Sozialismus Teil IV
Eng zusammen mit den
Thesen der Abhängigkeit des Staates von materiellen Interessen, der Bedeutung
des Klassenkampfes und einer international agierenden Verschwörung einer
kleinen Gruppe von Mächtigen findet sich bei diesen Betrachtungsweisen eine
vorwiegend ideologische Argumentation. Der Fortschritt der
Wissenschaften vollzieht sich nun dadurch, dass in einem ersten Schritt
aufgrund logischer Zusammenhänge bestimmte Faktenzusammenhänge im Sinne einer
Hypothese formuliert werden und dann in einem zweiten Schritt diese Hypothesen
empirisch getestet werden und eine Hypothese nur dann zu einer allgemein
anerkannten Theorie aufrückt, wenn es trotz mehrfacher empirischer
Untersuchungen nicht gelungen ist, diese Hypothesen dadurch zu widerlegen, dass
einige empirische Daten mit dieser Hypothese nicht in Einklang stehen.
Bei einer ideologischen
Betrachtung steht jedoch die durch theoretische Überlegungen gebildete These fest,
sie kann durch empirische Fakten nicht widerlegt werden; geraten These und
Empirie in Widerspruch, so wird an der bisherigen Grundaussage nichts geändert,
der Begründungszusammenhang jedoch so lange geändert, dass die These mit der
Wirklichkeit – scheinbar – nicht mehr in Widerspruch gerät.
Als Beispiel diene die
bereits in einem vorhergehenden Abschnitt besprochene Verelendungstheorie der
marxistischen Lehre. Karl Marx versuchte nachzuweisen, dass in einem
kapitalistischen System der Arbeitnehmer ausgebeutet werde, da er als Lohn
nicht den gesamten Güterwert erhalte, sondern nur die Kosten, welche zur
Erhaltung der Arbeitskraft benötigt werden, den Rest eigne sich der Kapitalist
als Mehrwert an. Da gleichzeitig aufgrund der Verschlechterung der organischen
Zusammensetzung des Kapitals immer mehr Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzt
werden, würden immer mehr Arbeitnehmer arbeitslos und die Neigung, zu immer
geringeren Löhnen die Arbeitskraft anzubieten, steige. Dies führe zu einer
wachsenden Verelendung der Arbeitnehmer, welche schließlich die Bereitschaft
zur Revolution unter der Arbeitnehmerschaft ansteigen lasse.
Nun haben wir bereits
weiter oben gesehen, dass die materielle Lage der Arbeitnehmer zwar zu Beginn
der Industrialisierung extrem schlecht war, dass aber die Weiterentwicklung der
Volkswirtschaft schließlich dazu führte, dass das Inlandsprodukt wesentlich
stärker anstieg als die Bevölkerung mit der Folge, dass auch das
Pro-Kopf-Einkommen der Arbeitnehmer beachtlich anstieg.
Die These einer wachsenden
Verelendung war somit durch die geschichtliche Entwicklung eindeutig widerlegt.
Da aber die These von der Verelendung der Arbeitnehmer ein wesentlicher
Baustein der These vom zwangsweise eintretenden Zusammenbruch der
kapitalistischen Gesellschaft darstellte und somit mit der These der
Verelendung auch die gesamte Theorie über den Zusammenbruch der
kapitalistischen Wirtschaft hätte aufgegeben werden müssen, wurde an der Verelendungstheorie
festgehalten und nur der Begriff der Verelendung umgedeutet. Nun wurde
behauptet, dass die Arbeitnehmer in einer kapitalistischen Gesellschaft eben
nur in relativem Sinne verarmten, in dem Sinne also, dass zwar das absolute
Einkommen der Arbeitnehmer anstieg, dass aber die Lohnquote, der Anteil der
Arbeitnehmer am Inlandsprodukt, zurückgegangen sei.
Als erstes muss
festgestellt werden, dass selbst dann, wenn diese veränderte These mit den
empirischen Daten übereinstimmen würde, für die Zusammenbruchstheorie nicht
viel gewonnen wäre, da nur bei einer tatsächlichen, also absoluten Verelendung
damit gerechnet werden könnte, dass immer mehr Arbeitnehmer aus Verzweiflung
zum Umsturz der bestehenden Ordnung bereit wären.
Aber die These vom
permanenten Absinken der Lohnquote stimmt auch mit den empirischen Tatsachen nicht
überein. Natürlich ist es richtig, dass die Lohnquote nicht immer ansteigt oder
konstant bleibt. So lässt sich z. B. eine antizyklische Bewegung in der
Lohnquote feststellen, die Lohnquote sinkt also im Aufschwung und mit dieser
Gesetzmäßigkeit hängt es sicherlich auch zusammen, dass gerade in den letzten
Jahren vor der Krise eine Verringerung der Lohnquote um einige Prozentpunkte
festgestellt werden musste.
Trotzdem ist in
längerer Hinsicht die Lohnquote nicht gesunken. In der Literatur wurde sogar von
einer bemerkenswerten Konstanz in der Lohnquote gesprochen, so hat man in der
Tat festgestellt, dass die Lohnquote konjunkturbereinigt über eine
mittelfristige Sicht in der Vergangenheit nahezu konstant blieb. Nimmt man
hingegen eine sehr lange Frist und betrachtet den gesamten Zeitraum der
Industrialisierung (zumindest von dem Augenblick an, von dem es statistische Aufzeichnungen
über die Lohnquote gibt), so ist die Lohnquote sogar beachtlich gestiegen. Wir
kommen somit zu dem Ergebnis, dass auch die modifizierte Theorie von der
relativen Verelendung durch die empirischen Tatsachen eindeutig widerlegt
wurde.
Also war ein neuer
Versuch zur Rettung der Verelendungstheorie notwendig. Nun wurde davon
gesprochen, dass die Lohnquote oder auch das absolute Reallohneinkommen
eigentlich nach den Gesetzen der kapitalistischen Gesellschaft hätte absinken
müssen, dass aber dieser Prozess durch eine Ausbeutung der ehemaligen
Kolonialmächte gegenüber den früheren Kolonien und später durch eine Ausbeutung
der Entwicklungsländer durch die hochentwickelten Industrienationen immer
wieder hinausgeschoben wurde.
Erklären lässt sich
diese These etwa wie folgt: Die Kolonialmächte konnten einerseits ihre
Rohstoffe aus den ehemaligen Kolonien zu extrem geringen Preisen beziehen und
andererseits waren sie in der Lage, ihre Fertigprodukte in diesen Gebiete
abzusetzen und dadurch auf den Inlandsmärkten höhere Preise zu erzielen. Sie
beuteten damit nicht nur die Bevölkerung der Kolonien aus, sondern konnten
gleichzeitig den einheimischen Arbeitnehmern der kapitalistischen Gesellschaften
einen höheren Lohn zahlen und mussten auch wegen erhöhten Absatzes weniger
Arbeitnehmer entlassen.
Auch die heutigen
hochentwickelten Staaten würden die Entwicklungsländer weiterhin ausbeuten, da
der weltweite Freihandel die Terms of Trades zuungunsten der Entwicklungsländer
verschlechtert hätte. Aber auch diese Thesen überzeugen nicht. Es mag zwar
richtig sein, dass ein Teil der Kolonialmächte Ende des 19. und in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts die Kolonien ausgebeutet haben, in dem sie zwar
billige Rohstoffe bezogen, aber keine oder zu wenig Anstrengungen unternahmen,
diese Gebiete auf eine Industrialisierung vorzubereiten.
Die zu beobachtende
Verschlechterung in den Terms of Trade zuungunsten der Entwicklungsländer war
aber zunächst geringer als empirisch festgestellt, da die Importpreise in
cif-Werten (unter Einschluss der Frachtkosten also) gemessen wurden, die
Frachtkosten jedoch in dieser Zeit durch Einführung moderner Tanker rapide
gesunken sind, diese Verringerungen in den Frachtkosten jedoch in erster Linie
die Reedereien der hochentwickelten Staaten belastet haben.
Der verbleibende
geringere Teil der Verschlechterungen in den Terms of Trades ist weiterhin
gerade nicht wegen der Öffnung der Weltmärkte eingetreten, sondern vor allem
deshalb, weil die hochentwickelten Staaten nicht bereit waren, die Waren aus
den Entwicklungsländern ohne Behinderungen zu importieren.
Aber selbst dann, wenn
man davon ausgeht, dass aufgrund der internationalen Beziehungen eine
Ausbeutung der Entwicklungsländer durch die hochentwickelten Staaten
stattfindet, reicht diese Theorie nicht aus, die These vom Zusammenbruch der
kapitalistischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Sie bliebe nur dann richtig,
wenn die Ausbeutung der Entwicklungsländer beendet würde und wenn deshalb die
Ausbeutung wiederum auf die inländischen Arbeitnehmer der hochentwickelten
Länder verlagert würde.
Auch dann, wenn wir
optimistisch sind und von der Erwartung ausgehen, dass die hochentwickelten
Staaten in Zukunft alle Behinderungen des Importes von Gütern aus den
Entwicklungsländern abbauen, kommt diese Entwicklung auch den inländischen
Arbeitnehmern der hochentwickelten Staaten zugute. Eine Ausweitung des freien
Handels führt nämlich zu Produktivitäts- und Einkommenssteigerungen, aufgrund
derer die Nachfrage steigt und somit auch bei vermehrten Import aus den
Entwicklungsländern die Absatzmöglichkeiten der hochentwickelten Staaten
keinesfalls zurückgehen müssen.
Eine Ideologisierung
der Probleme finden wir allerdings nicht nur bei den kommunistischen Parteien
und Denkern, es ist dies vielmehr eine sehr weitverbreitete Grundhaltung unter
sozialistischen Politikern – natürlich in ähnlicher Weise bei
rechtsorientierten Gruppierungen. Nehmen wir die im Augenblick heiß diskutierte
Forderung nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Unbestritten ist
hierbei die Forderung, dass jeder Bürger zumindest über ein Einkommen in Höhe
des Existenzminimums verfügen sollte. Diese Forderung ergibt sich bereits aus
dem im Grundgesetz verankerten Grundrecht der Menschenwürde, die als
unantastbar und für schlechthin alle Bürger gleich zu gelten hat. Ein menschenwürdiges
Leben kann eben nur der führen, der mindestens auch über so viele Einkünfte
verfügt, dass er sein Leben fristen kann.
Unbestritten ist auch,
dass nur eine wirtschaftliche Ordnung voll befriedigen kann, in welcher jeder
oder nahezu jeder Bürger aus eigenen Kräften zumindest ein Einkommen in dieser
Höhe sich erarbeiten kann. Wenn das reguläre Einkommen bestimmter
Arbeitnehmerschichten so gering ausfällt, dass ein Existenzminimum nur dadurch
erzielt werden kann, dass einzelne Arbeitnehmer zusätzlich zum regulären
Einkommen noch Sozialhilfe benötigen, so ist das in höchstem Maße unerwünscht
und es bedarf politischer Anstrengungen, um diese Zustände so schnell wie
möglich abzubauen.
Die einzuleitenden
Maßnahmen müssen jedoch auch geeignet sein, diese Zielsetzung zu erreichen und
sie dürfen auch nicht andere, genauso wichtige Ziele gravierend verletzen.
Hierzu ist es notwendig, dass man sich nach den eigentlichen Ursachen fragt,
die zu diesen unbefriedigenden Zuständen geführt haben und diese Ursachen
beseitigt. Es geht nicht an, dass man einfach per Gesetz die Erreichung dieser
Ziele anordnet und sich nicht darum kümmert, ob auf diesem Wege tatsächlich die
erwünschten Ziele erreicht werden und ob unter Umständen andere Grundziele
unserer Gesellschaft verletzt werden.
Der wohl wichtigste
Grund dafür, dass ein Teil der Arbeitnehmer einen Lohn bezieht, der noch nicht
einmal das Existenzminimum erreicht, liegt darin, dass immer mehr Arbeitnehmer
nicht die fachlichen Voraussetzungen erfüllen, die jede Arbeit – auch die
einfachsten Arbeiten – erfordern. Der technische Fortschritt bringt es mit
sich, dass die Anforderungen an die Arbeit steigen und dass eine
Mindestausbildung nicht nur für die Facharbeitskräfte im oberen Viertel
benötigt wird.
Langfristig kommt es
also darauf an, dass dafür Sorge getragen wird, dass alle Arbeitnehmer diese
Mindestausbildung erfahren. Hierzu sind gewaltige Investitionen im
Bildungswesen erforderlich. Auf diesem Wege kann natürlich nur auf lange
Sicht sicher gestellt werden, dass nahezu alle Arbeitnehmer die Voraussetzungen
erfüllen, einen Arbeitsplatz mit ausreichendem Einkommen zu erlangen.
Auf kurze Sicht
bedarf es zusätzlicher Maßnahmen, da mit zunehmendem Alter der betroffenen
Arbeitnehmer wohl kaum die bildungsbezogenen Versäumnisse der Vergangenheit
nachgeholt werden können. Auch wenn man davon ausgehen muss, dass sich die
Arbeitnehmer auch dann noch weiterbilden müssen, wenn sie die Schule verlassen
haben und bereits im Beruf stehen, so gilt es doch zu berücksichtigen, dass die
Fähigkeiten zur Weiterbildung mit zunehmendem Alter abnehmen und vor allem,
dass eine Mindestausbildung im Kindes- und Jugendalter Voraussetzung dafür ist,
dass eine Weiterbildung überhaupt möglich ist.
Diese zusätzlichen
Maßnahmen können darin bestehen, dass der Staat über Kombilöhne oder
Lohnsubventionen das Einkommen der Arbeitnehmer aufstockt, welche nicht aus
eigener Kraft das Existenzminimum erreichen, oder besser, wenn man einen
zweiten Arbeitsmarkt schafft, in dem die Arbeitnehmer, welche keinen Job im
ersten Markt finden, automatisch im sekundären Arbeitsmarkt beschäftigt werden.
Allerdings bedarf es gewisser Voraussetzungen, dass dieses Modell eines zweiten
Arbeitsmarktes funktioniert und nicht den ersten Arbeitsmarkt behindert und
verdrängt.
Es darf keine
Konkurrenz zwischen diesen beiden Arbeitsmarktsektoren geben, denn die
eigentlichen Wohlfahrtsgewinne werden immer und nur im ersten Arbeitsmarkt
erzielt, eine Verdrängung des ersten Arbeitsmarktes würde dazu führen, dass die
Vielzahl der sozialpolitischen Aufgaben des Staates nicht mehr finanziert
werden könnte. Auch müssen sich die Arbeitsbedingungen zwischen diesen beiden
Arbeitsmärkten so unterscheiden, dass jeder Arbeitnehmer von selbst ein Interesse
daran hat, möglichst schnell wiederum zum regulären Arbeitsmarkt
überzuwechseln.
Auch gilt es zu
berücksichtigen, dass der arbeitssparende (Arbeitsplätze vernichtende)
technische Fortschritt keinesfalls ein Datum darstellt, das man einfach
hinnehmen muss. Fortschritt im sozialen Sinne liegt immer nur dann vor, wenn
ein bestimmter wirtschaftlicher Bedarf an der Knappheit der Arbeitskräfte scheitert
und wenn dann durch Übergang zu kapitalintensiveren Verfahren zusätzliche
Produkte produziert werden können, welche sich eine Volkswirtschaft sonst aus
Mangel an Arbeitskräften hätte nicht leisten können.
De facto findet jedoch
auch dann oftmals arbeitssparender technischer Fortschritt statt, wenn es nicht
an Arbeitskräften mangelt und ein Teil der Arbeitnehmer arbeitslos wird. In
welchem Umfang technischer Fortschritt stattfindet und welche Art des
technischen Fortschritts sich durchsetzt, hängt selbst wiederum vom Verhältnis
der Löhne zum Zins ab. Immer dann, wenn die Löhne im Verhältnis zu den Zinsen
höher ausfallen als es der Knappheit beider Produktionsfaktoren entspricht,
besteht die Gefahr, dass ein solcher sozial unerwünschter technischer Fortschritt
eingeführt wird, der schließlich Arbeitslosigkeit auslöst.
Nun trägt oftmals eine
fehlerhafte, von den Keynesianern empfohlene Konjunkturpolitik zu einem solchen
falschen, Arbeitslosigkeit auslösenden technischen Fortschritt sogar noch bei.
Entsprechend keynesianischen Vorstellungen sollte ja der Staat – bzw. die
Notenbank – eine Beschäftigungssteigerung durch Zinssenkungen erreichen und es
wird darüber hinaus im Rahmen der Kaufkrafttheorie empfohlen, die Löhne stärker
anzuheben als es der Steigerung in der Arbeitsproduktivität entspricht.
Hierdurch tragen sowohl Zinssenkungen wie auch Lohnsteigerungen dazu bei, dass
das Lohn-Zins-Verhältnis immer mehr von den Knappheitsrelationen der
Produktionsfaktoren abweicht.
Oft wird zur
Verteidigung der Einführung gesetzlicher Mindestlöhnen darauf hingewiesen, dass
doch auch in zahlreichen anderen europäischen Staaten schon lange eine
Mindestlohngesetzgebung praktiziert wird. Diese Argumentation verkennt erstens,
dass ein gesetzlicher Mindestlohn nur dann Wirkungen auslöst – positive wie
negative –, wenn der reale Mindestlohn über der Arbeitsproduktivität liegt.
Gerade in den Ländern, welche schon lange einen gesetzlichen Mindestlohn praktizieren,
muss durchaus mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass sich die
Volkswirtschaft an diese Regelungen durch Preissteigerungen angepasst hat und
dass deshalb der Mindestlohn gar nicht mehr über der Arbeitsproduktivität liegt
und damit auch keine Wirkung haben kann.
Zweitens muss
berücksichtigt werden, dass diese anderen europäischen Staaten ja auch unter
einer Massenarbeitslosigkeit leiden, also müsste in jedem Einzelfall überprüft
werden, inwieweit diese gesetzlichen Regelungen den Umfang der Arbeitslosigkeit
beeinflusst haben.
Drittens gilt es zu
bedenken, dass Arbeitslosigkeit immer eine Vielzahl von Ursachen hat oder haben
kann. Ob eine Volkswirtschaft eine Mindestlohngesetzgebung verkraften kann,
hängt allein davon ab, wie viel Faktoren sonst noch zu Arbeitslosigkeit
beitragen, es kommt allein darauf an, dass die Gesamtheit der Arbeitslosigkeit
auslösenden Faktoren nicht stärker sein darf als im Ausland, mit dem die
einheimische Wirtschaft in Wettbewerb steht.
Deutschland zeichnet
sich dadurch aus, dass es auf der einen Seite eine besonders hohe, einmalige Belastung
der Volkswirtschaft aufgrund der Wiedervereinigung aufweist und schon aus
diesem Grunde gegenüber anderen europäischen Ländern stärker belastet ist. Auf
der anderen Seite liegt die BRD auch in der Sozialkostenbelastung im oberen
Viertel und weist gegenüber den Staaten mit einer deutlich geringeren
Sozialkostenbelastung bereits Wettbewerbsnachteile auf. Gerade diese beiden
Faktoren machen es notwendig, dass die BRD nicht weitere Gesetze erlässt,
welche ceteris paribus die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
zusätzlich belasten. Zwar war die deutsche Wirtschaft insgesamt robust genug,
um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, aber eben nur dadurch,
dass sie in stärkerem Maße zu kapitalintensiveren Produktionsverfahren überging,
als es im Hinblick auf die Knappheitsverhältnisse der Produktionsfaktoren
eigentlich erwünscht gewesen wäre.
Viertens ist es
besonders unklug, wenn nun auf diese Weise der durch die Regierung Schröder
eingeleitete Reformkurs wiederum verlassen würde. Nach allgemeiner
wissenschaftlichen Überzeugung war dieser Reformkurs notwendig und auch
erfolgreich, die Kritik bestand im wesentlichen nur darin, dass bisher zu wenig
Reformmaßnahmen ergriffen wurden und dass die Massenarbeitslosigkeit nur dann
abgebaut werden kann, wenn diese Reform weitergeführt wird. Die Einleitung
dieser Reformen waren für alle sehr schmerzhaft, für die Masse der Bevölkerung
dadurch, dass zahlreiche Vergünstigungen gestrichen werden mussten, für die
diese Maßnahmen durchführenden Politiker dadurch, dass von liebgewordenen
Vorstellungen Abschied genommen werden musste und dass sehr viel
Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen geleistet werden musste.
Angesichts dieser
Tatsachen ist es in höchstem Maße verwunderlich und unklug, nun neue –
Arbeitslosigkeit erzeugende – Maßnahmen einzuführen und damit den weiteren
Erfolg des Reformkurses zu gefährden und zu riskieren, dass in naher Zukunft
weitere genauso schmerzhafte Eingriffe in das Sozialleistungsnetz notwendig
werden.
Bei einer ideologischen
Position wird also zu wenig zwischen Zielen und Mitteln unterschieden. Es wird
zu wenig danach gefragt, mit welchen Mitteln denn die angestrebten Ziele
realisiert werden können. Es wird einfach per Gesetz postuliert, dass die Ziele
einzuhalten sind. Diese Verlagerung der Frage nach den geeigneten Mitteln eines
vorgegebenen Zieles auf die Zielebene bringt es mit sich, dass die Gegner,
welche das angestrebte Mittel für ungeeignet halten, das gemeinsam bejahte Ziel
zu erreichen, diffamiert werden, indem behauptet wird, dass die Gegner auch die
angestrebten Ziele verneinen.
In Wirklichkeit werden
jedoch von den auf dem Boden des Grundgesetzes stehendenden konkurrierenden
Parteien die letztlichten Ziele durchaus akzeptiert, man bezweifelt nur, ob die vorgeschlagenen Mittel
geeignet sind, die von allen bejahten Ziele auch zu realisieren. Per Gesetz
werden wir niemals erreichen, dass die tatsächlich gezahlten Löhne die erwünschte
Höhe erreichen. Wenn Löhne vorgeschrieben werden, welche in bestimmten Branchen
über der Arbeitsproduktivität liegen, werden die betreffenden Güter eben nicht
im eigenen Land produziert und die Arbeitnehmer entlassen. Der Staat ist nicht
in der Lage, nicht rentable Produktionen zu erzwingen.
Was hier Not tut,
besteht darin, durch eine geeignete Rahmenordnung, die ausreichend Wettbewerb
zulässt, darauf hinzuwirken, dass in allen Branchen die Produktivität so stark
ansteigt, dass auch akzeptable Löhne gezahlt werden können. Weiterhin sind die
Investitionen in den Bildungssektor soweit zu erhöhen, dass alle Arbeitnehmer
die für die Produktion notwendige Mindestausbildung erfahren.
Bei einer ideologischen
Position wird darüber hinaus weiterhin zu wenig darauf geachtet, dass es nicht
nur auf die Effizienz einer Maßnahme, sondern auch auf die zu
befürchtenden Sekundärwirkungen auf andere Ziele der Wirtschafts- und
Sozialpolitik ankommt. Im Rahmen der Effizienzanalyse beschränkt man sich auf
die Frage, inwieweit eine bestimmte Maßnahme geeignet ist, das vorgegebene Ziel
zu realisieren. Im Rahmen der Analyse der Sekundärwirkungen hingegen stellt man
sich die Frage, inwieweit andere Ziele der Wirtschafts- und Sozialpolitik durch
die in Aussicht genommene Maßnahme beeinträchtigt werden. Beide Fragestellungen
(Effizienz- und Sekundärwirkungsanalyse) sind zu einer sachgerechten
Beurteilung eines politischen Mittels unerlässlich. Was nützt es z. B., wenn
die Arbeitnehmer, welche beschäftigt sind, einen angemessenen Lohn erhalten,
wenn aber diejenigen Arbeitnehmer, die man mit dieser Maßnahme eigentlich
schützen wollte, gar keine Beschäftigung finden und arbeitslos werden?
Eng verbunden mit
diesen beiden zuletzt angesprochenen Fragestellungen ist die Vermischung von
Allokations- und Verteilungsfragen. Von Allokationsproblemen spricht man immer
dann, wenn die Frage zur Diskussion steht, auf welchem Wege knappe Ressourcen
so effizient wie möglich für die in Konkurrenz zueinander stehenden
Verwendungsarten eingesetzt werden können. Bei einer ideologischen
Argumentation werden Allokationsprobleme ausgeklammert und so getan, als könnte
man politische Entscheidungen immer nur danach beurteilen, welche politische
Lösungen den Verteilungszielen am besten entsprechen.
Innerhalb
marktwirtschaftlicher Prozesse erfolgt zwar Allokation und Verteilung uno actu.
Die sich auf dem Markt einstellenden Preisrelationen entscheiden sowohl über
die Allokation wie auch über die Verteilung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass
auch bei polittischen Entscheidungen beide Problemgrößen (Allokation wie
Verteilung) ebenfalls uno actu entschieden werden, dass also bestimmte
Verteilungslösungen nur dann erreicht werden können, wenn auch die Allokation
an diese verteilungspolitischen Ziele angepasst wird. In politischen Prozessen
kann sehr wohl eine weitgehend effiziente Allokation erreicht werden, ohne dass
hierdurch die Verteilungsziele der allokativen Lösung untergeordnet werden
müssen. Machen wir uns diese Zusammenhänge anhand eines konkreten Beispiels
klar.
Im Rahmen der
augenblicklichen Studentenstreiks wird unter anderem die Forderung erhoben, die
Studiengebühren wieder abzuschaffen. Es wird behauptet, dass bei Erhebung von
Studiengebühren im Bildungswesen eine Zweiklassengesellschaft geschaffen würde,
da Studiengebühren nur Jugendliche aus reicheren Familien zahlen könnten und da
deshalb bei Erhebung von Studiengebühren Jugendlichen, die Familien mit einem
niedrigeren Einkommen entstammen, die höhere Bildung verwehrt werde.
Wenn diese Behauptung
richtig wäre, hätte ich niemals studieren und die wissenschaftliche Laufbahn
ergreifen können. Als ich 1952 mein Studium aufnahm, wurden Studiengebühren
erhoben. Da mein Vater damals bereits 65 Jahre alt war und deshalb seine
berufliche Arbeit hatte aufgeben müssen, erhielt er eine Rente von 600 DM. Es
wäre ganz ausgeschlossen gewesen, dass meine Eltern das Studium für ihre drei
Kinder hätten aufbringen können. Dies war auch nicht notwendig. Studenten
konnten nämlich Studiengebührenerlass beantragen, sofern sie in jedem Semester
mindestens zwei Leistungsscheine mit der Note gut oder besser vorlegen konnten.
Trotz Studiengebühren
konnte ich also durchaus studieren, obwohl ich einer Familie mit recht geringem
Einkommen entstamme. Ich hatte allerdings in den Semesterferien jobben müssen,
da zu der damaligen Zeit noch kein BAFÖG gewährt wurde. Ich konnte trotzdem
nach 6 Semestern mein Diplomexamen erfolgreich abschließen. Dieses Beispiel
zeigt, dass die Erhebung von Studiengebühren keinesfalls zur Folge haben muss,
dass begabten Jugendlichen der Zugang zum Studium verwehrt bleibt.
Selbstverständlich ist es möglich, über Studiengebührennachlass oder auf dem
Wege über Stipendien all denjenigen Jugendlichen, welche die sachlichen
Qualifikationen für ein Studium aufweisen, ein Studium zu ermöglichen.
Man muss sich darüber
klar werden, dass immer dann, wenn im Bildungswesen ineffiziente
Allokationslösungen verwirklicht werden – und eine hundertprozentige
Finanzierung des Bildungswesens aus Steuermitteln allein stellt eine äußerst ineffiziente
Lösung des Allokationsproblems dar – nicht nur eine Vergeudung knapper
Ressourcen stattfindet. Je mehr Steuermittel im Bildungswesen ineffizient
ausgegeben werden, umso weniger Geld bleibt dem Staat übrig, seine sozialpolitischen
Ziele sowohl im Bildungssektor als auch in den übrigen Sektoren zu realisieren.
In nahezu allen
europäischen Staaten, in denen Studiengebühren erhoben werden, ist vorgesehen,
dass Jugendlichen aus ärmeren Familien durch Gewährung eines
Studiengebührennachlasses oder über Stipendien ein Studium trotzdem ermöglich
wird, wenn sie die fachlichen Voraussetzungen für ein Studium besitzen und
bereit sind, sich gewissen Leistungsnachweisen zu unterziehen. Es gibt keinen
Grund dafür, dass solche Lösungen nicht auch in der BRD möglich sind. Dies
bedeutet nicht unbedingt, dass man die derzeitigen verteilungspolitischen
Lösungen für ausreichend ansehen muss, eine sachliche Kritik hat sich aber dann
gegen diese konkreten verteilungspolitischen Lösungen zu wenden und nicht die
allokative Lösung als solche in Bausch und Bogen zu verwerfen.
Bringen wir ein zweites
Beispiel für eine ideologische Vermengung allokativer und distributiver Ziele.
Die derzeitige Regierung plant in der gesetzlichen Krankenversicherung die
Einführung eines einkommensunabhängigen Beitragssatzes und die Entlastung der
der unteren Einkommensschichten über Subventionen aus Steuermitteln. Von der
Opposition wurde behauptet, dass diese Pläne einer Abschaffung des
Sozialstaates gleich kämen und dass auf diese Weise eine höchstunerwünschte
Umverteilung zugunsten der Reicheren und zu Lasten der Ärmeren herbeigeführt
werde.
Diese Kritik ist
unberechtigt. Ich hatte bereits 1975 in einem Artikel in der Festschrift für
Theo Pütz festgestellt, dass unsere Sozialversicherung in
verteilungspolitischer Hinsicht recht unbefriedigend ist, da sie in Wirklichkeit
eine Institution zugunsten der nicht ganz Armen und zu Lasten der nicht ganz
Reichen darstellt. Die ganz Armen werden nicht im Rahmen der Sozialversicherung
unterstützt, da sie keiner geregelten Arbeit nachgehen. Die ganz Reichen
hingegen gehören ebenfalls nicht diesem System an, da eine Versicherungspflicht
teilweise – wie in der gesetzlichen Krankenversicherung – nur bis zu einer
bestimmten Einkommensgrenze, teilweise – wie z. B. in der gesetzlichen
Rentenversicherung hingegen – nur für unselbständige Arbeitnehmer, nicht aber
für die Selbständigen gilt.
Gerade die Forderung,
allen Bürgern einen Schutz gegenüber den sozialen Risiken zu gewähren und die
hierbei entstehenden Lasten gerecht auf die gesamte Bevölkerung aufzuteilen,
lässt es geboten erscheinen, diesen sozialen Ausgleich über das Steuersystem zu
realisieren. Steuern sind von allen Bürgern zu zahlen; da wir eine progressive
Einkommenssteuer haben, werden bei einer Finanzierung der sozialen Lasten aus
dem Steueraufkommen die einzelnen Bürger mit wachsendem Einkommen
überproportional zur Kasse gebeten, was der allgemeinen Auffassung von sozialer
Gerechtigkeit besser entspricht, während bei einer Beitragsfinanzierung wegen
der Einkommensgrenzen der effektive Beitragssatz mit wachsendem Einkommen zurückgeht,
was sicherlich den Vorstellungen von Gerechtigkeit kaum entspricht, selbst
dann, wenn man alle Einkommensempfänger der Versicherungspflicht unterwerfen
würde.
Die allokative Aufgabe
der sozialen Sicherheit (also der möglichst effiziente Einsatz knapper
Ressourcen im Gesundheitsbereich) wird hingegen bei marktgerechten Preisen
(Beiträgen) sehr viel besser erreicht. Dass man aber marktgerechte
Beitragssätze erhebt, sagt noch nichts darüber aus, dass verteilungspolitische
Ziele verletzt werden. Stets ist es möglich, einen sozialen Ausgleich über den
Einsatz von Steuermitteln herbeizuführen. Natürlich besteht immer die Gefahr,
dass der Gesetzgeber – um Steuermittel einzusparen – dieser sozialen Aufgabe
in unzureichendem Umfang genügt. In diesen Fällen hat sich jedoch die Kritik
gegen eine etwaige unzureichende Subventionierungssumme zu richten und nicht
gegen die gerade aus sozialen Gründen richtigere Lösung, den sozialen Ausgleich
über das Steuersystem zu erreichen.
Die Vorstellung, dass
die allokative Aufgabe der sozialen Sicherheit außerhalb des Marktes geregelt
werden müsse, da der Schutz vor den sozialen Risiken zu den elementaren
Bedürfnissen eines jeden Menschen gehöre, ist falsch. Auch der Bedarf an
Nahrung, Kleidung, Wohnung und Bildung ist genauso elementar wie das Bedürfnis
nach einem Schutz vor den sozialen Risiken.
Wenn es richtig wäre,
dass Versicherungsprobleme aus sozialen Gründen aus dem Marktgeschehen
auszuklammern seien, so müsste man die Produktion fast aller Güter mit Ausnahme
der Güter für den Luxusbedarf dem Markt entziehen und dies käme der Forderung
nach einer totalen Planwirtschaft gleich. Wohin jedoch die Verwirklichung
solcher Forderungen führt, hat die Geschichte der DDR gezeigt. Gerade wegen der
enormen Vergeudung knapper Mittel und des Verzichtes auf notwendige
Ersatzinvestitionen in der ehemaligen DDR wurde es notwendig, dass die BRD den
Wiederaufbau in den neuen Ländern mit Zuwendungen dreistelliger
Milliardenbeträge unterstützen musste – und es ist noch kein Ende abzusehen,
wann diese Aufgabe erfüllt sein wird. Es ist sehr viel zweckmäßiger, allokative
Aufgaben dem Markt zu überlassen und den notwendigen und erwünschten sozialen
Ausgleich auf dem Wege über den Einsatz von Steuermitteln zu erreichen.
Einer ähnlich ideologischen
Betrachtungsweise begegnen wir auch in der Diskussion um das Einfrieren bzw.
der Abschaffung des Arbeitgeberbeitrages in der Sozialversicherung. Bekanntlich
sah die Sozialversicherung lange Zeit vor, dass die Hälfte der Beiträge zur
Sozialversicherung von den Arbeitgebern zu entrichten sei. Seit einiger Zeit
wird die Forderung erhoben, zur Entlastung der Unternehmungen den
Arbeitgeberbeitrag einzufrieren in dem Sinne, dass weitere Erhöhungen nur von
den sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu zahlen seien oder sogar,
dass der Arbeitgeberbeitrag vollkommen entfallen solle.
Wiederum richten sich
die Linken ganz entschieden gegen diese Pläne, sie sprechen von einem Abbau des
Sozialstaates, dass auch bei diesen Plänen Maßnahmen geplant würden, die eine
Umverteilung zugunsten der Unternehmer und zu Lasten der Arbeitnehmer zur Folge
hätten.
An dieser Argumentation
ist zweierlei falsch. Arbeitgeberbeiträge belasten zunächst erstens nur
Unternehmungen und nicht unbedingt die Unternehmer. Fragen der Einkommensverteilung
beziehen sich aber stets auf das Problem, wie das Inlandsprodukt einer
Volkswirtschaft auf die einzelnen Haushalte und Einkommensempfänger aufgeteilt
werden soll, nicht aber auf die ganz andere Frage, welcher Handlungsspielraum
den einzelnen Unternehmungen verbleibt.
Zumindest bei den
großen Kapitalgesellschaften besteht auch kein unmittelbarer zwingender
Zusammenhang zwischen den Gewinnen einer Unternehmung und den privatverfügbaren
Einkommen der Manager, die an der Spitze einer Unternehmung stehen. Der Gewinn
einer Unternehmung kann sinken, ohne dass die Gehälter der
Unternehmungsvorstände gekürzt werden. Auch können gerade in Zeiten des
konjunkturellen Abschwunges die Gehälter der unternehmerischen Spitzenkräfte
sogar ansteigen.
Natürlich ist es
richtig, dass nicht nur die Arbeitnehmereinkommen, sondern auch die Einkommen
der Unternehmer letztlich aus den Erlösen einer Unternehmung finanziert werden
müssen und dass bei einem Rückgang der Unternehmererlöse eine Tendenz besteht,
auch alle Einkommen zu reduzieren.
Der Zusammenhang
zwischen Unternehmererlösen und Einkommen der Unternehmer ist aber sehr viel
komplizierter. Die Gehälter der Spitzenmanager von Großunternehmungen richten
sich am weltweiten Durchschnitt der Unternehmergehälter aus, ist eine
inländische Unternehmung nicht bereit, diese international gewährten Gehälter
zu zahlen, lauft sie Gefahr, dass die Führungskräfte ins Ausland zu solchen
Unternehmungen abwandern, welche höhere Gehälter gewähren.
Wird eine Unternehmung
von einem Rückgang der Erlöse und damit auch der Gewinne getroffen, so ist das
Gebot der Stunde, alles Mögliche zu tun, um die Unternehmung so schnell wie
möglich aus der Verlustzone herauszuführen und dies kann im Allgemeinen nur mit
hervorragend befähigten Managern gelingen, solche Führungskräfte können jedoch
nur gewonnen werden, wenn die Unternehmungen auch bereit sind, Spitzengehälter
zu zahlen.
In einer solchen
Situation kommt es weniger darauf an, dass die Spitzenkräfte aus Solidarität zu
den Arbeitnehmern ebenfalls Kürzungen ihrer Gehälter erfahren, sondern dass die
Unternehmung möglichst bald wiederum Gewinne erzielt. Gerade eine solche
Entwicklung kommt nämlich auch den Arbeitnehmern zugute, in dem die
Arbeitsplätze gesichert werden und sich bei wachsenden Unternehmergewinnen auch
Raum für Lohnerhöhungen eröffnet.
Ein hoher
Unternehmergewinn sagt also zunächst nur etwas darüber aus, ob die zukünftige
Produktion aufrechterhalten und unter Umständen sogar ausgeweitet werden kann und
ist deshalb auch die Voraussetzung dafür, dass Arbeitsplätze erhalten werden
können.
Natürlich ist es
richtig, dass die Unternehmungen oftmals die Voraussetzungen für eine
Verbesserung ihrer Absatzlage dadurch erzielen, dass sie rationalisieren und im
Zuge der Rationalisierung Arbeitskräfte entlassen. Eine solche Politik richtet
sich in der Tat zunächst einmal gegen die Arbeitnehmer. Man muss jedoch
bedenken, dass ein Rationalisierungsdruck vor allem dann entsteht, wenn das
Lohn-Zinsverhältnis nicht mehr der Knappheit der Produktionsfaktoren entspricht,
weil auf der einen Seite eine keynesianisch orientierte Geldpolitik die Zinsen
herabsetzt und gleichzeitig die Lohnsätze aus falsch verstandenen
Kaufkraftargumenten über die Arbeitsproduktivität gehoben werden.
Hier wäre es gerade
sowohl zur Aufrechterhaltung der Beschäftigung wie auch aus
verteilungspolitischen Gründen sehr viel hilfreicher, wenn ein Teil der
Arbeitnehmereinkünfte in Form von Gewinnbeteiligungen gewährt würde. Die Arbeitnehmer
würden bei einer solchen Politik in Zeiten des Abschwungs dadurch gewinnen,
dass sie eher beschäftigt bleiben, in Zeiten des Aufschwungs hingegen an den
steigenden Unternehmergewinnen beteiligt werden.
Bei
Personengesellschaften gilt diese scharfe Trennung zwischen Unternehmungsgewinnen
und Gewinneinkommen der Unternehmer sicherlich nicht. Der Gewinn der
Unternehmung fällt hier mit dem Gewinneinkommen des selbständigen Unternehmers
zusammen. Trotzdem können die oben angeführten Argumente im Wesentlichen
übernommen werden. Als erstes gilt es auch hier zu bedenken, dass nur ein Teil
des Unternehmergewinnes auch für Konsumzwecke des Unternehmerhaushaltes zur
Verfügung steht. Ein Großteil des Unternehmergewinnes muss für
Investitionszwecke eingesetzt werden. Diese dienen jedoch gerade auch zur
Aufrechterhaltung der Produktion und kommen durch eine Beschäftigungssicherung
letztlich auch wiederum den Arbeitnehmern zugute.
Ich erwähnte oben, dass
die oben dargestellte Argumentation (ein Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge sei
höchst unsozial) aus zweierlei Gründen falsch sei. Ein zweiter Grund hierfür
liegt darin, dass bei dieser Argumentation so getan wird, also würde immer
derjenige, der die Sozialversicherungsbeiträge zahlt, sie auch tragen. Die
Wirtschaftswissenschaft hat schon immer darauf aufmerksam gemacht, dass die
Frage, wer eine Steuer oder einen Sozialversicherungsbeitrag im rechtlichen
Sinne zu zahlen hat, von der ganz andern Frage zu unterscheiden ist, wer diese
Steuer bzw. diesen Sozialversicherungsbeitrag letztendlich zu tragen hat.
Marktteilnehmer haben nämlich die Möglichkeit, jede Art von Kosten – und auch die Arbeitgeberbeiträge zur
Sozialversicherung stellen Kosten dar – auf die Preise vor- oder zurück zu
wälzen.
Ob eine solche
Kostenüberwälzung möglich ist, hängt von den Elastizitäten von Angebot und
Nachfrage ab. Je elastischer die eigene Marktseite und je unelastischer die
Marktgegenseite reagiert, umso größer sind die Möglichkeiten der Weiterwälzung.
Sofern wir keine extremen Elastizitäten vorfinden, findet fast immer eine mehr
oder weniger große Überwälzung statt.
Auf die
Überwälzungsmöglichkeiten der Arbeitgeberbeiträge übertragen bedeutet dies,
dass die Unternehmer fast immer in der Lage sind, eine Erhöhung dieser Beiträge
entweder als Kostensteigerungen auf den Güterpreis weiter zu wälzen (hier
sprechen wir von Weiterwälzung) oder aber in den anstehenden Tarifverhandlungen
geringere Lohnsteigerungen zuzugestehen (dies wäre ein Fall von
Rücküberwälzung).
Die Weiterwälzung auf
den Güterpreis wird in der Regel deshalb möglich, da ja eine Erhöhung der
Arbeitgeberbeiträge von allen Unternehmungen gezahlt werden muss und folglich
eine Unternehmung, welche diese Kostensteigerungen auf den Güterpreis
weiterwälzt, keine Wettbewerbsnachteile erfährt; jede Unternehmung ist von
dieser Kostensteigerung betroffen und wird deshalb den Versuch unternehmen,
ebenfalls diese Kostensteigerungen auf den Güterpreis weiter zu wälzen.
Auch eine
Rücküberwälzung auf die Löhne gelingt in der Regel. Auch hier gilt bei den in
der BRD üblichen Branchentarifverträgen dass alle Unternehmungen, welche dem
Arbeitgeberverband angehören, von dieser Rücküberwälzung betroffen sind. Für
die Unternehmungen stellt eine Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge genauso eine
Kostensteigerung dar wie jede normale Lohnerhöhung. Folglich ist der Spielraum
der Unternehmungen für Lohnsteigerungen in dem Maße reduziert, in dem die
Arbeitgeberbeiträge ansteigen.
Gerade aufgrund dieser
Zusammenhänge wird innerhalb der Wirtschaftswissenschaft schon lange die
Ansicht vertreten, dass die Erhebung von Arbeitgeberbeiträgen die
Arbeitnehmerschaft gar nicht entlastet und dass es aus Allokationsgründen sehr
viel effizienter wäre, wenn die Sozialversicherungsbeiträge in ihrer Gesamtheit
von den Arbeitnehmern zu entrichten wären. So könnte eine solche Regelung
vorsehen, dass bei der Abschaffung der Arbeitgeberbeiträge die Unternehmungen
verpflichtet werden, einmalig die Lohnsätze eben um diesen Betrag anzuheben.
Für die Arbeitnehmer wäre in diesem Falle sichergestellt, dass ihr
privatverfügbares Einkommen nicht zurückgeht, obwohl sie nun den gesamten Sozialversicherungsbeitrag
aufbringen müssen, für die Unternehmungen wäre sichergestellt, dass sie trotz
Gewährung einer Lohnerhöhung keine Kostensteigerungen erfahren würden.