Armut: Ursachen, Folgen und Bekämpfung

 

Fortsetzung 1

 

 

Gliederung:

 

1. Teil: Historische Einführung

     1. Die verschiedenen Erscheinungsformen der Armut

     2. Ursachen der Verarmung im historischen Wandel

     3. Die wichtigsten Folgen der Armut

     4. Vom Wandel der Bewertung der Armut

     5. Die geschichtliche Entwicklung der Armutspolitik

 

2. Teil: Die Theorie der Verursachung von Armut

   1. Ein Modell zur Erklärung allgemeiner Armut

         1a. Zur Definition von Armut

         1b. Armut durch Naturereignisse ausgelöst

         1c. Armut durch Mängel der Arbeitskraft ausgelöst

         1d. Armut in Folge einer Mechanisierung der Produktion

         1e. Armut als Folge eines Technischen Fortschritts

         1f. Armut aufgrund einer Sättigung?

         1g. Armut und Wirtschaftssystem

 

     2. Ein Modell zur Erklärung von Armut inmitten von Reichtum

         2a. Einleitung

         2b. Der Vermögensstatus

         2c. Die Qualifizierung der Arbeitskraft

         2d. Zusätzlicher Bedarf aufgrund der Familiengröße

         2e. Das unterschiedliche Auftreten sozialer Risiken

   

3. Teil: Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut

    1. Vorbemerkung

    2. Kurieren am Symptom versus Ursachenbekämpfung

    3. Bekämpfung allgemeiner Armut versus Armut inmitten von Reichtum

 

 

 

2.Teil:  Die Theorie der Verursachung von Armut

 

Wir wollen im Folgenden ein einfaches Modell entwickeln, das die wichtigsten Bestimmungsgründe der Armut aufzeigt. Hierbei wollen wir in zwei Schritten vorgehen. In einem ersten Schritt soll der Frage nachgegangen werden, worin die Bestimmungsgründe dafür liegen, dass die gesamte Bevölkerung eines Landes verarmt. Natürlich schließt dies nicht aus, dass es trotz allgemeiner Verarmung einzelne Personen gibt, welche reich sind. Zu wohl keiner Zeit in der Geschichte der Menschheit gab es weitverbreitete Armut, bei der nicht einzelne Individuen reich, sogar sehr reich waren. Wesentlich ist für die Definition der allgemeinen Armut, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen unter einem bestimmten, die Armut markierenden Niveau abgesunken ist, sodass auch dann, wenn die Einkommen gleich verteilt wären, die Armut der Bevölkerung nicht aufgehoben wäre.

 

In einem zweiten Modell wollen wir eine Volkswirtschaft betrachten, bei der die Bevölkerung einen gewissen Reichtum erreicht hat, trotzdem aber einzelne Personen oder auch Personengruppen von Armut bedroht sind. Hier gilt es die Frage zu klären, wieso einzelne Personengruppen von Armut betroffen sind, obwohl die Volkswirtschaft, in der sie leben, als reich gelten kann.

 

Beginnen wir mit einer Definition der Armut. Maßstab der Armut soll das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung sein: Immer dann, wenn das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen unter eine kritische Grenze sinkt, wollen wir von Armut sprechen. Diese kritische Grenze sei als Armutsgrenze bezeichnet.

 

Wo diese kritische Grenze im Einzelnen liegt, kann nicht allein mit objektiven Merkmalen bestimmt werden. Es ist die Überzeugung der Bevölkerung – vertreten  durch das Parlament – welche z. B. durch ein Sozialhilfegesetz zum Ausdruck bringt, ab welchem Einkommen das Existenzminimum erreicht wird, das jeder einzelne überschreiten muss, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können.

 

Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen einem physischen und einem kulturellen Existenzminimum. Das physische Existenzminimum verweist hierbei auf all die Güter, ohne die ein Mensch nicht überleben kann. Hier lässt sich noch am ehesten von objektiv feststellbaren Kriterien sprechen. So bedarf der einzelne Mensch, um nicht an Hunger zu sterben und somit überleben zu können, einen bestimmten Umfang an Kalorien, an Eiweißen, an Vitaminen und Spurenelementen, er benötigt Kleidung, um sich gegen Kälte zu schützen, er bedarf einer Unterkunft, um sich im Schlaf regenerieren zu können, er benötigt bestimmte Medikamente, wenn er an einer Krankheit leidet usw.

 

Selbst hier, wo an und für sich objektive Kriterien darüber entscheiden, ob das physische Existenzminimum erreicht wurde, gilt es zu berücksichtigen, dass der genaue Umfang der benötigten Werte recht unterschiedlich ausfallen kann, je nach Gegend, in der der einzelne lebt und je nach Konstitution der einzelnen Individuen.

 

Ein Eskimo hat einen höheren Bedarf an Kleidung als Personen, welche unter der Sonne Afrikas leben, er hat auch einen höheren Fettbedarf, als Bewohner gemäßigter Klimazonen. Es leuchtet auch ohne weiteres ein, dass ein stämmiger schwergewichtiger Mensch einen höheren Bedarf an Kalorien hat als kleine und schmächtige Personen. Schließlich ist der Gesundheitszustand der einzelnen Personen – je nach Vererbung aber auch bisheriger Lebensführung – sehr unterschiedlich und damit auch der hiervon abgeleitete Bedarf an Medikamenten.

 

Vor allem dann, wenn eine Nation einen bestimmten Wohlstand erreicht hat, be­gnügt man sich nicht nur damit, dass man für alle ihre Bürger ein physisches Existenzminimum fordert, jeder einzelne sollte auch ein Minimum  an kulturellen Werten in Anspruch nehmen können, so wird ein Arbeitnehmer nur dann eine erwerbs­wirtschaftliche Arbeit verrichten können, wenn er eine Mindestausbildung erfahren hat, auch wird man jedem zubilligen wollen, dass er auch kulturelle (z. B. religiöse) Bedürfnisse hat und dass auch zur Befriedigung dieser Bedürfnisse durchaus materielle Güter benötigt werden. Auch wird man – vor allem im Hinblick auf die hygienischen Verhältnisse – jedem einen Mindestkomfort zubilligen wollen. Wenn man nun von der Forderung spricht, dass jeder Bürger über Einkünfte mindestens in Höhe des Existenzminimums verfügen sollte, dann ist es heutzutage – zumindest in den hochentwickelten Staaten – in der Regel fast immer das kulturelle Existenzminimum, an das gedacht wird.

 

Wenn also auch in den modernen Industriegesellschaften Einigkeit darüber besteht, dass an die Stelle des physischen, ein kulturelles Existenzminim für jeden Bürger erreichbar sein sollte, so gibt es doch keine objektiven Kriterien, anhand derer entschieden werden kann, ob und in welchem Umfang das kulturelle Existenzminimum erreicht ist. Es bestehen deshalb immer auch sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Güter im Einzelnen dem kulturellen Existenzminimum zugerechnet werden sollen.

 

Vor allem lässt sich feststellen, dass der Umfang des kulturellen Existenzminimums selbst vom durchschnittlichen Wohlstand einer Bevölkerung abhängt. Steigt der Wohlstand einer Nation, so steigt mit ihm auch der Umfang des kulturellen Existenzminimums, das man jedem Menschen zubilligt. Allerdings gibt es gute Gründe dafür, dass der Umfang des Existenzminimums nicht in gleichem Maße ansteigen sollte, wie das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen einer Bevölkerung.

 

Es ist ja das Ziel einer Volksgemeinschaft, dass möglichst alle Bürger in der Lage sind, sich selbst zu ernähren und nur in Notfällen auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen sein sollten. Wenn nun das Existenzminimum in gleichem Umfange angehoben würde wie das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen, würde vermutlich der Anteil der Armen unverändert bleiben. Es besteht sogar die Gefahr, dass auf diese Weise Anreize bestünden, statt einer geregelten Arbeit nachzugehen, die Armut zu wählen, da ja in diesem Falle annahmegemäß jeder als Armer ein – realiter betrachtet – immer größeres Güterbündel zu beanspruchen hätte. Armut lässt sich jedoch nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn jeder einzelne Sozialhilfeempfänger ein massives Interesse daran hat, möglichst schnell einen Zustand zu erreichen, in dem er sich aus eigener Kraft erhalten kann.

 

Da es also keine objektiven Kriterien gibt, welche angeben, bei welchem Umfang das kulturelle Existenzminimum erreicht ist, bedarf es einer offiziellen Festlegung darüber, bei welchem Einkommen das Existenzminimum und damit auch die Armutsgrenze erreicht ist. In unserer Gesellschaft ist dies der Sozialhilfesatz, der regelmäßig vom Parlament oder von der Regierung festgelegt werden muss. Es entsteht auf diese Weise im Nachhinein eine objektive Grundlage und der einzelne Betroffene erhält auf diese Weise einen einklagbaren Anspruch auf die Auszahlung der Sozialhilfe.

 

Bei unseren bisherigen Überlegungen gingen wir bei der Frage, wo die Armutsgrenze liegt, vom realen privat verfügbaren Einkommen der jeweils Betroffenen aus. Zu diesem Einkommen zählen auf der einen Seite die erwerbswirtschaftlich erworbenen Einkommen nach Abzug der Steuern, auf der anderen Seite aber auch alle von einer staatlichen Organisation (Sozialhilfeamt, Sozialversicherung) oder anderen caritativen Einrichtungen gewährten Transfereinkommen.

 

Für die hochentwickelten Volkswirtschaften mag dies durchaus ein brauchbarer Maßstab sein, auch wenn man natürlich berücksichtigen muss, dass der tatsächliche Wohlstand des einzelnen dadurch erhöht worden sein kann, dass einzelne Sozialhilfeempfänger auf illegalem Weg z. B. durch Schwarzarbeit ihre Einkünfte verbessert haben.

 

Wenn wir allerdings die Armutsbestimmung auch auf die heutigen Entwicklungs­länder ausdehnen und wenn wir vor allem die Armut in den Entwicklungsländern mit der in den hochindustrialisierten Volkswirtschaften vergleichen wollen, müssen wir berücksichtigen, dass in Entwicklungsländern oftmals ein großer Teil der produktiven Tätigkeit gar nicht in die offizielle Statistik Eingang findet und dass deshalb ein Vergleich des offiziellen Pro-Kopf-Einkommens kein ausreichendes Bild über die tatsächliche Lage in den Entwicklungsländern bieten kann. Wir wollen im weiteren Verlauf dieser Abhandlung von diesen aus einer fehlerhaften Statistik erwachsenden Problemen absehen.

 

Das Pro-Kopf-Einkommen einer Bevölkerung kann nur eine statische Augenblickserfassung der Armut bringen. Wir haben davon auszugehen, dass sich sowohl in der Größe der Bevölkerung wie auch dem Umfang der Produktion im Zeitablauf Wandlungen ergeben. Diesen dynamischen Verlauf der Armut erfassen wir dadurch, dass wir die Veränderungen in den Wachstumsraten der Bevölkerung sowie im Inlandsprodukt überprüfen.

 

Eine Verschlechterung der Lage ergibt sich immer dann, wenn die Wachstumsrate der Bevölkerung über der Wachstumsrate der Güterproduktion liegt. Dies ist in erster Linie dann der Fall, wenn die Bevölkerung stärker steigt als das Inlandsprodukt. Armut kann sich aber natürlich auch dann einstellen, wenn die Bevölkerung sowie das Inlandsprodukt zurückgehen und die Schrumpfungsrate beim Inlandsprodukt stärker ausfällt als die Bevölkerungsstagnation.

 

Falsch wäre es allerdings, wenn man Armut nur dann prognostizieren würde, wenn das Inlandsprodukt zurückgeht. Wir haben durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, dass das Inlandsprodukt steigt, sogar sehr stark steigt, dass aber das Bevölkerungswachstum noch größer ist. Auch in diesem Falle ist mit einem Rückgang im Pro-Kopf-Einkommen und damit auch ab einer bestimmten Grenze mit einem An­stieg der Armut zu rechnen.

 

Genau diese Situation war zu Beginn der Industrialisierung im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert in Europa festzustellen. Die Industrialisierung brachte auf der einen Seite durch Spezialisierung, Arbeitsteilung, Einsatz von Maschinen sowie einer hohen Mobilität die Freisetzung der Produktivkräfte mit der Folge, dass die Güterproduktion anstieg.

 

Auf der anderen Seite brachte die Industrialisierung durch Auflösung der mittelalterlichen Familienstrukturen und der Wanderung in die Städte die Aufgabe der Geburtenbegrenzung und den Verlust des sozialen Schutzes innerhalb der Großfamilie, mit der Folge, dass die Geburtenrate und mit ihr die Wachstumsrate der Bevölkerung noch stärker als die Güterproduktion anstieg. In Folge dieser Entwicklung überstieg die Wachstumsrate der Bevölkerung anfangs die des Inlandsprodukts, was notwendigerweise zu einem Rückgang des Pro-Kopfeinkommens der gesamten Bevölkerung, besonders aber der Industriearbeiter führte.

 

Da gleichzeitig der soziale Schutz innerhalb der Großfamilie wegfiel, gerieten die Arbeiter bei Krankheit und Arbeitslosigkeit und im Alter wegen fehlender Rücklagen in Armut und Not. Es war also nicht die Übernahme industrieller Produktionsmethoden als solche, sondern die zu schnelle Aufgabe der mittelalterlichen Familienstrukturen verbunden mit einem enormen Anstieg in der Geburtenrate, welche zu Beginn der Industrialisierung zu Armut und Not geführt hat.

 

Befassen wir uns etwas ausführlicher mit den Bestimmungsgründen der Wachs­tumsrate des Inlandsproduktes. Walter Eucken hatte in seinen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre die Vorstellung entwickelt, dass Art und Umfang der Güterproduktion insgesamt von sechs volkswirtschaftlichen Daten bestimmt wird, die selbst wiederum einer Volkswirtschaft vorgegeben sind, also zumindest kurzfristig nicht beeinflusst werden können.

 

Zu diesen Daten zählte Walter Eucken den Bestand der drei Produktionsfaktoren Boden – oder wie man besser sagen würde: Natur –, Arbeit und Kapital, weiterhin die angewandte Produktionstechnik (den technischen Fortschritt), die Bedürfnisse der Bevölkerung sowie die rechtliche und wirtschaftliche Ordnung.

 

Diese sechs Daten beeinflussen auch die Frage, wann es zu einer allgemeinen Verarmung einer Bevölkerung kommt. Beginnen wir unsere Analyse mit dem Datum ‚Natur‘. Im Verlauf der menschlichen Geschichte begannen die Menschen zunächst als Nomaden, also als Sammler und Jäger, welche ihren Nahrungsspielraum noch nicht durch eigenen Anbau vergrößerten, sondern die weitgehend von den vorhandenen Früchten dieser Erde lebten.

 

Da dieser Vorrat begrenzt war und da vor allem diese Früchte nicht so schnell nachwuchsen, wie sie verzehrt wurden, sahen sich diese Volksstämme immer wiederum veranlasst, in andere Weidegebiete überzuwechseln, da die bestehenden Früchte nicht mehr ausreichten und deshalb Armut und Not drohten.

 

Von einer bestimmten Entwicklungsstufe an wurden die Menschen sesshaft und begannen mit Ackerbau. Sie hatten es nun selbst in der Hand, durch Anbau von Obst und Gemüse sowie Getreide dafür zu sorgen, dass das Angebot an Gütern ausreichend vorhanden war. Trotzdem waren sie auch in dieser Phase auf die Natur angewiesen, es kamen immer wiederum Jahre, in denen aufgrund von natürlichen Ereignissen wie Hagel, Unwetter, Dürreperioden die Ernte wesentlich geringer ausfiel und deshalb die verbleibenden Ernteerträge nicht ausreichten, um der Bevölkerung eine ausreichende Nahrung zu garantieren. Es kam wiederum zu Armut.

 

Der Ausbau des Handels und der Beginn einer gewerblichen Produktion brachte hier eine Entlastung. Es konnte damit gerechnet werden, dass nicht in allen Gegenden Missernten auftraten, sodass bei Auftreten von Missernten die fehlenden Nahrungsmittel durch Handel besorgt werden konnten. Die gewerblichen Produkte dienten dann dazu, sie gegen Nahrungsmittel auszutauschen. Gleichzeitig brachte auch die Einführung der Lagerhaltung eine Entlastung und erlaubte es, bei Missernten einen Teil des Bedarfes aus den bei guten Ernten eingerichteten Lagerbeständen zu befriedigen. Natürlich sind nicht alle Nahrungsmittel lagerfähig. Aber hier brachte später die Entwicklung von Konservierungstechniken die Möglichkeit, auch Gemüse und Obst als konservierte Produkte zu lagern.

 

Vor allem durch die Globalisierung und der mit ihr verbundenen Reduzierung der internationalen Handelsbeschränkungen ist es heute technisch gesehen möglich, nahezu alle Nahrungsmittel und anderen Naturprodukte zu allen Zeiten und in alle beliebigen Regionen der Welt zu liefern. Angesichts dieser Entwicklung könnte man – voreilig – den Schluss ziehen, dass von Seiten des Produktionsfaktors Boden bzw. der Natur aus keinerlei Gefahren mehr bestehen, dass es zu größerer Armut kommen kann.

 

Ein Blick gerade auf die jüngste Entwicklung in der landwirtschaftlichen Produktion weltweit zeigt jedoch, dass gerade heutzutage mit Entwicklungen gerechnet werden muss, die zu Armut größten Umfanges – sowohl in den Entwicklungsländern, aber auch in den hochentwickelten Staaten führen muss. Tsunamis, Erdbeben, Dürreperioden, Überschwemmungen und Wirbelstürme traten in der jüngsten Vergangenheit in immer schnellerer Abfolge und in einer Zunahme in der Intensität auf, auch in Gebieten, welche in der Vergangenheit von diesen Naturkatastrophen weitgehend verschont geblieben waren.

 

Diese Häufung in den Naturkatastrophen führte nicht nur zu einer weltweiten rapiden Zunahme von Armut und Elend. Man beginnt vielmehr zu erkennen, dass diese Häufung gerade durch die technische Entwicklung in der Landwirtschaft sowie in der Industrie vor allem durch eine zunehmende Umweltverschmutzung zumindest mit ausgelöst wurde, sodass es nur bei einem radikalen Wandel in den Produktionstechniken möglich erscheint, dieses neue Armutsproblem in den Griff zu bekommen.

 

Damit haben wir allerdings nur die eine Richtung der – Armut verursachenden – Bestimmungsgründe von Seiten des Produktionsfaktors Boden und Natur ange­sprochen. In der Literatur wurde noch eine zweite Möglichkeit diskutiert, wie von Seiten des Faktors Boden Armut größten Umfanges ausgelöst werden kann. Robert Malthus hatte die These vertreten, dass die Bevölkerung die Tendenz habe, im Sinne einer geometrischen Reihe (1, 2, 4, 8 usw.), der Nahrungsspielraum hingegen nur im Sinne einer arithmetischen Reihe (1, 2, 3, 4, usw.) zu wachsen. Sobald die Bevölkerung an die durch die Produktion gesetzten Grenzen gestoßen sei, komme es zu Kriegen und Hungersnöten und auf diesem Wege werde die Bevölkerung wieder dezimiert und auf die technisch mögliche Wachstumsrate der Nahrungsproduktion zurückgeführt.

 

Die Dynamik unserer Wirtschaft führe somit automatisch und zwangsweise zu Armut der Bevölkerung. Dieser Teufelskreis könnte nur durchbrochen werden, wenn die Menschen sexuelle Enthaltsamkeit übten und die Wachstumsrate der Bevölkerung durch freiwillige Aktionen der zu geringen Wachstumsrate der Nahrungsproduktion anpassten.

 

David Ricardo hat dann die These des zu geringen Wachstums des Nahrungsspielraums übernommen und präzisiert und gezeigt, dass die Bodenerträge bei Ausweitung der Arbeitskraft die Tendenz hätten, zwar absolut zu steigen, dass aber Ertragszuwächse pro Arbeitseinheit immer mehr zurückgingen. Man sprach später vom Gesetz des abnehmenden Bodenertrags der Arbeit und übertrug diese Gesetzmäßigkeit auch auf die industrielle Produktion (Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag der Arbeit).

 

David Ricardo erklärte diese Gesetzmäßigkeit des abnehmenden Bodenertrags damit, dass zunächst, solange noch keine Knappheit an Böden bestehe, die Böden mit dem höchsten Ertrag angebaut würden, dass aber dann, wenn Böden knapp würden, immer mehr auf Böden minderer Qualität zurückgegriffen werden müsse oder dass die Böden intensiver bebaut werden müssten. Da aber nun auf den Märkten für eine Gutseinheit immer der gleiche Preis erzielt werde, unabhängig davon, wie hoch die Kosten im Einzelnen sind und da das Güterangebot nur dann die Nachfrage ausreichend befriedigen kann, wenn auch der Besitzer des minderwertigsten gerade noch benötigten Bodens voll auf seine Kosten komme, stelle sich der Güterpreis auf die Kosten auf dem minderwertigsten Boden (dem sogenannten Grenzboden) ein und die Besitzer der qualitativeren Böden erhielten eine Differentialrente.

 

Da nun auf diese Weise bei Zunahme der Bevölkerung und damit der eingesetzten Arbeitskräfte ein immer größer werdender Teil des Ertrages als Bodenrente an die Bodenbesitzer gezahlt werden müsse, bleibe zur Auszahlung der Löhne immer weniger übrig, sodass mit Ausdehnung der Produktion das Lohneinkommen zurückgehe, auf das Existenzminimum absinke und damit die Armut immer größer werde.

 

Obwohl also diese Gesetzmäßigkeit später von der neoklassischen Theorie – wie bereits vermerkt – verallgemeinert wurde und auf alle Produktionsprozesse und alle Produktionsfaktoren ausgeweitet wurde, hat die geschichtliche Entwicklung diese Thesen von einer zunehmenden Verarmung nicht bestätigt. Formal gilt zwar das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag der Böden, aber diese Gesetzmäßigkeit wurde immer wieder dadurch hinausgezögert, dass die Anbaumethoden, also die Produktionstechniken verbessert wurden.

 

Dieser technische Fortschritt erhöhte generell die Produktivität mit der Folge, dass de facto der Bodenertrag (und auch der Ertrag der industriellen Anlagen) trotz des Gesetzes vom abnehmenden Grenzertrag stärker angehoben werden konnte als die Bevölkerung wuchs. Während sich das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag graphisch als eine Bewegung entlang einer abnehmenden Grenzertragskurve darstellt, lässt sich die Verbesserung in den Anbaumethoden (Produktionstechniken) aufgrund eines steigenden technischen Fortschrittes als eine Verschiebung der Grenzertragskurve nach oben beschreiben.

 

Wenn also auch die These der Verarmung bei Malthus und Ricardo aufgrund des technischen Fortschritts als widerlegt angesehen werden muss, bleibt das Verdienst von Robert Malthus, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zur Entstehung von Armut das Verhältnis der Wachstumsraten der Bevölkerung und der Güterproduktion gestellt zu haben. Immerhin bleibt bestehen, dass die wichtigste Ursache der Verarmung einer Bevölkerung darin liegt, dass die Wachstumsrate der Güterproduktion nicht mehr Schritt hält mit der Wachstumsrate der Bevölkerung.

 

Fragen wir uns nun in einem zweiten Schritt, inwieweit von der Entwicklung im Produktionsfaktor Arbeit Ursachen für ein Ansteigen der Armut liegen können. Im Altertum und Mittelalter bildete die Arbeitskraft oftmals eine der Quellen des Wohlstands insoweit, als die Herren der Länder über Sklaven und damit extrem billige Arbeitskräfte verfügten. Für die Sklaven selbst bildete allerdings das Sklaventum  die Ursache ihrer Armut, sodass wir hier bereits eine Ursache für eine unterschiedliche Reichtumsentwicklung in verschiedenen Bevölkerungsgruppen vorfinden.

 

In den modernen freiheitlichen Rechtsstaaten ist das Sklaventum abgeschafft und es sind heutzutage ganz andere Faktoren, welche von Seiten der Entwicklung in der Arbeitskraft eine weitverbreitete Armut auslösen können. Die rasante Entwicklung in den Produktionstechniken hat es nämlich mitgebracht, dass die Mindestbedingungen im Ausbildungstand der einzelnen Arbeitnehmer immer mehr ansteigen. Es gab zwar immer Berufe, welche nur mit hoher Ausbildung ausgeübt werden konnten (es waren die Berufe der Facharbeiter), zu einem großen Teil hingegen konnten immer auch ungelernte Arbeitskräfte ohne berufliche Ausbildung Beschäftigung finden.

 

Heutzutage steuern wir immer mehr auf eine Volkswirtschaft zu, in der nur noch Arbeitskräfte erfolgreich in der Produktion eingesetzt und damit beschäftigt werden können, die über eine Mindestausbildung verfügen. Trotzdem gibt es heute noch zahlreiche Arbeitnehmer, welche überhaupt keine oder nur eine höchst unbefriedigende Ausbildung erfahren haben. Hierzu zählen oftmals ausländische Arbeitskräfte, die vor allem wegen sprachlicher Schwierigkeiten keine ausreichende Schul- und Berufsausbildung erfahren haben, andererseits mangelt es auch Jugendlichen aus zerrütteten Familien sowie aus Familien mit einem kriminellen Hintergrund an den Mindestvoraussetzungen einer Bildung.

 

Wegen dieser mangelhaften Ausbildung finden diese Arbeitskräfte keinen regulären Arbeitsplatz, werden oder bleiben arbeitslos und sinken aus diesen Gründen in die Armut. Wenn auch hier in erster Linie eine Ursache für eine unterschiedliche Entwicklung der Verarmung in den einzelnen Bevölkerungsgruppen liegt und dieser Bestimmungsgrund in erster Linie im Rahmen des zweiten Modells über Ursachen der Verarmungserscheinungen in einzelnen Bevölkerungsschichten bei allgemeiner Wohlfahrt anzusprechen ist, bleibt trotzdem zu betonen, dass auch das allgemeine Wohlstandsniveau der Bevölkerung nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn eine ausreichende Ausbildung aller Arbeitskräfte sichergestellt ist.

 

Es kann kein Zweifel bestehen, dass auch dem dritten Produktionsfaktor: dem Kapital bei der Verursachung der allgemeinen Wohlfahrt einer Bevölkerung eine entscheidende Bedeutung zufällt. Der Übergang zu den produktivitätssteigernden Produktionstechniken war nur durch eine starke Mechanisierung des Produktionsprozesses möglich, also dadurch, dass zu immer kapitalintensiveren Verfahren übergegangen wurde.

 

Allerdings wäre es falsch, wenn wir annehmen würden, dass jede Mechanisierung eine Wohlstandsmehrung zur Folge habe und uns in der Bekämpfung der Armut näher an unser Ziel bringen könnte. Ganz im Gegenteil besteht immer die Gefahr, dass es auch ein zu viel an Mechanisierung geben kann. Wir haben davon auszugehen, dass es immer ein optimales Einsatzverhältnis der Produktionsfaktoren zueinander gibt. Solange dieses Optimum im Hinblick auf den Mechanisierungsgrad noch nicht erreicht ist, führt eine Erhöhung der Kapitalintensität zu einer Wohlfahrtsmehrung, ist jedoch dieses Optimum bereits erreicht, würde eine weitere Mechanisierung die Wohlfahrt wieder vermindern und neue Armut erzeugen. 

 

Mechanisierung bedeutet ja, dass Arbeit durch Kapital ersetzt wird und dies kann – muss nicht – durchaus dazu führen, dass Arbeitnehmer entlassen und damit arbeitslos werden und in die Armut versinken. Dies kann zunächst nur bedeuten, dass einzelne Arbeitnehmer (z. B. die ungelernten Arbeiter) verarmen bei gleichzeitigem Anstieg der Wohlfahrt der gesamten Bevölkerung; es ist aber klar, dass wenn der Mechanisierungsprozess immer weiter vorangetrieben würde, dass dann von einem bestimmten kritischen Moment an auch die gesamte Wohlfahrt der Bevölkerung zurückginge und damit allgemeine Armut entstehen würde.

 

Ob wir uns nun diesseits oder jenseits dieses optimalen Mechanisierungsgrades befinden, hängt nun entscheidend davon ab, in welchem Verhältnis das Einsatzverhältnis von Kapital und Arbeit zu dem vorhandenen Bestand an Kapital pro Arbeit besteht. Arbeitslosigkeit und damit Armut kann nur dann vermieden werden, wenn die Kapitalintensität der Produktion im Durchschnitt der Volkswirtschaft gerade dem tatsächlichen Knappheitsverhältnis von Kapital zu Arbeit entspricht. Nur in diesem Falle können alle angebotenen Produktionsfaktoren auch beschäftigt werden.

 

Welchen Mechanisierungsgrad die Unternehmer tatsächlich wählen, hängt nun entscheidend vom Lohn-Zins-Verhältnis ab. Je höher die Löhne steigen und über der Arbeitsproduktivität liegen und je niedriger die Sollzinsen angesetzt werden, umso mehr lohnt es sich für die Unternehmungen, zu kapitalintensiveren Verfahren überzugehen und sobald der optimale Mechanisierungsgrad überschritten ist, entsteht Arbeitslosigkeit und mit ihr Armut. Es kommt also darauf an, das Lohn-Zins-Verhältnis an diese Knappheitsrelationen anzupassen.

 

Ein viertes Datum für die wirtschaftliche Wohlfahrt und damit auch für die Verursachung von Armut sah Walter Eucken in der angewandten Produktionstechnik. Wird diese verbessert, sprechen wir von technischem Fortschritt. Mit Fortschritt verbinden wir im Allgemeinen stets eine Steigerung der Wohlfahrt und es leuchtet ohne weiteres ein, dass der technische Fortschritt eine Steigerung der Effizienz der Produktion verursacht und dass diese im Allgemeinen die Wohlfahrt steigert.

 

Weniger klar ist, warum überhaupt vom technischen Fortschritt unter gewissen Bedingungen Armut ausgelöst wird. Man könnte vermuten, dass technischer Fortschritt immer eine Steigerung der Wohlfahrt auslöst, warum sollte man denn die angewandte Technik verändern, wenn sie sogar zu einer Minderung in der Wohlfahrt führt? Trotzdem müssen wir davon ausgehen, dass bestimmte Arten von technischem Fortschritt tatsächlich die Wohlfahrt vermindern und auf diesem Wege sogar Armut erzeugen können.

 

Zunächst gilt es festzustellen, dass wir bewusst von ‚technischem‘ Fortschritt sprechen, wir bringen damit zum Ausdruck, dass zunächst nur in der Art der Technik Verbesserungen stattgefunden haben. Natürlich können wir davon ausgehen, dass wir Verbesserungen in der Technik in der Regel deshalb einführen, weil wir uns hieraus auch Verbesserungen in der materiellen Wohlfahrt versprechen.

 

Wir erwarten, dass der technische Fortschritt auch zu einem wirtschaftlichen Fortschritt im Sinne einer Steigerung der materiellen Wohlfahrt führt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht aufgrund fehlerhafter Entscheidungen oder aufgrund falscher Anreize auch Verbesserungen in der Technik eingeführt werden, die im Nachhinein die wirtschaftliche Effizienz sogar mindern. Wir haben zu bedenken, dass gerade die Einführung neuer Techniken mit hohen Risiken verbunden ist, bei der Entscheidung über die Einführung einer neuen Technik ist noch unklar, ob die erwartete Effizienzsteigerung tatsächlich eintritt und vor allem, in welchem Umfang nicht vorhergesehene, unerwünschte Nebenwirkungen eintreten.

 

Aber auch dann, wenn wir davon ausgehen können, dass im konkreten Einzelfall die Anwendung neuer Produktionstechniken zu einem ‚wirtschaftlichen‘ Fortschritt geführt hat, bleibt immer noch zu klären, ob dies auch ein Fortschritt im sozialen Sinne darstellt, nicht jeder technische und wirtschaftliche Fortschritt stellt auch einen sozialen Fortschritt dar.

 

Die zwei wichtigsten Gründe dafür, dass sich mit einem wirtschaftlichen Fortschritt nicht immer ein sozialer Fortschritt einstellt, liegen auf der einen Seite dann vor, wenn diese Einführung neuer Techniken zwar den Unternehmern, welche diese Technik einführen, einen zusätzlichen Gewinn bringt, wenn aber das Einkommen der übrigen Bevölkerung, vor allem der Arbeitnehmerschaft deshalb sogar zurückgeht. Auf der anderen Seite besteht unter Umständen die Gefahr, dass aufgrund der Einführung neuer Produktionsanlagen Arbeitslosigkeit in größerem Umfang entsteht. Beide Auswirkungen hängen natürlich eng miteinander zusammen, sodass wir beide Wirkungszusammenhänge zusammen behandeln sollten. Auf jeden Fall würde in diesem Falle aufgrund des technischen Fortschrittes die Armut zu – und nicht wie erhofft – abnehmen.

 

Bevor wir uns aber mit diesen Auswirkungen näher befassen, sollten wir uns noch kurz über die Beziehungen zwischen dem Kapitaleinsatz und technischem Fortschritt befassen. In der Öffentlichkeit werden beide Vorgänge – die Mechanisierung der Produktion und die Einführung eines technischen Fortschrittes – als ein und dieselben Vorgänge angesehen. Und in der Tat können wir beobachten, dass in der Realität tatsächlich beide Daten eng miteinander verbunden sind, dass eine zunehmende  Mechanisierung (eine Erhöhung der Kapitalintensität) gerade deshalb eintritt, weil eine neue Produktionstechnik eingeführt wurde. Nahezu jede Änderung in der angewandten Technik führt auch zu einer Änderung der Kapitalintensität.

 

Trotzdem unterscheiden wir in der Wachstumstheorie deutlich zwischen diesen beiden Vorgängen (Veränderung in der Kapitalintensität und Technischer Fortschritt). Als erstes gilt es festzustellen, dass auch bei gleichbleibender Technik oftmals durchaus die Kapitalintensität erhöht (oder auch vermindert) werden kann. Zweitens führt nicht jede Änderung in der angewandten Technik zu einer Erhöhung der Kapitalintensität und damit zu einer Mechanisierung. Wir unterscheiden nämlich im Allgemeinen zwischen verschiedenen Arten des technischen Fortschrittes, vor allem wird der arbeitssparende vom kapitalsparenden und vom neutralen technischen Fortschritt unterschieden.

 

Von arbeitssparendem technischem Fortschritt sprechen wir dann, wenn bei gleicher Produktionsmenge Arbeit eingespart wird, wenn also bei gleichem Lohnsatz (oder Lohn-Zins-Verhältnis) der Arbeitskoeffizient (die zur Erstellung einer Gutseinheit notwendige Arbeitsmenge) verringert werden kann. In analoger Weise sprechen wir von kapitalsparendem Fortschritt, wenn Kapital eingespart wird, wenn also bei gleichem Zinssatz der Kapitalkoeffizient (die zur Erstellung einer Gutseinheit not­wendige Kapitalmenge) verringert werden kann. Neutraler technischer Fortschritt liegt schließlich dann vor, wenn die Einführung der neuen Technik in  gleichem Maße Arbeit und Kapital einsparen hilft, wenn also bei gleichbleibendem Lohn –Zins-Verhältnis das Einsatzverhältnis von Arbeit zu Kapital konstant bleibt.

 

Der Unterschied zwischen Veränderung der Kapitalintensität und dem technischen Fortschritt lässt sich nun am besten anhand einer Graphik erklären. Wir tragen auf der Abszisse die Kapitalintensität (K/A) und auf der Ordinate die Produktivität der Arbeit (X/A) ab. Wir zeichnen in dieses Diagramm die Kurve der Arbeitsproduktivität ein, welche angibt, wie sich die Arbeitsproduktivität mit wachsender Kapitalintensität verändert. Im Allgemeinen wird unterstellt, dass mit zunehmender Kapitalintensität die Arbeitsproduktivität ansteigt.

 

 

 

 

 

Eine Mechanisierung stellt nun eine Bewegung entlang der Produktivitätskurve dar. Die Produktivitätssteigerung tritt nur deshalb ein, weil pro Arbeitseinheit mehr Kapital eingesetzt wird. Ein technischer Fortschritt läge hingegen dann vor, wenn sich aufgrund veränderter Technik die Produktivitätskurve nach oben verlagern würde (gestrichelte Kurve). Auch bei gleichbleibender Kapitalintensität würde die Produktivität ansteigen. Natürlich wird man unterstellen können, dass in der Regel der technische Fortschritt auch dazu führt, dass auch die Kapitalintensität erhöht wird. Die tatsächliche Produktivitätssteigerung erklärt sich in diesem Falle aus einer Steigerung der Produktivität bei gleichbleibender Kapitalintensität und zusätzlich aus einer Erhöhung der Kapitalintensität.

 

Die entscheidende Frage ist nun, unter welchen Bedingungen wir befürchten müssen, dass der technische Fortschritt zu Arbeitslosigkeit größeren Umfangs und damit auch zu einer weitverbreiteten Verarmung der Arbeitnehmer führt.

 

Karl Marx versuchte nachzuweisen, dass der starke Wettbewerb der Unternehmungen untereinander die Kapitalisten zwinge, ihren Gewinn (Mehrwert) sofort wiederum zu investieren (zu akkumulieren), wobei sich die Kapitalintensität stetig erhöhe (die organische Zusammensetzung des Kapitals sich verschlechtere). Es würden auf diese Weise immer mehr Arbeitnehmer entlassen. Immer mehr Arbeitnehmer würden auf diese Weise durch Maschinen ersetzt und entlassen und als Arbeitslose in die Verarmung sinken. Gleichzeitig entstehe ein Druck auf die Löhne, die arbeitslosen Arbeitnehmer seien bereit, zu immer geringeren Löhnen ihre Arbeitskraft anzubieten, mit der Folge, dass auch die nach wie vor beschäftigten Arbeitnehmer ein immer geringer werdendes Lohneinkommen erhalten. Es entstehe so eine wachsende Verelendung und Verarmung unter der Arbeitnehmerschaft.

 

Diese pessimistischen Voraussagen wurden durch die historische Entwicklung eindeutig widerlegt. Die Industrialisierung hatte zwar mit verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Arbeitsbedingungen begonnen. Aber weil im Zuge der Weiterentwicklung die Wachstumsrate des Inlandsproduktes immer mehr anstieg, gleichzeitig aber die Wachstumsrate der Bevölkerung schließlich wiederum abnahm, konnte auch das durchschnittliche Lohneinkommen entscheidend angehoben werden. Auch ist es fraglich, ob sich der technische Fortschritt immer oder überwiegend in Form eines arbeitssparenden Fortschrittes ausgewirkt hat.

 

Im Rahmen der Wachstumstheorie geht man im Allgemeinen in langfristiger und gesamtwirtschaftlicher Sicht von einem neutralen technischen Fortschritt aus. R. F. Harrod, einer der Begründer der keynesianisch orientierten Wachstumstheorie meinte, dass es keinen sichtbaren Grund gebe, dass der technische Fortschritt eine eindeutige Tendenz zu arbeits- oder auch kapitalsparenden Fortschritt aufweise. Deshalb gehe die Wachstumstheorie von einem vorwiegend neutralen technischen Fortschritt aus.

 

Erich Streißler vertrat die These, dass der technische Fortschritt langfristig kapitalsparend und nicht arbeitssparend gewesen sei, arbeitssparend wäre nur der relativ kleine Teil der Investitionen in Maschinen gewesen; langfristig wirkten sich jedoch die kapitalsparenden Effekte bei den Lagerinvestitionen aus, die selbst wiederum durch den technischen Fortschritt im Transportwesen möglich geworden seien.

 

Andere Wachstumstheoretiker, vor allem Nicholas Kaldor versuchten sogar nachzuweisen, dass der Markt von sich aus auf einen neutralen technischen Fortschritt hinarbeite. Würde sich z. B. eine vorübergehende Tendenz zum arbeitssparenden technischen Fortschritt einstellen, so würde sich hieraus zunächst größere Arbeitslosigkeit entwickeln. Dieser Angebotsüberhang auf den Arbeitsmärkten übte jedoch einen starken Druck auf die Löhne aus, die Arbeitnehmer seien nun bereit, zu geringeren Löhnen (Lohnzuwächsen) ihre Arbeit anzubieten.

 

Bei gleichbleibendem Zinssatz verringere sich damit das Lohn-Zins-Verhältnis. Bei einem geringeren Lohn-Zins-Verhältnis lohne es sich jedoch für die Unternehmer, zu Investitionen mit einer geringeren Kapitalintensität überzugehen, was gleichbedeutend damit sei, dass immer weniger arbeitssparender technischer Fortschritt eingeführt werde. Es entstehe so eine Tendenz zum neutralen Fortschritt.

 

Dieser zuletzt genannte Zusammenhang macht auch darauf aufmerksam, dass arbeitssparender technischer Fortschritt oftmals Folge einer verfehlten Verteilungs- und Konjunkturpolitik sein kann. Keynesianer versuchen bekanntlich den Konjunkturabschwung und die damit verbundene Zunahme der Arbeitslosigkeit damit zu bekämpfen, dass das Zinsniveau gesenkt wird; nicht vorwiegend deshalb, weil eine Zinssenkung private Investitionen anregen würden – Keynesianer gehen ja davon aus, dass die privaten Investitionen extrem zinsunelastisch sind –, sondern deshalb, weil im Rahmen der keynesianischen Konjunkturpolitik eine Zunahme der Staatsverschuldung für notwendig erachtet wird und weil die hierdurch entstehende Zinsbelastung des Staates nur dann begrenzt werden kann, wenn das Zinsniveau trotz Mehrnachfrage des Staates auf den Kapitalmärkten gering gehalten werden kann.

 

Arbeitslosigkeit wird also im Rahmen keynesianischer Politik unter anderem durch Zinssenkungen bekämpft. Gleichzeitig werden die Gewerkschaften zu expansiven (über den Zuwachs der Arbeitsproduktivität hinausgehenden) Lohnforderungen ermuntert. Werden nun zur gleichen Zeit die Zinsen gesenkt und die Lohnsätze erhöht, so steigt das Lohn-Zins-Verhältnis von beiden Seiten (Lohn und Zins) aus und diese Erhöhung des Lohn-Zins-Verhältnisses veranlasst die Unternehmungen, die Kapitalintensität zu erhöhen und zu arbeitssparenden technischen Fortschritt Zuflucht zu nehmen. Anstelle einer Verringerung der Arbeitslosigkeit tritt dann sogar eine Zunahme auf. Arbeitslosigkeit und Verarmung ist hier Folge einer verfehlten Politik.

 

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen entstand ein Streit darüber, inwieweit die Einführung eines arbeitssparenden technischen Fortschrittes tatsächlich per Saldo zu einer Vernichtung von Arbeitsplätzen führt. Natürlich war unbestritten, dass auf mikroökonomischer Ebene jeder arbeitssparende Fortschritt Arbeitsplätze vernichtet, sonst könnte man eben nicht von arbeitssparenden technischen Fortschritt sprechen.

 

Kontrovers war jedoch die Frage, inwieweit durch Einführung arbeitssparenden technischen Fortschritts gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit entsteht. Wir müssen nämlich berücksichtigen, dass durch Änderung der Produktionstechnik nahezu immer neue Anlagen errichtet werden müssen, dass also Investitionen getätigt werden, aufgrund derer neue Arbeitsplätze errichtet werden. In den Wirtschaftszweigen, in denen diese Anlagen eingesetzt werden, wird davon ausgegangen werden müssen, dass Arbeitsplätze vernichtet werden, ein Teil der bisher anfallenden Arbeit wird nun von Maschinen übernommen. In den Wirtschaftszweigen hingegen, in denen diese Anlagen produziert werden, werden neue Arbeitsplätze errichtet.

 

Die Anhänger der Freisetzungstheorie befürchteten nun, dass in den Maschinen einsetzenden Industrien mehr Arbeitsplätze vernichtet werden als in den Investitionsgüterindustrien neue Arbeitsplätze errichtet werden. Die sogenannten Kompensationstheoretiker waren hingegen optimistisch und vertrauten darauf, dass insgesamt in der gesamten Volkswirtschaft mehr Arbeitsplätze durch technischen Fortschritt entstehen als vernichtet werden.

 

Natürlich entstehen auch dann, wenn man darauf vertraut, dass die gesamtwirtschaftliche Arbeitsnachfrage nicht zurückgeht, im Zusammenhang mit arbeitssparenden Fortschritt Probleme der Armut. Denn in aller Regel werden in der Investitionsgüterindustrie andere Arbeitnehmer eingestellt, als in der – Maschinen einsetzenden – Industrie Arbeitnehmer entlassen werden. Es wird also in der Regel auch bei einer volkswirtschaftlichen Kompensation dazu kommen, dass einzelne Arbeitnehmer arbeitslos werden und auch längere Zeit bleiben und deshalb unter Umständen in Armut sinken. Es ist dies jedoch ein Problem, das im zweiten Modell zur Sprache kommen muss, wenn wir nach den Ursachen dafür fragen, dass bei allgemeinem Reichtum einer Nation einzelne Bevölkerungsgruppen trotzdem verarmen.

 

Die Bedeutung der Kompensation spielt natürlich nur dann eine Rolle, wenn wir davon ausgehen müssen, dass die Marktmechanismen nicht mehr einwandfrei arbeiten. Entweder unterstellen wir mit Keynes, dass die Kapitalmärkte pathologisch werden, dass also ein Rückgang in der Konsumnachfrage aufgrund eines Anstiegs in der Sparquote entweder gar nicht dazu führt, dass mehr Kapital auf den Kapitalmärkten angeboten wird (These von der Liquiditätsfalle) oder dass diese Gelder zwar dem Bankenapparat angeboten werden und dass auch die Zinsen gesenkt werden, dass aber die Unternehmer auf Zinssenkungen in zu geringem Maße mit einer Ausweitung der Investitionen und damit der Nachfrage nach Kapital reagieren (These von der zu geringen Zinselastizität der Investitionen).

 

Oder aber man geht mit den Angebotstheoretikern von der Annahme aus, dass die Arbeitsmärkte pathologisch reagieren, dass also vor allem Löhne durchgesetzt werden, bei denen kostenbedingt die Nachfrage nach Arbeit nicht ausreicht, um das gesamte Arbeitsangebot aufzunehmen.

 

Gleichgültig, von welcher dieser beiden Positionen wir ausgehen, arbeitssparender technischer Fortschritt führt zunächst in einem ersten Schritt nur zu einer Abnahme in der Nachfrage nach Arbeitskräften. Ob hierdurch Arbeitslosigkeit entsteht, hängt nun davon ab, wie groß das Arbeitsangebot ist. Wir haben oben bereits erwähnt, dass wir eigentlich nur dann von einem (arbeitssparenden) sozialen Fortschritt sprechen können, wenn auf diese Weise Bedürfnisse befriedigt werden können, die ohne Änderung dieser Produktionstechniken aus Mangel an Arbeitskräften hätten gar nicht befriedigt werden können. Hier werden zwar auch Arbeitsplätze wegrationalisiert, es entsteht jedoch trotzdem keine zusätzliche Arbeitslosigkeit, weil diese Arbeitsplätze bisher mangels Arbeitskräften gar nicht besetzt werden konnten.

 

Wir hatten ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass arbeitssparender technischer Fortschritt nicht wie Manna vom Himmel fällt, dass die Art des technischen Fortschrittes selbst wiederum davon abhängt, ob das Lohn-Zinsverhältnis den Knappheitsverhältnissen zwischen Arbeit und Kapital entspricht. Immer dann, wenn die Löhne über dem Gleichgewichtslohn und die Zinsen unter dem Gleichgewichtszins liegen, lohnt es sich für die Unternehmer, vorwiegend arbeitssparenden Fortschritt einzuführen. Und nur dadurch, dass das Lohn-Zins-Verhältnis wiederum dem Knappheitsverhältnis angepasst wird, kann auf lange Sicht gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit vermieden werden.

 

Wir kommen nun zu dem fünften von Walter Eucken beschriebenen Datum für die Wohlfahrtsentwicklung: den Bedürfnissen. Wir haben davon auszugehen, dass in einer freien Marktwirtschaft nur solche Güter produziert und angeboten werden, die auch eine Nachfrage finden. Insoweit setzt in der Tat Produktion und Beschäftigung immer auch eine Nachfrage voraus.

 

Es wäre jedoch falsch zu unterstellen, dass gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit dadurch ausgelöst und damit auch allgemeine Armut entstehen könnte, weil aufgrund von Sättigungserscheinungen die Konsumnachfrage zu gering werde, um das gesamte technisch mögliche Güterangebot aufzunehmen.

 

Joseph Alois Schumpeter hat darauf aufmerksam gemacht, dass zu allen Zeiten, auch schon im Altertum und Mittelalter immer wieder Unterkonsumtionstheoretiker aufgetreten seien, die eine baldige Sättigung der Bedürfnisse und in Folge dessen hohe Arbeitslosigkeit und Armut prophezeit haben. Alle diese Propheten seien durch die geschichtliche Entwicklung widerlegt worden, es habe diesen Theoretikern einfach an Phantasie gefehlt, sich auszudenken, welche Bedürfnisse entwickelt werden könnten.

 

Wenn wir an die zukünftige Entwicklung der nächsten Jahrzehnte denken, so gibt es genügend gesamtwirtschaftlichen Bedarf, um allen arbeitsfähigen Personen Arbeit zu garantieren. Wenn wir z. B. ernst machen wollen mit der Forderung, dass in allen Entwicklungsländern Maßnahmen ergriffen werden, um allen Bewohnern ein Existenzminimum zu garantieren, wird der Bedarf an Gütern enorm ansteigen. Bringen wir als zweites Beispiel die Aufgaben, die im Zusammenhang mit den Umweltschäden, die zumindest zum Teil durch die traditionelle Produktionsweisen ausgelöst wurden, entstehen und enorme Anstrengungen erfordern; auch in diesem Zusammenhang wird die Nachfrage enorm ansteigen.

 

Schließlich sei an  ein drittes Beispiel erinnert. Der Medizin ist es zwar gelungen, die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten entscheidend zu verlängern, nicht aber gleichzeitig den überdurchschnittlich hohen Krankenstand im Alter wesentlich zu reduzieren. Wir werden also in Zukunft in immer stärkerem Maße damit rechnen müssen, dass der Anteil der Behinderten an der Bevölkerung stark ansteigen wird. Auch in  diesem Zusammenhange entsteht ein enormer Bedarf nicht nur an Pflegeleistungen, sondern auch an eine – Behinderten gerechte – Ausgestaltung der Güter einschließlich des Verpackungsmaterials.

 

Wir können also davon ausgehen, dass es zumindest in den nächsten Jahrzehnten nicht an Nachfrage mangeln wird und dass aus diesen Gründen keine Massenarbeitslosigkeit und allgemein verbreiterte Armut zu erwarten ist. Dies bedeutet wiederum nicht, dass aufgrund von Marktmängeln eine Veränderung in der Nachfrage nicht doch dazu führen kann, dass mangels Anpassungsfähigkeit in einzelnen Wirtschaftszweigen Arbeitskräfte entlassen werden und dass diese auch nicht in relativ kurzer Zeit eine neue Arbeit in anderen Wirtschaftsbereichen finden werden, sodass diese Arbeitnehmer dann aufgrund einer Langzeitarbeitslosigkeit in Armut versinken.

 

Dies ist jedoch wiederum ein Problem, das in unserem zweiten Modell angesprochen ist, in dem nach den Ursachen für Armut inmitten allgemeiner Wohlfahrt gefragt wird. Hier an dieser Stelle geht es allein um die Frage, ob Nachfrageausfälle aufgrund von Sättigung eine allgemeine, auf nahezu die gesamte Arbeitnehmerschaft verbreitete Armut auslösen werden. Und diese Frage kann angesichts der aufgezeigten Zukunftsaufgaben eindeutig verneint werden.

 

Wir haben uns schließlich mit der Frage zu befassen, inwieweit das von Walter Eucken beschriebene sechste Datum der wirtschaftlichen Entwicklung: die wirtschaftliche und rechtliche Ordnung allgemeine Armut auslösen kann.

 

Genau diese Problematik war bereits bei Karl Marx angesprochen, als er auf der einen Seite nachzuweisen versuchte, dass ein kapitalistisches System notwendigerweise zu einer Verarmung der gesamten Arbeitnehmerschaft führen müsse, dass aber auf der anderen Seite bei Überführung des erwerbswirtschaftlichen Privateigentum in Staatshand die Produktivkräfte in so hohem Maße entfaltet werden könnten, dass alle Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung voll befriedigt werden könnten.

 

Beide Thesen wurden durch die geschichtliche Entwicklung widerlegt. Weder trat eine zunehmende Verarmung in der Arbeitnehmerschaft in kapitalistischen Systemen insgesamt ein noch entwickelte sich die Wachstumsrate in den kommunistischen Staaten so rasant, dass die Knappheit der materiellen Ressourcen überwunden werden konnte.

 

Der Beginn der Industrialisierung war zwar durch eine starke Verarmung der Industriearbeiter und durch verheerende soziale Missstände geprägt, die jedoch weniger durch die Funktionsweise der marktwirtschaftlichen Ordnung, sondern durch den schnellen Zusammenbruch der mittelalterlichen Feudalstrukturen ausgelöst wurde. In der Tat kam es dann nach einigen Jahrzehnten zu einem beachtlichen Anstieg im Durchschnitt der Lohneinkommen.

 

In der Wirtschaftswissenschaft besteht heutzutage weitgehend Einigkeit, dass das marktwirtschaftliche System weit besser in der Lage ist als die sozialistische Planwirtschaft, die Produktivkräfte zu entfalten und effizient zu produzieren und die Produktion an der Nachfrage der Konsumenten auszurichten. Diese Tatsache wurde auch von den kommunistischen Machthabern – zwar recht spät – erkannt und sie versuchten diese Mängel dadurch zu überwinden, dass sie Teile der marktwirtschaftlichen Ordnung übernahmen. So näherte Chruschtschow die staatliche Planwirtschaft an die Marktwirtschaft dadurch an, dass er eine beschränkte Konsumfreiheit zuließ und unter Gorbatschow wurde die staatliche Planwirtschaft des Ostblocks stark dezentralisiert.

 

Trotzdem ist es dem Kommunismus nicht gelungen, die Unterlegenheit der staatlichen Planwirtschaft zu überwinden und der sowjetische Machtblock ist schließlich in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eben an diesen Schwächen zugrunde gegangen. Zwar wird man nicht beschreiten können, das auch der sowjetische Kommunismus zu einer begrenzten Wohlfahrtssteigerung geführt hat. Es trat also sicherlich keine gravierende Verarmung ein, wie dies in zahlreichen Entwicklungsländern vor allem Afrikas heute der Fall ist.

 

Neben der systematischen Unterlegenheit jeder staatlichen Planwirtschaft in Fragen der Allokation und des wirtschaftlichen Wachstums hat zu dem Untergang der Sowjetunion zusätzlich beigetragen, dass die Sowjetunion eine Weltvorherrschaft anstrebte und sich deshalb gezwungen sah, militärisch so stark aufzurüsten, dass sie der USA Paroli bieten konnte. Wenn aber die Sowjetunion in den Rüstungsan­strengungen mit den wirtschaftlich stärkeren USA mitziehen oder diese sogar überrunden wollte und das Wachstumsniveau insgesamt geringer ausfiel als das der USA, blieb notwendigerweise für die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung wesentlich weniger übrig. Vor allem der amerikanische Präsident Reagan versuchte ja bewusst, die Sowjetunion zu einem solchen Wettrennen zu zwingen, sodass die Sowjetunion langfristig verlieren musste.

 

Die Übernahme von Teilen der Marktwirtschaft brachte auch nicht den durchschlagenden Erfolg, da eine Öffnung der Märkte das Aufrechterhalten der politischen Diktatur erschwerte, denn mit den Gütern kamen auch über Radio und Fernsehen und über Berichte der Handelstreibenden freiheitliche Meinungen und Zweifel an der Überlegenheit des politischen Systems ins Land. Deshalb wurden die Liberalisierungsbemühungen zeitweise immer wieder unterbrochen.

 

Der Wettbewerb der Systeme wurde jedoch nicht nur auf militärischem Wege ausgefochten, die Vertreter beider Systeme versuchten auch propagandistisch die Überlegenheit ihrer wirtschaftlichen und politischen Ordnung zu unterstreichen. Da jedoch das wirtschaftliche System der staatlichen Planwirtschaft der Marktwirtschaft im Hinblick auf die Allokation und dem Wachstum – wie erwähnt – unterlegen ist, wurden immer weniger knappe Ressourcen für den Erhalt und den Ausbau der öffentlichen Infrastrukturen eingesetzt und die zu knappen Ressourcen wurden vielmehr schwergewichtig für konsumtive Belange eingesetzt.

 

Es ist jedoch klar, dass eine Volkswirtschaft auf Dauer nicht auf Ersatzinvestitionen im Bereich der Infrastrukturen verzichten kann, sodass über kurz oder lang das System zusammenbrechen musste. Erst nach dem Zusammenbruch wurde sichtbar, in welch gravierendem Maße vor allem auch die DDR-Führung den Erhalt der Infrastrukturen in den letzten Jahren vernachlässigt hatte.

 

Wenn also das staatlich planwirtschaftliche System auch nicht notwendigerweise zu einer absoluten Verarmung der Bevölkerung geführt hat, im Wettkampf um die Wachstumsraten konnte der Kommunismus nicht mithalten, es kam also dann zu einer Differenzierung in den Wohlfahrtsniveaus, es trat also genau das ein, was die kommunistischen Ideologen für die kapitalistische Gesellschaft prophezeiten, dass nämlich zwar keine absolute, aber doch eine relative Verarmung zu erwarten wäre.

 

Fortsetzung folgt!