Fragen des europäischen Krisenmechanismus
Gliederung:
1.
Einführung
2.
Staatsverschuldung bei eigener Währung
3.
Staatsverschuldung bei einem Währungsverbund
4.
Built in flexibility versus autonome Entscheidungen
5.
Ex ante versus ex post-Kontrollen
6.
Finanzielle versus dispositionelle Anreize
7.
Zur finanziellen Beteiligung der Banken
8.
Schuldenmoratorien unerwünscht?
9.
Vorübergehende Aussetzung der Mitgliedschaft?
1.
Einführung
Als Anfang des Jahres 2010 Griechenland in
eine Schuldenkrise geriet und die Europäische Währungsunion um finanzielle
Hilfe bat, befürchteten die meisten Politiker, dass Griechenland auch die
Stabilität des Euro bedrohe und entschlossen sich deshalb für eine – Milliarden
hohe – Kreditgewährung an Griechenland.
In der Tat fiel der Euro aufgrund dieser
Krise in beachtlichem Maße, obwohl der Euro auch auf seinem Tiefpunkt immer
noch in etwa der Kaufkraftparität zum Dollar entsprach. Es wurde befürchtet,
dass die griechische Schuldenkrise weitere Länder mit ebenfalls extrem hoher
Staatsverschuldung (so etwa Spanien und Portugal) in den Abwärtssog mitreißen
könne.
In der Zwischenzeit hatte sich der Euro für
eine kurze Zeit vor allem auch aufgrund der eingeleiteten Maßnahmen und
Reformabsichten der Europäischen Union wieder erholt und erreichte Werte, die
weit über der Kaufkraftparität lagen.
Gegen Ende des Jahres 2010 geriet nun Irland
ebenfalls in eine Krise, zunächst drängte die Europäische Union Irland,
Stützungsmaßnahmen in Milliardenhöhe aus dem in der Zwischenzeit gebildeten
europäischen Krisenfonds anzunehmen und die irische Regierung schien auch
bereit, einen solchen Kredit bei der Europäischen Union zu beantragen, geriet
jedoch aufgrund dieser Entscheidung in eine Regierungskrise, da die
Koalitionspartner nicht bereit waren, diesen Antrag mit zu unterstützen. Die
Folge bestand dann darin, dass Neuwahlen angesetzt wurden und dass nun die
Gefahr besteht, dass aus dieser Wahl eine Regierung hervorgeht, welche diesen
Kreditantrag an die europäische Union (vorwiegend aufgrund der Auflagen und des
damit verbundenen Verlustes der fiskalpolitischen Unabhängigkeit) ablehnt und
damit erneut die Stabilität des Euro gefährden könnte.
Wir müssen uns allerdings darüber im Klaren
sein, dass die Ursachen dieser Schuldenkrisen Griechenlands und nun Irlands
ganz unterschiedlicher Natur sind. Griechenland war wohl immer – vor allem auch
in der Zeit, in der Griechenland den Antrag stellte, in die Europäische
Währungsunion aufgenommen zu werden – in hohem Maße verschuldet und zwar
aufgrund wirtschaftspolitischer Mängel und Misswirtschaft. Nun durften
eigentlich aufgrund des europäischen Währungsvertrages nur solche Länder in die
Europäische Währungsunion aufgenommen werden, deren Budgetdefizit unter 3% und
deren Staatsverschuldung unter 60% des Bruttoinlandsproduktes liegen.
Wie wir heute wissen, lag das Budgetdefizit
Griechenlands zum Zeitpunkt des Eintritts in die Europäische Währungsunion eindeutig
und spürbar über 3% und Griechenland konnte nur durch Tricks (u. a. dadurch,
dass die Militärausgaben zu gering und Überschüsse aus der Sozialversicherung
zu hoch angesetzt wurden) den Eindruck
erwecken, es erfülle die Beitrittskriterien zur Europäischen Währungsunion.
Auch in der Folgezeit wurden eindeutig die Verschuldungskriterien wiederholt
verletzt, Griechenland hat wohl während der gesamten Zeit seiner Mitgliedschaft
in der Währungsunion gegen diese Kriterien verstoßen und wiederholt falsche Angaben
an die europäische Behörde gemeldet. Dies bedeutet, dass Griechenland in der
Vergangenheit eigentlich zu keiner Zeit die Voraussetzungen für eine
Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion erfüllt hatte und gerade
deshalb auch kein Mitglied dieser Währungsunion hätte werden dürfen.
Der Fall Irland ist hingegen mit dem Fall
Griechenland nicht zu vergleichen. Die irländischen Regierungen hatten in den
letzten Jahrzehnten in einer beispiellosen Entwicklung die irische Volkswirtschaft
von einem Armenhaus Europas zu einer modern entwickelten, wachstumsbewussten
und fortschrittlichen Volkswirtschaft geführt. Dass Irland nun trotzdem in eine
gefährliche Schuldenkrise geraten ist, liegt zum größten Teil daran, dass sich
einige irische Großbanken verspekuliert haben und Risiken durch Ankauf vor
allem amerikanischer Spekulationspapiere übernommen hatten, die bei einer
sorgfältigen Geschäftsführung nie hätten eingegangen werden dürfen.
Um zu verhindern, dass durch einen Bankrott
dieser Großbanken die gesamte Volkswirtschaft mitgerissen wird und das irische
Finanzsystem zusammenbricht, sah sich die irische Regierung genauso wie auch
andere europäische Staaten einschließlich der BRD gezwungen, diese Banken durch
staatliche Kredite zu stützen. Also hat nicht eine falsche staatliche
Fiskalpolitik, sondern das Versäumnis der Regierung, für den Finanzmarkt
effiziente Regeln einzuführen sowie eine verfehlte Politik einiger irischer
Großbanken zu dieser Schuldenkrise geführt.
Ich möchte diese Problematik in diesem
Artikel aufgreifen und einige Problemfelder darlegen, welche in der
öffentlichen Diskussion kontrovers und zum Teil auch sehr verwirrend diskutiert
werden.
Ich möchte in einem ersten Punkt darlegen,
dass sich eine Verschuldung des Staates in mehreren Punkten ganz anders
darstellt, je nachdem ob ein Staat Mitglied eines Währungsverbundes ist oder
eine eigene Währung besitzt.
Ich werde dann in einem zweiten Punkt der
Frage nachgehen, welche Argumente dafür sprechen, dass Sanktionen gegenüber
Ländern, welche die Stabilitätskriterien verletzen, automatisch ausgelöst
werden und welche Argumente angeführt werden können, um in jedem Einzelfall
politisch darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen und Sanktionen gegen ein
Land verhängt werden sollen, welches die Stabilitätskriterien nicht erfüllt
hat. Es handelt sich hierbei um eine Frage, die bereits im Zusammenhang mit der
großen Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
ausführlich unter dem Stichwort des „built in flexibility“ diskutiert wurde.
In einem dritten Punkt soll der Frage
nachgegangen werden, ob die europäische Kontrolle ex ante (also vor
Verabschiedung) oder erst ex post (also nach der Verabschiedung der nationalen
Haushaltspläne) erfolgen soll. Ich werde zeigen, dass es auf jeden Fall
widersprüchlich ist, wenn man wie bisher eine ex post Kontrolle durchgeführt
und bejaht hat, aber eine ex ante Kontrolle mit dem Argument ablehnt, dass hier
die Rechte der nationalen Parlamente beschnitten würden.
In einem vierten Punkt soll darüber
diskutiert werden, ob es eher erwünscht ist, Staaten, welche die
Stabilitätskriterien verletzt haben, mit finanziellen Sanktionen zu bestrafen
oder sie vielmehr vorübergehend von dem Entscheidungsprozess in den
europäischen Gremien auszuschließen.
Fünftens möchte ich einiges grundsätzliches
zu der in der Öffentlichkeit geäußerten Forderung sagen, man müsse die Banken
in Zukunft an der Finanzierung der Rettungsmaßnahmen beteiligen. Meines
Erachtens wird das hier zugrunde liegende Problem falsch dargestellt. Es ist
nicht so, dass die Marktwirtschaft hier versagt hat und dass die Politik nun
die Marktwirtschaft korrigieren müsse. Ganz im Gegenteil hatte die bisherige
Politik in dieser Frage versagt, da sie es verabsäumt hat, entsprechend den
Grundsätzen Walter Euckens, des Begründers des Neoliberalismus in Deutschland,
dafür zu sorgen, dass die einzelnen Unternehmer und nur diese für eingegangene
Risiken auch zu haften haben.
In den beiden letzten Abschnitten dieses
Artikels werde ich mich mit zwei in der Öffentlichkeit äußerst kontrovers
diskutierten Fragen befassen. Was spricht denn erstens dagegen, dass man für
säumige Länder, welche nicht bereit sind, die Stabilitätskriterien einzuhalten,
Möglichkeiten schafft, durch ein Schuldenmoratorium die Voraussetzungen für
einen Neubeginn der wirtschaftlichen Entwicklung herbeizuführen.
Schuldenmoratorien gab es in der Vergangenheit (auch nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion) zum wiederholten Male, ohne dass hierdurch die weltweite
Währungsordnung zusammengebrochen ist oder auch nur ernsthaften Schaden
genommen hat.
Und was spricht denn zweitens dagegen, dass
man die Mitgliedschaft eines Landes, das die Stabilitätskriterien wiederholt
und gravierend verletzt hat, in der Währungsunion solange ruhen lässt, bis zu
erkennen ist, dass die betroffene Regierung Wege eingeleitet hat, welche aus
der Schuldenkrise herausführen.
2.
Staatsverschuldung bei eigener Währung
Wir beginnen unsere Analyse mit der Frage
nach der Bewertung einer Staatsverschuldung für einen Staat, der zwar
vielleicht einem Währungssystem wie dem IWF (Internationaler Währungsfonds)
oder dem EWS (Europäisches Währungssystem) angehört, aber über eine eigene
Währung verfügt. Wir haben davon auszugehen, dass diese Frage im Rahmen der
Wirtschaftswissenschaften durchaus kontrovers diskutiert wird und wurde.
Es war J. M. Keynes, welcher im Zusammenhang
mit der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts
die Massenarbeitslosigkeit darauf zurückführte, dass die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage nach Gütern und davon abgeleitet auch die Beschäftigung zurückgegangen
ist und somit nicht mehr ausreicht, soviel Güter zu produzieren, dass
Vollbeschäftigung ermöglicht wird.
Er widersprach damit dem Say‘schen Theorem,
wonach für eine gesamte Volkswirtschaft die Nachfrage nach Gütern niemals zu
gering sein könne und deshalb eine zu geringe Nachfrage auch nicht für
Massenarbeitslosigkeit verantwortlich sein kann, da jedes Angebot eine
gleichhohe Nachfrage auslöse. Der Umsatz der Unternehmungen schlage sich in
Einkommen (Faktoreinkommen oder Gewinnen) nieder, diese Einkommen würden voll
zu Nachfrage. Entweder werde nämlich das Einkommen für die Nachfrage nach
Konsumgüter ausgegeben oder aber das Einkommen werde gespart und damit für die
Investitionsnachfrage vorgesehen. Arbeitslosigkeit müsse man vielmehr auf
verstopfte Absatzwege zurückführen, falls die Preisverhältnisse nicht mehr den
Knappheitsverhältnissen entsprächen.
Jean Baptiste Say selbst ging noch davon aus,
dass vorwiegend nur Unternehmungen Ersparnisse ansammelten und dass Einkommen
eben nur dann gespart würden, wenn ein Unternehmer Investitionen geplant habe.
Say unterstellte also noch eine Identität von Sparern und Investoren, sodass
jede Ersparnis auch automatisch eine Investitionsnachfrage voraussetzt.
Später berücksichtigte zwar die neoklassische
Theorie, dass Sparen und Investieren nicht mehr von ein- und derselben Person
durchgeführt wird, da erstens in der Zwischenzeit immer mehr
Nichtunternehmerhaushalte über ein so hohes Einkommen verfügten, dass Teile
davon gespart wurden und da zweitens mit dem Aufkommen von
Kapitalgesellschaften die Unternehmungen darauf angewiesen waren, fremdes Kapital
auf den Kapitalmärkten nachzufragen.
Trotzdem hielt die neoklassische Theorie an
der Gültigkeit des Say‘schen Gesetzes
fest, da Angebot und Nachfrage auf den Kapitalmärkten durch Zinsvariationen
automatisch zum Ausgleich gebracht würden.
Hier setzte dann die Kritik von J. M. Keynes
am Say’schen Theorem an. Der Zinsmechanismus sei in Zeiten der Depression gar
nicht in der Lage, das Investitionsvolumen der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis
anzupassen. Auf der einen Seite würden Ersparnisse gehortet, würden also gar
nicht dem Kapitalmarkt angeboten. Im Tiefpunkt einer Depression würde sich eine
Kapitalanlage nämlich gar nicht mehr lohnen, da die Zinsen extrem niedrig seien
und da befürchtet werden muss, dass der Kurs der Wertpapiere – im Zusammenhang
mit erwarteten Zinssteigerungen – in naher Zukunft fallen werde und somit die
Kursverluste höher ausfallen könnten als die Zinserträge.
Auf der anderen Seite seien die
Unternehmungen auch bei Zinssenkungen gar nicht bereit zu investieren. Aufgrund
des Absatzrückganges verfügten die Unternehmungen über überschüssige Kapazitäten,
sodass Neuinvestitionen zur Kapazitätserweiterung in diesen Zeiten nicht
benötigt würden.
Wegen diesem Versagen des Kapitalmarktes
müsse der Staat dafür sorgen, dass der Mangel an privater Nachfrage durch
staatliche Nachfrage ersetzt werde. Die hierdurch notwendige Ausweitung der
Staatsausgaben müsste jedoch defizitär (durch Geldschöpfung) finanziert werden,
da bei einer Finanzierung der zusätzlichen Staatsausgaben durch vermehrte Steuern
die private Nachfrage erneut reduziert würde und die staatliche Nachfrage nur
an die Stelle der privaten Nachfrage treten würde. Somit kam J. M. Keynes zu
dem Ergebnis, dass in Zeiten des Konjunkturabschwungs der Staat sich
verschulden müsse, eine Staatsverschuldung sei dann ein Segen und keinesfalls
ein Fluch.
Diese keynesianischen Schlussfolgerungen
blieben nicht unwidersprochen. Vor allem von Seiten der Neoklassiker, welche
ein angebotstheoretisches Konzept vertraten, wurden mehrere Einwände gegen die
keynesianische Sicht vorgetragen. Erstens sei ein Nachfragerückgang keinesfalls
der einzige oder auch wichtigste Grund für gesamtwirtschaftliche
Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit müsse oftmals einfach damit erklärt werden,
dass entweder die Produktion und mit ihr die Beschäftigung zurückgehe, weil die
Stückkosten angestiegen seien und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit
der inländischen Unternehmungen nachgelassen habe. Oder aber ein Teil der
Arbeitnehmer – vor allem mit Migrationshintergrund – brächten nicht die
Mindestkenntnisse mit, welche notwendig seien, um einen Arbeitsplatz zu finden.
Zweitens mag es zwar richtig sein, dass in
Zeiten des Konjunkturrückgangs die Unternehmer auch bei Zinssenkungen nicht
bereit sein werden, Erweiterungsinvestitionen durchzuführen. In Zeiten
von Absatzkrisen sehen sich jedoch die Unternehmer gezwungen, Rationalisierungsinvestitionen
durchzuführen, um auf diese Weise ihre Kosten senken und damit ihre
Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen zu können.
Nun führt zwar nicht jede
Rationalisierungsinvestition automatisch zu mehr Arbeit. Arbeitssparender
technischer Fortschritt vernichtet sogar Arbeitsplätze. Allerdings hängt die
Frage, welcher technische Fortschritt überwiegt, entscheidend vom Verhältnis
der Lohnkosten zu den Zinskosten ab. Nur dann, wenn das Lohn-Zinsverhältnis vom
Knappheitsverhältnis der Produktionsfaktoren abweicht, besteht die Gefahr, dass
der technische Fortschritt zu einer Vernichtung von Arbeitsplätzen führt.
Nun trägt jedoch die keynesianische Politik
dazu bei, dass das Lohn-Zinsverhältnis vom Knappheitsverhältnis abweicht. Auf
der einen Seite plädiert die keynesianische Theorie in Zeiten des
Konjunkturabschwunges für niedrige Zinsen, umso die Zinslast des Staates
niedrig zu halten. Auf der anderen Seite wird die Forderung erhoben, in diesen
Zeiten die Lohnsätze über die Produktivitätszuwächse anzuheben, um auf diese
Weise die Konsumnachfrage und mit ihr die Beschäftigung zu steigern (Forderung
nach expansiver Lohnpolitik).
Nun habe ich bereits an anderer Stelle
daraufhin gewiesen, dass sich diese Kaufkrafttheorie – zumindest in ihrer
vereinfachten Form – zu Unrecht auf Keynes beruft. Mit dem Lohneinkommen steigt
ja nur die induzierte Konsumnachfrage an, ein positiver
Beschäftigungseffekt wäre jedoch nur dann zu erwarten, wenn die autonome
Konsumnachfrage anstiege, wenn also ein höherer Prozentsatz des Einkommens für
Konsumzwecke ausgegeben werden würde. Nichtsdestotrotz wird im Namen von Keynes
in Zeiten der Rezession eine expansive Lohnpolitik gefordert, mit dem Ergebnis,
dass das Lohn-Zinsverhältnis immer mehr von den Knappheitsverhältnissen
abweicht und somit die Gefahr der Arbeitslosigkeit sogar – gerade aufgrund dieser Politik, die doch
eigentlich Arbeitslosigkeit abbauen soll – ansteigt.
Drittens hat vor allem William Nordhaus die
These vertreten, dass die konjunkturpolitische Aktivität des Staates in
repräsentativen Demokratien sogar zu einer Verschärfung der Konjunkturausschläge
führe. Unmittelbar vor den Wahlen würde die Regierung beschäftigungspolitische
Maßnahmen durchführen, welche sich dadurch auszeichnen, dass der positive
Beschäftigungseffekt kurzfristig noch vor den Wahlen eintrete, dass aber die
negativen inflatorischen Effekte erst sehr viel später zu erwarten seien.
Die Regierung würde sich nämlich dadurch
gezwungen sehen, unmittelbar nach den Wahlen stabilitätspolitische Maßnahmen
durchzuführen, welche die Bevölkerung kurzfristig materiell belaste. Die Politiker
könnten trotzdem diese Stabilisierungsmaßnahmen durchführen, da die Wähler in
hohem Maße vergesslich seien und deshalb ihr Wahlverhalten lediglich an den
Maßnahmen ausrichteten, welche unmittelbar vor den Wahlen ergriffen wurden. Auf
diese Weise trage jedoch die Regierung dazu bei, die Konjunkturschwankungen zu
verstärken, da der Aufschwungstrend unmittelbar vor den Wahlen erhöht, und die
Abschwungserscheinungen nach den Wahlen ebenfalls verstärkt würden.
Viertens kann die Globalisierung der Weltwirtschaft
dazu führen, dass auch bei einem Anstieg in der effektiven Nachfrage nach
Gütern die inländischen Unternehmungen trotzdem keine zusätzlichen
Arbeitskräfte einstellen, da sie die Teile der Produktion in ausländische
Staaten verlagern, in denen die Arbeitskräfte billiger bezahlt werden können.
Wenn die Regierungen trotz dieser Bedenken
mit Hilfe defizitärer Ausgaben die Konjunktur anzukurbeln versuchen, so mögen
sie zwar aufgrund der von Nordhaus beschriebenen Zusammenhänge auf mittlere
Sicht erfolgreich sein, auf längere Sicht sind jedoch trotzdem die
Möglichkeiten, die Staatsverschuldung zu erhöhen, begrenzt, da auf der einen
Seite ein immer größer werdender Anteil der Staatsausgaben für den
Schuldendienst (Bezahlung der fälligen Zinsen und Zurückzahlung der fälligen
Anleihen) eingesetzt werden muss und somit für wachstumssteigernde
Infrastrukturen immer weniger Mittel verbleiben und da auf der anderen Seite
gerade wegen dieser Abnahme des wirtschaftlichen Wachstums der Staat immer
größer werdende Schwierigkeiten hat, neue Staatspapiere auszulegen und immer
höhere Zinssätze bezahlen muss.
Schließlich lässt sich die Bevölkerung nicht
unbegrenzt über die Absichten der Politiker täuschen. Werden die Regierungen
immer wiederum nach dem von Nordhaus beschriebenen Weg vorgehen (vor den Wahlen
positive, beschäftigungssteigernde Maßnahmen und nach den Wahlen negative,
kontraktive Maßnahmen durchzuführen) werden die Wähler auch bei hoher
Vergesslichkeit trotzdem bei weiteren Wahlgängen die Regierung eines Tages
abwählen.
3.
Staatsverschuldung bei einem Währungsverbund
Wenn ein Land hingegen Mitglied einer
Währungsunion wie z. B. der Europäischen Währungsunion ist, erhält die
Verschuldung des Staates einen ganz anderen Stellenwert. Das hier vorliegende Problem
unterscheidet sich hier gegenüber Ländern mit eigener Währung in zweierlei
Weise. Erstens ist der Anreizmechanismus im Hinblick auf eine
Staatsverschuldung ein ganz anderer und zweitens kann ein Staat mit eigener
Währung immer seine internationale Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertungen der
eigenen Währung verbessern, während diese Möglichkeiten innerhalb einer
Währungsunion nicht mehr gegeben sind.
Wir hatten im vorhergehenden Abschnitt
gesehen, dass zwar entsprechend dem von Nordhaus dargestellten Mechanismus die
Regierungen kurzfristig Vorteile aus einer Staatsverschuldung ziehen können, da
die Wähler ihr Wahlverhalten an den expansiven Beschäftigungseffekten unmittelbar
vor der Wahl ausrichten und vergessen, dass unmittelbar nach der Wahl stabilitätspolitische
Maßnahmen vorgenommen werden, welche zumindest kurzfristig reale
Einkommensverluste bringen.
Wir hatten aber darauf aufmerksam gemacht,
dass auf lange Sicht dieser Mechanismus nachlässt, dass die Wähler sich nicht
auf Dauer täuschen lassen und bei einer der nächsten Wahlen sehr wohl auch die
sich negativ auswirkenden Maßnahmen berücksichtigen. Es kommt noch hinzu, wie
das Beispiel der griechischen Schuldenkrise gezeigt hat, dass der Staat immer
größer werdende Schwierigkeiten hat, neue Wertpapiere auf dem Kapitalmarkt
auszugeben, der hierfür zu zahlende Zinssatz steigt immer stärker an, da die
potentiellen Anleger ein um so größeres Risiko sehen und sich dieses Risiko mit
einem Zinszuschlag bezahlen lassen.
Schließlich gilt, dass gerade wegen der
Zunahme der Staatsverschuldung und der zu zahlenden Zinssätze ein immer größer
werdender Prozentsatz der Staatsausgaben für den Schuldendienst und damit ein
immer geringer werdender Anteil für produktive Infrastrukturinvestitionen und
damit zur langfristigen Wachstumssteigerung ausgegeben werden kann.
Ist hingegen ein Land Mitglied einer
Währungsunion, so bestehen für die einzelnen Regierungen massive Anreize, die
Staatsverschuldung zu erhöhen. Denn nach wie vor erhöhen die kurzfristigen Beschäftigungseffekte
die Wiederwahlchancen, während die langfristig wirkenden inflatorischen
Auswirkungen einer Staatsverschuldung nun von allen Mitgliedsländern
mitgetragen werden, da es eine einheitliche Geldpolitik gibt. Der auf das sich
verschuldende Land entfallene Anteil an Preissteigerungen ist gering, vor allem
dann, wenn es sich um ein relativ kleines Land mit einem kleinen Anteil am
Wirtschaftsvolumen des gesamten Währungsgebietes handelt.
Damit ist jedoch der Anreiz, sich zu
verschulden wesentlich höher und die Währungsunion wird zu einer
Inflationsgemeinschaft. Stets wird sich ein Land finden, das diese Anreize
ausnutzt, es werden weitere folgen und je größer der Anteil der Länder ist, die
sich verschulden, um so größer ist auch der Druck auf die anderen an und für
sich stabilitätsbewussten Staaten. Sie tragen die inflatorische Last der
Verschuldung der anderen Länder mit und sehen sich schließlich gezwungen, ebenfalls
vom Stabilitätskurs abzuweichen, da sie nur auf diese Weise wiederum ein
Gleichgewicht zwischen positiven (beschäftigungspolitischen) und negativen
(inflatorischen) Wirkungen erreichen können.
Gerade aus diesen Gründen hatten die
Begründer der Europäischen Währungsunion nur solche Länder aufgenommen, deren
Staatsverschuldung geringer als 60% des jeweiligen nationalen Bruttoinlandsprodukts
(BIP) und deren Staatsbudget die 3%-Marke – wiederum am BIP gemessen – nicht
überschreitet. Gleichzeitig sind aus den gleichen Gründen die Mitgliedsländer
verpflichtet, diese Begrenzungen auch in Zukunft einzuhalten. Aus dieser Logik
heraus sieht der Vertrag der Europäischen Währungsunion ausdrücklich keinen
internationalen Schuldenausgleich vor, da jede Übernahme eines Teils dieser
Schulden durch die Währungsgemeinschaft den Anreiz der einzelnen Mitgliedsstaaten
zur Staatsverschuldung vergrößern würde.
Nur vordergründig scheint die Schaffung eines
Krisenfonds zur Stützung einzelner verschuldeter Länder diesem Grundsatz zu
widersprechen. Die enormen Geldmittel, welche die Europäische Union den
verschuldeten Mitgliedsländern gewährt, sind zunächst einmal nur Kredite,
welche zu einem überproportionalen Zinssatz gewährt werden. Zunächst einmal
verdienen also die einzelnen Geldgeberländer an diesen Krediten. Nur dann, wenn
das Schuldnerland nicht in der Lage wäre, diese Kredite zurückzuzahlen, dann
gingen diese Gelder in der Tat zu Lasten der übrigen Mitgliedsländer und diese
Schulden müssten letztlich mit Steuergeldern bezahlt werden.
Damit dies nicht geschieht, knüpft die Europäische
Währungsunion die Kreditgewährung an strenge Auflagen, in der Erwartung, dass
auf diese Weise das Verlustrisiko minimiert wird. Im Vordergrund der
Zielsetzung der Europäischen Währungsunion bei der Bildung des Krisenfonds
steht somit nicht das Ziel, den Schuldnerländern Zuwendungen zu gewähren, also
ihre Lasten mitzutragen, sondern allein die Befürchtung, dass bei einem
finanziellen Zusammenbruch eines Mitgliedslandes sehr schnell weitere Länder
mitgerissen werden können, mit der Folge, dass der Euro ernsthaft gefährdet
ist. Allerdings muss nochmals daran erinnert werden, dass der Euro in der
Vergangenheit eindeutig überbewertet war und dass er auch im Höhepunkt der
jüngst vergangenen Schuldenkrise Griechenlands nicht deutlich unter die
Kaufkraftparität zum Dollar gefallen war.
Ein zweiter Unterschied zwischen
Schuldenkrisen in Ländern, welche eine eigene Währung besitzen und solchen
Ländern, welche einer Währungsunion angehören, besteht – wie bereits angedeutet
– darin, dass Länder mit eigener Währung in der Lage sind, ihre eigene Währung
abzuwerten und damit das Defizit in ihrer Devisenbilanz zu reduzieren. Diese
Möglichkeiten bestehen innerhalb einer Währungsunion nicht mehr. Solange ein
Land einer Währungsunion angehört, gilt die gleiche Währung in der gesamten
Währungsunion.
Dies bedeutet jedoch, dass es ein Land,
welches der Währungsunion angehört und welches in eine ernsthafte Schuldenkrise
gerät, sehr viel schwerer hat, aus eigenen Kräften aus dieser Krise herauszufinden.
Ungleichgewichte und damit Schulden können dann nur noch dadurch abgebaut
werden, dass entweder die Lohnkosten reduziert werden oder die inländische
Produktivität erhöht wird. In beiden Fällen wird das Stückkostenniveau
(l*A/p*X) verringert und damit die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes erhöht.
4. Built in flexibility versus autonome Entscheidungen
Wie oben bereits angedeutet, wird im Rahmen
der europäischen Diskussion um die Überwindung der derzeitigen Finanzkrise
gefordert, die hierzu erforderlichen Maßnahmen, vor allem auch die Strafen,
welche gegenüber denjenigen Ländern verhängt werden sollen, welche die
Stabilitätskriterien missachtet haben, automatisch in Kraft treten zu lassen.
Andere fordern, dass nach wie vor der Ministerrat oder ein anderes europäisches
Gremium jeweils im Einzelfall entscheiden sollte, ob ein säumig gewordenes Land
bestraft werden soll und gegebenenfalls mit welchen Strafen und mit welchem
Umfang an Strafen das betroffene Land rechnen muss.
Eine ähnliche Frage wurde bereits sehr
ausführlich nach der großen Weltwirtschaftskrise Ende der 20er und Anfang der
30er Jahre des 20. Jahrhunderts diskutiert. Es ging damals um das Problem, ob
die expansiven, konjunkturbelebenden Maßnahmen jeweils für den Einzelfall
beschlossen werden sollten (= autonome fallweise Entscheidungen) oder ob
Mechanismen eingerichtet werden sollen, welche automatisch ohne eigenen
politischen Beschluss die erforderliche Ausgabenexpansion (= built in
flexibility) einleiten sollen.
Ein solcher eingebauter Stabilisator liegt z.
B. in der Arbeitslosenversicherung und in der progressiven
Einkommensbesteuerung vor. Die Beitragseinnahmen der Arbeitslosenversicherung
gehen automatisch zurück, wenn ein Konjunkturabschwung erfolgt und weniger
Arbeitnehmer beschäftigt werden. Gleichzeitig steigen die Ausgaben der
Arbeitslosenversicherung an, da im Umfang des Beschäftigungsrückganges den
Arbeitslosen ein Arbeitslosengeld gewährt wird. Damit ergibt sich automatisch
von zwei Seiten aus ein Defizit des Budgets der Arbeitslosenversicherung, es
erfolgt also genau das, was nach keynesianischer Überzeugung zur Überwindung
der Konjunkturkrise notwendig ist: Ein öffentlicher Haushalt wird defizitär und
ersetzt somit die fehlende private Nachfrage nach Gütern.
Damit dieser eingebaute Stabilisator wie
angegeben funktioniert und konjunkturbelebend wirkt, müssen allerdings gewisse
Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens darf das Defizit der Arbeitslosenversicherung
nicht seinerseits durch Zuschüsse des Staates beglichen werden, die selbst
wiederum dadurch finanziert werden, dass andere Staatsausgaben gekürzt oder die
Steuersätze erhöht werden. Das Defizit der Arbeitslosenversicherung muss also
letztlich durch Kredite (Geldschöpfung) oder durch Abbau eigener Rücklagen
finanziert werden.
Zweitens darf das Defizit des Budgets der
Arbeitslosenversicherung nicht dazu führen, dass entweder die
Arbeitslosengelder gekürzt oder die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung
angehoben werden und auf diese Weise das Defizit der Arbeitslosenversicherung
verringert wird. Es ist das Defizit in einem öffentlichen Haushalt, vom dem –
nach keynesianischer Vorstellung – die beschäftigungssteigernde Wirkung
ausgeht.
Auch die progressive Einkommenssteuer wirkt
als eingebauter Stabilisator. Wenn in Zeiten des Konjunkturabschwungs die
Einkommen zurückgehen, vermindern sich die Steuereinnahmen automatisch, d.h.
ohne Änderung der Steuertarife, überproportional, weil die Erwerbspersonen nun
wegen eines geringeren Einkommens auch wiederum einen niedrigeren Steuersatz
als bisher entrichten müssen. Dies bedeutet, dass das verfügbare Einkommen in
geringerem Maße sinkt, als es bei einer proportionalen Einkommensbesteuerung
sinken würde. Die Konsumgüternachfrage sinkt also wegen der Steuerprogression
in geringerem Maße und dies bedeutet, dass der Konjunkturabschwung ebenfalls
geringer ausfällt.
Was spricht nun für und was gegen eingebaute
Stabilisatoren? Zugunsten eines Automatismus spricht in erster Linie die
Tatsache, dass ein eingebauter Stabilisator im Allgemeinen sehr viel schneller
arbeitet als autonome Entscheidungen. Werden die Entscheidungen fallweise
gefällt, vergeht sehr viel Zeit, bis die Entscheidungen bei den jeweiligen
zuständigen Behörden zur Kenntnis gekommen sind und bis die Beratungen und die
zumeist notwendigen Kompromisse gefunden sind.
Im Zusammenhang mit den so entstehenden
Zeitverzögerungen (time lags) hat man die Zeit, welche verstreicht zwischen
Auftreten der Konjunkturkrise und Wirkungsbeginn der konjunkturpolitischen
Maßnahmen auf etwa 1 ½ Jahre geschätzt. Zwar kann man durch organisatorische
Verbesserungen diesen Zeitraum verkürzen, aber im Zusammenhang mit
internationalen Entscheidungsgremien dürften diese Zeiträume eher noch größer
ausfallen. Ein eingebauter Stabilisator beginnt hingegen sofort zu wirken.
Ein zweiter, nicht zu unterschätzender
Vorteil eines eingebauten Stabilisator liegt darin, dass die erforderlichen
Maßnahmen oftmals äußerst unpopulär sind, sie sind notwendig und versprechen
auch auf lange Sicht Wachstumsverbesserungen, kurzfristig sind sie jedoch
zunächst mit zum Teil sehr herben und deshalb unpopulären Einschränkungen
verbunden. Dies gilt insbesondere für die Strafen, welche die Europäische
Währungsunion dann vorsieht, wenn ein Staat die Stabilitätskriterien verletzt
hat.
Hier bedeutet ein eingebauter Stabilisator,
dass diese Unannehmlichkeiten umgangen werden, niemand muss nun Entscheidungen
gegen einen konkreten „Währungssünder“ fällen und befürchten müssen, diesen zu
verstimmen. Selbst dann, wenn man beim Beschluss zur Einführung eines solchen
Automatismus gegen die Vorstellungen bestimmter Staaten, welche eine fallweise
Entscheidung präferiert haben, gestimmt hat, es ist hier eine einmalige
Entscheidung, welche sich auch nicht gegen ein konkretes Mitgliedsland richtet,
während bei fallweisen Entscheidungen die notwendigen Strafen immer gegen ein
konkretes Land ausgesprochen werden müssen.
Es kommt noch drittens hinzu, dass bei einer
normalen, fallweisen Abstimmung sowohl diejenigen Staaten mitwirken, gegen die sich
diese Strafen richten als auch jene Mitgliedsländer, welche zwar im Augenblick
noch die Stabilitätskriterien erfüllen, welche jedoch Gefahr laufen, in naher
Zukunft selbst zu den Ländern zu zählen, welche die Stabilitätskriterien
verletzt haben.
Hier besteht bei einer fallweisen
Entscheidung die Gefahr, dass ein sogenanntes „trade voting“ stattfindet, dass
ein Mitgliedsland dem jeweiligen „Sünder“ verspricht, bei dieser anstehenden
Entscheidung zugunsten des zu bestrafenden Landes zu stimmen, wenn dieses
verspricht dann, wenn das positiv stimmende Land selbst zu bestrafen ist, sich
ebenfalls gegenüber den Interessen dieses Landes wohlwollend zu verhalten. Die
Gefahr, dass sich dieses Land in Zukunft nicht an diese informellen Absprachen
hält, ist gering, da solche Situationen und Absprachen immer wieder auftreten
und deshalb nur wirksam sind, wenn sich jede Partei an die Absprachen hält.
Dies gilt obwohl solche Absprachen natürlich nicht rechtlich eingeklagt werden
können.
Was spricht denn nun für eine fallweise
Entscheidung? Der große Vorteil einer fallweisen Entscheidung liegt darin, dass
alle mit dieser Entscheidung auftretenden Wirkungszusammenhänge jeweils
berücksichtigt werden können, während ein Automatismus immer nur die
Wirkungsketten berücksichtigt, welche bei Abfassen dieser Regel bekannt waren.
Dieser Vorteil fällt vor allem deshalb ins Gewicht, weil es sich gerade bei der
Frage der Einhaltung der Stabilitätskriterien keinesfalls um einfache
Sachverhalte handelt.
Es ist nämlich aus gesamtwirtschaftlicher
Sicht gar nicht erwünscht, dass in jedem Jahr – unabhängig von der jeweiligen
Konjunkturlage – das Defizit des Staatshaushaltes eine gleiche Höhe (etwa 3%)
erreichen sollte. Zwar bestehen in der Frage der Bewertung einer
Staatsverschuldung – wie bereits oben gezeigt – beachtliche Unterschiede
zwischen den nachfrage- und den angebotsorientierten Ökonomen. In einer Frage
sind sich jedoch beide Gruppen einig: Eine prozyklische Politik in dem Sinne,
dass in Zeiten des Konjunkturabschwungs Steuersätze erhöht und Staatsausgaben
reduziert werden, in Zeiten des Konjunkturaufschwungs hingegen Steuersätze
erniedrigt und Staatsausgaben erhöht werden, wird von beiden ökonomischen
Richtungen abgelehnt, weil eine solche Politik zur Verschärfung der Konjunkturausschläge
führen muss.
Wird jedoch eine prozyklische Politik
abgelehnt, so ergeben sich notwendigerweise in Zeiten des Konjunkturabschwungs
Budgetdefizite. Das Ziel einer Reduzierung der Staatsverschuldung darf nur so
verstanden werden, dass langfristig, das heißt über einen gesamten
Konjunkturzyklus hinweg der Staatshaushalt weitgehend ausgeglichen sein sollte,
wobei eine Verschuldung durchaus berechtigt und sogar notwendig ist, soweit sie
zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen herangezogen wird. Eine solche
Verschuldung belastet ja auch nicht die zukünftigen Generationen, da die
Erträge aus den heute getätigten Infrastrukturinvestitionen der zukünftigen
Bevölkerung zugutekommen.
Die Frage also, ob und in welchem Umfang
gerade in einem konkreten Jahr eine Zunahme in der Staatsverschuldung erwünscht
ist, kann nicht durch eine einfache, immer gültige Regel festgelegt werden und
kann sicherlich durch eine fallweise Entscheidung sachgerechter gelöst werden
als durch einen von vornherein festgelegten eingebauten Stabilisator.
Vielleicht ließe sich ein Kompromiss zwischen
diesen beiden Alternativen (fallweise Entscheidungen versus eingebauter
Stabilisator) insoweit finden, als man sich zwar für eine fallweise Lösung
entscheidet, aber die oben aufgezählten Nachteile einer solchen Lösung dadurch
zu vermeiden bzw. zu minimieren versucht, in dem man auf der einen Seite die
Stimmen derjenigen Staaten, welche die Stabilitätskriterien verletzen, mit
geringerem Stimmengewicht berücksichtigt und auf der anderen Seite den
Entscheidungsgremien eindeutige – gegebenenfalls auch einklagbare – Entscheidungskriterien
an die Hand gibt.
5. Ex ante versus ex post-Kontrollen
Wenden wir uns nun der Frage zu, wann denn
die Überprüfung darüber stattfinden soll, ob die einzelnen Mitgliedsstaaten die
Stabilitätskriterien einhalten. Bisher erfolgte diese Kontrolle ex post, also
im Nachhinein, die einzelnen Mitgliedsstaaten waren verpflichtet, den Umfang
der Staatsverschuldung und des Budgetdefizites nach Verabschiedung des
Haushaltsplans der europäischen Behörde zu melden. Nach der Schuldenkrise
Griechenlands wurde die Forderung erhoben, diese Überprüfung ex ante, das heißt
schon vor der endgültigen Festsetzung der nationalen staatlichen Haushaltspläne
nach Brüssel zu melden. Der Plan war, die europäische Behörde müsse die Höhe
der geplanten Staatsverschuldung einschließlich des Budgetdefizites vor
Verabschiedung der nationalen Haushaltspläne in den Parlamenten genehmigen.
In diesem Vorschlag sahen mehrere
Mitgliedsländer eine Verletzung der Hoheitsrechte der einzelnen Parlamente: Die
Verabschiedung der nationalen Haushalte sei alleiniges Recht der einzelstaatlichen
Parlamente und dieses Recht dürfe nicht verletzt werden.
Dieser Vorwurf war natürlich nicht
stichhaltig. Wenn man schon im Vertrag zur Europäischen Währungsunion
vorschreibt, dass nur solche Länder in die Europäische Währungsunion aufgenommen
werden, welche die Stabilitätskriterien erfüllen und wenn man darüber hinaus im
Europäischen Vertrag vorsieht, dass diese Stabilitätskriterien von den
einzelnen Mitgliedsstaaten stets eingehalten werden müssen, dann verstößt die
ex ante Überprüfung nicht gegen die geltenden Verträge. Man kann nicht auf der
einen Seite die Rechte der Parlamente insoweit beschneiden, als bestimmte
Stabilitätskriterien eingehalten werden müssen, aber das Recht der europäischen
Behörden bestreiten, rechtzeitig und effizient zu überprüfen, ob diese
Vorschriften auch von den einzelnen Mitgliedsstaaten eingehalten werden.
Entscheidend ist hierbei, dass sich die
geforderte Kontrolle seitens der europäischen Behörden lediglich auf die Frage
zu beziehen hat, ob die Stabilitätskriterien eingehalten werden. Die Frage auf
welchem Wege (also vor allem durch direkte oder indirekte Steuern) die
Steuereinnahmen erzielt werden und die weitere Frage nach der jeweiligen
Aufteilung des gesamten Umfanges der Staatsausgaben bleibt nach wie vor das
Recht der nationalen Parlamente.
Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob es
richtig war, die Europäische Währungsunion im wesentlichen auf einen
einheitlichen Geld- und Währungsmarkt zu beschränken und ob es nicht notwendig
oder zumindest zweckmäßig gewesen wäre, auch eine einheitliche europäische
Konjunktur- und Fiskalpolitik vorzusehen. Vor allem keynesianisch orientierte
Politiker haben schon immer eine einheitliche und übergreifende europäische
Konjunkturpolitik gefordert.
Die mehr liberal ausgerichteten Gegner dieser
Forderungen befürchteten, dass auf diesem Umwege keynesianische Strategien für ganz
Europa festgeschrieben werden und dass sie deshalb zu einer keynesianischen
Politik gezwungen werden. Entsprechend dem heute gültigen Vertrag der Europäischen
Währungsunion obliegt es den nationalen Regierungen und Parlamenten,
eigenständig zu entschieden, auf welchem Wege eine Rezession oder Depression
überwunden wird.
Zugunsten einer ex ante Überprüfung spricht
ganz eindeutig die höhere Effizienz der durchzuführenden Kontrollen. Wenn – wie
bisher – die einzelnen Staaten erst im Nachhinein der europäischen Behörde zu
melden haben, inwieweit sie die Stabilitätskriterien befolgt haben, dann kann
natürlich ein Überschreiten dieser Stabilitätskriterien nicht unterbunden
werden. Die Stabilitätskriterien sind ja dann schon überschritten. Strafen
können dann dieses Ereignis nicht ungeschehen machen.
Sie mögen zwar auf der einen Seite Anreize schaffen, dass
diese Staaten in Zukunft vertragstreuer auftreten. Auf der anderen Seite
erschweren die Strafen – vor allem wenn sie finanzieller Natur sind – die Möglichkeiten
der einzelnen Regierungen, auf einen Stabilitätskurs umzuschwenken. Man beraubt
auf diese Weise die Staaten der finanziellen Mittel, die für
Infrastrukturinvestitionen benötigt werden, um einen Wachstums- und
Stabilitätskurs einzuleiten.
6.
Finanzielle versus dispositionelle Anreize
Wenden wir uns nun der Frage zu, worin denn
die Strafen für Mitgliedsländer, welche die Stabilitätskriterien überschreiten,
bestehen sollen. Wir können zwischen zwei Arten solcher Strafen unterscheiden.
Diskutiert werden einmal finanzielle Strafen, zum andern dispositionelle
Strafen, welche in der Minderung der Mitwirkungsrechte bei den europäischen
Entscheidungen bestehen. Bisher waren vorwiegend finanzielle Strafen
vorgesehen.
Solche finanziellen Strafen können einerseits
darin bestehen, dass zusätzliche Abgaben verlangt werden; hier besteht die
Gefahr, dass die betroffenen Länder diese Mittel gar nicht aufbringen können.
Eine bessere Wirkung dürfte deshalb dann zu erwarten sein, wenn die Europäische
Union Subventionen an diese Staaten kürzt. Es gibt zwar Staaten, wie die BRD,
die insgesamt mehr Abgaben an die Europäische Union abführen als sie
Subventionen erhalten, während andere Länder einen Überschuss an Subventionen
über die Abgaben erzielen. Alle Staaten erhalten aber Subventionen, sodass es
zumindest möglich ist, diese Art von finanzieller Belastung durchgehend durchzuführen.
Materiell und kurzfristig gesehen dürften
finanzielle Strafen die betroffenen Länder am härtesten treffen und damit auch
den stärksten Anreiz enthalten, in Zukunft die Stabilitätskriterien einzuhalten.
Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass von dieser Art Strafen
auch dysfunktionale Wirkungen ausgehen. Eine Überschreitung der
Stabilitätsbedingungen erfolgt ja normalerweise in Zeiten des
Konjunkturabschwunges oder anderer Wachstumsschwächen. In diesen Zeiten
benötigen jedoch diese Länder materieller Ressourcen für
Infrastrukturinvestitionen, die sie aus der Krise herausführen sollen. Werden
ihnen nun materielle Mittel entzogen, verschlechtern sich auch die
Möglichkeiten, aus der Krise herauszufinden.
Will man diese Wirkungen vermeiden, so
könnten die Stimmrechte der säumigen Staaten bei den europäischen Abstimmungen
vorübergehend suspendiert werden. Diese Art von Strafen hätte in kurzfristiger
Sicht sicherlich den Vorteil, dass diesen Staaten nicht gerade in den Zeiten
materielle Ressourcen entzogen werden, in denen diese für dringend notwendige
Infrastrukturmaßnahmen benötigt werden.
Auf der anderen Seite werden jedoch solche
dispositionellen Strafen von den betroffenen Staaten als besonders hart und
demütigend empfunden und können auf lange Sicht den inneren Frieden und die
Stabilität der Europäischen Union gefährden. Die weniger wachstumsstarken
Mitgliedsländer sind ohnehin auch heute schon der Auffassung, dass sie bei den
Entscheidungen benachteiligt werden, dass die wichtigsten Entscheidungen auf
europäischer Ebene ohnehin von den zwei oder drei größten Nationen für sich
vorab entschieden werden und sie forderten deshalb wiederholt eine Änderung der
Stimmrechte. Da es im Allgemeinen gerade diese kleinen Länder sind, welche die
Stabilitätskriterien überschreiten, wird bei dispositionellen Strafen diese
Unzufriedenheit der kleineren Mitgliedsstaaten um ein Weiteres verschärft.
Ein Mittelweg zwischen diesen beiden Arten
von Strafen gegen säumige Länder könnte darin gefunden werden, dass die
europäische Union dann stärkere Mitspracherechte bei nationalen Fragen erhält,
wenn einzelne Staaten zum wiederholten Male gegen die Stabilitätskriterien
verstoßen. So könnte man vorsehen, dass in einem ersten Schritt bei der Vorlage
der nationalen Haushaltspläne die Europäische Behörde lediglich zu überprüfen
hat, ob die beiden Stabilitätskriterien erfüllt werden.
Werden nun einige Länder mehrmals säumig, so
könnte die europäische Behörde auch das Recht erhalten, solche Maßnahmen zu
verlangen, welche nach Auffassung der Behörde notwendig werden, um zum
Stabilitätskurs zurückzufinden. Es wäre dies ein Verfahren, dass schon heute
bei der Vergabe von Mitteln aus dem Krisenfonds gegenüber Griechenland und nun
auch gegenüber Irland angewandt werden. Natürlich muss man sich darüber klar
werden, dass alle diese Arten von Strafen als demütigend empfunden werden. Es
muss sich somit immer nur um vorübergehende Strafen handeln und es muss
sichergestellt sein, dass diese Art von Strafen gegen alle säumigen Länder -
auch gegenüber den zwei oder drei größten Staaten - gegebenenfalls angewandt
wird.
7. Zur finanziellen Beteiligung der Banken
In der Öffentlichkeit wurde wiederholt die Forderung
erhoben, die Banken und Makler müssten an den finanziellen Kosten zur
Überwindung der Schuldenkrisen maßgebend beteiligt werden. Schließlich seien
gerade die Banken und Makler für die finanziellen Krisen der Vergangenheit
wesentlich verantwortlich. Diese Gruppe zähle darüber hinaus zu den reicheren
Bürgern dieser Volkswirtschaft, die ohnehin bisher nicht entscheidend an den
Kosten zur Überwindung der Krise beteiligt worden seien. Es wird dann oftmals
noch hinzugefügt, dass die bisherige neoliberale Ordnung versagt habe und durch
eine staatliche Regulierung der Volkswirtschaft abgelöst werden müsse.
Schließlich gehe es nicht an, dass die Reichen zwar die Erträge aus
risikobehafteten Entscheidungen kassieren dürften, dass aber dann, wenn sich
die Reichen verspekuliert hätten und Verluste entstünden, der Staat und damit
der Steuerzahler zur Begleichung dieser Verluste aufkommen müsse.
Natürlich ist es richtig, dass derjenige, der risikobehaftete
Entscheidungen fällt, nicht nur die Erträge erhalten darf, sondern auch für die
durch diese Entscheidungen verursachten Verluste voll aufkommen muss. Es verrät
jedoch eine vollkommene Unkenntnis der neoliberalen Gedankengänge, wenn man in
dieser Forderung eine Abkehr vom Neoliberalismus sieht. Ganz im Gegenteil war
es Walter Eucken, der Begründer des Neoliberalismus (Ordoliberalismus) im
Nachkriegsdeutschland, der die volle Haftung für risikobehaftete Entscheidungen
nicht nur forderte, sondern in dieser Forderung eines der konstituierenden
Prinzip sah, ohne die eine Marktwirtschaft nicht funktionieren kann.
Die Übernahme von Risiken ist in einer freien
Marktwirtschaft unerlässlich. Sowohl technischer Fortschritt wie auch das Recht
auf Bedarfswandel bringen es mit sich, dass unternehmerische Entscheidungen
nicht ohne Risiken gefällt werden können. Bei der Durchführung von Innovationen
(technische Erneuerungen) kann der Unternehmer niemals voraussehen, ob die
prognostizierten und erhofften positiven Wirkungen auch tatsächlich eintreten.
Stets ist mit kostenverursachenden unerwarteten Nebeneffekten zu rechnen. Auch
kann kein Unternehmer, der neue Produkte anbietet, vollkommen voraussehen, ob
diese Produkte auch vom Endverbraucher angenommen werden. Auch kann sich kein
Unternehmer sicher sein, dass nicht auch andere Konkurrenten mit den gleichen
oder ähnlichen Erneuerungen auf den Markt kommen und damit die Absatzchancen
der eigenen Unternehmung gefährden.
Nun kann man niemand dazu zwingen, risikobehaftete
Entscheidungen durchzuführen. Nur dann, wenn massive finanzielle Anreize
bestehen, ist zu erwarten, dass sich in einer Volkswirtschaft genügend
Unternehmer finden, welche bereit sind, immer wieder risikobehaftete
Innovationen durchzuführen. Diese Anreize bestehen nun in einer freien
Marktwirtschaft darin, dass bei Erfolg dem Investor die Gewinne zufließen. Der
Liberalismus hat aber immer schon gleichzeitig gefordert, dass dann, wenn die
technischen Erneuerungen zu Verlusten führen, diese auch von den Investoren und
nur von diesen getragen werden müssen.
Dass in der jüngsten Vergangenheit tatsächlich
Banken und Makler die Gewinne aus
risikobehafteten Anlagen einstreichen konnten, aber gleichzeitig die aus diesen
Entscheidungen erwachsenden Verluste vom Staat tragen lassen konnten, war keine
Folge einer neoliberalen Ordnung, sondern ganz im Gegenteil eine Abkehr von
neoliberalem Gedankengut. Was heute nottut, ist deshalb auch nicht ein Verlassen
einer liberalen Ordnung, sondern die Rückkehr zu den neoliberalen, vor allem
konstitutiven Prinzipien einer funktionierenden Marktwirtschaft.
Natürlich mag es richtig sein, dass im Höhepunkt der
jüngsten Finanzkrise dem Staat gar nichts anderes übrig blieb, als die marode
gewordenen Großbanken finanziell zu stützen und zu übernehmen, da ohne solche
Stützungsmaßnahmen in der Tat ein völliger Zusammenbruch des Finanzsystems
befürchtet werden musste. Der Fehler lag daran, dass man es in der
Vergangenheit verabsäumt hatte, eine Ordnung für den Finanzmarkt zu erlassen,
die sicherstellt, dass das Haftungsprinzip auch voll zum Zuge kommt.
Auch für den Bankensektor und für den Kapitalmarkt
gilt, dass ein befriedigendes Ergebnis nur dann erzielt werden kann, wenn
Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmungen besteht. Es darf niemals zu
einer Entwicklung kommen, dass eine einzelne Unternehmung oder einige wenige
den Markt beherrschen. Hätten wir in der Vergangenheit ein Bankensystem gehabt,
in dem eine Vielzahl von Einzelbanken in einem effektiven Wettbewerb zueinander
gestanden hätten, dann hätte auch der Bankrott einer einzelnen Bank nicht zu
einem Zusammenbruch des gesamten Bankensystem geführt.
Überall dort, wo risikobehaftete Entscheidungen
anstehen, muss es möglich sein, dass derjenige, der eine risikobehaftete
Entscheidung trifft, dann auch zur vollen Verantwortung bis hin zum Bankerott
herangezogen wird, wenn diese Entscheidung zu volkswirtschaftlichen Verlusten
führte. Es darf nicht sein, dass eine Bank von einer bestimmten Größe an aus
volkswirtschaftlichen Gründen gar nicht Bankerott gehen darf, mögen ihre
Entscheidungen noch so fehlerhaft gewesen sein. Es ist Aufgabe einer
Monopolaufsicht dafür zu sorgen, dass keine Bank eine solche kritische Größe
erreicht und es ist Aufgabe des Staates, der Monopolaufsicht die hierfür
notwendigen Instrumente zur Verfügung zu stellen.
Weiterhin muss unterbunden werden, dass Banken
Zertifikate, welche ein extrem hohes Risiko aufweisen, an Kunden verkaufen
können, welchen gar nicht bewusst ist, dass sie ein solch hohes Risiko mit dem
Kauf solcher Papiere eingehen und welche auch nicht gewillt sind, ein solch
hohes Risiko zu übernehmen. Jeder Käufer risikobehafteter Wertpapiere muss die
Höhe des eingegangenen Risikos kennen und auch wollen.
Schließlich dürfen die Gewinne, die den Verkäufern
solcher Zertifikate als Boni zufließen, nicht auf den kurzfristigen Ertrag
einer Bank bezogen sein. Ein Verkäufer solcher risikobehafteten Papiere muss
immer auch langfristig haften, wenn sich herausstellt, dass auf lange Sicht der
Ankauf oder Verkauf dieser Papiere der Bank Verluste gebracht hat.
Die finanzielle Beteiligung der Makler und Banken an
den der Volkswirtschaft entstehenden Verlusten sollte nun aber nicht in einer
zusätzlichen Steuer wie z. B. der Wiedereinführung einer Börsenumsatzsteuer
bestehen. Eine natürliche Beteiligung liegt einfach darin, dass derjenige,
welcher Wertpapiere mit hohem Risiko erwirbt und damit auch hohe Zinsen erhält,
da die Zinshöhe entscheidend vom Umfang des eingegangenen Risikos abhängt, bei
Verlust die hierbei entstehenden Kosten auch tragen muss. Wenn die oben
genannten ordnungspolitischen Forderungen eingehalten werden, bedarf es auch im
Falle von Verlusten gar keiner Übernahme dieser Verluste seitens des Staates.
So eine Übernahme wird immer nur dann notwendig, wenn der Staat es in der
Vergangenheit verabsäumt hat, eine entsprechende Ordnung zu erlassen.
8.
Schuldenmoratorien unerwünscht?
In der Öffentlichkeit wird die Möglichkeit,
dass ein verschuldetes Land wie z. B. Griechenland bei Zahlungsunfähigkeit ein
Schuldenmoratorium verkündet und in Verhandlungen mit seinen Gläubigern tritt,
um über Schuldennachlass und Umwandlung kurzfristiger in langfristige Schulden
verhandelt, als für das Schuldnerland unzumutbar verworfen.
In der Tat sieht der Vertrag der Europäischen
Währungsunion auch nicht die Möglichkeit vor, dass die Europäische Gemeinschaft
ein Schuldnerland zu einem Moratorium zwingen kann. Trotzdem bestünde natürlich
die Möglichkeit, dass ein Land von sich aus ein Schuldenmoratorium verkündet.
In Wirklichkeit ist ein Schuldenmoratorium –
wenn man das Problem weltweit betrachtet
und die Betrachtung auf die Zeit nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ausweitet – keinesfalls eine Seltenheit,
zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer Südamerikas und Asiens, sogar Russland
im Hinblick auf die von der vergangenen Sowjetunion übernommenen Schulden
hatten sich dieses Weges bedient. Auch kann man nicht davon sprechen, dass
dieses Verhalten die Weltwirtschaft oder auch nur das weltweite Finanzsystem
zum Ruin getrieben habe oder dass die betroffenen Länder nun für alle Zeit vom
wirtschaftlichen Aufstieg ausgeschlossen gewesen wären.
Ganz im Gegenteil erwies sich dieses Instrument
als ein sehr wirkungsvolles Mittel, um ein Land möglichst schnell aus der Krise
herauszuführen. In Wirklichkeit stellt dieses Instrument ein ganz natürliches
schon immer in der Vergangenheit angewandtes Mittel dar, um ein Land aus der
Krise herauszuführen. Auf der einen Seite ist ein Land, das sich auf diese
Weise entschuldet, sehr viel besser in der Lage, schnell zu einem
wirtschaftlichen Neuanfang zu kommen, auf der anderen Seite bringt dieser Weg
genau die Beteiligung der Banken und reichen Kapitalgeber, die in der Öffentlichkeit
immer wieder gefordert wurde.
Warum stellt sich ein Land, das den Weg eines
Schuldenmoratoriums wählt, sehr viel besser als dann, wenn es finanzielle
Hilfen von Seiten der Europäischen Gemeinschaft annimmt? Der Grund hierfür
liegt einfach darin, dass bei dem für Griechenland und nun auch für Irland
gewählten Weg das Land zweifache Anstrengungen unternehmen muss, um schließlich
wiederum zu einer gesunden wachstumsträchtigen Volkswirtschaft zurückzukehren.
Die dem verschuldeten Land gewährten Hilfen
stellen ja keine Geschenke, sondern lediglich Kredite dar, die auf Heller und
Pfennig einschließlich hoher Zinsen an die Europäische Gemeinschaft
zurückgezahlt werden müssen. Das betroffene Land muss also auf der einen Seite
sehr viele Anstrengungen unternehmen, um in Zukunft diese Schulden zurückzahlen
zu können und muss aber auf der anderen Seite genau so viel harte und
entbehrungsreiche Bemühungen vornehmen, um die zerrüttete Volkswirtschaft
wiederum auf Erfolgskurs zu bringen. Gerade diese eigentlich notwendigen
Bemühungen werden dann, wenn zunächst Kredite voll zurückgezahlt werden müssen,
hintangestellt und somit der wirtschaftliche Wiederaufstieg zumindest
verzögert.
Der Weg eines Schuldenmoratoriums ist somit
aus der Sicht des verschuldeten Landes keinesfalls unzumutbar, stellt sogar das
betroffene Land besser als bei dem für Griechenland gewählten Weg. Ein Land ist
fast immer deshalb in die Schuldenkrise geraten, weil keine effiziente
Produktion betrieben wurde und ein Land wird immer erst dann aus der
Schuldenkrise herausfinden, wenn es ihm gelingt, die wirtschaftlichen
Strukturen zu einem effizienten Wirtschaftssystem umzulenken. Gerade bei einem
Schuldenmoratorium kann sich das verschuldete Land sofort der Umgestaltung der
eigenen Volkswirtschaft zuwenden.
Es kommt noch hinzu, dass dieser Weg eines
Schuldenmoratoriums für das Prestige des verschuldeten Landes sehr viel
akzeptabler erscheint, als dann, wenn es die Hilfe der Europäischen Gemeinschaft
in Form von Krediten annimmt. Die Vergabe der Kredite ist normalerweise mit zahlreichen
Auflagen verbunden, welche oftmals als sehr demütigend angesehen werden. Diese
Auflagen sind jedoch notwendig, da die Gläubigerländer nur dann mit der
Rückzahlung der Kredite rechnen können, wenn die Regierung des Schuldnerlandes
auch alles notwendige zur Sanierung unternimmt. Zwar muss eine Regierung, wenn
sie erfolgreich agieren will, ebenfalls diese als hart empfundenen Kürzungen
vornehmen, sie erfolgen jedoch im Zusammenhang mit einem Schuldenmoratorium
aus eigener Verantwortung und Initiative, sie werden dann nicht von fremden
Nationen aufgezwungen.
Nun könnte man einwenden, dass sich ein Land,
welches ein Moratorium verkünden muss und nicht in der Lage ist, die Kredite
unter normalen Bedingungen zurückzuzahlen, gerade durch diesen Schritt die
Möglichkeit verbaut, auch in Zukunft wiederum Kredite von privaten Gläubigern
zu bekommen und Wertpapiere mit Erfolg auslegen zu können. Wer einmal seine
Schulden nicht zurückgezahlt hat, hat gerade dadurch die Chance verspielt, in
Zukunft weitere Kredite zu bekommen. Aber gerade dadurch würden dem Lande die
Möglichkeiten zu einem Neuanfang genommen.
Nun mag diese Überlegung für private
Haushalte und Unternehmungen in gewisser Weise zutreffend sein. Für
Staatsgebilde gilt jedoch ein etwas anderer Zusammenhang. Die Tatsache, dass
ein Land in der Vergangenheit in eine Schuldenkrise geraten ist, wurde zumeist
von anderen Regierungen herbeigeführt, als von derjenigen Regierung, die nun
die Sanierung durchführen muss. Regierungen, die ein Land in eine Krise führen,
werden im Allgemeinen in Demokratien vom Volke abgewählt. Es ist also auch
nicht die Regierung, welche abgewirtschaftet hat, die nun zur Sanierung der
Volkswirtschaft um neue Kredite nachsucht.
Man wird von normalen Gläubigern erwarten
können, dass sie die Zukunftsaussichten
eines Landes realistisch einschätzen. Sie würden sich irrational
verhalten, wollten sie Kredite für ein Land, das einen effektiven
Wiederaufschwung erfährt, verweigern. Ob ein Land Kredite erhält und
Wertpapiere mit Erfolg auflegen kann, hängt einzig und allein davon ab, wie die
Sanierungsmaßnahmen von den Gläubigern eingeschätzt werden. Werden diese
Maßnahmen positiv und erfolgsversprechend eingeschätzt, so werden auch Kredite
gewährt werden, unabhängig davon, ob dieselbe Regierung wegen Verfehlungen
ihrer Vorgänger ein Schuldenmoratorium verkünden musste.
Wie sieht aber nun die Situation aus der
Sicht der betroffenen Gläubiger aus, werden sie zu Unrecht dadurch benachteiligt,
dass ihre Kredite nicht voll zurückgezahlt werden können? Auch hier wird man
feststellen müssen, dass den Gläubigern nicht Unrecht angetan wird. Sie haben
mit Risiko behaftete Staatsanleihen aufgekauft und hierfür entsprechend der
Höhe des Risikos hohe Zinsen vereinnahmt. Auch hier hat das Haftungsprinzip zu
gelten, wonach dann, wenn riskante Investitionen zum Misserfolg führen, die
Gläubiger das volle Risiko zu tragen haben und dies hat eben zur Folge, dass
die Gläubiger nun die Verluste übernehmen müssen.
Es war im Falle der Schuldenkrise
Griechenlands ja auch nicht so, dass die Zahlungsunfähigkeit der griechischen
Regierung wie aus heiterem Himmel erfolgte. Dass die griechische Regierung hoch
verschuldet war und dass die griechische Volkswirtschaft sehr ineffizient
arbeitete, war schon sehr lange bekannt, gerade deshalb mussten die
griechischen Regierungen ja auch Zinsen zahlen, die weit über den üblichen
Marktzinsen für Staatsanleihen lagen. Die Gläubiger konnten sehr wohl die Höhe
des eingegangenen Risikos abschätzen, sie sind der hohen Zinsen wegen dieses
Risiko eingegangen und werden nun zur Kasse gebeten, da das Risiko eben zu hoch
war und da eigentlich schon sehr viel früher die griechische Regierung aufgrund
der bisherigen Versäumnisse durch Verweigerung von weiteren Krediten zur Umkehr
hätte gezwungen werden können.
Wäre man den sonst in Marktwirtschaften
üblichen Weg eines Schuldenmoratoriums gegangen, dann wären die Gläubiger – und
dies sind ja vor allem die Banken und andere Kreditinstitute – an der
Überwindung dieser Krise angemessen beteiligt worden, es wäre auch nicht
notwendig gewesen, dass die übrigen europäischen Staaten Bürgschaften
übernehmen, welche dann, wenn der griechische Staat in Zukunft wiederum nicht
in der Lage wäre, auch diese Kredite zurückzuzahlen, letztendlich vom
Steuerzahler der Gläubigerstaaten getragen werden müssen.
9.
Vorübergehende Aussetzung der Mitgliedschaft?
In ähnlicher Weise wie für das
Schuldenmoratorium wird in der Öffentlichkeit der Vorschlag vehement abgelehnt,
dass für ein Land, das für längere Zeit gegen die Stabilitätskriterien
verstoßen hat, vorübergehend die Mitgliedschaft in der Europäischen
Währungsunion ausgesetzt wird. Man sieht sozusagen im Beitritt zur
Währungsunion eine Art Einbahnstraße, die keine – auch keine vorübergehende –
Umkehr zu einer eigenen Währung gestattet. Begründet wird diese Haltung zumeist
damit, dass es unmöglich sei, in so kurzer Zeit den Wert der eigenen Währung
gegenüber dem Euro und den anderen Weltwährungen festzulegen.
Ich glaube, dass man in diesem Urteil die
Kräfte und Möglichkeiten eines freien Marktes unterschätzt. Ein freier Markt
ist durchaus in der Lage, in relativ kurzer Zeit den Wert irgendeines Gutes und
damit auch einer neu installierten Währung zu bestimmen. Dass der freie Markt
diese Möglichkeiten besitzt, konnte man deutlich sehen, als in der
unmittelbaren Zeit nach Beendigung des zweiten Weltkrieges in Westdeutschland
zur Marktwirtschaft zurückgekehrt wurde.
In einer Schnelligkeit, wie es wohl kaum in der Öffentlichkeit damals vermutet
worden war, entsprachen die Preise den realen Knappheitsverhältnissen.
Es ist gar nicht notwendig, dass sich die
Regierung oder ein Sachverständigengremium große Gedanken darüber macht, mit
welchem Wechselkurs die vorübergehende eigene Währung eines Landes den
Neubeginn starten sollte. Man geht einfach von dem jetzigen Wert des Euros aus
und gibt den Wert der nun eigenständigen Währung frei. Die eigene Währung
dürfte natürlich sehr schnell fallen.
Wenn man den Wechselkurs allerdings nur
dem freien Markt überlassen würde, käme es natürlich sicherlich zu sehr starken
Schwankungen. Genauso wie dies die nationalen Notenbanken auch nach Freigabe
der Währungen in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts getan haben,
müsste die nationale Notenbank des verschuldeten Landes den Kurs verfolgen und
dann, wenn der Sturz der eigenen Währung zu schnell und als zu weitgehend
angesehen würde, die eigene Währung aufkaufen um damit die Schwankungen in der
eigenen Währung zu glätten.
Sie müsste in dieser Politik
selbstverständlich auch von der Europäischen Notenbank unterstützt werden, da
sie ja eigene Währung nur aufkaufen kann, wenn sie über ausreichend fremde Währung
verfügt. Wenn die nationale Notenbank des verschuldeten Landes diese Politik
der Glättung der täglichen Schwankungen im Wechselkurs strikt befolgt und eine
langfristige und stetige Reduzierung des Wechselkurses der eigenen Währung
zulässt, hätte diese Notenbank auch nur einen kurzfristigen Bedarf an fremder
Währung, sodass die ihr gewährten Bankkredite seitens der europäischen
Notenbank langfristig auch wieder zurückgezahlt werden könnten. Ein
langfristiger Bedarf an fremder Währung (an Devisen) bestünde nur dann, wenn
sich die nationale Notenbank gegen den langfristigen Wechselkurs stemmen würde,
also mit Gewalt den eigenen Kurs auch langfristig auf einem zu hohen Niveau
halten wollte.
Gleichzeitig müsste natürlich die nationale
Regierung des verschuldeten Landes Strukturmaßnahmen zur Förderung der
Produktivität der einheimischen Volkswirtschaft einleiten, um auf diese Weise
dafür Sorge zu tragen, dass die Leistungsbilanz weitgehend ausgeglichen ist und
dass damit kein zusätzlicher Bedarf an fremder Währung wegen einer passiven
Leistungsbilanz entsteht. Durch die Abwertung der eigenen Währung würden sich
die Exportchancen dieses Landes automatisch erhöhen.
Die Auflagen, welche die Europäische
Notenbank für die Kreditgabe fremder Währung machen müsste, würde sich dann darauf
beschränken, dass die nationale Notenbank den langfristen Markttrend im
Wechselkurs zulässt. Sie wären damit wesentlich geringer und für das
verschuldete Land weit weniger demütigend, als dies heute bei der Gewährung aus
dem Krisenfonds der Europäischen Union der Fall ist.
Sobald das verschuldete Land wiederum die
Stabilitätskriterien einhält, könnte dann auch die vorläufige Suspendierung der
Mitgliedschaft in der Europäischen Union aufgehoben werden.