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Die Gleichnisse der Bibel
Gliederung:
Teil I
Problemeinführung
Teil II
Gleichnisse im Alten Testament
Teil III . Die Gleichnisse Jesu
1. Gottes- und Nächstenliebe
2. Weitere Verhaltensanweisungen
3. Frage nach dem Lohn
4. Die Rolle des Menschensohns
5. Die Bedeutung des Bittens
6. Von der Verbreitung des Glaubens
5. Frage nach dem Lohn
Gliederung:
1. Problemeinführung
2. Von der Entlohnung der Arbeiter im Weinberg
3. Teilnahme am Hochzeitsmahl ohne Hochzeitsgewand
4. Die Gleichnisse vom verlorenen Sünder
5. Das Gleichnis vom Fischnetz und vom Unkraut unter dem
Weizen
6. Das Gleichnis vom unnützen Sklaven
1. Problemeinführung
Die beiden
vorhergehenden Kapitel dieses Seminars befassten sich mit der Frage, welche
Verhaltensvorschriften die Gleichnisse Jesu umschreiben. Wir wollen uns in dem
folgenden Kapitel der Frage zuwenden, welche Auskunft die Gleichnisse Jesu uns
geben über den Lohn, den diejenigen empfangen, die den Geboten Gottes folgen
bzw. über die Strafen, welche diejenigen erhalten, welche sich von Gott
abgewendet und die Gebote Gottes verletzt haben.
In Kapitel 3
mussten wir uns zuerst mit der Frage befassen, ob das Handeln der Menschen
überhaupt dafür verantwortlich ist, ob ein Mensch die Erlösung empfangen kann
oder ob man mit Luther davon ausgehen muss, dass es nicht auf die Werke der
Menschen ankommt, ob er am Ende der Zeiten die Glückseligkeit erlangt, ob also allein
die Gnade Gottes selig macht.
Es ist ganz klar:
Wenn wir der Auffassung wären, dass die Werke der Menschen keinen Einfluss auf
die Erlösung der Menschen hätten, dass nur der Glaube allein darüber
entscheide, ob die Menschen selig würden, dann wäre auch die Frage nach dem
gerechten Lohn, welcher der einzelne Mensch am Ende der Zeiten zu erwarten hat,
nicht sinnvoll. Einen Lohn erhält man immer nur für eine bestimmte Tat. Wir
haben uns deshalb auch in diesem Kapitel als erstes die Frage zu stellen, ob
wir überhaupt – folgen wir den Auskünften aus dem Neuen Testament – davon
ausgehen können, dass die Menschen am Ende der Zeiten je nach ihrem Verhalten
hier auf Erden gerichtet und belohnt bzw. bestraft werden.
Genau so wie die
Luther’sche These von der allein selig machenden Gnade Gottes gehen auch die
Auffassungen, dass nicht die Werke darüber entscheiden, welchen Lohn bzw.
welche Strafe den einzelnen Menschen nach seinem Tode erwartet, insbesondere
auf einige Stellen in den Briefen des Apostels Paulus zurück. So erfahren wir
im Römerbrief Kapitel 3,20:
‚Denn durch Werke
des Gesetzes wird niemand vor ihm gerecht werden; durch das Gesetz kommt es
vielmehr zur Erkenntnis der Sünde.‘
Und im 3. Kapitel
des Römerbriefes Vers 24-28 fährt Paulus fort:
‚Ohne es verdient
zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus
Jesus…. Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch
Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.‘
Im Römerbrief
Kapitel 4,5 erfahren wir sogar:
‚Dem aber, der
keine Werke tut, sondern an den glaubt, der den Gottlosen gerecht macht, dem
wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet.‘
Diese Einschätzung
begegnet uns auch im 1. Korintherbrief sowie im Galaterbrief:
‚Ich bin mir zwar
keiner Schuld bewusst, doch bin ich dadurch noch nicht gerecht gesprochen; der
Herr ist es, der mich zur Rechenschaft zieht.‘ (1.Kor Kapitel 4,4)
‚Weil wir aber
erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird,
sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an
Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an
Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird
niemand gerecht.‘ (Galater 2,16)
‚Wenn ihr also
durch das Gesetz gerecht werden wollt, dann habt ihr mit Christus nichts mehr
zu tun; ihr seid aus der Gnade herausgefallen.‘ (Galater 5,4)
An anderen
Bibelstellen wird jedoch ex pressis verbis darauf hingewiesen, dass die
Menschen nach ihrem Tode entsprechend ihrer Taten belohnt oder bestraft werden.
So erfahren wir in
der Offenbarung des Johannes in Kapitel 22,12:
‚Siehe, ich komme
bald, und mit mir bringe ich den Lohn, und ich werde jedem geben, was
seinem Werk entspricht.‘
Und Jakobus nimmt
in seinem Brief Kapitel 2,24 eindeutig zu der Frage Stellung, ob der Glaube
allein selig macht:
‚Ihr seht, dass der
Mensch aufgrund seiner Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein.‘
Und im ersten Johannesbrief
Kapitel 1, 9 wird erwähnt, dass zumindest im Hinblick auf die Reue des Menschen
Gott gerecht verfahren wird:
‚Wenn wir unsere
Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt
uns von allem Unrecht.‚
Aber selbst bei
Paulus in seinem Römerbrief in Kapitel 2,12 wird darauf aufmerksam gemacht,
dass diejenigen für gerecht erklärt werden, welche den Gesetzen entsprechend handeln:
‚Nicht die sind vor
Gott gerecht, die das Gesetz hören, sondern er wird die für gerecht erklären,
die das Gesetz tun.‘
Wir wollen also mit
Jakobus festhalten, dass zur Erlösung der Menschen sowohl die Gnade als auch
die Bereitschaft der Menschen, gute Werke zu tun, unerlässlich sind. Wenn
Paulus wiederholt davon spricht, dass die Menschen nicht durch die Werke des
Gesetzes gerechtfertigt werden, so liegt die Betonung auf Werke des Gesetzes.
Paulus will uns mit seinen Ausführungen darauf hinweisen, dass es nicht
ausreicht, den Buchstaben des Gesetzes zu erfüllen, dass es vielmehr
darauf ankomme, dem Geist des Gesetzes zu entsprechen:
‚Heißt das nun,
dass wir sündigen dürfen, weil wir nicht unter dem Gesetz stehen, sondern unter
der Gnade? Keineswegs!‘ (Römer 6,15)
‚Jetzt aber sind
wir frei geworden von dem Gesetz, an das wir gebunden waren, wir sind tot für
das Gesetz und dienen in der neuen Wirklichkeit des Geistes, nicht mehr in der
alten des Buchstabens. (Römer
7,6)
‚Wenn ihr euch aber
vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz.‘
(Galater 5,18)
‚und bedenkt, dass
das Gesetz nicht für den Gerechten bestimmt ist, sondern für Gesetzlose und
Ungehorsame, für Gottlose und Sünder, für Menschen ohne Glauben und Ehrfurcht,
für solche, die Vater oder Mutter töten, für Mörder.‘ (1.Tim 1,9)
‚Denn das Gesetz
enthält nur einen Schatten der künftigen Güter, nicht die Gestalt der
Dinge selbst; darum kann es durch die immer gleichen, alljährlich dargebrachten
Opfer die, die vor Gott treten, niemals für immer zur Vollendung führen.‘
(Hebräer 10,1)
2. Von der Entlohnung der Arbeiter im Weinberg
Wir beginnen unsere
Analyse mit dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Im Matthäusevangelium Kapitel 20,1–16 heißt
es:
1 ‚Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit
einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für
seinen Weinberg anzuwerben.
2 Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen
Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg.
3 Um die dritte Stunde ging er wieder auf den
Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten.
4 Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen
Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist.
5 Und sie gingen. Um die sechste und um die
neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso.
6 Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging,
traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr
hier den ganzen Tag untätig herum?
7 Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben.
Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!
8 Als es nun Abend geworden war, sagte der
Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen
den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten.
9 Da kamen die Männer, die er um die elfte
Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar.
10 Als dann die ersten an der Reihe waren,
glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar.
11 Da begannen sie, über den Gutsherrn zu
murren,
12 und sagten: Diese letzten haben nur eine
Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den
ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen.
13 Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund,
dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart?
14 Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten
ebenso viel geben wie dir.
15 Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun,
was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin?
16 So werden die Letzten die Ersten sein und die
Ersten die Letzten.‘
Auch im Hinblick
dieses Gleichnisses müssen wir als erstes – ähnlich wie bei den bisher bereits
behandelten Gleichnissen – darauf hinweisen: Dieses Gleichnis will keinerlei
Auskunft darüber geben, was als gerechter Lohn zur Bezahlung der Arbeit der
Winzer oder sogar allgemein in Unternehmungen hier auf Erden anzusehen ist.
Auch dieses Gleichnis wird wie die meisten anderen Gleichnisse mit dem Satz
eingeleitet: ‚Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit ….‘ Es soll also mit
diesem Bild vom Gutsbesitzer auf eine Wahrheit aufmerksam gemacht werden, die
sich auf das jenseitige Reich Gottes und eben gerade nicht auf die irdischen
Geschehnisse bezieht. Die Schilderung über die Bezahlung der Winzer wird hier
nur herangezogen, um den Zuhörern anhand eines Beispieles, das ihnen bekannt
und geläufig ist, einen Zusammenhang näher zu bringen, der jenseits aller
menschlichen Erfahrung liegt.
Wortwörtlich
genommen, also als Grundsätze einer gerechten Entlohnung der Arbeitnehmer für
ihre irdische Arbeit betrachtet, stehen diese Auskünfte in krassem Gegensatz zu
allen heute allgemein gültigen Gerechtigkeitsvorstellungen über eine
gerechtfertigte Entlohnung der Arbeitnehmer. Danach ist bei der Zumessung des
Lohneinkommens in aller erster Linie auf die individuell erbrachte Leistung des
einzelnen Arbeitnehmers zu achten. Natürlich kann zusätzlich auch der
zusätzliche Bedarf, den z. B. ein Familienvater gegenüber einem Ledigen hat,
Berücksichtigung finden. Es würde aber auf jeden Fall als äußerst ungerecht
empfunden, wenn die Arbeit eines ganzen Tages nicht besser entlohnt würde als
die Arbeit einer einzelnen Stunde. Nach heutigen Gerechtigkeitsvorstellungen
ist der Umfang der erbrachten Arbeitsanstrengungen auf jeden Fall bei der
Festsetzung des Lohnsatzes zu berücksichtigen.
Natürlich wird ein
Arbeitsgericht bei einer anhängenden Klage eines Arbeitnehmers auch danach entscheiden,
welcher Lohnsatz tatsächlich vereinbart wurde. Aber gerade zu verhindern, dass
ungerechte Lohnsätze vereinbart werden, hat das Grundgesetz den Gewerkschaften
bei der Aushandlung der tariflichen Lohnsätze besondere Rechte zugestanden,
damit beim Abschluss der Lohnverträge auch die allgemeinen
Gerechtigkeitsvorstellungen zum Zuge kommen können.
Auf jeden Fall
würde man – wollte man das Gleichnis tatsächlich als Auskunft über eine gerechte
Entlohnung hier auf Erden ansehen – nicht erwarten, dass sich Jesus auf einen
Rechtsstandpunkt zurückzieht, vielmehr würde man davon ausgehen, dass Jesus
etwas zu der Frage aussagt, welcher Lohn als gerecht anzusehen ist und er würde
ein Verhalten eines Gutbesitzers, der nach solchen ungerechten Grundsätzen
handeln würde, sicherlich verwerfen. Aber wie gesagt, dieses Gleichnis will
auch gar nicht auf die erwünschte Lösung irdischer Probleme eingehen.
Was will uns aber
dieses Gleichnis sagen? Der Gutsbesitzer, welcher Arbeiter anheuern lässt, ist
in Wirklichkeit Gott, der den Menschen einen Bund anbietet. Genauso wie die
Winzer, welche Arbeit im Weinberg des Gutbesitzers leisten, für getane Arbeit
am Abend einen Denar als Lohn erhalten, genauso gehen die Menschen, welche dem
von Gott angebotenen Bund beigetreten sind und entsprechend den Geboten Gottes
gelebt haben, am Ende ihres Lebens als Entlohnung ins Himmelreich ein. Genauso
wie im Gleichnis nicht alle beschäftigten Arbeitnehmer in der ersten Stunde
angeworben wurden, genau sowenig erreichte die Botschaft Gottes nicht alle
Menschen von Kindheit an. Viele wurden erst später zum Glauben geführt, aus
Gründen, die sie oftmals gar nicht zu vertreten hatten. Auch diesen Menschen
macht Gott sein Angebot; selbst denjenigen, welche erst kurz vor ihrem Tode zum
Glauben finden, wird der Eintritt ins Himmelreich nach ihrem Tode nicht
verwehrt.
Es ist weiterhin
nicht ungerecht, dass auch die Arbeiter entlohnt werden, welche erst sehr viel
später angeheuert wurden und deshalb auch weniger Arbeit verrichtet hatten, es
war ja nicht ihre Schuld, dass sie erst später angeheuert wurden. Die
Entlohnung, welche die Arbeiter bzw. die Menschen, welche zum Glauben gefunden
haben, erhalten ist stets ein Denar, jeder dieser Gläubigen erhält nach seinem
Tode Eintritt ins ewige Leben.
Es geht in diesem
Gleichnis nur um diese eine Art der Entlohnung: Einzug ins Himmelreich, und
nicht um die Frage, wie unterschiedlich im Himmel letztendlich die Taten der
einzelnen belohnt bzw. bestraft werden. Dass die Menschen im Himmelreich nach
ihren Taten entlohnt werden, können wir – wie wir gesehen haben – anderen
Stellen der Heiligen Schrift entnehmen, diese Frage ist jedoch nicht Gegenstand
des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg.
Wir können sogar
davon ausgehen, dass selbst Menschen, welche schon früh zum Glauben gefunden haben,
jedoch die Gebote Gottes wiederholt übertreten haben, Eingang ins Himmelreich
erlangen können, wenn sie ihre Taten bereuen und ernsthaft bestrebt sind, umzukehren
und fortan die Gebote Gottes zu befolgen. Aber auch dieses Thema ist nicht
Gegenstand des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg, wird uns aber in
anderen Gleichnissen, z. B. im Gleichnis vom verlorenen Sohn weiter unten noch
ausführlich beschäftigen.
Der Satz zum
Schluss dieses Gleichnisses: ‚So werden die Letzten die Ersten sein und die
Ersten die Letzten‘ verweist darauf, dass auch diejenigen, welche schon sehr
früh zum Glauben gefunden haben und nach außen hin unter Umständen zu den
führenden (ersten) Mitgliedern der Gemeinde zählen, am Ende dennoch zu den
Letzten zählen können, wenn sie sich in der Zwischenzeit vom Glauben abgewandt
bzw. es mit der Einhaltung der Gebote Gottes nicht so genau genommen hatten.
Wenn es ihnen gelang, diese Verfehlungen vor der Öffentlichkeit zu verbergen
und auf Erden die ersten waren, zählen sie trotzdem beim Endgericht unter
Umständen zu den letzten.
3. Teilnahme am Hochzeitsmahl ohne Hochzeitsgewand
Wir
wollen uns nun einem zweiten Gleichnis, und zwar dem Gleichnis vom großen
Festmahl zuwenden, das sowohl bei Matthäus wie auch bei Lukas erzählt wird. Bei
Matthäus Kapitel 22,1-14 lesen wir:
1
‚Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis:
2
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes
vorbereitete.
3
Er schickte seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu
lassen. Sie aber wollten nicht kommen.
4
Da schickte er noch einmal Diener und trug ihnen auf: Sagt den Eingeladenen:
Mein Mahl ist fertig, die Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist
bereit. Kommt zur Hochzeit!
5
Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker,
der andere in seinen Laden,
6
wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie
um.
7
Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und
ihre Stadt in Schutt und Asche legen.
8
Dann sagte er zu seinen Dienern: Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die
Gäste waren es nicht wert (eingeladen zu werden).
9
Geht also hinaus auf die Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit
ein.
10
Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie
trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.
11
Als sie sich gesetzt hatten und der König eintrat, um sich die Gäste anzusehen,
bemerkte er unter ihnen einen Mann, der kein Hochzeitsgewand anhatte.
12
Er sagte zu ihm: Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand
erscheinen? Darauf wusste der Mann nichts zu sagen.
13
Da befahl der König seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn
hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen
knirschen.
14
Denn viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt.‘
Der König im
Gleichnis ist Gott selbst, sein Sohn Jesus Christus; dass der Sohn des Königs
Hochzeit feiert, soll das Erscheinen Jesus hier auf Erden und den Wunsch Jesu,
sich mit dem auserwählten Volk (der Braut) zu vereinen, zum Ausdruck bringen.
Dass zunächst nur einige Gäste geladen waren, kann auf der einen Seite so
gedeutet werden, dass Jesus zunächst seinem auserwählten Volk der Juden
erscheint, auf der anderen Seite kann jedoch damit auch angedeutet sein, dass
die Einladung zunächst allen voran dem Hohepriester und den Mitgliedern des
hohen Rates gegolten hatte.
Ein Teil der Gäste
– also des auserwählten Volkes – ist jedoch mit irdischen Problemen beschäftigt
und findet keine Zeit, sich dem König (Gott) und seinen Geboten zu widmen und
findet Ausreden, um zu erklären, warum sie der Einladung nicht folgen werden.
Recht plastisch schildert das Lukasevangelium, zu welchen Ausreden sich die
eingeladenen Gäste hinreißen ließen:
‚Aber
einer nach dem andern ließ sich entschuldigen. Der erste ließ ihm sagen: Ich habe
einen Acker gekauft und muss jetzt gehen und ihn besichtigen. Bitte,
entschuldige mich! Ein anderer sagte: Ich habe fünf Ochsengespanne gekauft und
bin auf dem Weg, sie mir genauer anzusehen. Bitte, entschuldige mich! Wieder
ein anderer sagte: Ich habe geheiratet und kann deshalb nicht kommen.‘ ( Lukas 14,18-20)
In der Version des
Matthäusevangeliums werden sogar einige Diener – und dies sind die von Gott
gesandten Propheten – , welche die formelle Einladung nochmals zustellten, ermordet.
Wenn dann bei Matthäus im Gegensatz zum Lukasevangelium davon gesprochen wird,
dass
der König zornig wurde, die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche
legen ließ, dann ist diese Passage bei Matthäus, dessen Evangelium ja erst nach
der Zerstörung des Tempels von Jerusalem geschrieben wurde, sicherlich als ein
nachträglich hinzugefügter Hinweis auf eben diese Zerstörung zu verstehen und
dass die Vernichtung des Tempels nach Meinung des Evangelisten deshalb
erfolgte, weil Gott diejenigen Juden, welche ihn verraten haben, damit
bestrafen wollte.
Anstelle der
geladenen Gäste werden dann im zweiten Teil dieses Gleichnisses die Diener des
Königs auf die Straßen geschickt und alle, die dort herumstanden, zum Festmahl
eingeladen. Bei Lukas wird dann ausdrücklich vermerkt, dass damit ‚die
Armen und die Krüppel, die Blinden und die Lahmen‘ eingeladen wurden. Bildlich
gesprochen richtete sich nun die Botschaft Gottes und die Einladung zur
Teilnahme am Reich Gottes an die weniger privilegierten Juden sowie an die
Heiden.
Zunächst
verwunderlich erscheint es, dass der König einen der nun erschienenen Gäste
eigens dafür tadelte, dass er nicht im Hochzeitsgewand erschienen sei.
Schließlich wird man nicht erwarten können, dass Arme und Krüppel überhaupt über
ein Hochzeitsgewand verfügen. Auch war ja in dem Gleichnis den auf der Straße
angesprochenen Gästen gar nicht mitgeteilt worden, dass das Tragen eines
Hochzeitsgewandes Voraussetzung dafür ist, am Festmahl teilzunehmen.
Schließlich erfahren wir aus den sonstigen Stellen des Neuen Testamentes, dass
Jesus wiederholt darauf hingewiesen hatte, dass es nicht auf den äußeren
Schein, sondern allein auf die innere Gesinnung ankomme. Wie ist dann dieser
Vorwurf zu verstehen?
Vor allem mag
verwundern, dass bei Matthäus der Gast, welcher kein Hochzeitsgewand angezogen
hatte, nicht nur getadelt und aus dem Saal gewiesen wurde, sondern dass der
König seinen Dienern den Befehl gab, „bindet ihm Hände und Füße und
werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den
Zähnen knirschen.“
Nun
haben wir uns auch hier wiederum daran zu erinnern, dass ein Gleichnis ein Bild
darstellt und dass in einem Bild mit der äußeren gezeichneten Darstellung in
Wirklichkeit auf das innere Geschehen verwiesen werden soll. Also bedeutet das
Nichttragen eines Hochzeitgewandes im Gleichnis, dass der gescholtene Gast zum
Ausdruck bringt, dass er gar nicht an der Freude teilhaben möchte, welche die
geladenen Gäste (die Braut) mit dem Ehegemahl verbindet und dass er nicht
bereit ist, sich den Spielregeln (Geboten) zu fügen, welche in der
Hochzeitsgesellschaft eingehalten werden müssen, damit die Feier auch zu einem
vollen Erfolg führt.
Der letzte Satz
dieses Gleichnisses: ‚Denn viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt.‘
bringt es dann auf den Punkt: Um am ewigen Leben teilnehmen zu können, reicht
es nicht aus, von Gott gerufen worden zu sein und sich äußerlich zum Glauben zu
bekennen. Nur der Gläubige, der auch bereit ist, sich entsprechend den Geboten
Gottes zu verhalten, wird schließlich auserwählt, an den Freuden des ewigen
Lebens teilzunehmen.
4. Die Gleichnisse vom verlorenen Sünder
Wir wollen uns im
folgenden Abschnitt mit drei weiteren Gleichnissen befassen, welche sich alle
damit befassen, dass jemand einen wertvollen Schatz verloren hat, ihn sucht und
schließlich wiederfindet und sich darüber außerordentlich freut. Zur Diskussion
steht das Gleichnis vom verlorenen Groschen, vom verlorenen Schaf wie
schließlich vom verlorenen Sohn.
Es handelt sich
hierbei um Gleichnisse, welche vor allem bei Lukas und fast nur bei Lukas zu
finden sind, lediglich das Gleichnis vom verlorenen Schaf wird auch bei
Matthäus erzählt. Im Gleichnis vom verlorenen Groschen handelt es sich um eine
Drachme, welche verloren ging. Eine Drachme war in der Antike eine Gewichts-
und Geldeinheit von wechselndem Wert, zumeist aus Silber, hierbei bildeten 100
Drachmen 1 Mine und 60 Minen schließlich 1 Talent. Bezogen auf die Kaufkraft
dieser Geldeinheiten konnte man mit Hilfe eines Talentes im Altertum etwa ein
Segelschiff erwerben. Diese Frau besaß insgesamt 10 Drachmen, also für heutige
Verhältnisse besaß diese Frau keinen sehr großen Schatz und auch die verlorene
Drachme stellte sowohl in absoluten wie auch relativen Größen gerechnet keinen
besonders großen Wert dar. Bei Lukas Kapitel 15,8-10 lesen wir:
8
‚Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann
nicht eine Lampe an, fegt das ganze Haus und sucht unermüdlich, bis sie das
Geldstück findet?
9
Und wenn sie es gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen
zusammen und sagt: Freut euch mit mir; ich habe die Drachme wiedergefunden, die
ich verloren hatte.
10
Ich sage euch: Ebenso herrscht auch bei den Engeln Gottes Freude über einen
einzigen Sünder, der umkehrt.‘
Im Gleichnis vom
verlorenen Schaf wird von einem Schäfer berichtet, welcher über 100 Schafe
verfügte und ein einzelnes Schaf verloren hatte. Bei dieser Schafherde handelte
es sich sicherlich um einen nennenswerten Wert, der das wichtigste Kapital
darstellte, das ein Schäfer zur Ausübung seines Berufes benötigt. Aber auch
hier verliert er nur ein Schaf, also im Grunde eine recht geringe Menge, welche
bei 100 Schafen sicherlich keinen sehr großen Verlust darstellt. Bei Lukas
Kapitel 15,3-7 heißt es (ähnlich bei Matthäus 18,10-14):
3
‚Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte:
4
Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann
nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis
er es findet?
5
Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern,
6
und wenn er nach Hause kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und
sagt zu ihnen: Freut euch mit mir; ich habe mein Schaf wiedergefunden, das
verloren war.
7
Ich sage euch: Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen
einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht
nötig haben umzukehren.‘
Bei beiden
Gleichnissen beschränkt sich der Evangelist auf eine knappe Darstellung, nur
das dritte hier zu untersuchende Gleichnis vom verlorenen Sohn wird sehr
ausführlich behandelt, es zählt zu den längsten Gleichnissen des Neuen
Testamentes und gibt auch sehr viel deutlicher die Tatbestände wieder, welche
in diesen drei Gleichnissen verhandelt werden, es wird klar gestellt, worin
denn der Verlust dieses ‚Schatzes‘ besteht – wobei in allen drei Gleichnissen
eigentlich immer von einem sündigen Menschen gesprochen wird –, was weiterhin
gemeint ist, wenn davon die Rede ist, dass dieser Schatz wieder gefunden wurde
und es wird auch sichtbar, welche Rolle das Auffinden des Schatzes letztendlich
für den christlichen Glauben einnimmt. Wir wollen uns deshalb etwas genauer mit
dem Gleichnis vom verlorenen Sohn bei Lukas Kapitel 15,11-32 befassen:
11
‚Weiter sagte Jesus: Ein Mann hatte zwei Söhne.
12
Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das
mir zusteht. Da teilte der Vater das Vermögen auf.
13
Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes
Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen.
14
Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land und
es ging ihm sehr schlecht.
15
Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte
ihn aufs Feld zum Schweinehüten.
16
Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine
fraßen; aber niemand gab ihm davon.
17
Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als
genug zu essen und ich komme hier vor Hunger um.
18
Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe
mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt.
19
Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner
Tagelöhner.
20
Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem
kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den
Hals und küsste ihn.
21
Da sagte der Sohn: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich
versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.
22
Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und
zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand und zieht ihm Schuhe an.
23
Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein.
24
Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden
worden. Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern.
25
Sein älterer Sohn war unterdessen auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe
des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz.
26
Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle.
27
Der Knecht antwortete: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb
schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat.
28
Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und
redete ihm gut zu.
29
Doch er erwiderte dem Vater: So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe
ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen
Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte.
30
Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen
durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.
31
Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein
ist, ist auch dein.
32
Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war
tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.‘
Das Gleichnis
handelt von den zwei Brüdern, welche zur Familie zählten, gemeint sind die
Menschen, welche zunächst zur Familie der Gläubigen zählen. Der eine Sohn
entspricht den Erwartungen des Vaters, ist also bereit, den Weisungen Gottes zu
folgen. Der andere Sohn entspricht hingegen all den Gläubigen, welche sich von
Gott abwenden und sündigen, hier sinnbildlich dadurch ausgedrückt, dass sich
dieser schlechte Sohn auszahlen lässt, den Hof verlässt und draußen in der Welt
sein Vermögen verprasst.
Als seine
finanziellen Reserven zu Ende gingen und als er wegen einer Hungersnot auch
keine Beschäftigung finden konnte, die ihm ein menschenwürdiges Leben
ermöglicht hätte, entschließt er sich, nach Hause zurückzukehren. Diese
Rückkehr steht dafür, dass der sündige Mensch seine Sünden bereut und zur
Umkehr bereit ist. Im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Gleichnissen vom
verlorenen Groschen und vom verlorenen Schaf wird hier deutlich, dass der
sündige Mensch selbst etwas tun muss, um zurückkehren zu können. Auch hier ist
der Familienvater bereit, den zurückkehrenden Sohn aufzunehmen, aber
Voraussetzung dafür, dass diese Wiederaufnahme auch stattfinden kann, ist ein
bestimmtes Verhalten des Sohnes (des sündigen Menschen also).
In dem Gleichnis
vom verlorenen Sohn wird deutlich, dass der Sohn auch tatsächlich seine Sünden
bereut und zur Umkehr bereit ist. Er gibt nicht nur seinem Vater gegenüber vor,
seine Handlungen zu bereuen (dies könnte ja auch nur vorgetäuscht sein), wir
erfahren vielmehr vor der Rückkehr, dass der Sohn tatsächlich zur Umkehr bereit
ist und diese Umkehr kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass der Sohn seinen
Vater darum bittet, ihn nicht als Sohn in seine bisherigen Rechte einzusetzen,
sondern ihn nur noch als Taglöhner einzustellen.
Wie in den beiden
anderen Gleichnissen herrscht auch hier große Freude darüber, dass das (bzw.
der) Verlorene wiedergefunden wurde. Hier wird deutlich, dass Gott nicht nur
gerecht ist, also den einzelnen Menschen nach seinen guten oder bösen Taten
letztendlich beim Anbruch der Endzeit bestraft, sondern dass er auch barmherzig
ist, also durchaus bereit ist, einen sündigen Menschen wieder aufzunehmen, vorausgesetzt,
er bereut die bisherige Tat und ist bereit, sich ernsthaft darum zu bemühen, in
Zukunft den Weisungen Gottes zu folgen. Wenn man so will, ist ehrliche Reue und
Umkehr auch eine Handlung, welche von Gott belohnt wird.
Das Gleichnis vom
verlorenen Sohn befasst sich auch mit der Reaktion des guten Sohnes, der
zuhause blieb und die ihm anvertrauten Aufgaben stets zur Zufriedenheit seines
Vaters erfüllt hatte. Er findet es als äußerst ungerecht, dass der Vater seinen
reuigen Sohn mit offenen Armen empfängt, für ihn sogar ein Festmahl veranstaltet
und eigens hierfür das Mastkalb schlachtet. Der gute Sohn fühlt sich
benachteiligt, weil der Vater für ihn nie einen solchen Aufwand getrieben
hatte, weil also scheinbar der schlechte Sohn trotz seiner Verfehlungen besser
behandelt wird als der gute Sohn, der doch zu keinem Zeitpunkt seine Pflichten
verletzt hatte.
Der Vater
antwortete ihm jedoch: ‚Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles,
was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest
feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist
wiedergefunden worden.‘
Nun
ist es natürlich nicht ganz richtig, dass alles, was dem Vater gehört, auch dem
guten Sohn gehört. Gerade dadurch, dass der verlorene Sohn mit vollen Rechten
wieder in die Familiengemeinschaft aufgenommen wurde, haben sich nun Vater und
Sohn wiederum in das gemeinsame Vermögen zu teilen, der verbleibende Anteil des
guten Sohnes wird somit geringer. Nach dem Tode fällt nun das Gesamtvermögen
beiden Söhnen zu, während dann, wenn der verlorene Sohn nicht mehr
zurückgekehrt wäre, das Gesamtvermögen dem guten Sohn allein zugefallen wäre.
Aber vielleicht
wirft dieses Gleichnis doch etwas Licht darauf, dass sich Gottes Gerechtigkeit
und Güte entscheidend von der Gerechtigkeit hier auf Erden unterscheidet. Der
gute Sohn ist neidisch gegenüber dem schlechten Sohn, da dieser nicht nur
genauso viel, sondern sogar noch mehr erhält als er selbst. In dem weiter oben
behandelten Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg hat Jesus dieser Verhaltensweise
eine klare Absage erteilt: ‚Darf ich mit dem, was mir gehört,
nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen)
gütig bin? (Mt 20,15).
Neid wird zu den
sieben Hauptsünden gezählt und stellt sicherlich keine Grundlage für die Entwicklung
von Gerechtigkeitskriterien dar. In dem Gleichnis vom verlorenen Sohn wird der
gute Sohn danach beurteilt, wie er sich selbst verhalten hat. Hätte sich der
schlechte Sohn nicht von der Familie abgewandt, hätte der gute Sohn das
Gesamtvermögen genauso teilen müssen wie er jetzt nach der Rückkehr des reuigen
Sohnes es teilen muss. Er wäre in beiden Fällen gleich und entsprechend seinen
Leistungen behandelt worden. Die Kritik erwächst nur daraus, dass er seinen
Lohn mit dem Lohn vergleicht, den nun der schlechte Sohn erhält.
Für das Erreichen
des ewigen Lebens ist jedoch nicht entscheidend, ob der einzelne mehr oder
weniger als andere bekommt und ob vergangene Sünden, welche bereut wurden,
hierbei berücksichtigt werden. Hier in diesem Gleichnis geht es gar nicht
darum, die einzelnen Menschen entsprechend ihrer Taten zu belohnen oder zu
bestrafen; wie wir bereits weiter oben eingangs dieses Kapitels gesehen haben,
können wir durchaus davon ausgehen, dass im jenseitigen Leben der einzelne sehr
wohl nach seinen Taten belohnt oder bestraft wird. Hier in diesem Gleichnis
geht es zunächst einmal nur um die Frage, ob auch die Menschen, welche einmal
gefehlt haben, aber nun ihre Tat bereuen und zur Umkehr bereit sind, eine
erneute Chance erhalten, nach ihrem Tode am Reich Gottes teilzunehmen. Und hier
ist die Antwort von Jesus eindeutig: Mag jemand noch so stark und noch so oft
gefehlt haben, wenn er bereut und umkehrt, wird Gott ihm verzeihen; und die
Menschen sind ebenso aufgefordert, ihren Schuldigern immer wieder zu verzeihen.
Auch hier ist die
Ungleichbehandlung nur scheinbar, Gott behandelt nämlich in dieser Frage (am
ewigen Leben teilnehmen zu dürfen) alle Menschen insofern gleich, als jeder
Mensch der Versuchung zu sündigen, verfallen kann und deshalb nahezu alle
Menschen gerade dieses Gnadenaktes (nicht endgültig verworfen zu werden, wenn
man einmal gesündigt hat) bedürfen.
Ob einem Menschen
von Gott verziehen wird, hängt dann allein von dem Verhalten des sündigen Menschen
ab und nicht davon, wie er im Vergleich zu andern gesündigt oder nicht
gesündigt hat. Darin unterscheidet sich der christliche Glaube gegenüber dem
Versuch, im irdischen Bereich Gerechtigkeit und Armut ausschließlich an der
relativen Position des einzelnen festzumachen. Als arm gilt heute jeder,
welcher ein geringeres Einkommen als 60% des Pro-Kopf-Einkommens erhält. Obwohl
eigentlich Armut damit zusammenhängt, ob man tatsächlich das für das tägliche
Leben notwendige erhält und es Armut also nicht primär damit zu tun hat, welche
Position ein einzelner innerhalb der Einkommenshierarchie einnimmt, wird hier
auf Erden trotzdem allein auf die relative Position abgehoben.
Diese Praxis führt
dann dazu, dass unter Umständen eine bestimmte Person, welche bisher oberhalb
der Armutsgrenze lag und in der Zwischenzeit eine reale Einkommenserhöhung
erhalten hatte, die allerdings geringer ausfällt als beim Durchschnitt der
Einkommensempfänger, plötzlich unter die Armutsgrenze fällt. Oder in besonders
reichen Staaten wie z. B. in den Golfstaaten können dann plötzlich auch Millionäre
als arm eingestuft werden, nur deshalb, weil es dort eine Vielzahl von
Millionären gibt, die noch bedeutend mehr verdienen, als ein Bürger der nur (!)
eine oder zwei Millionen an Einkommen erhält.
Fortsetzung folgt!