Zur Problematik
der Kaufkrafttheorie
1. Einführung in
die Problematik
2. Die
klassische Depressionspolitik
3. Die
Kernaussagen der einfachen Kaufkrafttheorie
4. Kritik an der
einfachen Kaufkrafttheorie
5. Die
modifizierte Kaufkrafttheorie: Abba P. Lerner
6. Die Ergebnisse im Rahmen der kaldorianischen
Verteilungstheorie
7. Berücksichtigung von Angebotsfaktoren
8. Nebeneffekte
9. Schlussbemerkungen
1. Einführung in
die Problematik
Entsprechend der
Kaufkrafttheorie kann eine expansive Lohnpolitik zu einer Steigerung der
Beschäftigung und damit zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen. Unter
expansiver Lohnpolitik wird hierbei der Versuch verstanden, die Lohnsätze
stärker als die Steigerung der Arbeitsproduktivität anzuheben. Die
Kaufkrafttheorie beruft sich auf die Theorie von John Maynard Keynes.
Wir wollen in diesem
Beitrag die Kernaussagen der Kaufkrafttheorie darstellen und aufzeigen, dass
sich diese Thesen zu Unrecht auf die Keynesianische Theorie berufen. Man kann
zwar mit Abba P. Lerner diese Theorie so umformulieren, dass sie die
keynesianischen Zusammenhänge korrekt wiedergibt, die Hinzuziehung der Kaldorianischen
Verteilungstheorie zeigt jedoch, dass auch in diesem Falle die Schlussfolgerungen
der Kaufkrafttheorie falsch sind.
2. Die klassische Depressionspolitik
Während der
Weltwirtschaftskrise versuchte die Regierung Brüning im Gegensatz hierzu durch
Deflationspolitik - u.a. durch Druck auf die Löhne - die Depression zu
überwinden. Die Regierung stützte sich hierbei auf die neoklassische Theorie,
wonach Arbeitslosigkeit darauf zurückgeführt werden muss, dass die Löhne über
dem Gleichgewichtsniveau liegen. Durch Lohnsenkung müsste danach die
Arbeitslosigkeit reduziert werden können. Betrachten wir hierzu das folgende
Diagramm und zwar den Quadranten rechts-oben. Auf der Ordinate tragen wir den
Lohnsatz, auf der Abszisse die in Arbeitsstunden gemessene Arbeitsmenge ab. Es
wird von realen Variablen (z. B. Reallohnsatz) ausgegangen. Die rot eingezeichnete
Kurve gebe die Arbeitsnachfrage, die blau eingezeichnete Kurve hingegen das
Arbeitsangebot an. Gleichgewicht sei bei einem Reallohnsatz (l/p)* erreicht;
der tatsächliche Reallohn belaufe sich jedoch auf (l/p)0. Die
Arbeitslosigkeit (der Arbeitsangebotsüberhang) belaufe sich deshalb auf A0
– A*. Eine Senkung des Reallohnsatzes könnte – wie das Diagramm zeigt – die
Arbeitslosigkeit reduzieren.
Etwas komplizierter sieht die Analyse im Rahmen der neoklassischen Theorie aus. Die Politiker oder Tarifpartner können immer nur den Nominallohn beeinflussen, obwohl nur eine Senkung des Reallohnes eine Beschäftigungszunahme zur Folge hat. Bei konstanter Geldwertsumme müsse jedoch das Güterpreisniveau sinken, wenn durch die Lohnsenkungen die Gütermenge ansteige. Dadurch werde jedoch die anfängliche Reallohnsenkung teilweise wiederum zurückgenommen.
Wir gehen davon aus, dass der Nominallohnsatz und damit zunächst auch der Reallohnsatz auf (l/p)* gesenkt werde. Dies führt in einem ersten Schritt zu Vollbeschäftigung (A*). Die Mehrbeschäftigung lässt auch die Produktion entsprechend der Produktionsfunktion (siehe den Quadranten rechts-unten) auf die Menge (X*) ansteigen.
Unterstellen wir nun, dass die Geldwertsumme (das Produkt aus umlaufender Geldmenge und Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes) konstant bleibt, also trotz Ausweitung des Gütervolumens nicht angepasst wird, so muss entsprechend der Quantitätsgleichung (siehe den Quadranten links-unten) das Güterpreisniveau von P0 auf P* sinken. Damit steigt jedoch wieder der Reallohsatz (l/p) und die Mehrbeschäftigung und Mehrproduktion wird zum Teil zurückgenommen.
Diese Theorie
ist falsch, da Lohnsatzsteigerungen nur zu einer Steigerung in der induzierten
Güternachfrage führen und da im Sinne der Keynes’schen Theorie nur dann eine
Beschäftigungssteigerung erwartet werden kann, wenn die autonome Güternachfrage
ansteigt. Betrachten wir hierzu folgende Graphik. Auf der Abszisse sei die Produktionsmenge
(das Inlandsprodukt), auf der Ordinate die Nachfrage abgetragen.
Ausgangspunkt
sei die Konsumfunktion: C(Y), wonach der Konsum mit wachsendem Volkseinkommen ansteige,
wobei allerdings – und dies ist eine Kernaussage des Keynes’schen Systems – die
Konsumnachfrage weniger als das Volkseinkommen ansteigt. Es wird also
unterstellt, dass die Konsumneigung kleiner eins ist.
(Nebenbei
bemerkt: Der Einfachheit halber haben wir in unserer Graphik die Konsumfunktion
als Gerade eingezeichnet. Damit bleibt die Konsumneigung auch bei wachsendem
Einkommen konstant. Die Keynes’sche ging jedoch davon aus, dass die
Konsumneigung mit wachsendem Einkommen zurückgehe. Es entsteht dann eine gekrümmte
Konsumkurve. Da die hier angesprochenen Ergebnisse jedoch von der Veränderung
der Konsumneigung unberührt bleiben, können wir von einer linearen
Konsumfunktion ausgehen, ohne die Ergebnisse hierdurch zu verfälschen.)
Des Weiteren wird unterstellt, dass die Investitionsausgaben autonom vorgegeben sind, also vor allem nicht von der Höhe des Inlandsproduktes abhängen. Wir können deshalb die Investitionsausgaben dadurch berücksichtigen, dass wir die Konsumgerade um den Betrag der konstant bleibenden Investitionsausgaben parallel nach oben verschieben; wir erhalten auf diese Weise den Verlauf der gesamten privaten und inländischen Güternachfrage. Unter Berücksichtigung des Staates müssen dann zusätzlich die defizitär finanzierten Staatsausgaben auf die Kurve der Gesamtnachfrage aufgeschlagen werden. Die Kurve der Gesamtnachfrage verschiebt sich dann nochmals um den Betrag der Staatsausgaben nach oben.
Das Güterangebot wird in dieser Graphik durch die 45°-Linie wiedergegeben, ex definitione entspricht ja jeder Inlandsprodukthöhe ein Güterangebot genau in dieser Höhe. Der Schnittpunkt der Gesamtnachfragekurve mit der 45°-Linie gibt dann an, bei welchem Inlandsprodukt und damit letztlich auch bei welcher Beschäftigung ein Gleichgewicht auf den Gütermärkten besteht.
4. Kritik an der
einfachen Kaufkrafttheorie
Im Rahmen der
Kaufkrafttheorie findet eine Verwechslung von induzierter und autonomer
Nachfrage statt. Nach Keynes
führt nur eine Steigerung der autonomen Nachfrage zu einer Beschäftigungssteigerung
im Gleichgewicht. Eine Lohnsatzsteigerung führt jedoch allenfalls nur zu einer
Steigerung der induzierten Nachfrage.
Eine Steigerung
der autonomen Nachfrage äußert sich in einer Verschiebung der Nachfragekurve
nach oben. Die durch Lohnsatzsteigerungen verursachte Steigerung der
induzierten Nachfrage äußert sich hingegen in einer Bewegung entlang einer
gleichbleibenden Nachfragekurve. Sie werden dadurch induziert, dass das
verfügbare Einkommen steigt und mit ihr die Konsumnachfrage. Ein neues Gleichgewicht
bei höherem Inlandsprodukt und damit auch höherer Beschäftigung wäre jedoch nur
bei einer Verschiebung der Nachfragekurve nach oben zu erwarten.
Dies bedeutet, dass eine expansive Lohnpolitik über die unterstellte Einkommenssteigerung nur eine Bewegung entlang der gleichbleibenden Konsumfunktion nach rechts auslöst und dass damit keine Verschiebung des Gleichgewichtes erreicht werden kann. Der Markt verbleibt langfristig bei einem Gleichgewicht mit Unterbeschäftigung, die Lohnsatzsteigerungen verpuffen in Preissteigerungen, ohne dass reale Steigerungen der Güterproduktion und damit der Beschäftigung erwartet werden können.
Es findet weiterhin
eine Verwechslung von absoluter und relativer Nachfragesteigerung statt. Die Keynes’sche Theorie führt Arbeitslosigkeit auf ein
Nachfragedefizit zurück. Das heißt: Die Nachfrage nach Gütern ist geringer als
das potentielle Angebot. Also wird eine Beschäftigungssteigerung nur zu
erwarten sein, wenn die Nachfrage stärker steigt als das Angebot, wenn also mit
anderen Worten die Nachfrage relativ zum Angebot steigt.
Eine
Lohnsatzsteigerung führt aber unter Keynes'schen Bedingungen zu einer geringeren
Steigerung der Nachfrage als des Angebotes, da der Kostenwert des Angebotes um
den gesamten Lohnsummenzuwachs steigt, während aufgrund der unterstellten
Konsumneigung stets kleiner eins die induzierte Konsumnachfrage weniger als der
Lohnsummenzuwachs steigt.
Die einfache Kaufkrafttheorie setzt das voraus, was
sie zu beweisen versucht, es findet also eine ‚Petitio principii’ statt. Diese
Theorie will nachweisen, dass Lohnsatzsteigerungen zu
Beschäftigungssteigerungen führen. Sie
unterstellt hierbei, dass Lohnsatzsteigerungen in einem ersten Schritt zu
gleich großen Lohneinkommenssteigerungen führen.
Dies ist
jedoch nur dann der Fall, wenn die Nachfrage nach Arbeitsstunden aufgrund der
Lohnsatzsteigerung nicht in gleichem Umfang zurückgeht. Dies jedoch ist der
strittige Punkt. Entsprechend der neoklassischen Theorie führen nämlich
Lohnsatzsteigerungen stets zu einem Rückgang in der Nachfrage nach Arbeit. Eine
Widerlegung der traditionellen Theorie wäre jedoch nur dann erreicht, wenn
nicht gleichzeitig Veränderungen in der Beschäftigungsnachfrage als bereits
bewiesene Tatsachen angesehen würden.
Nun könnte man
einräumen, dass es für den Nachweis eines positiven Beschäftigungseffektes ausreicht,
wenn die Nachfrage nach Arbeit in geringerem Maße zurückgeht als der Lohnsatz
ansteigt. Auch dann wären bereits Lohneinkommenssteigerungen und damit auch
schließlich Steigerungen der Güternachfrage zu erwarten. Das Verhältnis
zwischen Steigerung des Lohnsatzes und Minderung der Beschäftigungsnachfrage
wird hierbei durch die Nachfrageelastizität der Beschäftigung gemessen.
Unterstellen wir
eine Cobb-Douglas-Produktionsfunktion, so ist die Nachfrageelastizität nach
Arbeit jedoch notwendigerweise größer eins.
5. Die
modifizierte Kaufkrafttheorie: Abba P. Lerner
Richtig ist,
dass unter keynesianischen Bedingungen eine Steigerung der Konsumquote eine
Steigerung der Beschäftigung auslöst. Richtig ist auch, dass eine Lohnquotensteigerung eine
Steigerung der Konsumquote (c) auslöst, da die Konsumneigung der Lohnempfänger
(cl) empirisch nachgewiesen höher ist als die der
Gewinnempfänger (cg).
Ex definitione
gilt:
Allerdings hat Kaldor
seine Verteilungstheorie für Zeiten der Überbeschäftigung entwickelt. Da wir
jedoch bei der Analyse der Kaufkrafttheorie von einer Unterbeschäftigungssituation
ausgehen müssen, bedarf es einer Modifizierung der Verteilungstheorie von
Kaldor.
Bei Unterbeschäftigung
enthält die Verteilungstheorie von Kaldor einen Freiheitsgrad, der nur dadurch
beseitigt werden kann, dass wir zusätzlich zur Nachfrage auch Angebotsbeziehungen
berücksichtigen. Die Höhe der Ersparnis hängt nicht nur von der Höhe des Inlandsprodukts
ab, sondern zusätzlich von der Einkommensverteilung. Je höher die Gewinnquote
ist, umso höher ist ceteris paribus auch die Gesamtersparnis. Wir erhalten auf
diese Weise eine Schar von Sparfunktionen in Abhängigkeit von der Gewinnquote.
Damit hängt jedoch auch das gleichgewichtige Inlandsprodukt von der Höhe der
Gewinnquote ab. Wie folgende Graphik zeigt, sinkt das Gleichgewichtseinkommen
in dem Maße, in dem die Gewinnquote ansteigt.
Die Nachfragebedingungen allein bestimmen nun nicht mehr die Einkommensverteilung, die Nachfragefaktoren üben nun nur insofern einen Einfluss auf die Verteilung aus, als die Gleichgewichtslösung auf der negativ geneigten Nachfragekurve der Verteilung liegen muss. Welcher Punkt dieser Kurve verwirklicht wird, hängt nun zusätzlich von Angebotsfaktoren ab.
7. Berücksichtigung von Angebotsfaktoren
Die Angebotskurve der Verteilung leiten wir aus der von Barone entwickelten gesamtwirtschaftlichen Kostenfunktion ab. Auf der Abszisse tragen wir die gesamtwirtschaftliche Produktionsmenge, auf der Ordinate die Höhe der Preise sowie die gesamtwirtschaftlichen Durchschnittskosten ab. Die Kostenkurve entsteht dadurch, dass wir jeweils die Durchschnittskosten der einzelnen Unternehmungen (oder auch Branchen) abtragen, beginnend bei den Unternehmungen mit den geringsten Durchschnittskosten, folgend von den Unternehmungen mit jeweils höheren Durchschnittskosten. Es entsteht auf diese Weise eine treppenförmige Gesamtkostenkurve.
Es hängt nun vom
realisierten Preis ab, wie viel Güter produziert werden. Zunächst werden nur
die kostengünstigsten Unternehmungen die Produktion aufnehmen. Steigt jedoch
die Nachfrage und mit ihr der Güterpreis, so lohnt es sich auch für weniger kostengünstige
Unternehmungen die Produktion aufzunehmen. Der Produzent mit den ungünstigsten
Durchschnittskosten heißt Grenzunternehmer, der Preis deckt gerade seine
Durchschnittskosten.
Der Preis steigt
somit auf die Höhe der Durchschnittskosten des Grenzunternehmers, dessen
Produktion gerade noch benötigt wird, um die Nachfrage zu befriedigen. Da die
intramarginalen Unternehmungen (die Unternehmungen mit den geringeren
Durchschnittskosten) ebenfalls den am Kostenniveau des Grenzunternehmers orientierten
Preis erzielen, machen sie Gewinne, sogenannte Differentialgewinne, die umso
höher ausfallen, je größer die Differenz zur Kostenhöhe des Grenzunternehmers
ist.
Wir können nun
die Barone-Kurve als Angebotskurve der Verteilung in unser Verteilungsdiagramm
einzeichnen. Der Schnittpunkt der Angebotskurve mit der Nachfragekurve gibt
dann an, bei welchem Inlandsprodukt und bei welcher Verteilung (bei welcher
Gewinnquote) die Volkswirtschaft ins Gleichgewicht kommt.
Wenn wir nun unterstellen, dass aufgrund einer expansiven Lohnpolitik die gesamtwirtschaftliche Konsumquote steigt, was gleichbedeutend damit ist, dass die gesamtwirtschaftliche Sparquote sinkt, dann verschiebt sich in unserem Diagramm die Nachfragekurve der Verteilung nach unten. Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt tritt nämlich nur dann ein, wenn die gesamtwirtschaftliche Sparquote der als konstant unterstellten Investitionsquote entspricht. Steigt die Sparquote der Arbeitnehmer, so wird die der Investitionsquote entsprechende gesamtwirtschaftliche Sparquote bereits bei einer geringeren Gewinnquote realisiert.
Dies bedeutet jedoch gleichzeitig, dass auch das Inlandsprodukt und mit ihm die Beschäftigung gesunken ist. Eine expansive Lohnpolitik führt somit keinesfalls zu der erwünschten Mehrbeschäftigung.
Nach A. C. Pigou
führen weiterhin Lohnsatzsteigerungen aufgrund der Kostensteigerungen zu
Preissteigerungen. Die Haushalte
sehen sich gezwungen, ihre Sparrate zu erhöhen, da sie sonst ihre Sparziele
nicht mehr erreichen. Man benötigt im Zeitpunkt (t + x) eine bestimmte
Sparsumme, die sich nun aufgrund der Preissteigerungen erhöht. Die Zunahme der
Sparrate wirkt sich wiederum beschäftigungsmindernd aus. Man spricht in diesem
Zusammenhange vom Pigou-Effekt.
Die Auswirkungen
auf die Beschäftigung zeigt unten stehende Graphik:
Es besteht hier sogar die Gefahr, dass aufgrund fehlender Fachkräfte die Produktion gar nicht ausgeweitet werden kann, dass Teile der Produktion deshalb ins Ausland verlagert werden, mit der Folge, dass sich die Lage der ungelernten Arbeitnehmer um ein weiteres verschlechtert.
9. Schlussbemerkungen
Unsere Überlegungen haben gezeigt, dass von Lohnsatzveränderungen sehr unterschiedliche Wirkungen auf den Beschäftigungsgrad ausgehen. Man kann nicht mit Sicherheit sagen, wie sich eine Lohnsatzsteigerung auf den Beschäftigungsgrad tatsächlich auswirkt, zu vielfältig sind die verzweigten Auswirkungen. Aber auch Lohnsatzsenkungen können nicht in jedem Falle als beschäftigungssteigernd angesehen werden. Man muss aus diesen Erkenntnissen den Schluss ziehen, dass Lohnsatzvariationen eher ein ungeeignetes Mittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit darstellen.