die Bürger für den Zuwachs an
Staatsausgaben keine zusätzlichen Steuern zu zahlen haben, bleibt ihre
Nachfrage nach Gütern und indirekt nach den Ressourcen, welche zur Produktion
der Individualgüter benötigt werden, nominell gleichgroß.
Gleichzeitig verstärkt jedoch der Staat seine Nachfrage nach Ressourcen, um
damit die Kollektivgüter herzustellen. Die Nachfrage nach Ressourcen steigt
also und diese Nachfragesteigerung führt automatisch zu Preissteigerungen, da
nun die Nachfrage das konstant gebliebene Angebot an Ressourcen übersteigt.
Nachfrageüberhänge führen stets zu Preissteigerungen. Selbst dann, wenn der
Staat diese Preissteigerung verbieten wollte, würde sich nicht viel ändern. Der
Ressourcenbestand bliebe zu gering, sodass die Verbraucher in jedem Falle
aufgrund der Nachfragesteigerung eine reale Einbuße beim Konsum der
Individualgüter hinnehmen müssten.
Wir haben hier von der Möglichkeit abgesehen, dass aufgrund einer
Depression trotz Knappheit nicht alle Ressourcen produktiv eingesetzt wurden,
also brach lagen. Aber diese Einschränkung gilt nur in kurzfristiger Sicht, da
auf lange Sicht die Konjunktur wieder eines Tages anzieht und deshalb wiederum
Knappheit an Ressourcen vorherrscht. Auf lange Sicht bedarf es auf jeden Fall
eines Budgetausgleich, um die Wünsche der Mehrheit zu realisieren.
Die Ausrichtung der Produktion von Kollektivgütern an den Bedürfnissen der
Mehrheit funktioniert weiterhin im Allgemeinen nur innerhalb eines
Mehrheitswahlsystems, bei dem jeweils derjenige Kandidat als gewählt gilt, der
in seinem Stimmbezirk die Mehrheit erlangt hat und bei dem die restlichen, unterlegenen
Stimmen unter den Tisch fallen. Mehrheitswahlsysteme zeichnen sich dadurch aus,
dass zumeist eine Partei so viel Stimmen erlangt, dass sie allein eine
Regierung bilden kann. Bei einem solchen System kann die Mehrheit der Wähler
davon ausgehen, dass auch ihre Wünsche von der Regierung aufgegriffen werden.
Die regierende Partei hatte nämlich die Mehrheit nur dadurch erzielt, dass sie
bereits vor der Wahl einen Kompromiss zwischen den Vorstellungen der
verschiedenen Bevölkerungsgruppen herbeigeführt hat, über den dann die Wähler
abzustimmen haben.
Beim Verhältniswahlrecht hingegen setzt sich das Parlament entsprechend den
Stimmenverhältnissen in der Bevölkerung zusammen. Wenn eine Partei x Prozent
der Wählerstimmen bei der Wahl erringen konnte, dann verfügt diese Partei
ebenfalls über x Prozent der Parlamentssitze. Dieses System führt in aller
Regel dazu, dass keine Partei bei den Wahlen die absolute Mehrheit erringen
konnte mit der Folge, dass eine Koalitionsregierung mit mehreren Parteien
gebildet werden muss. Zumeist gestattet der Ausgang der Wahl verschiedene
Zusammenstellungen aus mehreren Parteien. Dies bedeutet jedoch, dass nach
Ausgang der Wahl keinesfalls feststeht, welchen Kompromiss die Regierung
tatsächlich realisieren wird, der Einfluss des Wählers ist in diesem Fall
gering.
Ganz allgemein muss man auch feststellen, dass die Ausrichtung des
Kollektivgüterangebotes am Bedarf der Bevölkerung stets wesentlich weniger
optimal ist als es bei dem Angebot an Individualgütern in einer Marktwirtschaft
erfolgt, in welcher die Unternehmer unter Konkurrenzbedingungen produzieren.
Während der Konsument im Hinblick auf das Individualgüterangebot seine Wahl
unabhängig davon treffen kann, welche Einkommensverwendung die jeweils anderen
Konsumenten treffen, ist das Kollektivgut stets für die gesamte Bevölkerung das
gleiche. Zusätzlich kommt hinzu, dass bei der Einkommensverwendung über Art und
Umfang für jedes einzelne Gut eine getrennte Entscheidung gefällt werden kann,
wenn man beim Möbelkauf einen ganz bestimmten Stil bevorzugt hat, so bindet das
den Haushalt nicht beim Einkauf der Lebensmittel. Auf der politischen Ebene
hingegen hat der Wähler nicht über die einzelnen anstehenden Fragen zu entscheiden,
erwählt vielmehr mit einer Partei eine ganz bestimmte Kombination der Lösungen
für die anstehenden Probleme.
Schließlich kann der Haushalt bei seinem Kauf von Individualgütern
jederzeit seine Nachfrage ändern, der Umstand, dass er beim letzten Einkauf
eine ganz bestimmte Güterqualität bevorzugt hatte, hindert ihn nicht, beim
nächsten Kauf seine Bedürfnisse mit ganz anderen Gütern zu befriedigen. Bei der
politischen Entscheidung hingegen ist die Regierung mit wenigen Ausnahmen für
eine ganze Legislaturperiode von mehreren Jahren gewählt. Dies bedeutet, dass
ein Wandel in den Auffassungen der Bevölkerung über die politischen Lösungen
bis zur nächsten Wahl keinen Einfluss hat.
Aus all diesen Gründen sollte überall dort, wo sich der Bedarf der
Bevölkerung mit Hilfe von Individualgütern befriedigen lässt, auch dieser Weg
beschritten werden. Der Weg eines Kollektivgüterangebotes sollte nur
beschritten werden, wenn ein bestimmtes Ziel nur durch Kollektivgüter befriedigt
werden kann. Dies ist z. B. der Fall bei dem Gut Rechtssicherheit und
Strafverfolgung. Hier liegt es in der Natur der Zielsetzung, dass nur auf dem
Wege eines Kollektivgüterangebotes eine befriedigende Lösung gefunden werden
kann.
Bei anderen Bedürfnissen wie z. B. beim Ausbau eines Verkehrsnetzes dürften
im Falle einer individuellen Regelung im Allgemeinen – mit Ausnahme von
Autobahnen – die Überwachungskosten so hoch sein, dass aus diesen Gründen keine
Individualgutlösung gewählt werden kann.
6. Die These vom
‚race to bottom’
An dieser Stelle sollte noch auf eine weitere Schwierigkeit hingewiesen
werden. Hans Werner Sinn hat die These formuliert, dass in einer freien
globalisierten Welt kein Staat mehr in der Lage sei, Steuersätze und
Sozialversicherungsbeiträge nach eigenständigen sozialpolitischen Kriterien
festzusetzen; vielmehr bestehe in dieser Frage ein Wettbewerb der Staaten
untereinander um die Höhe der Steuersätze und Sozialversicherungsbeiträge.
Wenn ein einzelner Staat seine Steuersätze heruntersetze, stünden die andern Staaten unter starkem Druck, diesem Beispiel
zu folgen. Die Herabsetzung der Steuersätze und Sozialversicherungsbeiträge
würde nämlich den Unternehmungen dieser Staaten Kostensenkungen bringen, mit
der Folge, dass ihre eigene internationale Wettbewerbsfähigkeit steige, die der
ausländischen Konkurrenten jedoch sinke. Unter diesen Umständen ständen dann
die anderen Staaten unter starkem Druck, diesem Beispiel zu folgen und die
Abgabensätze ebenfalls zu senken.
In diesem Wettbewerbskampf bestimme letztendlich der Staat, der sich die
geringsten Steuer- und Sozialversicherungslasten leiste, die Höhe der
international gültigen Abgaben. Da es aber nun von der Höhe der Abgaben
abhänge, wie viel der Staat für Infrastrukturinvestitionen und für
Umverteilungsmaßnahmen ausgeben könne, besteht in diesem Wettbewerb eine
Tendenz, das Niveau der öffentlichen Ausgaben an dem Staat auszurichten, der
die geringsten Ausgaben für das öffentliche Wohl plane. Also könnte man auch
hier von einer Art Grenzmoral der Staaten sprechen, die durch Wettbewerb
ausgelöst werde.
Die hier aufgezeigten Zusammenhänge des ‚race to bottom’ entsprechen
sicherlich der Realität, wenn wir jedoch im Hinblick auf die Schlussfolgerungen
in moralischer Hinsicht auch einige Einschränkungen anbringen müssen. Der
Wettbewerb dreht sich hier um die Steuer- und Beitragssätze, das Ausgabenvolumen
der Staaten wird jedoch von der Summe dieser Abgaben bestimmt, welche sich als
Produkt aus Abgabensatz und Niveau der Bemessungsgrundlage errechnet. Es ist durchaus
denkbar, dass der Staat mit den geringsten Steuersätzen trotzdem ein mit den
anderen Staaten vergleichbar hohes Abgabenaufkommen aufweist.
In der Realität zeichneten sich in der Vergangenheit vor allem Staaten, die
am Anfang der industriellen Entwicklung standen, darin aus, Anreize zu setzen,
internationales Kapital und Arbeitskräfte durch ein Angebot geringer
Steuersätze ins eigene Land zu locken. Das Abgabenvolumen dieser Staaten war jedoch
trotzdem relativ (d. h. bezogen auf das Inlandsprodukt) hoch, da ein Staat in
der Anfangsphase der industriellen Entwicklung weit höhere Wachstumsraten als
die bereits wirtschaftlich gesättigten Staaten aufweist. Da in diesen Staaten zumeist auch das Lohnniveau
mangels starker Gewerkschaften relativ gering ist, gelingt es diesen Staaten,
Kapital zu importieren, damit die Produktivität weiter zu steigern und
schließlich trotz niedriger Steuersätze besonders hohe Infrastrukturinvestitionen
vorzunehmen.
Aus moralischer Sicht ist diese Vorrangstellung der am Anfang der
Entwicklung stehenden Staaten in diesem Wettbewerb allerdings auch nicht
unbedingt verwerflich. Es sind ja die Staaten, die innerhalb der
internationalen Einkommensskala an unterer Stelle stehen, sodass diese
Verbesserung in den Startbedingungen durch eine Politik niedriger Abgabensätze
moralisch durchaus begrüßt werden kann. Benachteiligt sind in diesem Wettbewerb
die reichsten Volkswirtschaften, deren Wachstumsrate gerade wegen ihres bereits
erreichten Wachstumsniveaus geringer ausfällt.
Weiterhin zeigt die Politik Ronald Reagans in den 80er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts in den USA, dass auch Staaten mit sehr hohem
Wachstumsniveau unter gewissen Bedingungen durchaus in der Lage sind, den
Umfang der Steuereinnahmen durch Herabsetzung der Steuersätze zu erhöhen. Wenn
durch die Herabsetzung der Steuersätze konjunkturelle Aufwärtsimpulse ausgelöst
werden, kann u. U. der Anstieg des Inlandsproduktes höher ausfallen als der
Rückgang der Steuereinnahmen pro Inlandsprodukteinheit und damit das Steuervolumen
sogar vergrößern. Gleichzeitig kann die Herabsetzung der Steuersätze den
Umfang der Steuerhinterziehung und -umgehung
vermindern, da illegale Aktivitäten sich nicht mehr so sehr wie bisher lohnen
und da das bei jeder illegalen Aktion vorhandene Risiko nun von den
potenziellen Steuersündern als zu hoch eingeschätzt wird.
Insbesondere muss jedoch festgestellt werden, dass durch diesen Wettbewerb
zunächst nur die bisherige Steuerpolitik ineffizient wird. Änderungen in der
internationalen Arbeitsteilung, wie sie durch eine weltweite Globalisierung
eingetreten sind, verlangen eben auch eine Anpassung der Abgabenpolitik der
Staaten.
In meinem Artikel über Wege zur Gerechtigkeit habe ich dargelegt, dass man
das Steuersystem durchaus so reformieren könnte, dass die sozialen Ziele auch
unter den Bedingungen einer Globalisierung erreicht werden. Im Hinblick auf die
notwendigen Infrastrukturinvestitionen des Staates ließe sich an Wicksells Idee
anknüpfen, die Steuern als Preis der öffentlichen Investitionen zu verstehen;
man würde damit ein Verfahren in Gang setzen, bei dem die einzelnen
öffentlichen Träger (Gemeinden, Staaten) in Wettbewerb zueinander um die
Standorte der Unternehmungen eintreten; die zu zahlenden Steuern dürften keine
einseitigen Belastungen bzw. die Steuernachlässe keine einseitigen Begünstigungen
darstellen. Die Unternehmungen erhielten vielmehr - genauso wie beim Ankauf
privater Güter - auch für die Entrichtung einer Steuer mit der in Anspruch
genommenen Infrastruktur einen vollen Gegenwert.
7. Verteilungs- und Sozialpolitische Eingriffe
Es entspricht einem weitverbreiteten Vorurteil, dass der Neoliberalismus
die soziale Frage vernachlässige. Dieses Urteil trifft weder auf den
Neoliberalismus im Allgemeinen, noch auf Walter Eucken, den Begründer des
Neoliberalismus im Besonderen zu. In seinen Grundsätzen zur Wirtschaftspolitik
wird die soziale Frage nicht nur ausführlich behandelt, sie steht sogar im
Zentrum der Grundsätze der Wirtschaftspolitik.
Im Rahmen dieser Kritik wird übersehen, dass es im Wesentlichen die von
Walter Eucken entwickelten Gedankengänge waren, die in der unmittelbaren Zeit
nach dem zweiten Weltkrieg zur Einführung der ‚sozialen’ Marktwirtschaft
geführt haben, dass weiterhin in den von Eucken geforderten regulierenden
Prinzipien eine Einkommenspolitik gefordert wird, welche allen Menschen einen
minimalen Lebensstandard garantiert, und dass auch dann, wenn ein anomales
Verhalten des Angebots auf dem Arbeitsmarkt befürchtet werden müsse, ein
staatlicher Eingriff als notwendig erachtet wird.
W. Eucken erkennt an, dass es nicht verwunderlich sei, dass unter den im
19. Jahrhundert bei der Einführung der Industrialisierung vorliegenden sozialen
Missständen die Idee der freien Ordnung, die den Arbeitnehmern zunächst faktisch
keine Freiheit gebracht habe, auf Widerstand gestoßen sei. Entscheidend sei
jedoch, dass diese Mängel aufgrund eines Nachfragemonopols auf den Arbeitsmärkten
aufgetreten seien und nicht, wie K. Marx behauptet habe, deshalb, weil die
Arbeiter im Zuge der Industrialisierung ihr Eigentum an Produktionsmitteln
verloren hätten.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts habe sich die Lage der Arbeiter wesentlich
verbessert. Nicht etwa deshalb, weil die Trennung der Arbeiter vom Eigentum an
den Produktionsmitteln rückgängig gemacht worden wäre, sondern weil die
Produktivität der Arbeit aufgrund zunehmender Mechanisierung gestiegen sei, und
weil das Nachfragemonopol auf den Arbeitsmärkten weitgehend überwunden werden
konnte.
Die Abhängigkeit der Einkommenshöhe vom Markt könne zwar durchaus zu
Ungerechtigkeit führen, aber die Abhängigkeit von zentralen Machtkörpern sei
noch viel gefährlicher. Beim Übergang zur staatlichen Planwirtschaft sei die
eine Form der Unsicherheit nur durch eine andere Form abgelöst worden.
Die Geschichte habe gezeigt, dass weder eine Kollektivierung des Eigentums
an Produktionsmitteln noch eine zentrale Planung eine befriedigende Lösung der
sozialen Frage gebracht habe, vielmehr sei auf diesem Wege die Unfreiheit
vergrößert worden und gerade in dieser Ausweitung der Unfreiheit liege die neue
soziale Frage.
Man sollte die Lösung der sozialen Frage nicht in der Abschaffung des
Privateigentums suchen. Privateigentum könne zwar zu Missständen führen,
Kollektiveigentum müsse jedoch dazu führen. Das Kollektiv könne zwar
Arbeitslosigkeit vermeiden, aber es beschwöre die viel schwerere Gefahr
persönlicher Unsicherheit herauf. Eine Verkehrswirtschaft könne andererseits
den Menschen wirtschaftliche Sicherheit gewähren, allerdings nur dann, wenn sie
störungsfrei verlaufe.
Sozialpolitik sei notwendig, sie dürfe jedoch nicht den Markt außer Kraft
setzen, sie bestehe vielmehr selbst in einer Ordnungspolitik. Es sei gerade der
Wettbewerb, der einseitige monopolistische Vermachtungserscheinungen abzubauen
hilft und der damit eine ausgeglichene Verteilung der materiellen Güter
zwischen Unternehmungen und Haushalten, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
ermögliche. Insofern trage der Wettbewerb eben nicht nur für eine möglichst
effiziente, am Konsumenteninteresse ausgerichtete Allokation bei, er ermögliche
auch gleichzeitig eine durchaus befriedigende Distribution des
Inlandsproduktes.
Umgekehrt gelte, dass überall dort, wo der Markt zu Ergebnissen geführt
habe, die als höchst ungerecht angesehen wurden, es fast immer daran gelegen
habe, dass der Wettbewerb unterbunden war und dass deshalb unbefriedigende
Verteilungsergebnisse realisiert wurden.
Die Tarifordnung sieht in der BRD vor, dass den zwischen Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbänden abgeschlossenen Tarifverträgen ein höherer Rechtsschutz
gewährt wird als den anderen privatrechtlichen Verträgen. So darf z. B. der
Tariflohn auch dann nicht unterschritten werden, wenn ein Unternehmer mit
vollem Einverständnis der betroffenen Arbeitnehmer eine geringeren Lohnsatz
festlegen würde, auch dann nicht, wenn durch diese Vereinbarung die
Arbeitsplatzsicherheit der betroffenen Arbeitnehmer erhöht würde.
Darüber hinaus wird den Gewerkschaften das Streikrecht zuerkannt, aufgrund
dessen sie die Möglichkeit besitzen, die Arbeit kollektiv vorübergehend
auszusetzen, um auf diesem Wege Druck auf die Arbeitgeber auszuüben und sie zu
Lohnzugeständnissen zu bewegen.
Ob und wann es tatsächlich zum Ausbruch eines Streiks kommt, hängt nun
nicht nur von den Motiven der Tarifpartner, sondern auch davon ab, welche
Formen eines Arbeitskampfes vom Gesetzgeber erlaubt sind und welche
Streikaktivitäten rechtlich begünstigt werden. Gerade in der Frage der Streikordnung
unterscheiden sich die einzelnen Länder in starkem Maße.
So bestehen in den einzelnen Ländern vor allem Unterschiede in der Frage,
in wieweit eine Aussperrung der Arbeitnehmer überhaupt erlaubt ist. Es gibt
Länder, welche jede Art von Aussperrung verbieten. In der BRD ist Aussperrung
zwar grundsätzlich erlaubt, in einzelnen Bundesländern (wie z. B. Hessen)
verbietet die Landesverfassung allerdings eine Aussperrung. Unabhängig davon,
ob Bundesrecht Landesrecht bricht, haben die obersten Arbeitsgerichte der BRD
festgestellt, dass nur Abwehraussperrungen rechtens sind, dass also nur in
Antwort auf einen bereits ausgerufenen Streik mit Aussperrung geantwortet
werden darf.
In der Frage nach der Berechtigung eines Streiks ist das Recht zum Streiken
in den meisten hochentwickelten Volkswirtschaften in der Regel sogar in der
Verfassung verankert. Trotzdem ergeben sich in dieser Frage beachtliche
Unterschiede von Land zu Land. In vielen Ländern – wie z. B. auch in den USA
und in einem Teil der skandinavischen Staaten – hat der Staat unter gewissen
Voraussetzungen das Recht, einen Arbeitskampf zu beenden. Auch regeln Gesetze,
was im Rahmen eines Arbeitskampfes erlaubt ist oder auch nicht. Die BRD kennt
zu dem grundgesetzlich geschützten Recht keinerlei ausführende Gesetze zum
Arbeitskampf. Die obersten Arbeitsgerichte haben jedoch eine Reihe von
Prinzipien entwickelt, anhand derer entschieden wird, welche konkreten
Aktivitäten während eines Arbeitskampfes rechtens sind.
Die Arbeitsgerichte ließen sich insbesondere von folgenden Prinzipien
leiten:
- vom Prinzip der Kampfparität zwischen den Tarifparteien,
- vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Kampfmittel,
- vom Prinzip der Neutralität des Staates und
- vom Prinzip der Friedenspflicht
Vom Prinzip der Kampfparität zwischen den Tarifparteien: So bemühten sich
die obersten Arbeitsgerichte vor allem um eine Ausgewogenheit in der Machtausübung
beider Tarifpartner. Ohne die ausdrückliche Anerkennung der Gewerkschaften
(Koalitionsfreiheit und Streikrecht) müsste befürchtet werden, dass die
Arbeitgeber auf den Arbeitsmärkten über ein Nachfragemonopol verfügten, und
zwar in der Anfangsphase der Industrialisierung vor allem deshalb, weil die
Arbeitnehmer eine geringe regionale Mobilität besaßen und deshalb oftmals auf
ein einzelnes Unternehmen in der Gemeinde angewiesen waren; gleichzeitig waren
die Arbeitnehmer vom Unternehmer abhängig, da die Arbeitskraft deren einzige
Einkommensquelle darstellte.
Heute wären die Arbeitnehmer ohne gewerkschaftlichen und gesetzlichen
Schutz den Unternehmungen eher deshalb unterlegen, weil vor allem die
Großunternehmungen im Hinblick auf die Ausgestaltung der Arbeitsverträge über
ein Informationsmonopol verfügen. Würde die Tarifordnung andererseits nur den
Arbeitnehmern ein Kampfrecht zuerkennen, bestünde die Gefahr, dass das Pendel
der Machtverteilung umschlüge und dass deshalb die Gewerkschaften ein
einseitiges Angebotsmonopol erlangen könnten.
Deshalb wird den Arbeitgebern in der BRD ein Aussperrungsrecht zuerkannt,
wobei der Umfang der Aussperrungsmöglichkeit selbst wiederum zur Wahrung der
Kampfparität in Abhängigkeit des Streikumfanges der Gewerkschaften begrenzt
wird. Im Allgemeinen sind die Arbeitgeber allerdings nur zu sogenannten
Abwehraussperrungen berechtigt, die dazu dienen, zuvor eingeleitete Streiks zu
begrenzen. In der Begründung wird ausgeführt, dass Angriffsaussperrungen nur
dann als zulässig gelten könnten, wenn die Arbeitgeber das Ziel verfolgen
würden, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. In der Regel werden jedoch
geltende Tarifverträge nur von Seiten der Gewerkschaften gekündigt mit dem
Ziel, die Lohnsätze zu erhöhen oder die sonstigen Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Da in der Bundesrepublik bisher keine Angriffsaussperrungen durchgeführt
wurden, haben sich die Gerichte auch noch nicht eigens mit diesem Kampfmittel
befasst und sind deshalb nur am Rande auf dieses Kampfmittel eingegangen;
hieraus erklärt sich, dass die Berechtigung von Angriffsaussperrungen in der
Literatur kontrovers diskutiert wird.
Vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Kampfmittel: Die Gerichte achten
darauf, dass die Maßnahmen im Hinblick auf die Ziele der Tarifpartner
verhältnismäßig sind. So darf keine Tarifpartei Maßnahmen ergreifen, die
geeignet sind, den jeweiligen Tarifpartner vernichtend zu schlagen. Auch muss
darauf geachtet werden, dass allgemeine Gemeinwohlziele von den
Kampfmaßnahmen nicht zu stark beeinträchtigt werden. So sind Streiks im Gesundheitswesen
nur in begrenztem Maße erlaubt. Auch sind politische Streiks, die sich gegen
die demokratischen Entscheidungen der Parlamente und Regierungen wenden,
untersagt. Schließlich dürfen die Kampfmaßnahmen nicht in erster Linie unbeteiligte
Dritte treffen.
Vom Prinzip der Neutralität des Staates: Tarifautonomie bedeutet, dass der
Lohnbildungsprozess den Tarifpartnern vorbehalten bleibt, dass der Staat keine
einseitige Partei zugunsten der einen Seite ergreifen darf. Trotzdem übt der
Staat vielfältigen Einfluss auf das Tarifgeschehen aus, wobei diese Einflussnahme
vor allem damit gerechtfertigt werden kann, dass über die Festlegung der Löhne
und der sonstigen Arbeitsbedingungen gesamtwirtschaftliche Ziele, deren
Verfolgung dem Staate obliegen, beeinträchtigt werden können. Dies gilt
insbesondere im Hinblick auf das Ziel der Geldwertstabilität und
Vollbeschäftigung.
Vom Prinzip der Friedenspflicht: Die Gerichte sind weiterhin bemüht,
Arbeitskonflikte soweit wie möglich zu vermeiden. Diesem Ziel dient
insbesondere der Grundsatz, dass während der Dauer der Tarifverhandlungen keine
Arbeitskampfmaßnahmen eingeleitet werden dürfen. Strittig ist allerdings die
Frage, inwieweit Warnstreiks, die nur für eine kurze Zeit eine
Arbeitsunterbrechung vorsehen und die von vornherein zeitlich auf wenige
Stunden oder Tage begrenzt sind, die Friedenspflicht verletzen.
Weiterhin gelten sogenannte wilde Streiks, die ohne formale Urabstimmung
und ohne Leitung der Gewerkschaftsspitze von einzelnen Mitgliedern ausgerufen
werden, als illegitim. Zwar sind die formalen Voraussetzungen für einen
offiziellen Streik in den Gewerkschaftssatzungen niedergelegt und betreffen
deshalb zunächst lediglich das Innenverhältnis zwischen
Gewerkschaftsmitgliedern und Gewerkschaftsführung. Die Tarifautonomie sieht
jedoch für die Aktivitäten der Tarifpartner einen weit größeren gesetzlichen
Schutz vor als dies für Aktivitäten sonstiger privater Organisationen gilt, und
dieser besondere Schutz entfällt, wenn z. B. im Rahmen wilder Streiks die
Interessensphäre der Arbeitgeber verletzt wird.
Das jeweils geltende Arbeitskampfrecht ist nicht die einzige institutionelle
Regelung, die auf das Streikverhalten Einfluss ausübt. Ob es tatsächlich zu
einem Streikausbruch kommt, hängt entscheidend davon ab, ob die Gewerkschaften
von der Annahme ausgehen, dass die Arbeitgeber durch Androhung eines Streiks
weitere Lohnzugeständnisse einräumen. Es liegt nicht im Interesse der
Arbeitnehmer, auch dann noch mit Streik zu drohen und gegebenenfalls einen
Streik auszurufen, wenn die Arbeitgeber bereits die äußerste Verhandlungsgrenze
erreicht haben.
Ob die Gewerkschaften mit Streik drohen, hängt also unter anderem auch
davon ab, welche Informationen die Gewerkschaften über das Verhalten der
Arbeitgeber besitzen. Und in diesem Zusammenhang kommt die Mitbestimmung ins
Spiel. Da bei einer institutionellen Mitbestimmung Arbeitnehmervertreter im
Vorstand und in den Aufsichtsräten einer Unternehmung mitwirken, sind diese
natürlich sehr viel besser über die Verhandlungsgrenzen der Arbeitgeber
unterrichtet als dies ohne Mitwirkung der Arbeitnehmerseite der Fall wäre.
Dieser Zusammenhang dürfte im Prinzip auch dann gelten, wenn nicht die
Gewerkschaften als solche, sondern hiervon in formaler Hinsicht unabhängige
Arbeitnehmervertreter im Vorstand und in den Aufsichtsräten einer Unternehmung
sitzen und die Mitglieder dieser Gremien an und für sich zur Geheimhaltung verpflichtet
sind.
Verfügt aber die Arbeitnehmerseite über solche Informationen zur
Verhandlungsgrenze der Arbeitgeber, so sind die Gewerkschaften auch besser in
der Lage, in den Tarifverhandlungen ihren Spielraum besser auszureizen. Sie
können solange mit Streik drohen, als die Verhandlungsgrenze der Arbeitgeber
noch nicht erreicht ist, ohne befürchten zu müssen, dass sie notfalls zu einem
Streik bereit sein müssen. Sie erreichen auf diese Weise im Durchschnitt
bessere Verhandlungsergebnisse und müssen in geringerem Maße zum Streikmittel
greifen. In den Wirtschaftszweigen und Ländern, in welchen eine institutionalisierte
Mitbestimmung der Arbeitnehmer gilt, ist somit eine geringere Streikaktivität
zu erwarten.
Trotz der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie hat der Staat
vielfältige Möglichkeiten, auf den Lohnprozess Einfluss zu nehmen. Erstens ist
der Staat der größte Arbeitgeber und führt in dieser Eigenschaft Tarifverhandlungen
mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Zweitens können die
Arbeitsminister Tarifverträge auf Verlangen mindestens eines betroffenen
Tarifpartners für allgemeingültig erklären. Drittens besteht die Möglichkeit,
dass Regierungsmitglieder als Schlichter herangezogen werden. Viertens hat der
Staat in der Vergangenheit den Versuch gemacht, in Gesprächsrunden
(Konzertierte Aktion, Bündnis der Arbeit) mit den Tarifparteien
Orientierungsdaten zu entwickeln, die allerdings wegen der Tarifautonomie nicht
verbindlich sein können. Fünftens gilt neuerdings
für fast alle Arbeitnehmer ein gesetzlicher Mindestlohn.
Auch im Hinblick auf die Absicherung gegenüber den sozialen Risiken der
Krankheit, des Unfalls, der des Alters und der Arbeitslosigkeit sieht unsere
Wirtschafts- und Sozialordnung gravierende staatliche Korrekturen vor. Neben
privaten Versicherungsunternehmungen gibt es Einrichtungen einer gesetzlichen
Sozialversicherung. Es besteht für den größten Teil der Arbeitnehmer
Versicherungspflicht. Der Staat erlässt einen Katalog der Mindestleistungen
einer Versicherung, der überschritten aber nicht unterschritten werden darf.
Die Beiträge zur Sozialversicherung werden nach sozialen Kriterien, wie
Einkommen und Familienstand, nicht aber wie bei privaten Versicherungen nach
der Höhe des versicherten Risikos erhoben. Diese werden in der gesetzlichen
Krankenversicherung aufgrund neuerer Regelungen einheitlich festgesetzt, wobei
allerdings die einzelnen Krankenkassen die Möglichkeit haben, Zuschläge zu
diesen gesetzlichen Beitragssätzen zu erheben. Zwischen den gesetzlichen
Krankenkassen besteht ein Solidarausgleich, überdurchschnittliche Erlöse müssen
abgeführt werden und werden den Krankenkassen überwiesen, welche aufgrund
eines ‚ schlechten Risikos‘ unterdurchschnittliche Erlöse erzielen. Von einem
schlechten Risiko spricht man hierbei immer dann, wenn die
Risikowahrscheinlichkeit bei den Mitgliedern einer Krankenkasse
überdurchschnittlich hoch ist.