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Die Gleichnisse der Bibel
Gliederung:
Teil I
Problemeinführung
Teil II
Gleichnisse im Alten Testament
Teil III
Die Gleichnisse Jesu
1. Gottes- und Nächstenliebe
2. Weitere Verhaltensanweisungen
3. Frage nach dem Lohn
4. Die Rolle des Menschensohns
5. Die Bedeutung des Bittens
6. Von der Verbreitung des Glaubens
Teil II. Gleichnisse im Alten Testament
Gliederung:
1. Problemeinführung
2. Das Gleichnis vom
Lob des Schöpfers in der Natur: Sirach 42,15-25
3. Das Gleichnis
über die Weisheit und die Torheit Salomos:
Sirach 47,13-25
4. Das Gleichnis vom Bauern: Jesaya: 28,22-29
5. Das Gleichnis von Gottes Strafe: Jeremias
13,1–14
6. Das Gleichnis vom Töpfer: Jeremias 18,1–17
7. Das Gleichnis von der Untreue des Königs:
Ezechiel 17,1-10
8. Das Gleichnis vom Waldbrand: Ezechiel 21,1-5
9. Das Gleichnis von den schamlosen
Schwestern Israel und Juda: Ezechiel 23,1–49
10. Das Gleichnis
von der vergeblichen Reinigung der Stadt: Ezechiel 24,1-14
11. Das Gleichnis
vom Pharao, dem prächtigen Baum: Ezechiel 31,1–18
12. Das Gleichnis
vom Gastmahl des Belschazzars: Daniel 5,1 – 6,1
1. Problemeinführung
Wie bereits
angedeutet, sollen in diesem Seminar die Gleichnisse Jesu behandelt werden. Es
ist jedoch zweckmäßig, mit einem Kapitel über die Gleichnisse im Alten
Testament zu beginnen. Als erstes gilt es darauf hinzuweisen, dass bereits im
Alten Testament Hinweise darauf enthalten sind, dass sich der Messias in
Gleichnissen äußere. Zweitens lassen sich auch im Alten Testament mehrere
Gleichnisse finden, welche sich allerdings von den Gleichnissen Jesu doch wesentlich
unterscheiden. Wir haben also nach diesen Unterschieden zu fragen. Drittens
zeigt sich, dass im Grunde die gesamte Heilige Schrift – das Alte wie das Neue
Testament – als eine Art Gleichnis verstanden werden kann.
Beginnen wir mit
der Feststellung, dass die Gleichnisse Jesu bereits im Alten Testament
angedeutet werden. Wir haben hierzu davon auszugehen, dass nach Überzeugung der
Christen Jesus der im Alten Testament von den Propheten vorausgesagte Messias
und Sohn Gottes ist. Der Messias, dessen wörtliche Übersetzung ‚Gesalbter‘
bedeutet und welcher der Prophezeiung entsprechend dem Hause David entstammt,
soll nach der Weissagung der Propheten Israel das Heil bringen.
Jesus selbst hat von
sich mehrfach behauptet, dieser Messias zu sein und es war der feste Glaube
Johannes des Täufers, der Jünger und der frühen Christen, dass Jesus
tatsächlich der von den Propheten verheißene und lang ersehnte Messias war. Im
Johannesevangelium in Kapitel 1,29-34 lesen wir:
‚Am Tag darauf sah
er (Johannes der Täufer) Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm
Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt. Er ist es, von dem ich gesagt
habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch
ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit
ihm bekannt zumachen. Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel
herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er,
der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den
Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem
Heiligen Geist tauft. Das habe ich gesehen und ich bezeuge: Er ist der Sohn
Gottes.
Weiterhin heißt es
bei Matthäus Kapitel 11,2-6:
‚Johannes hörte im
Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ
ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern
warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und
seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube
hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist,
wer an mir keinen Anstoß nimmt.‘
Hier bekennt sich
Jesus zwar nicht wörtlich dazu, der verheißene Messias zu sein, aber seine
Jünger sollen – diesem Text nach – Johannes dem Täufer von den Wundern Jesu
berichten, welche ihn der Heiligen Schrift nach als Messias ausweisen.
Matthäus fährt dann
in Kapitel 16,13–20 fort:
‚Als Jesus in das
Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger: Für wen halten die
Leute den Menschensohn? Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer,
andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten.
Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus
antwortete: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes! Jesus
sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben
dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel….. Dann befahl er den Jüngern,
niemand zu sagen, dass er der Messias sei.‘
Im nächsten Kapitel
17,1-9 berichtet dann Matthäus, dass Gott selbst Jesus als seinen geliebten
Sohn bezeichnet hatte:
‚Sechs Tage danach
nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie
auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht
leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.
Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elija und redeten mit Jesus.
Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst,
werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für
Elija. Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf
sie und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich
Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören.
Als die Jünger das
hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden. Da
trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst! Und
als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus. Während sie den Berg
hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt,
bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.‘
Wenn Jesus selbst
seinen Jüngern verbietet, über diese Erscheinung zu berichten, bedeutet dies
nicht, dass Jesus zu dieser Zeit sich nicht für Messias gehalten hatte, sondern
dass er nur der Meinung war, dass die Zeit noch nicht reif dafür sei,
öffentlich vor dem Rat der Juden und vor den Römern als Messias aufzutreten und
damit die Leidensgeschichte zu beginnen.
Das öffentliche
Bekenntnis vor dem Hohepriester, der Messias zu sein, findet sich dann bei Matthäus Kapitel 26,62-64:
‚Da stand der
Hohepriester auf und fragte Jesus: Willst du nichts sagen zu dem, was diese
Leute gegen dich vorbringen. Jesus aber schwieg. Darauf sagte der Hohepriester
zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, sag uns: Bist du der
Messias, der Sohn Gottes? Jesus antwortete: Du hast es gesagt. Doch ich erkläre
euch: Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und
auf den Wolken des Himmels kommen sehen.‘
In der Schrift (im
Alten Testament) war nun nicht nur vorhergesagt, dass eines Tages der Messias
Israel das Heil bringen werde, es wurde sogar angedeutet, dass dieser Messias
in Gleichnissen zu dem jüdischen Volk reden werde: Bei Matthäus Kapitel
13,34–35 erfahren wir:
‚Dies alles sagte
Jesus der Menschenmenge durch Gleichnisse; er redete nur in Gleichnissen zu
ihnen. Damit sollte sich erfüllen, was durch den Propheten gesagt worden ist:
Ich öffne meinen Mund und rede in Gleichnissen, ich verkünde, was seit der
Schöpfung verborgen war.
Hier wird auf den
Psalm 78,1-4 aufmerksam gemacht, in dem es heißt:
‚Mein Volk, vernimm
meine Weisung! Wendet euer Ohr zu den Worten meines Mundes! Ich öffne meinen
Mund zu einem Spruch; ich will die Geheimnisse der Vorzeit verkünden.
Was wir hörten und erfuhren, was uns die Väter erzählten, das wollen
wir unseren Kindern nicht verbergen, sondern dem kommenden Geschlecht erzählen:
die ruhmreichen Taten und die Stärke des Herrn, die Wunder, die er getan hat.
Es war nun das
Anliegen der frühen Christengemeinde den Nachweis zu erbringen, dass Jesus
tatsächlich der von den Propheten angekündigte Messias war. Diesem Anliegen
dient der wiederholte Hinweis in den vier Evangelien, dass das gerade
Geschilderte geschah, um die Schrift zu erfüllen.
‚Das alles aber ist
geschehen, damit die Schriften der Propheten in Erfüllung gehen.‘
(Matthäus Kapitel 26,56)
‚Er ist der, von
dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll
den Weg für dich bahnen.‘ (Lukas Kapitel 7,27)
‚Das alles
verstanden seine Jünger zunächst nicht; als Jesus aber verherrlicht war, da
wurde ihnen bewusst, dass es so über ihn in der Schrift stand und dass
man so an ihm gehandelt hatte.‘ (Johannes Kapitel 12,16)
Zu diesen
Zurückverweisungen auf das Alte Testament zählt eben auch die Andeutung, dass
der Messias in Gleichnissen zu den Gläubigen reden werde.
Auch von den
Propheten und auserwählten und gesalbten Königen wird im Alten Testament
berichtet, dass sie ihre Botschaften in Gleichnissen kund taten. So heißt es
bei Sirach Kapitel 39,3:
‚Er (gemeint ist
Salomo) erforscht den verborgenen Sinn der Gleichnisse und verweilt über den
Rätseln der Sinnsprüche.‘
In diesem Kapitel
59,1-11 werden die Aufgabe und Stellung des Schriftgelehrten umrissen:
‚Die Weisheit aller
Vorfahren ergründet er und beschäftigt sich mit den Weissagungen; er achtet auf
die Reden berühmter Männer und in die Tiefen der Sinnsprüche dringt er ein.
Er erforscht den verborgenen Sinn der Gleichnisse und verweilt über den
Rätseln der Sinnsprüche. Im Kreis der Großen tut er Dienst und erscheint vor
den Fürsten; er bereist das Land fremder Völker, erfährt Gutes und Böses unter
den Menschen; er richtet seinen Sinn darauf, den Herrn, seinen Schöpfer, zu
suchen, und betet zum Höchsten; er öffnet seinen Mund zum Gebet und fleht wegen
seiner Sünden. Wenn Gott, der Höchste, es will, wird er mit dem Geist der
Einsicht erfüllt: Er bringt eigene Weisheitsworte hervor und im Gebet preist er
den Herrn. Er versteht sich auf Rat und Erkenntnis und erforscht die
Geheimnisse; er trägt verständige Lehre vor und das Gesetz des Herrn ist sein
Ruhm. Viele loben seine Einsicht; sie wird niemals vergehen. Sein Andenken wird
nicht schwinden, sein Name lebt fort bis in ferne Geschlechter. Von seiner
Weisheit erzählt die Gemeinde, sein Lob verkündet das versammelte Volk. Solange
er lebt, wird er mehr gelobt als tausend andere; geht er zur Ruhe ein, genügt
ihm sein Nachruhm.‘
Und das Salomo
zugeschriebene Buch der Sprüche wird eingeleitet mit folgenden Versen:
‚Sprichwörter
Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel: um Weisheit zu lernen und
Zucht, um kundige Rede zu verstehen, um Zucht und Verständnis zu erlangen,
Gerechtigkeit, Rechtssinn und Redlichkeit, um Unerfahrenen Klugheit zu
verleihen, der Jugend Kenntnis und Umsicht. Der Weise höre und vermehre sein
Wissen, der Verständige lerne kluge Führung, um Sinnspruch und Gleichnis
zu verstehen, die Worte und Rätsel der Weisen. Gottesfurcht ist Anfang der
Erkenntnis, nur Toren verachten Weisheit und Zucht.‘
Diese zuletzt
angeführten Bibelstellen lassen aber auch erkennen, dass im Alten Testament dem
Wort ‚Gleichnis‘ eine etwas andere
Bedeutung als bei den Gleichnissen Jesu im Neuen Testament zugewiesen wird. Eingangs
zu diesem Seminar gingen wir auf den Begriff der Gleichnisse ein und stellten
fest, dass die Gleichnisse so wie sie von Jesus vorgetragen wurden, in erster
Linie die Aufgabe hatten, seinen Zuhörern, welche noch nicht die Einsicht
seiner Jünger und Apostel hatten, die – für sie schwierige – Glaubenswahrheiten
dadurch näher zu bringen, dass er das Himmelreich mit Vorgängen verglich, die
in der täglichen Erfahrung der Zuhörer lagen. Im Alten Testament hingegen wird
das Wort: Gleichnis oftmals eher im Sinne eines Rätsels verstanden, das von
demjenigen, dem diese Gleichnisse z. B. im Traum wie bei König Belschazzar
offenbart wurden, nicht verstanden wird, das vielmehr erst von einem kundigen
Propheten entschlüsselt werden muss.
Beiden Schriften
gemeinsam ist aber, dass es bei Gleichnissen stets um Botschaften handelt,
dessen Sinn zunächst schwer verständlich ist und deshalb gewisser Umschreibungen
bedarf, um den wahren Sinn dieser Botschaft zu verstehen. In diesem Sinne kann
natürlich der gesamte Inhalt der Heiligen Schrift, vor allem auch des Alten
Testamentes als eine Art Gleichnis verstanden werden. In früheren Zeiten wurde
die Heilige Schrift wortwörtlich ausgelegt. Wenn z., B. in der Bibel von einem
geozentrischen Weltbild ausgegangen wird, nach dem sich die Sonne um die Erde
dreht, ist nach diesem Verständnis diese Botschaft als wahr zu akzeptieren und
jeder Versuch, nachzuweisen, dass sich vielmehr die Erde um die Sonne dreht,
als Ketzerei zu verurteilen.
Heute gehen wir
davon aus, dass sich der Wahrheitsgehalt der Bibel allein auf die
Glaubenswahrheit der jüdischen und christlichen Lehre bezieht, dass die
Berichte über historische Vorgänge keinesfalls ein gewissermaßen
mitstenographiertes Protokoll der Vorgänge in biblischer Zeit darstellen
sollen, sondern in erster Linie eben im Sinne eines Gleichnisses eine schwer
verstehbare und schwer vermittelbare göttliche Botschaft den Menschen
näherbringen sollen.
Wir haben uns darüber klar zu werden, dass die
zentralen Glaubenswahrheiten, wie z. B. der Glaube, dass es einen Gott gibt,
der die gesamte Welt einschließlich des Menschen erschaffen hat und dass die
menschliche Seele auch nach dem Tode weiterlebt und dass der einzelne Mensch
dann für seine Taten belohnt oder bestraft wird, mit unseren Sinnen und unserem
Verstand gar nicht erfasst werden können. Unser empirisches Wissen erlangen wir
dadurch, dass wir mit unseren Sinnen die Ereignisse um uns beobachten und dass
wir aus diesen Beobachtungen mit Hilfe unseres Verstandes Schlussfolgerungen
über die Gültigkeit der irdischen Vorgänge ziehen können.
Dies bedeutet
zweierlei: Auf der einen Seite sind die in einer Sprache enthaltenen Begriffe
für die Erklärung irdischer Vorgänge gebildet worden, sie eignen sich nur sehr
schwer für die Erklärung metaphysischer, mit unseren Sinnen nicht beobachtbarer
Phänomene. Hierzu bedarf es des Glaubens und die Vermittlung dieser Glaubenswahrheiten
ist gerade deshalb so schwer, weil unsere Begriffe gar nicht ausreichen, die
metaphysischen Glaubenswahrheiten exakt zu beschreiben. Hier bedarf es der
Gleichnisse.
Auf der anderen
Seite hat uns aber Gott unsere Sinne und unseren Verstand gegeben, damit wir
mit ihrer Hilfe die hier auf Erden zu beobachtenden Vorgänge beobachten und
erklären können. In diesem Sinne gilt die schon in dem ersten Kapitel des
Schöpfungsberichtes (1. Buch Moses, Genesis Kapitel 1) von Gott formulierte
Forderung: ‚machet euch die Erde untertan.‘ Der Mensch hat danach durchaus das
Recht, den Verlauf irdischer Geschehnisse wie z. B. die Bewegungen von Erde und
Sonne zu erforschen und darf diese Erkenntnisse durchaus als wahr anerkennen.
Wenn diese
Wahrheiten in Widerspruch geraten mit gewissen Stellen in der Bibel bedeutet
dies nur, dass die Bibel gar nicht den Anspruch erhebt, empirische
Gesetzmäßigkeiten als letzte Wahrheit zu verkünden. Dies ist die Aufgabe des
Menschen in Vollzug des göttlichen Befehls, macht euch die Erde untertan. Der
biblische Text hat diese Aussagen über weltliche Zusammenhänge nur dazu
benutzt, um eine metaphysische, mit dem Verstand gar nicht endgültig zu
beweisende Glaubenswahrheit dem Zuhörer verständlich zu machen und natürlich
wird dieses Gleichnis nur dann erhellend, wenn im Gleichnis auf den
Wissensstand zu der Zeit, in der das Gleichnis vorgetragen wurde,
zurückgegriffen wird. Hätte der Text der Bibel auf das Wissen, das wir erst in
der neusten Zeit erworben haben z. B. auf die Relativitätstheorie Albert
Einsteins zurückgegriffen, wäre gerade aus diesem Grunde das Gleichnis für die
damaligen Menschen unglaubhaft gewesen. Verständlich wird eine Botschaft nur
dann, wenn man auf das zurückgreift, was die Zuhörer bereits kennen. Ein
Gleichnis will immer wie eine Gleichung eine unbekannte Größe auf eine (oder
auch mehrere) bekannte Größen zurückführen.
In diesem Sinne
kann also auch der Schöpfungsbericht im 1. Buch Moses, in der Genesis Kapitel 1
als Gleichnis verstanden werden. Die zu vermittelnde Glaubensbotschaft des
Schöpfungsberichtes will dartun, das das Universum von Gott erschaffen wurde,
dass die Schöpfung nicht in einem Akt erfolgt ist, sondern dass aus einfachsten
Bausteinen in einer Kette von Schöpfungsakten alles was auf Erden und im Weltall
besteht, entstanden ist und dass am Ende dieser Schöpfung auch die Entwicklung
des Menschen gestanden hat.
Dass die Welt in
sieben Tagen entstanden ist und auch die genaue Abfolge und Beschreibung der
einzelnen Schöpfungsakte ist hingegen nur das Bild, das der Erzähler des
Schöpfungsberichtes benutzt, um den schwer vorstellbaren Vorgang der
Erschaffung der Welt durch Gott möglichst plastisch und auch für Menschen ohne
größere wissenschaftliche Vorbildung erkennbar zu machen.
2. Das Gleichnis vom Lob des Schöpfers in der Natur: Sirach
42,15-25
Wir wollen nun in
Folgendem die wichtigsten Gleichnisse des Alten Testamentes vorstellen und auf
ihre Aussage hin untersuchen. Wir beginnen mit zwei Gleichnissen aus dem Buch
Jesus Sirach, dem Gleichnis vom Lob des Schöpfers in der Natur sowie dem
Gleichnis über die Weisheit und die Torheit Salomos.
Dieses Buch zählt
zu den Apokryphen, ist also nicht in den offiziellen Kanon der hebräischen
Bibel aufgenommen worden. Seine Entstehung wird auf die Zeit zwischen 180 und
170 v. Chr. geschätzt. Der Autor war Jesus, Sohn des Sirach (hebräisch Josua
ben Sira). Man geht davon aus, dass Sirach ein Gelehrter war, der an der
Akademie von Jerusalem unterrichtete. In
Kapitel 42, 15-25 lesen wir:
15 ‚Nun will ich der Werke Gottes
gedenken; was ich gesehen habe, will ich erzählen: Durch Gottes Wort entstanden
seine Werke; seine Lehre ist ein Ausfluss seiner Liebe.
16 Über allem strahlt die leuchtende Sonne, die
Herrlichkeit des Herrn erfüllt alle seine Werke.
17 Die Heiligen Gottes vermögen nicht, alle
seine Wunder zu erzählen. Gott gibt seinen Heerscharen die Kraft, vor seiner
Herrlichkeit zu bestehen.
18 Meerestiefe und Menschenherz durchforscht er
und er kennt alle ihre Geheimnisse. Der Höchste hat Kenntnis von allem, bis in
die fernste Zeit sieht er das Kommende.
19 Vergangenheit und Zukunft macht er kund und
enthüllt die Rätsel des Verborgenen.
20 Es fehlt ihm keine Einsicht, kein Ding
entgeht ihm.
21 Seine machtvolle Weisheit hat er fest gegründet,
er ist der Einzige von Ewigkeit her. Nichts ist hinzuzufügen, nichts
wegzunehmen, er braucht keinen Lehrmeister.
22 Alle seine Werke sind vortrefflich, doch
sehen wir nur einen Funken und ein Spiegelbild.
23 Alles lebt und besteht für immer, für jeden
Gebrauch ist alles bereit.
24 Jedes Ding ist vom andern verschieden, keines
von ihnen hat er vergeblich gemacht.
25 Eines ergänzt durch seinen Wert das andere.
Wer kann sich satt sehen an ihrer Pracht?‘
Dieses Gleichnis
handelt also von der Schöpfung des Weltalls, aber anders als im ersten Kapitel
der Genesis (1. Buch Moses) werden hier weniger die einzelnen Schöpfungsakte
beschrieben, sie werden hier als bekannt vorausgesetzt, dieses Gleichnis stellt
eher eine Hymne auf den Schöpfer Gott dar, seine Schöpfung wird als vollkommen
gepriesen, es wird gezeigt, dass Gott alles und jeden fest in der Hand hat,
dass aber der Mensch von dieser Fülle nur einen Funken und nur ein Spiegelbild
erkennen kann.
Dass wir hier
überhaupt von einem Gleichnis sprechen können, mag nicht so sehr wie wir dies
von den bekanten Gleichnissen Jesu im Neuen Testament gewohnt sind, offen auf
der Hand liegen. Trotzdem liegt auch hier ein Gleichnis in dem Sinne vor, als
Unbekanntes und eigentlich Unbegreifbares mit dem Hinweis auf Bekanntem zu
erklären versucht wird. Unbegreifbar ist das Wesen Gottes. In der jüdischen
Religion des Alten Testamentes wird gerade aus diesen Gründen Gott zumeist gar
nicht beim vollen Namen genannt, wenn man von ihm sprechen möchte. Auch hat
niemand – nach den Auskünften des Alten Testamentes – Gott von Angesicht zu
Angesicht gesehen, auch Moses nicht.
(Exodus Kapitel 33,20: ‚Weiter sprach er: Du kannst mein Angesicht nicht
sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben.‘) Unsere Worte
wurden gebildet, um menschliche Tugenden und Untugenden zu beschreiben. Aber
wenn wir die Vollkommenheit Gottes preisen wollen, fehlen uns also eigentlich
die Worte, trotzdem können wir den Versuch machen, mit unserer unvollkommenen
Sprache anzudeuten, worin die Güte und Macht Gottes besteht. Insofern liegt
auch hier ein Gleichnis vor.
3. Das Gleichnis über die Weisheit und die Torheit
Salomos Sirach 47,13-25
Betrachten wir nun
ein zweites Gleichnis aus dem Buch Sirach, das vom König Salomo handelt, von
seinen guten und schlechten Zeiten. Salomo wird in diesem Gleichnis gelobt, da
er in Jerusalem den Tempel errichtete und da seine Weisheit weit über die
Grenzen Israels gefeiert wurde. Er wird aber auch getadelt, da er Ehebruch
beging und nicht in der Lage war, bei seinem Tode das gesamte Reich einem
einzigen Nachkommen zu übergeben. Das Reich wurde geteilt und war in der
Folgezeit dem Untergang geweiht:
13 Salomo war König in friedlichen Tagen, Gott
verschaffte ihm Ruhe ringsum. Er baute ein Haus für den Namen des Herrn und
errichtete ein Heiligtum für immer.
14 Wie weise warst du in deiner Jugend, von
Bildung strömtest du über wie der Nil.
15 Die Erde bedecktest du mit deinem Wissen, bis
zur Himmelshöhe ließest du Lieder aufsteigen.
16 Bis zu den fernsten Inseln gelangte dein Ruhm
und man begehrte danach, dich zu hören.
17 Durch Lied und Sinnspruch, Rätsel und Gleichnis
hast du die Völker in Staunen versetzt.
18 Du wurdest benannt nach dem Namen des
Hochgeehrten, der auch über Israel ausgerufen ist. Gold hast du angehäuft wie
Eisen und das Silber vermehrt wie Blei.
19 Doch gabst du dich den Frauen hin und ließest
sie herrschen über deinen Leib.
20 Du hast deine Ehre befleckt und dein Ehebett
entweiht. So hast du Zorn über deine Nachkommen gebracht und Klage über dein
Ehelager,
21 indem das Volk unter zwei Zepter kam und aus
Efraim ein abtrünniges Reich wurde.
22 Gott aber hat seine Huld nicht aufgegeben und
keines seiner Worte unerfüllt gelassen. Er hat seinem Erwählten den Spross und Sohn
nicht ausgerottet, die Nachkommen seine Freundes nicht ausgetilgt. So hat er
Jakob einen Rest gelassen und David einen Wurzelspross aus ihm selbst.
23 Salomo entschlief in Verzweiflung und
hinterließ einen starrköpfigen Sohn, reich an Torheit, arm an Einsicht:
Rehabeam, der durch seinen Entschluss das Volk entzweite. Dann stand Jerobeam
auf, der Sohn Nebats; sein Andenken sei ausgelöscht. Er sündigte und verführte
Israel zur Sünde. Er verschuldete Efraims Fall
24 und die Vertreibung aus ihrem Land. Ihre
Sünde wurde sehr groß,
25 allem Bösen gaben sie sich hin.
Der Charakter als
Gleichnis kommt dadurch zustande, dass die böse Tat eines einzelnen, des Königs
Salomo als Hinweis für das sündige Verhalten des jüdischen Volkes insgesamt geschildert
wird. Genauso wie Salomo sich auf fremde Religiosität einließ und darüber
seinem Gott untreu wurde, so wird auch das damalige Israel gerügt, da sich das
Volk dem Geist des Hellenismus zuwandte und auf diese Weise den Glauben an den
Gott der Juden verriet. Und wie - in der Geschichtsschau Israels - das Versagen
Salomos verheerende Folgen für Israel hatte (V. 22-23), so könnte auch das
Versagen der (damals ) gegenwärtigen Generation verheerende Folgen haben und
zum Untergang Israels führen.
4. Das Gleichnis vom Bauern: Jesaja 28,22-29
Als
nächstes wollen wir uns mit einem Gleichnis aus dem Buch Jesaja beschäftigen.
Jesaja zählt zu den
bekanntesten Propheten des Alten Testamentes, er war der Sohn von Amoz und in Jerusalem geboren. Er hatte auch
Zugang zum Königshof und war mit einer Prophetin verheiratet. Obwohl er also zu
den bedeutendsten Propheten gerechnet wird, spricht er von sich nie als
Prophet. Er wirkte von etwa 740 bis zum
Jahre 701 v. Chr. Wie die meisten älteren Propheten klagte er die Missstände
des jüdischen Volkes und am Königshof an und kündigte den Untergang des
nordisraelitischen Reiches und die Deportation der Juden nach Assyrien an.
23
‚Horcht auf, hört meine Stimme, gebt Acht, hört auf mein Wort!
24 Pflügt denn der Bauer jeden Tag, um zu säen,
beackert und eggt er denn jeden Tag seine Felder?
25 Nein, wenn er die Äcker geebnet hat, streut
er Kümmel und Dill aus, sät Weizen und Gerste und an den Rändern den Dinkel.
26 So unterweist und belehrt ihn sein Gott,
damit er es recht macht.
27 Auch fährt man nicht mit dem Dreschschlitten
über den Dill und mit den Wagenrädern über den Kümmel, sondern man klopft den
Dill mit dem Stock aus und den Kümmel mit Stecken.
28 Zermalmt man etwa das Getreide (beim
Dreschen)? Nein, man drischt es nicht endlos, man lässt die Wagenräder und die
Hufe der Tiere nicht darüber gehen, bis es zermalmt ist.
29 Auch dies lehrt der Herr der Heere; sein Rat
ist wunderbar, er schenkt großen Erfolg.
Ein Gleichnis
für Gottes weisen Rat‘
Mit diesem Gleichnis
wehrt sich Jesaja gegen die an ihm geübte Kritik, seine Botschaft sei
unkonzentriert und lasse auch eine konsequente Kritik an den Missständen am
Königshof missen. Er vergleicht sich selbst mit einem Bauern, der auch bald das
eine, bald das andere verrichtet, an dem einen Tag ebnet er die Äcker, an einem
anderen Tag sät er Samen. Auch drischt man bei der Ernte und Verarbeitung des
Weizens nicht endlos auf die Weizenkörner und zermalmt sie, sondern bearbeitet
sie behutsam.
5. Das Gleichnis von Gottes Strafe Jeremias 13,1–14
Als nächstes wollen
wir zwei Gleichnisse aus dem Buch Jeremias behandeln. Auch Jeremias zählt zu
den großen Propheten des Alten Testamentes. Er lebte von 650 bis circa 587 v.
Chr. Während Jesaja den Untergang des Nordreiches Israel und die assyrische
Gefangenschaft voraussagte, prophezeite Jeremia die Niederwerfung Judäas (des
Südreiches Israel) und die anschließende babylonische Gefangenschaft. Wie
Jesaja brandmarkte auch Jeremia das Verhalten der Könige wie auch des gesamten Volkes
und betrachtete die Niederwerfung des Staates Judäa als gerechte Strafe Gottes.
Er wurde 587 als Hochverräter gefangen genommen und nach Ägypten verschleppt,
wo er seinen Tod fand.
1 ‚So hat der Herr zu mir gesagt: Geh, kauf dir
einen leinenen Gürtel, und leg ihn dir um die Hüften, aber tauch ihn nicht ins
Wasser!
2 Da kaufte ich, wie der Herr mir aufgetragen
hatte, den Gürtel und legte ihn mir um die Hüften.
3 Nun erging das Wort des Herrn zum zweiten Mal
an mich; er sagte:
4 Nimm den gekauften Gürtel, den du um die
Hüften trägst, mach dich auf den Weg an den Eufrat und verbirg ihn dort in
einer Felsspalte!
5 Ich ging hin und verbarg ihn am Eufrat, wie
mir der Herr befohlen hatte.
6 Nach längerer Zeit sprach der Herr zu mir: Mach
dich auf den Weg an den Eufrat und hol den Gürtel zurück, den du dort auf
meinen Befehl hin verborgen hast.
7 Da ging ich zum Eufrat, suchte den Gürtel und
holte ihn von der Stelle, wo ich ihn verborgen hatte. Doch der Gürtel war
verdorben, zu nichts mehr zu gebrauchen.
8 Nun erging das Wort des Herrn an mich:
9 So spricht der Herr: Ebenso verderbe ich die
stolze Pracht Judas und Jerusalems, wie groß sie auch sei.
10 Dieses böse Volk weigert sich, auf meine
Worte zu hören, es folgt dem Trieb seines Herzens und läuft anderen Göttern
nach, um ihnen zu dienen und sie anzubeten; es soll daher wie dieser Gürtel
werden, der zu nichts mehr zu gebrauchen ist.
11 Denn wie sich der Gürtel den Hüften des
Mannes anschmiegt, so wollte ich, dass sich das ganze Haus Juda mir anschmiegte
– Spruch des Herrn –, damit es mein Volk und mein Ruhm, mein Preis und mein
Schmuck wäre. Sie aber haben nicht gehorcht.
Hier
wird das sündhafte Verhalten der jüdischen Könige wie des jüdischen Volkes
verglichen mit einem Menschen, der seinen Gürtel nicht für das gebraucht, für
den er angefertigt wurde, ihn nämlich zu tragen, sondern in der Erde vergräbt,
wo er verdirbt und unbrauchbar wird. Gott habe seine Botschaft dem jüdischen
Volk gegeben, damit alle Welt sehe, wie tugendhaft sich das jüdische Volk
verhält. Nun habe sich aber das jüdische Volk geweigert, den Geboten Gottes zu
folgen, also gewissermaßen die göttliche Botschaft vergraben und vergessen und
ist anderen Göttern nachgelaufen. Die Folge davon ist, dass die Lehre Gottes
genauso wenig wie ein vermoderter Gürtel nicht mehr seine heilende Wirkung
herbeiführen kann.
6. Das Gleichnis vom Töpfer: Jeremias 18,1–17
Auch das zweite
hier zu behandelnde Gleichnis von Jeremias befasst sich mit dem Ungehorsam des
jüdischen Volkes. Gott wird hier verglichen mit einem Töpfer, der aus Ton mit
Hilfe einer Töpferscheibe Krüge und Vasen herstellt. Wenn ihm jedoch die Arbeit
missfällt und also ein nicht brauchbares Gefäß entsteht, dann zerstört er das
nicht gelungene Gefäß und stellt aus der Tonmasse ein neues Gefäß her. Genauso
verfährt Gott auch mit dem jüdischen Volk. Wendet sich das Volk von Gott ab, so
beschließt er, dieses Volk zu vernichten. Aber dann, wenn die Menschen bereuen
und umkehren und bereit sind, doch wiederum Gottes Geboten zu folgen, dann reut
Gott sein Plan, sich von diesem Volk abzuwenden und lässt sich versöhnen.
1 ‚Das Wort, das vom Herrn an Jeremia erging:
2 Mach dich auf und geh zum Haus des Töpfers
hinab! Dort will ich dir meine Worte mitteilen.
3 So ging ich zum Haus des Töpfers hinab. Er
arbeitete gerade mit der Töpferscheibe.
4 Missriet das Gefäß, das er in Arbeit hatte,
wie es beim Ton in der Hand des Töpfers vorkommen kann, so machte der Töpfer
daraus wieder ein anderes Gefäß, ganz wie es ihm gefiel.
5 Da erging an mich das Wort des Herrn:
6 Kann ich nicht mit euch verfahren wie dieser
Töpfer, Haus Israel? Spruch des Herrn. Seht, wie der Ton in der Hand des
Töpfers, so seid ihr in meiner Hand, Haus Israel.
7 Bald drohe ich einem Volk oder einem Reich,
es auszureißen, niederzureißen und zu vernichten.
8 Kehrt aber das Volk, dem ich gedroht habe, um
von seinem bösen Tun, so reut mich das Unheil, das ich ihm zugedacht hatte.
9 Bald sage ich einem Volk oder einem Reich zu,
es aufzubauen und einzupflanzen.
10 Tut es aber dann, was mir missfällt, und hört
es nicht auf meine Stimme, so reut mich das Gute, das ich ihm zugesagt habe.
11 Und nun sag zu den Leuten von Juda und zu den
Einwohnern Jerusalems: So spricht der Herr: Seht, ich bereite Unheil gegen euch
vor und fasse einen Plan gegen euch. Kehrt doch um, ein jeder von seinem bösen
Weg, und bessert euer Verhalten und euer Tun!‘
7. Das Gleichnis von der Untreue des Königs: Ezechiel
17,1-10
Es folgen nun fünf Gleichnisse
aus dem Buch Ezechiel. Der Name Ezechiel bedeutet Gott möge stärken. Ezechiel
war Prophet und mit dem judäischen Volk im Jahre 597 v. Chr. nach Babylon
verbannt. Bekannt geworden ist Ezechiel vor allem durch seine Vision, dass nach
der Zurückführung der Juden nach Jerusalem dort ein neuer Tempel errichtet
werde. Das erste Gleichnis erzählt von dem missglückten Versuch des von Nebukadnezar
eingesetzten Zedekia im Gebiete des judäischen Staates, sich von der
Abhängigkeit Babylons zu befreien.
1 ‚Das Wort des Herrn erging an mich:
2 Menschensohn, trag dem Haus Israel ein Rätsel
vor, erzähl ihm ein Gleichnis!
3 Sag: So spricht Gott, der Herr: Ein mächtiger
Adler mit gewaltigen Flügeln, mit weiten Schwingen, mit dichtem, buntem
Gefieder kam zum Libanon und nahm den Wipfel der Zeder weg.
4 Den obersten Zweig riss er ab. Ins Land der
Krämer brachte er ihn, in die Stadt der Händler legte er ihn.
5 Dann nahm er vom Samen des Landes und streute
ihn auf ein Saatfeld. Er setzte ihn an reichlich strömendes Wasser, als
Uferpflanze pflanzte er ihn
6 und er wuchs heran und wurde zum üppigen
Weinstock von niedrigem Wuchs. Er sollte seine Ranken dem Adler zuwenden, seine
Wurzeln sollten in die Tiefe wachsen. Und er wurde zum Weinstock, bildete
Triebe, entfaltete Zweige.
7 Doch es kam noch ein anderer mächtiger Adler
mit gewaltigen Flügeln und dichtem Gefieder. Da drehte jener Weinstock seine
Wurzeln ihm zu, trieb ihm seine Ranken entgegen: Der Adler sollte ihn tränken,
mehr als das Beet, in das der Weinstock gepflanzt war.
8 Er war doch auf guten Boden gepflanzt, an
reichlich fließendem Wasser, um Zweige zu treiben und Früchte zu tragen und ein
herrlicher Weinstock zu werden.
9 Sag: So spricht Gott, der Herr: Wird das
gelingen? Wird der Adler nicht seine Wurzeln ausreißen und seine Früchte
vernichten, sodass all seine grünenden Triebe verdorren? Man braucht keinen
starken Arm und nicht viele Menschen, um ihn von den Wurzeln zu reißen.
10 Wohl ist er gepflanzt, doch wird er gedeihen?
Wird er nicht völlig verdorren, wenn der Ostwind ihn trifft? Auf dem Beet, wo
er wuchs, wird er verdorren.‘
Dieses Gleichnis
erzählt in Bildern vom Untergang des Südreiches Judäa. Der zuerst genannte
Adler ist der babylonische König Nebukadnezar, der den damaligen König des israelitischen
Südreiches Judäa besiegt und als Gefangenen nach Babylon verschleppt und
hierauf dessen Onkel Zedekia als König von Babylons Gnaden einsetzt. Als dann
dieser den Versuch macht, Hilfe aus Ägypten zu erlangen (der in diesem
Gleichnis erwähnte zweite Adler) schlug dieser Versuch fehl, nach wie vor übt
Babylon (der Ostwind in diesem Gleichnis) einen beherrschenden Einfluss auf
Zedekia aus.
8. Das Gleichnis vom Waldbrand: Ezechiel 21,1-5
Als zweites
Gleichnis aus dem Buch Ezechiel soll das Gleichnis vom Waldbrand behandelt
werden. Ezechiel soll hier dem Volk von Judäa verkünden, dass die Angriffe aus
Babylon und die drohende Vernichtung des Südstaates von Gott selbst veranlasst
ist und dass er wie bei einem Waldbrand, bei dem das einmal angelegte Feuer
nicht mehr gelöscht werden kann, sodass der Wald bis zum letzten Baum
niederbrennt, nicht ruhen wird, bis das der Südstaat vernichtet ist.
In diesem Gleichnis
wird nun auch darauf abgehoben, dass die bildhafte Sprache des Gleichnisses von
dem Volk, an das dieses Gleichnis gerichtet wurde, gar nicht mehr verstanden
wurde, dass sich das Volk beklage, er, der Prophet, rede in Rätseln, die dem
Volk unerkannt bleiben.
1 ‚Das Wort des Herrn erging an mich:
2 Menschensohn, richte dein Gesicht nach Süden,
weissage gegen das Südland, tritt als Prophet auf gegen den Wald im Süden
3 und sag zum Wald des Südlands: Höre das Wort
des Herrn: So spricht Gott, der Herr: Ich will Feuer an dich legen, jeden
grünen Baum und jeden dürren Baum in dir wird es verzehren. Seine lodernde
Flamme wird nicht erlöschen. Alle Gesichter sollen von ihr versengt werden, vom
Süden bis zum Norden.
4 Dann wird jeder Sterbliche sehen, dass ich,
der Herr, das Feuer entfacht habe. Und es wird nicht erlöschen.
5 Da sagte ich: Ach, Herr und Gott, sie sagen
über mich: Er redet ja immer nur in Gleichnissen.‘
9. Das Gleichnis von den schamlosen Schwestern Israel u.
Juda: Ezechiel 23,1–49
Auch das dritte
hier aufgeführte Gleichnis Ezechiels befasst sich mit den Untaten der beiden
israelischen Staaten. Das Nordreich und Südreich, die nach dem Tode Salomos aus
dem gesamten israelischen Staat entstanden waren, werden mit zwei Schwestern
verglichen, welche Unzucht treiben und ihrem Gemahl untreu werden. Diese
Unzucht bezieht sich darauf, dass beide Staaten sich mit den Assyrern und
später mit Ägypten zu verbünden suchen und hierbei von ihrem Gott (ihrem
Gemahl) abfallen und die Götzen der heidnischen Völker verehren.
1 ‚Das Wort des Herrn erging an mich:
2 Menschensohn! Es waren einst zwei Frauen,
Töchter der gleichen Mutter.
3 Sie trieben Unzucht in Ägypten, schon in
ihrer Jugend trieben sie Unzucht; dort griff man nach ihren Brüsten, dort
streichelte man ihre jugendliche Brust.
4 Die ältere hieß Ohola, ihre Schwester
Oholiba. Sie wurden meine Frauen und gebaren Söhne und Töchter. Der Name Ohola
meint Samaria, Oholiba Jerusalem.
5 Ohola wurde mir untreu. Sie hatte Verlangen
nach ihren Liebhabern, den kriegerischen Assyrern,
6 den in Purpur gekleideten Statthaltern und
Herren; alle waren begehrenswerte junge Männer, Reiter hoch zu Ross.
7 Auf sie richtete sie ihr unzüchtiges
Verlangen. Sie alle gehörten zu den Tüchtigsten unter den Assyrern. Mit allen,
nach denen sie Verlangen hatte, und mit all ihren Götzen machte sie sich
unrein.
8 Die Unzucht, die sie in Ägypten getrieben
hatte, gab sie nicht auf; denn schon als sie noch jung war, lagen die Ägypter
bei ihr, drückten ihre jugendlichen Brüste und besudelten sie mit ihrer
Unzucht.
9 Darum gab ich sie in die Gewalt ihrer
Liebhaber, in die Gewalt der Assyrer, nach denen sie Verlangen hatte.‘
10. Das Gleichnis von der vergeblichen Reinigung der
Stadt Ezechiel 24,1-14
Auch das Gleichnis
von der vergeblichen Reinigung der Stadt handelt von der Strafe Gottes gegenüber
den Juden, die bei der ersten babylonischen Deportation nicht entführt worden
waren. Trotz der anfänglichen Bestrafung Jerusalems, durch die ein Teil der
Juden aus Judäa nach Babylon deportiert wurden, hatten diejenigen, welche in
Jerusalem verbleiben durften, nicht verstanden umzukehren, sie versuchten
erneut, sich heidnischen Völkern (Ägypten) anzuschließen und deren Götter zu
verehren und deshalb werden nun auch die restlichen Juden aus Jerusalem nach
Babylon verschleppt. Ezechiel hat den Auftrag, diesen Völkern zu verkünden,
dass diese Schmach ausdrücklich im Auftrage Gottes erfolge, als Strafe für ihre
anhaltenden Sünden.
Wiederum wird das
Bild vom Kessel für die nun entleerte Stadt Jerusalem gewählt. Jerusalem wird
mit einem leeren Kessel (der entleerten Stadt) auf dem Feuer verglichen, wobei
das Feuer doch nicht in der Lage ist, den angesetzten Rost (die Untugenden der
Judäer) zu schmelzen.
1 ‚Am zehnten Tag des zehnten Monats im neunten
Jahr erging das Wort des Herrn an mich:
2 Menschensohn, schreib dir das Datum dieses
Tages auf, genau den heutigen Tag! Am heutigen Tag begann der König von Babel
seinen Angriff auf Jerusalem.
3 Leg dem widerspenstigen Volk ein Gleichnis
vor und sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Stell einen Kessel aufs Feuer,
stell ihn auf; auch Wasser gieß ein!
4 Leg Fleisch hinein, lauter gute Stücke, Lende
und Schulter! Gib die besten Knochen dazu!
5 Nimm auserlesene Schafe! Auch Brennholz leg ringsum
unter den Kessel! Lass die Fleischstücke kochen! Auch die Knochen koch mit!
6 Darum – so spricht Gott, der Herr: Weh der
Stadt voll Blutschuld, weh dem verrosteten Kessel und weh dem Rost, der nicht
abgeht. Stück für Stück nimm wahllos heraus!
7 Denn das Blut, das die Stadt vergoss, ist
noch mitten in ihr. An den nackten Felsen hat sie es hingeschüttet. Nicht auf
die Erde hat sie es vergossen und nicht mit Erde bedeckt,
8 sodass mein Zorn entbrannte und ich Rache
nahm: Auf dem nackten Felsen vergieße ich ihr Blut; es wird nicht mit Erde
bedeckt.
9 Darum – so spricht Gott, der Herr: Weh der
Stadt voll Blutschuld. Auch ich schichte einen großen Holzstoß auf,
10 ich häufe das Holz, ich entzünde das Feuer,
ich koche das Fleisch, ich gieße die Brühe ab [und die Knochen sollen
verbrennen].
11 Dann stelle ich den Kessel leer auf die Glut,
damit das Metall sich erhitzt und glüht, damit schmilzt, was an ihm unrein ist,
und der Rost verschwindet.
12 Doch umsonst die Mühe: Der starke Rost geht
im Feuer nicht ab.
13 Wegen deiner Schandtaten und deiner
Unreinheit – weil ich dich rein machen wollte, du aber nicht frei wurdest von
deiner Unreinheit sollst du nicht mehr rein werden, bis ich meinen Zorn an dir
gestillt habe.
14 Ich, der Herr, habe gesprochen. Jetzt ist es
soweit, ich führe es aus. Ich sehe nicht tatenlos zu. Ich habe kein Mitleid, es
reut mich nicht. Nach deinem Verhalten und deinen Taten will ich dich richten
Spruch Gottes, des Herrn.‘
11. Das Gleichnis vom Pharao, dem prächtigen Baum: Ezechiel
31,1–18
Das letzte hier zu
behandelnde Gleichnis des Ezechiel bezieht sich auf die Strafe, welche Jahwe
dem Pharao der Ägypter, also einem heidnischen König androht. In leuchtenden
Farben wird Ägypten als eine prachtvolle Zeder beschrieben, welche reichlichen
Schatten spendete und die bis in die Wolken gewachsen war. Weil aber Ägypten
überheblich wurde, wird nun Ägypten dem mächtigsten Herrscher der damaligen
Zeit, dem babylonischen König ausgeliefert und der Zedernbaum wird von Fremden
gefällt, sodass er keinen Schatten mehr spenden kann.
Aber für welche
Untat bestraft Jahwe der Gott der Juden den heidnischen Pharao? Offensichtlich
erregte der Pharao den Unwillen Gottes dadurch, dass er den heidnischen Glauben
in das restliche Jerusalem, das nach der ersten Deportation nach Babylon übrig
blieb, brachte und die Juden veranlasste, sich von ihrem Gott abzuwenden.
1 ‚Am ersten Tag des dritten Monats im elften
Jahr erging das Wort des Herrn an mich:
2 Menschensohn, sag zum Pharao, dem König von
Ägypten, und zu seinem Gefolge: Wem war deine Größe vergleichbar?
3 Auf dem Libanon stand eine [Esche] Zeder. Die
Pracht ihrer Äste gab reichlichen Schatten. Hoch war ihr Wuchs und in die
Wolken ragte ihr Wipfel.
4 Das Wasser machte sie groß. Die Flut in der
Tiefe ließ sie hoch emporwachsen. Die Tiefe ließ ihre Ströme fließen rings um
den Ort, wo sie gepflanzt war, sie leitete (von dort) ihre Kanäle zu allen anderen
Bäumen des Feldes.
5 So war sie höher gewachsen als alle anderen
Bäume des Feldes. Ihre Zweige wurden sehr zahlreich und ihre Äste breiteten
sich aus wegen des Reichtums an Wasser, als sie emporwuchs.
6 Alle Vögel des Himmels hatten ihr Nest in den
Zweigen. Alle wilden Tiere brachten unter den Ästen ihre Jungen zur Welt. All
die vielen Völker wohnten in ihrem Schatten.
7 Schön war sie in ihrer Größe mit ihrem
breiten Geäst; denn ihre Wurzeln hatten viel Wasser.
8 Keine Zeder im Garten Gottes war ihr
vergleichbar. Keine Zypresse hatte Zweige wie sie, keine Platane so mächtige
Äste. Keiner der Bäume im Garten Gottes glich ihr an Schönheit.
9 Ja, ich hatte sie herrlich gemacht mit ihren
zahlreichen Zweigen. Voll Eifersucht auf sie waren im Garten Gottes alle Bäume
von Eden.
10 Darum – so spricht Gott, der Herr: Weil sie
so hoch emporwuchs und mit ihrem Wipfel in die Wolken ragte und wegen ihrer
Höhe überheblich wurde,
11 deshalb liefere ich sie dem mächtigsten
Herrscher der Völker aus. Er behandelt sie so, wie sie es in ihrer
Schlechtigkeit verdient hat; ich beseitige sie.
12 Fremde, die gewalttätigsten unter den
Völkern, werden sie umhauen und hinwerfen. Ihre Zweige fallen auf die Berge und
in alle Täler, ihre Äste zerbrechen in allen Schluchten der Erde. Alle Völker
der Erde verlassen den Schatten der Zeder und lassen sie liegen.
13 Auf ihren gefällten Stamm setzen sich alle
Vögel des Himmels, die wilden Tiere hausen in ihren Zweigen.
14 Darum soll kein Baum mehr am Wasser
emporwachsen und mit seinem Wipfel in die Wolken ragen, keiner der Bäume am
Wasser soll mehr so mächtig und hoch dastehen. Denn alle werden dem Tod
ausgeliefert, sie müssen hinab in die Unterwelt zu den Menschen, die ins Grab
gesunken sind.‘
12. Das Gleichnis vom Gastmahl des Belschazzars: Daniel 5,1
– 6,1
Zuletzt sei das
Gleichnis vom Gastmahl des Belsazars aus dem Buch Daniel besprochen. Daniel war
ein gelehrter Jude, der Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. am königlichen Hof in
Babylon lebte und unter Nebukadnezar II. offensichtlich die Rolle eines
offiziellen königlichen Traumdeuters wahrnahm. Das Gleichnis handelt von einem
Gastmahl, das Belsazar, der Neffe (und nicht der Sohn) des Königs Nebukadnezar
II. gegeben hatte und bei dem er im Übermut die aus dem Tempel Jerusalems
geraubten Schalen und Gefäße holen lies und aus denen seine Gäste, Männer wie Frauen,
trinken sollten. Diese Gefäße waren Gott geweiht und durften nicht für
weltliche Zwecke benutzt werden. Dieses Gelage kam also einer Gotteslästerung
gleich, zumal offensichtlich bei diesem Gelage die heidnischen Götter verehrt
wurden. Die Strafe folgte auf den Fuß, indem die Finger einer Hand gewisse
Zeichen an die Wand schrieb, wodurch sich Belsazar stark erschreckte.
Da die eilends
herbeigerufenen Weisen nicht in der Lage waren, die Zeichen zu entziffern,
entsann sich die Königin Daniel‘s, der zur Zeit des Königs Nebukadnezar II, als
Traumdeuter am Hofe angestellt war. Daniel konnte nun diese Zeichen entziffern,
er sagte Belsazar, dass diese Zeichen mene, tekel, u-parsin zum Inhalt hätten,
was aramäisch ist und bedeutet: gezählt, gewogen und geteilt. Gezählt seien die
Tage Belsazars, gewogen seien seine schlechten Taten und geteilt werde das
babylonische Reich zwischen die Meder und Perser.
Hier wandelt sich
das Gleichnis in ein Rätsel, es enthüllt demjenigen, dem es gilt (dem Belsazar)
nicht mehr von selbst die Wahrheit, der Inhalt ist verschlüsselt und kann nur
von den Propheten Daniel enträtselt werden.
1 ‚König Belschazzar gab ein großes Gastmahl
für seine Großen; es waren tausend Menschen und zusammen mit den Tausend sprach
er dem Wein zu.
2 In seiner Weinlaune nun ließ Belschazzar die
goldenen und silbernen Gefäße holen, die sein Vater Nebukadnezzar aus dem
Tempel in Jerusalem mitgenommen hatte. Jetzt sollten der König und seine
Großen, seine Frauen und Nebenfrauen daraus trinken.
3 Man holte also die goldenen Gefäße, die man
aus dem Tempel des Gotteshauses in Jerusalem mitgenommen hatte, und der König
und seine Großen, seine Frauen und Nebenfrauen tranken daraus.
4 Sie tranken Wein und lobten die Götter aus
Gold und Silber, aus Bronze, Eisen, Holz und Stein.
5 In derselben Stunde erschienen die Finger
einer Menschenhand und schrieben gegenüber dem Leuchter etwas auf die weiß
getünchte Wand des königlichen Palastes. Der König sah den Rücken der Hand, als
sie schrieb.
6 Da erbleichte er und seine Gedanken
erschreckten ihn. Seine Glieder wurden schwach und ihm schlotterten die Knie.
7 Der König schrie laut, man solle die
Wahrsager, Chaldäer und Astrologen holen. Dann sagte er zu den Weisen von
Babel: Wer diese Schrift lesen und mir deuten kann – was er auch sei: er soll
in Purpur gekleidet werden, eine goldene Kette um den Hals tragen und als der
Dritte in meinem Reich herrschen.
8 Da kamen alle Weisen des Königs herbei; aber
sie waren nicht imstande, die Schrift zu lesen oder dem König zu sagen, was sie
bedeutete.
9 Darüber erschrak König Belschazzar noch mehr
und sein Gesicht wurde bleich. Auch seine Großen gerieten in Angst.
10 Da die Rufe des Königs und seiner Großen bis
zur Königin drangen, kam sie in den Festsaal und sagte: O König, mögest du ewig
leben. Lass dich von deinen Gedanken nicht erschrecken; du brauchst nicht zu
erbleichen.
11 In deinem Reich gibt es einen Mann, in dem
der Geist der heiligen Götter wohnt. Schon zu deines Vaters Zeiten fand man bei
ihm Erleuchtung und Einsicht und Weisheit, wie nur die Götter sie haben;
deshalb hat König Nebukadnezzar, dein Vater, ihn zum Obersten der
Zeichendeuter, Wahrsager, Chaldäer und Astrologen ernannt, dein eigener Vater,
o König!
12 Bei diesem Daniel also, dem der König den
Namen Beltschazzar gegeben hat, fand man außergewöhnlichen Geist sowie
Erkenntnis und Einsicht und die Gabe, Träume auszulegen, Rätsel zu
erklären und schwierige Fragen zu lösen. Darum lass jetzt Daniel herrufen; er
wird die Deutung geben.
13 Daniel wurde vor den König gebracht und der
König sagte zu ihm: Du also bist Daniel, einer von den verschleppten Juden, die
mein Vater, der König, aus Juda hierher gebracht hat.
14 In dir, so habe ich gehört, ist der Geist der
Götter und bei dir fand man Erleuchtung und Einsicht und außergewöhnliche
Weisheit.
15 Man hat die Weisen und die Wahrsager vor mich
gebracht, damit sie diese Schrift lesen und mir deuten. Sie konnten mir aber
nicht sagen, was das Geschriebene bedeutet.
16 Doch du, so habe ich gehört, kannst Deutungen
geben und schwierige Fragen lösen. Wenn du nun die Schrift lesen und mir deuten
kannst, sollst du in Purpur gekleidet werden, um den Hals eine goldene Kette
tragen und als der Dritte in meinem Reich herrschen.
17 Daniel gab dem König zur Antwort: Behalte
deine Gaben oder schenk sie einem andern! Aber die Schrift will ich für den
König lesen und deuten.
18 Mein König! Der höchste Gott hat deinem Vater
Nebukadnezzar Herrschaft und Macht, Herrlichkeit und Majestät gegeben.
19 Vor der Macht, die ihm verliehen war,
zitterten und bebten alle Völker, Nationen und Sprachen. Er tötete, wen er
wollte, und ließ am Leben, wen er wollte. Er erhöhte, wen er wollte, und
stürzte, wen er wollte.
20 Als aber sein Herz überheblich und sein Geist
hochmütig wurde, stürzte man ihn von seinem königlichen Thron und er verlor die
Herrscherwürde.
21 Man verstieß ihn aus der Gemeinschaft der
Menschen. Sein Herz wurde dem der Tiere gleichgemacht. Er musste bei den wilden
Eseln hausen und sich von Gras ernähren wie die Ochsen. Der Tau des Himmels
benetzte seinen Körper, bis er erkannte: Der höchste Gott gebietet über die
Herrschaft bei den Menschen und gibt sie, wem er will.
22 Obgleich nun du, sein Sohn Belschazzar, das
alles weißt, bist du in deinem Herzen doch nicht bescheiden geblieben.
23 Du hast dich gegen den Herrn des Himmels
erhoben und dir die Gefäße aus seinem Tempel herbeischaffen lassen. Du und
deine Großen, deine Frauen und Nebenfrauen, ihr habt daraus Wein getrunken. Du
hast die Götter aus Gold und Silber, aus Bronze, Eisen, Holz und Stein
gepriesen, die weder sehen noch hören können und keinen Verstand haben. Aber
den Gott, der deinen Lebensatem in seiner Hand hat und dem all deine Wege
gehören, den hast du nicht verherrlicht.
24 Darum hat er diese Hand geschickt und diese
Schrift geschrieben.
25 Das Geschriebene lautet aber: Mene mene tekel
u-parsin.
26 Diese Worte bedeuten: Mene: Gezählt hat Gott
die Tage deiner Herrschaft und macht ihr ein Ende.
27 Tekel: Gewogen wurdest du auf der Waage und
zu leicht befunden.
28 Peres: Geteilt wird dein Reich und den Medern
und Persern gegeben.
29 Da befahl Belschazzar, Daniel in Purpur zu
kleiden und ihm eine goldene Kette um den Hals zu legen, und er ließ verkünden,
dass Daniel als der Dritte im Reich herrschen sollte.
30 Aber noch in derselben Nacht wurde
Belschazzar, der König der Chaldäer, getötet.‘
Diese
und auch die folgenden Bibelzitate entstammen alle aus: Die Bibel.
Einheitsübersetzung Der Heiligen Schrift. Herausgegeben im Auftrag der Bischöfe
Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs von Lüttich, des Bischofs
von Bozen-Brixen, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der
Deutschen Bibelgesellschaft. Ausgabe in neuer Rechtschreibung. Stuttgart :
Katholisches Bibelwerk, 1999