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Fragen des europäischen Krisenmechanismus

 

 

Gliederung:

 

1. Einführung

2. Staatsverschuldung bei eigener Währung

3. Staatsverschuldung bei einem Währungsverbund

4. Built in flexibility versus autonome Entscheidungen

5. Ex ante versus ex post-Kontrollen

6. Finanzielle versus dispositionelle Anreize

7. Zur finanziellen Beteiligung der Banken 

8. Schuldenmoratorien unerwünscht?

9. Vorübergehende Aussetzung der Mitgliedschaft?

 

 

1. Einführung

 

Als Anfang des Jahres 2010 Griechenland in eine Schuldenkrise geriet und die Europäische Währungsunion um finanzielle Hilfe bat, befürchteten die meisten Politiker, dass Griechenland auch die Stabilität des Euro bedrohe und entschlossen sich deshalb für eine – Milliarden hohe – Kreditgewährung an Griechenland.

 

In der Tat fiel der Euro aufgrund dieser Krise in beachtlichem Maße, obwohl der Euro auch auf seinem Tiefpunkt immer noch in etwa der Kaufkraftparität zum Dollar entsprach. Es wurde befürchtet, dass die griechische Schuldenkrise weitere Länder mit ebenfalls extrem hoher Staatsverschuldung (so etwa Spanien und Portugal) in den Abwärtssog mitreißen könne.

 

In der Zwischenzeit hatte sich der Euro für eine kurze Zeit vor allem auch aufgrund der eingeleiteten Maßnahmen und Reformabsichten der Europäischen Union wieder erholt und erreichte Werte, die weit über der Kaufkraftparität lagen.

 

Gegen Ende des Jahres 2010 geriet nun Irland ebenfalls in eine Krise, zunächst drängte die Europäische Union Irland, Stützungsmaßnahmen in Milliardenhöhe aus dem in der Zwischenzeit gebildeten europäischen Krisenfonds anzunehmen und die irische Regierung schien auch bereit, einen solchen Kredit bei der Europäischen Union zu beantragen, geriet jedoch aufgrund dieser Entscheidung in eine Regierungskrise, da die Koalitionspartner nicht bereit waren, diesen Antrag mit zu unterstützen. Die Folge bestand dann darin, dass Neuwahlen angesetzt wurden und dass nun die Gefahr besteht, dass aus dieser Wahl eine Regierung hervorgeht, welche diesen Kreditantrag an die europäische Union (vorwiegend aufgrund der Auflagen und des damit verbundenen Verlustes der fiskalpolitischen Unabhängigkeit) ablehnt und damit erneut die Stabilität des Euro gefährden könnte.

 

Wir müssen uns allerdings darüber im Klaren sein, dass die Ursachen dieser Schuldenkrisen Griechenlands und nun Irlands ganz unterschiedlicher Natur sind. Griechenland war wohl immer – vor allem auch in der Zeit, in der Griechenland den Antrag stellte, in die Europäische Währungsunion aufgenommen zu werden – in hohem Maße verschuldet und zwar aufgrund wirtschaftspolitischer Mängel und Misswirtschaft. Nun durften eigentlich aufgrund des europäischen Währungsvertrages nur solche Länder in die Europäische Währungsunion aufgenommen werden, deren Budgetdefizit unter 3% und deren Staatsverschuldung unter 60% des Bruttoinlandsproduktes liegen.

 

Wie wir heute wissen, lag das Budgetdefizit Griechenlands zum Zeitpunkt des Eintritts in die Europäische Währungsunion eindeutig und spürbar über 3% und Griechenland konnte nur durch Tricks (u. a. dadurch, dass die Militärausgaben zu gering und Überschüsse aus der Sozialversicherung zu hoch angesetzt wurden) den Eindruck erwecken, es erfülle die Beitrittskriterien zur Europäischen Währungsunion. Auch in der Folgezeit wurden eindeutig die Verschuldungskriterien wiederholt verletzt, Griechenland hat wohl während der gesamten Zeit seiner Mitgliedschaft in der Währungsunion gegen diese Kriterien verstoßen und wiederholt falsche Angaben an die europäische Behörde gemeldet. Dies bedeutet, dass Griechenland in der Vergangenheit eigentlich zu keiner Zeit die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion erfüllt hatte und gerade deshalb auch kein Mitglied dieser Währungsunion hätte werden dürfen.

 

Der Fall Irland ist hingegen mit dem Fall Griechenland nicht zu vergleichen. Die irländischen Regierungen hatten in den letzten Jahrzehnten in einer beispiellosen Entwicklung die irische Volkswirtschaft von einem Armenhaus Europas zu einer modern entwickelten, wachstumsbewussten und fortschrittlichen Volkswirtschaft geführt. Dass Irland nun trotzdem in eine gefährliche Schuldenkrise geraten ist, liegt zum größten Teil daran, dass sich einige irische Großbanken verspekuliert haben und Risiken durch Ankauf vor allem amerikanischer Spekulationspapiere übernommen hatten, die bei einer sorgfältigen Geschäftsführung nie hätten eingegangen werden dürfen.

 

Um zu verhindern, dass durch einen Bankrott dieser Großbanken die gesamte Volkswirtschaft mitgerissen wird und das irische Finanzsystem zusammenbricht, sah sich die irische Regierung genauso wie auch andere europäische Staaten einschließlich der BRD gezwungen, diese Banken durch staatliche Kredite zu stützen. Also hat nicht eine falsche staatliche Fiskalpolitik, sondern das Versäumnis der Regierung, für den Finanzmarkt effiziente Regeln einzuführen sowie eine verfehlte Politik einiger irischer Großbanken zu dieser Schuldenkrise geführt.

 

Ich möchte diese Problematik in diesem Artikel aufgreifen und einige Problemfelder darlegen, welche in der öffentlichen Diskussion kontrovers und zum Teil auch sehr verwirrend diskutiert werden.

 

Ich möchte in einem ersten Punkt darlegen, dass sich eine Verschuldung des Staates in mehreren Punkten ganz anders darstellt, je nachdem ob ein Staat Mitglied eines Währungsverbundes ist oder eine eigene Währung besitzt.

 

Ich werde dann in einem zweiten Punkt der Frage nachgehen, welche Argumente dafür sprechen, dass Sanktionen gegenüber Ländern, welche die Stabilitätskriterien verletzen, automatisch ausgelöst werden und welche Argumente angeführt werden können, um in jedem Einzelfall politisch darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen und Sanktionen gegen ein Land verhängt werden sollen, welches die Stabilitätskriterien nicht erfüllt hat. Es handelt sich hierbei um eine Frage, die bereits im Zusammenhang mit der großen Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ausführlich unter dem Stichwort des „built in flexibility“ diskutiert wurde.

 

In einem dritten Punkt soll der Frage nachgegangen werden, ob die europäische Kontrolle ex ante (also vor Verabschiedung) oder erst ex post (also nach der Verabschiedung der nationalen Haushaltspläne) erfolgen soll. Ich werde zeigen, dass es auf jeden Fall widersprüchlich ist, wenn man wie bisher eine ex post Kontrolle durchgeführt und bejaht hat, aber eine ex ante Kontrolle mit dem Argument ablehnt, dass hier die Rechte der nationalen Parlamente beschnitten würden.

 

In einem vierten Punkt soll darüber diskutiert werden, ob es eher erwünscht ist, Staaten, welche die Stabilitätskriterien verletzt haben, mit finanziellen Sanktionen zu bestrafen oder sie vielmehr vorübergehend von dem Entscheidungsprozess in den europäischen Gremien auszuschließen.

 

Fünftens möchte ich einiges grundsätzliches zu der in der Öffentlichkeit geäußerten Forderung sagen, man müsse die Banken in Zukunft an der Finanzierung der Rettungsmaßnahmen beteiligen. Meines Erachtens wird das hier zugrunde liegende Problem falsch dargestellt. Es ist nicht so, dass die Marktwirtschaft hier versagt hat und dass die Politik nun die Marktwirtschaft korrigieren müsse. Ganz im Gegenteil hatte die bisherige Politik in dieser Frage versagt, da sie es verabsäumt hat, entsprechend den Grundsätzen Walter Euckens, des Begründers des Neoliberalismus in Deutschland, dafür zu sorgen, dass die einzelnen Unternehmer und nur diese für eingegangene Risiken auch zu haften haben.

 

In den beiden letzten Abschnitten dieses Artikels werde ich mich mit zwei in der Öffentlichkeit äußerst kontrovers diskutierten Fragen befassen. Was spricht denn erstens dagegen, dass man für säumige Länder, welche nicht bereit sind, die Stabilitätskriterien einzuhalten, Möglichkeiten schafft, durch ein Schuldenmoratorium die Voraussetzungen für einen Neubeginn der wirtschaftlichen Entwicklung herbeizuführen. Schuldenmoratorien gab es in der Vergangenheit (auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion) zum wiederholten Male, ohne dass hierdurch die weltweite Währungsordnung zusammengebrochen ist oder auch nur ernsthaften Schaden genommen hat.

 

Und was spricht denn zweitens dagegen, dass man die Mitgliedschaft eines Landes, das die Stabilitätskriterien wiederholt und gravierend verletzt hat, in der Währungsunion solange ruhen lässt, bis zu erkennen ist, dass die betroffene Regierung Wege eingeleitet hat, welche aus der Schuldenkrise herausführen.

 

 

2. Staatsverschuldung bei eigener Währung

 

Wir beginnen unsere Analyse mit der Frage nach der Bewertung einer Staatsver­schuldung für einen Staat, der zwar vielleicht einem Währungssystem wie dem IWF (Internationaler Währungsfonds) oder dem EWS (Europäisches Währungssystem) angehört, aber über eine eigene Währung verfügt. Wir haben davon auszugehen, dass diese Frage im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften durchaus kontrovers diskutiert wird und wurde.

 

Es war J. M. Keynes, welcher im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Massenarbeitslosigkeit darauf zurückführte, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern und davon abgeleitet auch die Beschäftigung zurückgegangen ist und somit nicht mehr ausreicht, soviel Güter zu produzieren, dass Vollbeschäftigung ermöglicht wird.

 

Er widersprach damit dem Say‘schen Theorem, wonach für eine gesamte Volkswirtschaft die Nachfrage nach Gütern niemals zu gering sein könne und deshalb eine zu geringe Nachfrage auch nicht für Massenarbeitslosigkeit verantwortlich sein kann, da jedes Angebot eine gleichhohe Nachfrage auslöse. Der Umsatz der Unternehmungen schlage sich in Einkommen (Faktoreinkommen oder Gewinnen) nieder, diese Einkommen würden voll zu Nachfrage. Entweder werde nämlich das Einkommen für die Nachfrage nach Konsumgüter ausgegeben oder aber das Einkommen werde gespart und damit für die Investitionsnachfrage vorgesehen. Arbeitslosigkeit müsse man vielmehr auf verstopfte Absatzwege zurückführen, falls die Preisverhältnisse nicht mehr den Knappheitsverhältnissen entsprächen.

 

Jean Baptiste Say selbst ging noch davon aus, dass vorwiegend nur Unternehmungen Ersparnisse ansammelten und dass Einkommen eben nur dann gespart würden, wenn ein Unternehmer Investitionen geplant habe. Say unterstellte also noch eine Identität von Sparern und Investoren, sodass jede Ersparnis auch automatisch eine Investitionsnachfrage voraussetzt.

 

Später berücksichtigte zwar die neoklassische Theorie, dass Sparen und Investieren nicht mehr von ein- und derselben Person durchgeführt wird, da erstens in der Zwischenzeit immer mehr Nichtunternehmerhaushalte über ein so hohes Einkommen verfügten, dass Teile davon gespart wurden und da zweitens mit dem Aufkommen von Kapitalgesellschaften die Unternehmungen darauf angewiesen waren, fremdes Kapital auf den Kapitalmärkten nachzufragen.

 

Trotzdem hielt die neoklassische Theorie an der Gültigkeit  des Say‘schen Gesetzes fest, da Angebot und Nachfrage auf den Kapitalmärkten durch Zinsvariationen automatisch zum Ausgleich gebracht würden.

 

Hier setzte dann die Kritik von J. M. Keynes am Say’schen Theorem an. Der Zinsmechanismus sei in Zeiten der Depression gar nicht in der Lage, das Investitionsvolumen der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis anzupassen. Auf der einen Seite würden Erspar­nisse gehortet, würden also gar nicht dem Kapitalmarkt angeboten. Im Tiefpunkt einer Depression würde sich eine Kapitalanlage nämlich gar nicht mehr lohnen, da die Zinsen extrem niedrig seien und da befürchtet werden muss, dass der Kurs der Wertpapiere – im Zusammenhang mit erwarteten Zinssteigerungen – in naher Zukunft fallen werde und somit die Kursverluste höher ausfallen könnten als die Zinserträge.

 

Auf der anderen Seite seien die Unternehmungen auch bei Zinssenkungen gar nicht bereit zu investieren. Aufgrund des Absatzrückganges verfügten die Unternehmungen über überschüssige Kapazitäten, sodass Neuinvestitionen zur Kapazitätserweiterung in diesen Zeiten nicht benötigt würden.

 

Wegen diesem Versagen des Kapitalmarktes müsse der Staat dafür sorgen, dass der Mangel an privater Nachfrage durch staatliche Nachfrage ersetzt werde. Die hierdurch notwendige Ausweitung der Staatsausgaben müsste jedoch defizitär (durch Geldschöpfung) finanziert werden, da bei einer Finanzierung der zusätzlichen Staatsausgaben durch vermehrte Steuern die private Nachfrage erneut reduziert würde und die staatliche Nachfrage nur an die Stelle der privaten Nachfrage treten würde. Somit kam J. M. Keynes zu dem Ergebnis, dass in Zeiten des Konjunkturabschwungs der Staat sich verschulden müsse, eine Staatsverschuldung sei dann ein Segen und keinesfalls ein Fluch.

 

Diese keynesianischen Schlussfolgerungen blieben nicht unwidersprochen. Vor allem von Seiten der Neoklassiker, welche ein angebotstheoretisches Konzept vertraten, wurden mehrere Einwände gegen die keynesianische Sicht vorgetragen. Erstens sei ein Nachfragerückgang keinesfalls der einzige oder auch wichtigste Grund für gesamtwirtschaft­liche Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit müsse oftmals einfach damit erklärt werden, dass entweder die Produktion und mit ihr die Beschäftigung zurückgehe, weil die Stückkosten angestiegen seien und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Unternehmungen nachgelassen habe. Oder aber ein Teil der Arbeitnehmer – vor allem mit Migrationshintergrund – brächten nicht die Mindestkenntnisse mit, welche notwendig seien, um einen Arbeitsplatz zu finden.

 

Zweitens mag es zwar richtig sein, dass in Zeiten des Konjunkturrückgangs die Unternehmer auch bei Zinssenkungen nicht bereit sein werden, Erweiterungsinvestitionen durchzuführen. In Zeiten von Absatzkrisen sehen sich jedoch die Unternehmer gezwungen, Rationalisierungsinvestitionen durchzuführen, um auf diese Weise ihre Kosten senken und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen zu können.

 

Nun führt zwar nicht jede Rationalisierungsinvestition automatisch zu mehr Arbeit. Arbeitssparender technischer Fortschritt vernichtet sogar Arbeitsplätze. Allerdings hängt die Frage, welcher technische Fortschritt überwiegt, entscheidend vom Verhältnis der Lohnkosten zu den Zinskosten ab. Nur dann, wenn das Lohn-Zinsverhältnis vom Knappheitsverhältnis der Produktionsfaktoren abweicht, besteht die Gefahr, dass der technische Fortschritt zu einer Vernichtung von Arbeitsplätzen führt.

 

Nun trägt jedoch die keynesianische Politik dazu bei, dass das Lohn-Zinsverhältnis vom Knappheits­verhältnis abweicht. Auf der einen Seite plädiert die keynesianische Theorie in Zeiten des Konjunkturabschwunges für niedrige Zinsen, umso die Zinslast des Staates niedrig zu halten. Auf der anderen Seite wird die Forderung erhoben, in diesen Zeiten die Lohnsätze über die Produktivitätszuwächse anzuheben, um auf diese Weise die Konsumnachfrage und mit ihr die Beschäftigung zu steigern (Forderung nach expansiver Lohnpolitik).

 

Nun habe ich bereits an anderer Stelle daraufhin gewiesen, dass sich diese Kaufkrafttheorie – zumindest in ihrer vereinfachten Form – zu Unrecht auf Keynes beruft. Mit dem Lohneinkommen steigt ja nur die induzierte Konsumnachfrage an, ein positiver Beschäftigungseffekt wäre jedoch nur dann zu erwarten, wenn die autonome Konsumnachfrage anstiege, wenn also ein höherer Prozentsatz des Einkommens für Konsumzwecke ausgegeben werden würde. Nichtsdestotrotz wird im Namen von Keynes in Zeiten der Rezession eine expansive Lohnpolitik gefordert, mit dem Ergebnis, dass das Lohn-Zinsverhältnis immer mehr von den Knappheitsverhältnissen abweicht und somit die Gefahr der Arbeitslosigkeit sogar  – gerade aufgrund dieser Politik, die doch eigentlich Arbeitslosigkeit abbauen soll – ansteigt.

 

Drittens hat vor allem William Nordhaus die These vertreten, dass die konjunkturpolitische Aktivität des Staates in repräsentativen Demokratien sogar zu einer Verschärfung der Konjunktur­­­­ausschläge führe. Unmittelbar vor den Wahlen würde die Regierung beschäftigungspolitische Maßnahmen durchführen, welche sich dadurch auszeichnen, dass der positive Beschäftigungseffekt kurzfristig noch vor den Wahlen eintrete, dass aber die negativen inflatorischen Effekte erst sehr viel später zu erwarten seien.

 

Die Regierung würde sich nämlich dadurch gezwungen sehen, unmittelbar nach den Wahlen stabilitätspolitische Maßnahmen durchzuführen, welche die Bevölkerung kurzfristig materiell belaste. Die Politiker könnten trotzdem diese Stabilisierungsmaßnahmen durchführen, da die Wähler in hohem Maße vergesslich seien und deshalb ihr Wahlverhalten lediglich an den Maßnahmen ausrichteten, welche unmittelbar vor den Wahlen ergriffen wurden. Auf diese Weise trage jedoch die Regierung dazu bei, die Konjunkturschwankungen zu verstärken, da der Aufschwungstrend unmittelbar vor den Wahlen erhöht, und die Abschwungserscheinungen nach den Wahlen ebenfalls verstärkt würden.

 

Viertens kann die Globalisierung der Weltwirtschaft dazu führen, dass auch bei einem Anstieg in der effektiven Nachfrage nach Gütern die inländischen Unternehmungen trotzdem keine zusätzlichen Arbeitskräfte einstellen, da sie die Teile der Produktion in ausländische Staaten verlagern, in denen die Arbeitskräfte billiger bezahlt werden können.

 

Wenn die Regierungen trotz dieser Bedenken mit Hilfe defizitärer Ausgaben die Konjunktur anzukurbeln versuchen, so mögen sie zwar aufgrund der von Nordhaus beschriebenen Zusammenhänge auf mittlere Sicht erfolgreich sein, auf längere Sicht sind jedoch trotzdem die Möglichkeiten, die Staatsverschuldung zu erhöhen, begrenzt, da auf der einen Seite ein immer größer werdender Anteil der Staatsausgaben für den Schuldendienst (Bezahlung der fälligen Zinsen und Zurückzahlung der fälligen Anleihen) eingesetzt werden muss und somit für wachstumssteigernde Infrastrukturen immer weniger Mittel verbleiben und da auf der anderen Seite gerade wegen dieser Abnahme des wirtschaftlichen Wachstums der Staat immer größer werdende Schwierigkeiten hat, neue Staatspapiere auszulegen und immer höhere Zinssätze bezahlen muss.

 

Schließlich lässt sich die Bevölkerung nicht unbegrenzt über die Absichten der Politiker täuschen. Werden die Regierungen immer wiederum nach dem von Nordhaus beschriebenen Weg vorgehen (vor den Wahlen positive, beschäftigungssteigernde Maßnahmen und nach den Wahlen negative, kontraktive Maßnahmen durchzuführen) werden die Wähler auch bei hoher Vergesslichkeit trotzdem bei weiteren Wahlgängen die Regierung eines Tages abwählen.

 

 

3. Staatsverschuldung bei einem Währungsverbund

 

Wenn ein Land hingegen Mitglied einer Währungsunion wie z. B. der Europäischen Währungsunion ist, erhält die Verschuldung des Staates einen ganz anderen Stellenwert. Das hier vorliegende Problem unterscheidet sich hier gegenüber Ländern mit eigener Währung in zweierlei Weise. Erstens ist der Anreizmechanismus im Hinblick auf eine Staatsverschuldung ein ganz anderer und zweitens kann ein Staat mit eigener Währung immer seine internationale Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertungen der eigenen Währung verbessern, während diese Möglichkeiten innerhalb einer Währungsunion nicht mehr gegeben sind.

 

Wir hatten im vorhergehenden Abschnitt gesehen, dass zwar entsprechend dem von Nordhaus dargestellten Mechanismus die Regierungen kurzfristig Vorteile aus einer Staatsverschuldung ziehen können, da die Wähler ihr Wahlverhalten an den expansiven Beschäftigungseffekten unmittelbar vor der Wahl ausrichten und vergessen, dass unmittelbar nach der Wahl stabilitätspolitische Maßnahmen vorgenommen werden, welche zumindest kurzfristig reale Einkommensverluste bringen.

 

Wir hatten aber darauf aufmerksam gemacht, dass auf lange Sicht dieser Mechanismus nachlässt, dass die Wähler sich nicht auf Dauer täuschen lassen und bei einer der nächsten Wahlen sehr wohl auch die sich negativ auswirkenden Maßnahmen berücksichtigen. Es kommt noch hinzu, wie das Beispiel der griechischen Schuldenkrise gezeigt hat, dass der Staat immer größer werdende Schwierigkeiten hat, neue Wertpapiere auf dem Kapitalmarkt auszugeben, der hierfür zu zahlende Zinssatz steigt immer stärker an, da die potentiellen Anleger ein um so größeres Risiko sehen und sich dieses Risiko mit einem Zinszuschlag bezahlen lassen.

 

Schließlich gilt, dass gerade wegen der Zunahme der Staatsverschuldung und der zu zahlenden Zinssätze ein immer größer werdender Prozentsatz der Staatsausgaben für den Schuldendienst und damit ein immer geringer werdender Anteil für produktive Infrastrukturinvestitionen und damit zur langfristigen Wachstumssteigerung ausgegeben werden kann.

 

Ist hingegen ein Land Mitglied einer Währungsunion, so bestehen für die einzelnen Regierungen massive Anreize, die Staatsverschuldung zu erhöhen. Denn nach wie vor  erhöhen die kurzfristigen Beschäftigungseffekte die Wiederwahlchancen, während die langfristig wirkenden inflatorischen Auswirkungen einer Staatsverschuldung nun von allen Mitgliedsländern mitgetragen werden, da es eine einheitliche Geldpolitik gibt. Der auf das sich verschuldende Land entfallene Anteil an Preissteigerungen ist gering, vor allem dann, wenn es sich um ein relativ kleines Land mit einem kleinen Anteil am Wirtschaftsvolumen des gesamten Währungsgebietes handelt.

 

Damit ist jedoch der Anreiz, sich zu verschulden wesentlich höher und die Währungsunion wird zu einer Inflationsgemeinschaft. Stets wird sich ein Land finden, das diese Anreize ausnutzt, es werden weitere folgen und je größer der Anteil der Länder ist, die sich verschulden, um so größer ist auch der Druck auf die anderen an und für sich stabilitäts­bewussten Staaten. Sie tragen die inflatorische Last der Verschuldung der anderen Länder mit und sehen sich schließlich gezwungen, ebenfalls vom Stabilitätskurs abzuweichen, da sie nur auf diese Weise wiederum ein Gleichgewicht zwischen positiven (beschäftigungspolitischen) und negativen (inflatorischen) Wirkungen erreichen können.

 

Gerade aus diesen Gründen hatten die Begründer der Europäischen Währungsunion nur solche Länder aufgenommen, deren Staatsverschuldung geringer als 60% des jeweiligen nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und deren Staatsbudget die 3%-Marke – wiederum am BIP gemessen – nicht überschreitet. Gleichzeitig sind aus den gleichen Gründen die Mitgliedsländer verpflichtet, diese Begrenzungen auch in Zukunft einzuhalten. Aus dieser Logik heraus sieht der Vertrag der Europäischen Währungsunion ausdrücklich keinen internationalen Schuldenausgleich vor, da jede Übernahme eines Teils dieser Schulden durch die Währungsgemeinschaft den Anreiz der einzelnen Mitgliedsstaaten zur Staatsverschuldung vergrößern würde.

 

Nur vordergründig scheint die Schaffung eines Krisenfonds zur Stützung einzelner verschuldeter Länder diesem Grundsatz zu widersprechen. Die enormen Geldmittel, welche die Europäische Union den verschuldeten Mitgliedsländern gewährt, sind zunächst einmal nur Kredite, welche zu einem überproportionalen Zinssatz gewährt werden. Zunächst einmal verdienen also die einzelnen Geldgeberländer an diesen Krediten. Nur dann, wenn das Schuldnerland nicht in der Lage wäre, diese Kredite zurückzuzahlen, dann gingen diese Gelder in der Tat zu Lasten der übrigen Mitgliedsländer und diese Schulden müssten letztlich mit Steuergeldern bezahlt werden.

 

Damit dies nicht geschieht, knüpft die Europäische Währungsunion die Kreditgewährung an strenge Auflagen, in der Erwartung, dass auf diese Weise das Verlustrisiko minimiert wird. Im Vordergrund der Zielsetzung der Europäischen Währungsunion bei der Bildung des Krisenfonds steht somit nicht das Ziel, den Schuldnerländern Zuwendungen zu gewähren, also ihre Lasten mitzutragen, sondern allein die Befürchtung, dass bei einem finanziellen Zusammenbruch eines Mitgliedslandes sehr schnell weitere Länder mitgerissen werden können, mit der Folge, dass der Euro ernsthaft gefährdet ist. Allerdings muss nochmals daran erinnert werden, dass der Euro in der Vergangenheit eindeutig überbewertet war und dass er auch im Höhepunkt der jüngst vergangenen Schuldenkrise Griechenlands nicht deutlich unter die Kaufkraftparität zum Dollar gefallen war.

 

Ein zweiter Unterschied zwischen Schuldenkrisen in Ländern, welche eine eigene Währung besitzen und solchen Ländern, welche einer Währungsunion angehören, besteht – wie bereits angedeutet – darin, dass Länder mit eigener Währung in der Lage sind, ihre eigene Währung abzuwerten und damit das Defizit in ihrer Devisenbilanz zu reduzieren. Diese Möglichkeiten bestehen innerhalb einer Währungsunion nicht mehr. Solange ein Land einer Währungsunion angehört, gilt die gleiche Währung in der gesamten Währungsunion.

 

Dies bedeutet jedoch, dass es ein Land, welches der Währungsunion angehört und welches in eine ernsthafte Schuldenkrise gerät, sehr viel schwerer hat, aus eigenen Kräften aus dieser Krise herauszufinden. Ungleichgewichte und damit Schulden können dann nur noch dadurch abgebaut werden, dass entweder die Lohnkosten reduziert werden oder die inländische Produktivität erhöht wird. In beiden Fällen wird das Stückkostenniveau (l*A/p*X) verringert und damit die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes erhöht.

 

 

4. Built in flexibility versus autonome Entscheidungen

 

Wie oben bereits angedeutet, wird im Rahmen der europäischen Diskussion um die Überwindung der derzeitigen Finanzkrise gefordert, die hierzu erforderlichen Maßnahmen, vor allem auch die Strafen, welche gegenüber denjenigen Ländern verhängt werden sollen, welche die Stabilitätskriterien missachtet haben, automatisch in Kraft treten zu lassen. Andere fordern, dass nach wie vor der Ministerrat oder ein anderes europäisches Gremium jeweils im Einzelfall entscheiden sollte, ob ein säumig gewordenes Land bestraft werden soll und gegebenenfalls mit welchen Strafen und mit welchem Umfang an Strafen das betroffene Land rechnen muss.

 

Eine ähnliche Frage wurde bereits sehr ausführlich nach der großen Weltwirtschaftskrise Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts diskutiert. Es ging damals um das Problem, ob die expansiven, konjunkturbelebenden Maßnahmen jeweils für den Einzelfall beschlossen werden sollten (= autonome fallweise Entscheidungen) oder ob Mechanismen eingerichtet werden sollen, welche automatisch ohne eigenen politischen Beschluss die erforderliche Ausgabenexpansion (= built in flexibility) einleiten sollen.

 

Ein solcher eingebauter Stabilisator liegt z. B. in der Arbeitslosenversicherung und in der progressiven Einkommensbesteuerung vor. Die Beitragseinnahmen der Arbeitslosen­versicherung gehen automatisch zurück, wenn ein Konjunkturabschwung erfolgt und weniger Arbeitnehmer beschäftigt werden. Gleichzeitig steigen die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung an, da im Umfang des Beschäftigungsrückganges den Arbeitslosen ein Arbeitslosengeld gewährt wird. Damit ergibt sich automatisch von zwei Seiten aus ein Defizit des Budgets der Arbeitslosenversicherung, es erfolgt also genau das, was nach keynesianischer Überzeugung zur Überwindung der Konjunkturkrise notwendig ist: Ein öffentlicher Haushalt wird defizitär und ersetzt somit die fehlende private Nachfrage nach Gütern.

 

Damit dieser eingebaute Stabilisator wie angegeben funktioniert und konjunkturbelebend wirkt, müssen allerdings gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens darf das Defizit der Arbeitslosenversicherung nicht seinerseits durch Zuschüsse des Staates beglichen werden, die selbst wiederum dadurch finanziert werden, dass andere Staatsausgaben gekürzt oder die Steuersätze erhöht werden. Das Defizit der Arbeitslosenversicherung muss also letztlich durch Kredite (Geldschöpfung) oder durch Abbau eigener Rücklagen finanziert werden.

 

Zweitens darf das Defizit des Budgets der Arbeitslosenversicherung nicht dazu führen, dass entweder die Arbeitslosengelder gekürzt oder die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung angehoben werden und auf diese Weise das Defizit der Arbeitslosenversicherung verringert wird. Es ist das Defizit in einem öffentlichen Haushalt, vom dem – nach keynesianischer Vorstellung – die beschäftigungssteigernde Wirkung ausgeht.

 

Auch die progressive Einkommenssteuer wirkt als eingebauter Stabilisator. Wenn in Zeiten des Konjunkturabschwungs die Einkommen zurückgehen, vermindern sich die Steuereinnahmen automatisch, d.h. ohne Änderung der Steuertarife, überproportional, weil die Erwerbspersonen nun wegen eines geringeren Einkommens auch wiederum einen niedrigeren Steuersatz als bisher entrichten müssen. Dies bedeutet, dass das verfügbare Einkommen in geringerem Maße sinkt, als es bei einer proportionalen Einkommens­­besteuerung sinken würde. Die Konsumgüternachfrage sinkt also wegen der Steuerprogression in geringerem Maße und dies bedeutet, dass der Konjunkturabschwung ebenfalls geringer ausfällt.

 

Was spricht nun für und was gegen eingebaute Stabilisatoren? Zugunsten eines Automatis­mus spricht in erster Linie die Tatsache, dass ein eingebauter Stabilisator im Allgemeinen sehr viel schneller arbeitet als autonome Entscheidungen. Werden die Entscheidungen fallweise gefällt, vergeht sehr viel Zeit, bis die Entscheidungen bei den jeweiligen zuständigen Behörden zur Kenntnis gekommen sind und bis die Beratungen und die zumeist notwendigen Kompromisse gefunden sind.

 

Im Zusammenhang mit den so entstehenden Zeitverzögerungen (time lags) hat man die Zeit, welche verstreicht zwischen Auftreten der Konjunkturkrise und Wirkungsbeginn der konjunkturpolitischen Maßnahmen auf etwa 1 ½ Jahre geschätzt. Zwar kann man durch organisatorische Verbesserungen diesen Zeitraum verkürzen, aber im Zusammenhang mit internationalen Entscheidungs­gremien dürften diese Zeiträume eher noch größer ausfallen. Ein eingebauter Stabilisator beginnt hingegen sofort zu wirken.

 

Ein zweiter, nicht zu unterschätzender Vorteil eines eingebauten Stabilisator liegt darin, dass die erforderlichen Maßnahmen oftmals äußerst unpopulär sind, sie sind notwendig und versprechen auch auf lange Sicht Wachstumsverbesserungen, kurzfristig sind sie jedoch zunächst mit zum Teil sehr herben und deshalb unpopulären Einschränkungen verbunden. Dies gilt insbesondere für die Strafen, welche die Europäische Währungsunion dann vorsieht, wenn ein Staat die Stabilitätskriterien verletzt hat.

 

Hier bedeutet ein eingebauter Stabilisator, dass diese Unannehmlichkeiten umgangen werden, niemand muss nun Entscheidungen gegen einen konkreten „Währungssünder“ fällen und befürchten müssen, diesen zu verstimmen. Selbst dann, wenn man beim Beschluss zur Einführung eines solchen Automatismus gegen die Vorstellungen bestimmter Staaten, welche eine fallweise Entscheidung präferiert haben, gestimmt hat, es ist hier eine einmalige Entscheidung, welche sich auch nicht gegen ein konkretes Mitgliedsland richtet, während bei fallweisen Entscheidungen die notwendigen Strafen immer gegen ein konkretes Land ausgesprochen werden müssen.

 

Es kommt noch drittens hinzu, dass bei einer normalen, fallweisen Abstimmung sowohl diejenigen Staaten mitwirken, gegen die sich diese Strafen richten als auch jene Mitgliedsländer, welche zwar im Augenblick noch die Stabilitätskriterien erfüllen, welche jedoch Gefahr laufen, in naher Zukunft selbst zu den Ländern zu zählen, welche die Stabilitätskriterien verletzt haben.

 

Hier besteht bei einer fallweisen Entscheidung die Gefahr, dass ein sogenanntes „trade voting“ stattfindet, dass ein Mitgliedsland dem jeweiligen „Sünder“ verspricht, bei dieser anstehenden Entscheidung zugunsten des zu bestrafenden Landes zu stimmen, wenn dieses verspricht dann, wenn das positiv stimmende Land selbst zu bestrafen ist, sich ebenfalls gegenüber den Interessen dieses Landes wohlwollend zu verhalten. Die Gefahr, dass sich dieses Land in Zukunft nicht an diese informellen Absprachen hält, ist gering, da solche Situationen und Absprachen immer wieder auftreten und deshalb nur wirksam sind, wenn sich jede Partei an die Absprachen hält. Dies gilt obwohl solche Absprachen natürlich nicht rechtlich eingeklagt werden können.

 

Was spricht denn nun für eine fallweise Entscheidung? Der große Vorteil einer fallweisen Entscheidung liegt darin, dass alle mit dieser Entscheidung auftretenden Wirkungszusammenhänge jeweils berücksichtigt werden können, während ein Automatismus immer nur die Wirkungsketten berücksichtigt, welche bei Abfassen dieser Regel bekannt waren. Dieser Vorteil fällt vor allem deshalb ins Gewicht, weil es sich gerade bei der Frage der Einhaltung der Stabilitätskriterien keinesfalls um einfache Sachverhalte handelt.

 

Es ist nämlich aus gesamtwirtschaftlicher Sicht gar nicht erwünscht, dass in jedem Jahr – unabhängig von der jeweiligen Konjunkturlage – das Defizit des Staatshaushaltes eine gleiche Höhe (etwa 3%) erreichen sollte. Zwar bestehen in der Frage der Bewertung einer Staatsverschuldung – wie bereits oben gezeigt – beachtliche Unterschiede zwischen den nachfrage- und den angebotsorientierten Ökonomen. In einer Frage sind sich jedoch beide Gruppen einig: Eine prozyklische Politik in dem Sinne, dass in Zeiten des Konjunkturabschwungs Steuersätze erhöht und Staatsausgaben reduziert werden, in Zeiten des Konjunkturaufschwungs hingegen Steuersätze erniedrigt und Staatsausgaben erhöht werden, wird von beiden ökonomischen Richtungen abgelehnt, weil eine solche Politik zur Verschärfung der Konjunkturausschläge führen muss.

 

Wird jedoch eine prozyklische Politik abgelehnt, so ergeben sich notwendigerweise in Zeiten des Konjunkturabschwungs Budgetdefizite. Das Ziel einer Reduzierung der Staatsverschuldung darf nur so verstanden werden, dass langfristig, das heißt über einen gesamten Konjunkturzyklus hinweg der Staatshaushalt weitgehend ausgeglichen sein sollte, wobei eine Verschuldung durchaus berechtigt und sogar notwendig ist, soweit sie zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen herangezogen wird. Eine solche Verschuldung belastet ja auch nicht die zukünftigen Generationen, da die Erträge aus den heute getätigten Infrastrukturinvestitionen der zukünftigen Bevölkerung zugutekommen.

 

Die Frage also, ob und in welchem Umfang gerade in einem konkreten Jahr eine Zunahme in der Staatsverschuldung erwünscht ist, kann nicht durch eine einfache, immer gültige Regel festgelegt werden und kann sicherlich durch eine fallweise Entscheidung sachgerechter gelöst werden als durch einen von vornherein festgelegten eingebauten Stabilisator.

 

Vielleicht ließe sich ein Kompromiss zwischen diesen beiden Alternativen (fallweise Entscheidungen versus eingebauter Stabilisator) insoweit finden, als man sich zwar für eine fallweise Lösung entscheidet, aber die oben aufgezählten Nachteile einer solchen Lösung dadurch zu vermeiden bzw. zu minimieren versucht, in dem man auf der einen Seite die Stimmen derjenigen Staaten, welche die Stabilitätskriterien verletzen, mit geringerem Stimmengewicht berücksichtigt und auf der anderen Seite den Entscheidungsgremien eindeutige – gegebenenfalls auch einklagbare – Entscheidungskriterien an die Hand gibt.

 

 

5. Ex ante versus ex post-Kontrollen

 

Wenden wir uns nun der Frage zu, wann denn die Überprüfung darüber stattfinden soll, ob die einzelnen Mitgliedsstaaten die Stabilitätskriterien einhalten. Bisher erfolgte diese Kontrolle ex post, also im Nachhinein, die einzelnen Mitgliedsstaaten waren verpflichtet, den Umfang der Staatsverschuldung und des Budgetdefizites nach Verabschiedung des Haushaltsplans der europäischen Behörde zu melden. Nach der Schuldenkrise Griechenlands wurde die Forderung erhoben, diese Überprüfung ex ante, das heißt schon vor der endgültigen Festsetzung der nationalen staatlichen Haushaltspläne nach Brüssel zu melden. Der Plan war, die europäische Behörde müsse die Höhe der geplanten Staatsverschuldung einschließlich des Budgetdefizites vor Verabschiedung der nationalen Haushaltspläne in den Parlamenten genehmigen.

 

In diesem Vorschlag sahen mehrere Mitgliedsländer eine Verletzung der Hoheitsrechte der einzelnen Parlamente: Die Verabschiedung der nationalen Haushalte sei alleiniges Recht der einzelstaatlichen Parlamente und dieses Recht dürfe nicht verletzt werden.

 

Dieser Vorwurf war natürlich nicht stichhaltig. Wenn man schon im Vertrag zur Europäischen Währungsunion vorschreibt, dass nur solche Länder in die Europäische Währungsunion aufgenommen werden, welche die Stabilitätskriterien erfüllen und wenn man darüber hinaus im Europäischen Vertrag vorsieht, dass diese Stabilitätskriterien von den einzelnen Mitgliedsstaaten stets eingehalten werden müssen, dann verstößt die ex ante Überprüfung nicht gegen die geltenden Verträge. Man kann nicht auf der einen Seite die Rechte der Parlamente insoweit beschneiden, als bestimmte Stabilitätskriterien eingehalten werden müssen, aber das Recht der europäischen Behörden bestreiten, rechtzeitig und effizient zu überprüfen, ob diese Vorschriften auch von den einzelnen Mitgliedsstaaten eingehalten werden.

 

Entscheidend ist hierbei, dass sich die geforderte Kontrolle seitens der europäischen Behörden lediglich auf die Frage zu beziehen hat, ob die Stabilitätskriterien eingehalten werden. Die Frage auf welchem Wege (also vor allem durch direkte oder indirekte Steuern) die Steuereinnahmen erzielt werden und die weitere Frage nach der jeweiligen Aufteilung des gesamten Umfanges der Staatsausgaben bleibt nach wie vor das Recht der nationalen Parlamente.

 

Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob es richtig war, die Europäische Währungsunion im wesentlichen auf einen einheitlichen Geld- und Währungsmarkt zu beschränken und ob es nicht notwendig oder zumindest zweckmäßig gewesen wäre, auch eine einheitliche europäische Konjunktur- und Fiskalpolitik vorzusehen. Vor allem keynesianisch orientierte Politiker haben schon immer eine einheitliche und übergreifende europäische Konjunkturpolitik gefordert.

 

Die mehr liberal ausgerichteten Gegner dieser Forderungen befürchteten, dass auf diesem Umwege keynesianische Strategien für ganz Europa festgeschrieben werden und dass sie deshalb zu einer keynesianischen Politik gezwungen werden. Entsprechend dem heute gültigen Vertrag der Europäischen Währungsunion obliegt es den nationalen Regierungen und Parlamenten, eigenständig zu entschieden, auf welchem Wege eine Rezession oder Depression überwunden wird.

 

Zugunsten einer ex ante Überprüfung spricht ganz eindeutig die höhere Effizienz der durchzuführenden Kontrollen. Wenn – wie bisher – die einzelnen Staaten erst im Nachhinein der europäischen Behörde zu melden haben, inwieweit sie die Stabilitätskriterien befolgt haben, dann kann natürlich ein Überschreiten dieser Stabilitätskriterien nicht unterbunden werden. Die Stabilitätskriterien sind ja dann schon überschritten. Strafen können dann dieses Ereignis nicht ungeschehen machen.

 

Sie mögen zwar  auf der einen Seite Anreize schaffen, dass diese Staaten in Zukunft vertragstreuer auftreten. Auf der anderen Seite erschweren die Strafen – vor allem wenn sie finanzieller Natur sind – die Möglichkeiten der einzelnen Regierungen, auf einen Stabilitätskurs umzuschwenken. Man beraubt auf diese Weise die Staaten der finanziellen Mittel, die für Infrastrukturinvestitionen benötigt werden, um einen Wachstums- und Stabilitätskurs einzuleiten.

 

 

6. Finanzielle versus dispositionelle Anreize

 

Wenden wir uns nun der Frage zu, worin denn die Strafen für Mitgliedsländer, welche die Stabilitätskriterien überschreiten, bestehen sollen. Wir können zwischen zwei Arten solcher Strafen unterscheiden. Diskutiert werden einmal finanzielle Strafen, zum andern dispositionelle Strafen, welche in der Minderung der Mitwirkungsrechte bei den europäischen Entscheidungen bestehen. Bisher waren vorwiegend finanzielle Strafen vorgesehen.

 

Solche finanziellen Strafen können einerseits darin bestehen, dass zusätzliche Abgaben verlangt werden; hier besteht die Gefahr, dass die betroffenen Länder diese Mittel gar nicht aufbringen können. Eine bessere Wirkung dürfte deshalb dann zu erwarten sein, wenn die Europäische Union Subventionen an diese Staaten kürzt. Es gibt zwar Staaten, wie die BRD, die insgesamt mehr Abgaben an die Europäische Union abführen als sie Subventionen erhalten, während andere Länder einen Überschuss an Subventionen über die Abgaben erzielen. Alle Staaten erhalten aber Subventionen, sodass es zumindest möglich ist, diese Art von finanzieller Belastung durchgehend durchzuführen.

 

Materiell und kurzfristig gesehen dürften finanzielle Strafen die betroffenen Länder am härtesten treffen und damit auch den stärksten Anreiz enthalten, in Zukunft die Stabilitätskriterien einzuhalten. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass von dieser Art Strafen auch dysfunktionale Wirkungen ausgehen. Eine Überschreitung der Stabilitätsbedingungen erfolgt ja normalerweise in Zeiten des Konjunkturabschwunges oder anderer Wachstumsschwächen. In diesen Zeiten benötigen jedoch diese Länder materieller Ressourcen für Infrastrukturinvestitionen, die sie aus der Krise herausführen sollen. Werden ihnen nun materielle Mittel entzogen, verschlechtern sich auch die Möglichkeiten, aus der Krise herauszufinden. 

 

Will man diese Wirkungen vermeiden, so könnten die Stimmrechte der säumigen Staaten bei den europäischen Abstimmungen vorübergehend suspendiert werden. Diese Art von Strafen hätte in kurzfristiger Sicht sicherlich den Vorteil, dass diesen Staaten nicht gerade in den Zeiten materielle Ressourcen entzogen werden, in denen diese für dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen benötigt werden.

 

Auf der anderen Seite werden jedoch solche dispositionellen Strafen von den betroffenen Staaten als besonders hart und demütigend empfunden und können auf lange Sicht den inneren Frieden und die Stabilität der Europäischen Union gefährden. Die weniger wachstumsstarken Mitgliedsländer sind ohnehin auch heute schon der Auffassung, dass sie bei den Entscheidungen benachteiligt werden, dass die wichtigsten Entscheidungen auf europäischer Ebene ohnehin von den zwei oder drei größten Nationen für sich vorab entschieden werden und sie forderten deshalb wiederholt eine Änderung der Stimmrechte. Da es im Allgemeinen gerade diese kleinen Länder sind, welche die Stabilitätskriterien überschreiten, wird bei dispositionellen Strafen diese Unzufriedenheit der kleineren Mitgliedsstaaten um ein Weiteres verschärft.

 

Ein Mittelweg zwischen diesen beiden Arten von Strafen gegen säumige Länder könnte darin gefunden werden, dass die europäische Union dann stärkere Mitspracherechte bei nationalen Fragen erhält, wenn einzelne Staaten zum wiederholten Male gegen die Stabilitätskriterien verstoßen. So könnte man vorsehen, dass in einem ersten Schritt bei der Vorlage der nationalen Haushaltspläne die Europäische Behörde lediglich zu überprüfen hat, ob die beiden Stabilitätskriterien erfüllt werden.

 

Werden nun einige Länder mehrmals säumig, so könnte die europäische Behörde auch das Recht erhalten, solche Maßnahmen zu verlangen, welche nach Auffassung der Behörde notwendig werden, um zum Stabilitätskurs zurückzufinden. Es wäre dies ein Verfahren, dass schon heute bei der Vergabe von Mitteln aus dem Krisenfonds gegenüber Griechenland und nun auch gegenüber Irland angewandt werden. Natürlich muss man sich darüber klar werden, dass alle diese Arten von Strafen als demütigend empfunden werden. Es muss sich somit immer nur um vorübergehende Strafen handeln und es muss sichergestellt sein, dass diese Art von Strafen gegen alle säumigen Länder - auch gegenüber den zwei oder drei größten Staaten - gegebenenfalls angewandt wird.

 

 

7. Zur finanziellen Beteiligung der Banken

 

In der Öffentlichkeit wurde wiederholt die Forderung erhoben, die Banken und Makler müssten an den finanziellen Kosten zur Überwindung der Schuldenkrisen maßgebend beteiligt werden. Schließlich seien gerade die Banken und Makler für die finanziellen Krisen der Vergangenheit wesentlich verantwortlich. Diese Gruppe zähle darüber hinaus zu den reicheren Bürgern dieser Volkswirtschaft, die ohnehin bisher nicht entscheidend an den Kosten zur Überwindung der Krise beteiligt worden seien. Es wird dann oftmals noch hinzugefügt, dass die bisherige neoliberale Ordnung versagt habe und durch eine staatliche Regulierung der Volkswirtschaft abgelöst werden müsse. Schließlich gehe es nicht an, dass die Reichen zwar die Erträge aus risikobehafteten Entscheidungen kassieren dürften, dass aber dann, wenn sich die Reichen verspekuliert hätten und Verluste entstünden, der Staat und damit der Steuerzahler zur Begleichung dieser Verluste aufkommen müsse.

 

Natürlich ist es richtig, dass derjenige, der risikobehaftete Entscheidungen fällt, nicht nur die Erträge erhalten darf, sondern auch für die durch diese Entscheidungen verursachten Verluste voll aufkommen muss. Es verrät jedoch eine vollkommene Unkenntnis der neoliberalen Gedankengänge, wenn man in dieser Forderung eine Abkehr vom Neoliberalismus sieht. Ganz im Gegenteil war es Walter Eucken, der Begründer des Neoliberalismus (Ordoliberalismus) im Nachkriegsdeutschland, der die volle Haftung für risikobehaftete Entscheidungen nicht nur forderte, sondern in dieser Forderung eines der konstituierenden Prinzip sah, ohne die eine Marktwirtschaft nicht funktionieren kann.

 

Die Übernahme von Risiken ist in einer freien Marktwirtschaft unerlässlich. Sowohl technischer Fortschritt wie auch das Recht auf Bedarfswandel bringen es mit sich, dass unternehmerische Entscheidungen nicht ohne Risiken gefällt werden können. Bei der Durchführung von Innovationen (technische Erneuerungen) kann der Unternehmer niemals voraussehen, ob die prognostizierten und erhofften positiven Wirkungen auch tatsächlich eintreten. Stets ist mit kostenverursachenden unerwarteten Nebeneffekten zu rechnen. Auch kann kein Unternehmer, der neue Produkte anbietet, vollkommen voraussehen, ob diese Produkte auch vom Endverbraucher angenommen werden. Auch kann sich kein Unternehmer sicher sein, dass nicht auch andere Konkurrenten mit den gleichen oder ähnlichen Erneuerungen auf den Markt kommen und damit die Absatzchancen der eigenen Unternehmung gefährden.

 

Nun kann man niemand dazu zwingen, risikobehaftete Entscheidungen durchzuführen. Nur dann, wenn massive finanzielle Anreize bestehen, ist zu erwarten, dass sich in einer Volkswirtschaft genügend Unternehmer finden, welche bereit sind, immer wieder risikobehaftete Innovationen durchzuführen. Diese Anreize bestehen nun in einer freien Marktwirtschaft darin, dass bei Erfolg dem Investor die Gewinne zufließen. Der Liberalismus hat aber immer schon gleichzeitig gefordert, dass dann, wenn die technischen Erneuerungen zu Verlusten führen, diese auch von den Investoren und nur von diesen getragen werden müssen.

 

Dass in der jüngsten Vergangenheit tatsächlich Banken  und Makler die Gewinne aus risikobehafteten Anlagen einstreichen konnten, aber gleichzeitig die aus diesen Entscheidungen erwachsenden Verluste vom Staat tragen lassen konnten, war keine Folge einer neoliberalen Ordnung, sondern ganz im Gegenteil eine Abkehr von neoliberalem Gedankengut. Was heute nottut, ist deshalb auch nicht ein Verlassen einer liberalen Ordnung, sondern die Rückkehr zu den neoliberalen, vor allem konstitutiven Prinzipien einer funktionierenden Marktwirtschaft.

 

Natürlich mag es richtig sein, dass im Höhepunkt der jüngsten Finanzkrise dem Staat gar nichts anderes übrig blieb, als die marode gewordenen Großbanken finanziell zu stützen und zu übernehmen, da ohne solche Stützungsmaßnahmen in der Tat ein völliger Zusammenbruch des Finanzsystems befürchtet werden musste. Der Fehler lag daran, dass man es in der Vergangenheit verabsäumt hatte, eine Ordnung für den Finanzmarkt zu erlassen, die sicherstellt, dass das Haftungsprinzip auch voll zum Zuge kommt.

 

Auch für den Bankensektor und für den Kapitalmarkt gilt, dass ein befriedigendes Ergebnis nur dann erzielt werden kann, wenn Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmungen besteht. Es darf niemals zu einer Entwicklung kommen, dass eine einzelne Unternehmung oder einige wenige den Markt beherrschen. Hätten wir in der Vergangenheit ein Bankensystem gehabt, in dem eine Vielzahl von Einzelbanken in einem effektiven Wettbewerb zueinander gestanden hätten, dann hätte auch der Bankrott einer einzelnen Bank nicht zu einem Zusammenbruch des gesamten Bankensystem geführt.

 

Überall dort, wo risikobehaftete Entscheidungen anstehen, muss es möglich sein, dass derjenige, der eine risikobehaftete Entscheidung trifft, dann auch zur vollen Verantwortung bis hin zum Bankerott herangezogen wird, wenn diese Entscheidung zu volkswirtschaftlichen Verlusten führte. Es darf nicht sein, dass eine Bank von einer bestimmten Größe an aus volkswirtschaftlichen Gründen gar nicht Bankerott gehen darf, mögen ihre Entscheidungen noch so fehlerhaft gewesen sein. Es ist Aufgabe einer Monopolaufsicht dafür zu sorgen, dass keine Bank eine solche kritische Größe erreicht und es ist Aufgabe des Staates, der Monopolaufsicht die hierfür notwendigen Instrumente zur Verfügung zu stellen.

 

Weiterhin muss unterbunden werden, dass Banken Zertifikate, welche ein extrem hohes Risiko aufweisen, an Kunden verkaufen können, welchen gar nicht bewusst ist, dass sie ein solch hohes Risiko mit dem Kauf solcher Papiere eingehen und welche auch nicht gewillt sind, ein solch hohes Risiko zu übernehmen. Jeder Käufer risikobehafteter Wertpapiere muss die Höhe des eingegangenen Risikos kennen und auch wollen.

 

Schließlich dürfen die Gewinne, die den Verkäufern solcher Zertifikate als Boni zufließen, nicht auf den kurzfristigen Ertrag einer Bank bezogen sein. Ein Verkäufer solcher risikobehafteten Papiere muss immer auch langfristig haften, wenn sich herausstellt, dass auf lange Sicht der Ankauf oder Verkauf dieser Papiere der Bank Verluste gebracht hat.

 

Die finanzielle Beteiligung der Makler und Banken an den der Volkswirtschaft entstehenden Verlusten sollte nun aber nicht in einer zusätzlichen Steuer wie z. B. der Wiedereinführung einer Börsenumsatzsteuer bestehen. Eine natürliche Beteiligung liegt einfach darin, dass derjenige, welcher Wertpapiere mit hohem Risiko erwirbt und damit auch hohe Zinsen erhält, da die Zinshöhe entscheidend vom Umfang des eingegangenen Risikos abhängt, bei Verlust die hierbei entstehenden Kosten auch tragen muss. Wenn die oben genannten ordnungspolitischen Forderungen eingehalten werden, bedarf es auch im Falle von Verlusten gar keiner Übernahme dieser Verluste seitens des Staates. So eine Übernahme wird immer nur dann notwendig, wenn der Staat es in der Vergangenheit verabsäumt hat, eine entsprechende Ordnung zu erlassen.

 

 

8. Schuldenmoratorien unerwünscht?

 

In der Öffentlichkeit wird die Möglichkeit, dass ein verschuldetes Land wie z. B. Griechen­land bei Zahlungsunfähigkeit ein Schuldenmoratorium verkündet und in Verhandlungen mit seinen Gläubigern tritt, um über Schuldennachlass und Umwandlung kurzfristiger in langfristige Schulden verhandelt, als für das Schuldnerland unzumutbar verworfen.

 

In der Tat sieht der Vertrag der Europäischen Währungsunion auch nicht die Möglichkeit vor, dass die Europäische Gemeinschaft ein Schuldnerland zu einem Moratorium zwingen kann. Trotzdem bestünde natürlich die Möglichkeit, dass ein Land von sich aus ein Schuldenmoratorium verkündet.

 

In Wirklichkeit ist ein Schuldenmoratorium ­– wenn man das Problem weltweit  betrachtet und die Betrachtung auf die Zeit nach dem Zusammenbruch des Ostblocks  ausweitet – keinesfalls eine Seltenheit, zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer Südamerikas und Asiens, sogar Russland im Hinblick auf die von der vergangenen Sowjetunion übernommenen Schulden hatten sich dieses Weges bedient. Auch kann man nicht davon sprechen, dass dieses Verhalten die Weltwirtschaft oder auch nur das weltweite Finanzsystem zum Ruin getrieben habe oder dass die betroffenen Länder nun für alle Zeit vom wirtschaftlichen Aufstieg ausgeschlossen gewesen wären.

 

Ganz im Gegenteil erwies sich dieses Instrument als ein sehr wirkungsvolles Mittel, um ein Land möglichst schnell aus der Krise herauszuführen. In Wirklichkeit stellt dieses Instrument ein ganz natürliches schon immer in der Vergangenheit angewandtes Mittel dar, um ein Land aus der Krise herauszuführen. Auf der einen Seite ist ein Land, das sich auf diese Weise entschuldet, sehr viel besser in der Lage, schnell zu einem wirtschaftlichen Neuanfang zu kommen, auf der anderen Seite bringt dieser Weg genau die Beteiligung der Banken und reichen Kapitalgeber, die in der Öffentlichkeit immer wieder gefordert wurde.

 

Warum stellt sich ein Land, das den Weg eines Schuldenmoratoriums wählt, sehr viel besser als dann, wenn es finanzielle Hilfen von Seiten der Europäischen Gemeinschaft annimmt? Der Grund hierfür liegt einfach darin, dass bei dem für Griechenland und nun auch für Irland gewählten Weg das Land zweifache Anstrengungen unternehmen muss, um schließlich wiederum zu einer gesunden wachstumsträchtigen Volkswirtschaft zurückzukehren.

 

Die dem verschuldeten Land gewährten Hilfen stellen ja keine Geschenke, sondern lediglich Kredite dar, die auf Heller und Pfennig einschließlich hoher Zinsen an die Europäische Gemeinschaft zurückgezahlt werden müssen. Das betroffene Land muss also auf der einen Seite sehr viele Anstrengungen unternehmen, um in Zukunft diese Schulden zurückzahlen zu können und muss aber auf der anderen Seite genau so viel harte und entbehrungsreiche Bemühungen vornehmen, um die zerrüttete Volkswirtschaft wiederum auf Erfolgskurs zu bringen. Gerade diese eigentlich notwendigen Bemühungen werden dann, wenn zunächst Kredite voll zurückgezahlt werden müssen, hintangestellt und somit der wirtschaftliche Wiederaufstieg zumindest verzögert.

 

Der Weg eines Schuldenmoratoriums ist somit aus der Sicht des verschuldeten Landes keinesfalls unzumutbar, stellt sogar das betroffene Land besser als bei dem für Griechenland gewählten Weg. Ein Land ist fast immer deshalb in die Schuldenkrise geraten, weil keine effiziente Produktion betrieben wurde und ein Land wird immer erst dann aus der Schuldenkrise herausfinden, wenn es ihm gelingt, die wirtschaftlichen Strukturen zu einem effizienten Wirtschaftssystem umzulenken. Gerade bei einem Schuldenmoratorium kann sich das verschuldete Land sofort der Umgestaltung der eigenen Volkswirtschaft zuwenden.

 

Es kommt noch hinzu, dass dieser Weg eines Schuldenmoratoriums für das Prestige des verschuldeten Landes sehr viel akzeptabler erscheint, als dann, wenn es die Hilfe der Europäischen Gemeinschaft in Form von Krediten annimmt. Die Vergabe der Kredite ist normalerweise mit zahlreichen Auflagen verbunden, welche oftmals als sehr demütigend angesehen werden. Diese Auflagen sind jedoch notwendig, da die Gläubigerländer nur dann mit der Rückzahlung der Kredite rechnen können, wenn die Regierung des Schuldnerlandes auch alles notwendige zur Sanierung unternimmt. Zwar muss eine Regierung, wenn sie erfolgreich agieren will, ebenfalls diese als hart empfundenen Kürzungen vornehmen, sie erfolgen jedoch im Zusammenhang mit einem Schulden­moratorium aus eigener Verantwortung und Initiative, sie werden dann nicht von fremden Nationen aufgezwungen.

 

Nun könnte man einwenden, dass sich ein Land, welches ein Moratorium verkünden muss und nicht in der Lage ist, die Kredite unter normalen Bedingungen zurückzuzahlen, gerade durch diesen Schritt die Möglichkeit verbaut, auch in Zukunft wiederum Kredite von privaten Gläubigern zu bekommen und Wertpapiere mit Erfolg auslegen zu können. Wer einmal seine Schulden nicht zurückgezahlt hat, hat gerade dadurch die Chance verspielt, in Zukunft weitere Kredite zu bekommen. Aber gerade dadurch würden dem Lande die Möglichkeiten zu einem Neuanfang genommen.

 

Nun mag diese Überlegung für private Haushalte und Unternehmungen in gewisser Weise zutreffend sein. Für Staatsgebilde gilt jedoch ein etwas anderer Zusammenhang. Die Tatsache, dass ein Land in der Vergangenheit in eine Schuldenkrise geraten ist, wurde zumeist von anderen Regierungen herbeigeführt, als von derjenigen Regierung, die nun die Sanierung durchführen muss. Regierungen, die ein Land in eine Krise führen, werden im Allgemeinen in Demokratien vom Volke abgewählt. Es ist also auch nicht die Regierung, welche abgewirtschaftet hat, die nun zur Sanierung der Volkswirtschaft um neue Kredite nachsucht.

 

Man wird von normalen Gläubigern erwarten können, dass sie die Zukunftsaussichten  eines Landes realistisch einschätzen. Sie würden sich irrational verhalten, wollten sie Kredite für ein Land, das einen effektiven Wiederaufschwung erfährt, verweigern. Ob ein Land Kredite erhält und Wertpapiere mit Erfolg auflegen kann, hängt einzig und allein davon ab, wie die Sanierungsmaßnahmen von den Gläubigern eingeschätzt werden. Werden diese Maßnahmen positiv und erfolgsversprechend eingeschätzt, so werden auch Kredite gewährt werden, unabhängig davon, ob dieselbe Regierung wegen Verfehlungen ihrer Vorgänger ein Schuldenmoratorium verkünden musste.

 

Wie sieht aber nun die Situation aus der Sicht der betroffenen Gläubiger aus, werden sie zu Unrecht dadurch benachteiligt, dass ihre Kredite nicht voll zurückgezahlt werden können? Auch hier wird man feststellen müssen, dass den Gläubigern nicht Unrecht angetan wird. Sie haben mit Risiko behaftete Staatsanleihen aufgekauft und hierfür entsprechend der Höhe des Risikos hohe Zinsen vereinnahmt. Auch hier hat das Haftungsprinzip zu gelten, wonach dann, wenn riskante Investitionen zum Misserfolg führen, die Gläubiger das volle Risiko zu tragen haben und dies hat eben zur Folge, dass die Gläubiger nun die Verluste übernehmen müssen.

 

Es war im Falle der Schuldenkrise Griechenlands ja auch nicht so, dass die Zahlungsunfähigkeit der griechischen Regierung wie aus heiterem Himmel erfolgte. Dass die griechische Regierung hoch verschuldet war und dass die griechische Volkswirtschaft sehr ineffizient arbeitete, war schon sehr lange bekannt, gerade deshalb mussten die griechischen Regierungen ja auch Zinsen zahlen, die weit über den üblichen Marktzinsen für Staatsanleihen lagen. Die Gläubiger konnten sehr wohl die Höhe des eingegangenen Risikos abschätzen, sie sind der hohen Zinsen wegen dieses Risiko eingegangen und werden nun zur Kasse gebeten, da das Risiko eben zu hoch war und da eigentlich schon sehr viel früher die griechische Regierung aufgrund der bisherigen Versäumnisse durch Verweigerung von weiteren Krediten zur Umkehr hätte gezwungen werden können.

 

Wäre man den sonst in Marktwirtschaften üblichen Weg eines Schuldenmoratoriums gegangen, dann wären die Gläubiger – und dies sind ja vor allem die Banken und andere Kreditinstitute – an der Überwindung dieser Krise angemessen beteiligt worden, es wäre auch nicht notwendig gewesen, dass die übrigen europäischen Staaten Bürgschaften übernehmen, welche dann, wenn der griechische Staat in Zukunft wiederum nicht in der Lage wäre, auch diese Kredite zurückzuzahlen, letztendlich vom Steuerzahler der Gläubigerstaaten getragen werden müssen.

 

 

9. Vorübergehende Aussetzung der Mitgliedschaft?

 

In ähnlicher Weise wie für das Schuldenmoratorium wird in der Öffentlichkeit der Vorschlag vehement abgelehnt, dass für ein Land, das für längere Zeit gegen die Stabilitätskriterien verstoßen hat, vorübergehend die Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion ausgesetzt wird. Man sieht sozusagen im Beitritt zur Währungsunion eine Art Einbahnstraße, die keine – auch keine vorübergehende – Umkehr zu einer eigenen Währung gestattet. Begründet wird diese Haltung zumeist damit, dass es unmöglich sei, in so kurzer Zeit den Wert der eigenen Währung gegenüber dem Euro und den anderen Weltwährungen festzulegen.

 

Ich glaube, dass man in diesem Urteil die Kräfte und Möglichkeiten eines freien Marktes unterschätzt. Ein freier Markt ist durchaus in der Lage, in relativ kurzer Zeit den Wert irgendeines Gutes und damit auch einer neu installierten Währung zu bestimmen. Dass der freie Markt diese Möglichkeiten besitzt, konnte man deutlich sehen, als in der unmittelbaren Zeit nach Beendigung des zweiten Weltkrieges in Westdeutschland zur  Marktwirtschaft zurückgekehrt wurde. In einer Schnelligkeit, wie es wohl kaum in der Öffentlichkeit damals vermutet worden war, entsprachen die Preise den realen Knappheitsverhältnissen.

 

Es ist gar nicht notwendig, dass sich die Regierung oder ein Sachverständigengremium große Gedanken darüber macht, mit welchem Wechselkurs die vorübergehende eigene Währung eines Landes den Neubeginn starten sollte. Man geht einfach von dem jetzigen Wert des Euros aus und gibt den Wert der nun eigenständigen Währung frei. Die eigene Währung dürfte natürlich sehr schnell fallen.

 

Wenn man den Wechselkurs allerdings nur dem freien Markt überlassen würde, käme es natürlich sicherlich zu sehr starken Schwankungen. Genauso wie dies die nationalen Notenbanken auch nach Freigabe der Währungen in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts getan haben, müsste die nationale Notenbank des verschuldeten Landes den Kurs verfolgen und dann, wenn der Sturz der eigenen Währung zu schnell und als zu weitgehend angesehen würde, die eigene Währung aufkaufen um damit die Schwankungen in der eigenen Währung zu glätten.

 

Sie müsste in dieser Politik selbstverständlich auch von der Europäischen Notenbank unterstützt werden, da sie ja eigene Währung nur aufkaufen kann, wenn sie über ausreichend fremde Währung verfügt. Wenn die nationale Notenbank des verschuldeten Landes diese Politik der Glättung der täglichen Schwankungen im Wechselkurs strikt befolgt und eine langfristige und stetige Reduzierung des Wechselkurses der eigenen Währung zulässt, hätte diese Notenbank auch nur einen kurzfristigen Bedarf an fremder Währung, sodass die ihr gewährten Bankkredite seitens der europäischen Notenbank langfristig auch wieder zurückgezahlt werden könnten. Ein langfristiger Bedarf an fremder Währung (an Devisen) bestünde nur dann, wenn sich die nationale Notenbank gegen den langfristigen Wechselkurs stemmen würde, also mit Gewalt den eigenen Kurs auch langfristig auf einem zu hohen Niveau halten wollte.

 

Gleichzeitig müsste natürlich die nationale Regierung des verschuldeten Landes Strukturmaßnahmen zur Förderung der Produktivität der einheimischen Volkswirtschaft einleiten, um auf diese Weise dafür Sorge zu tragen, dass die Leistungsbilanz weitgehend ausgeglichen ist und dass damit kein zusätzlicher Bedarf an fremder Währung wegen einer passiven Leistungsbilanz entsteht. Durch die Abwertung der eigenen Währung würden sich die Exportchancen dieses Landes automatisch erhöhen.

 

Die Auflagen, welche die Europäische Notenbank für die Kreditgabe fremder Währung machen müsste, würde sich dann darauf beschränken, dass die nationale Notenbank den langfristen Markttrend im Wechselkurs zulässt. Sie wären damit wesentlich geringer und für das verschuldete Land weit weniger demütigend, als dies heute bei der Gewährung aus dem Krisenfonds der Europäischen Union der Fall ist.

 

Sobald das verschuldete Land wiederum die Stabilitätskriterien einhält, könnte dann auch die vorläufige Suspendierung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union aufgehoben werden.