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Zur Reform des Tarifvertragswesens, Teil IV

 

 

 

Gliederung:

 

1. Problem 

2. Die Regelung zu Beginn der BRD

3. Die ideellen Grundlagen

4. heutige Missstände

    a. Tarifeinheit bedroht

    b. Erpressung von kleinen Gewerkschaften

    c. Erpressung der unbeteiligten Endverbraucher

    d. Lohnsatz einiger Arbeitnehmergruppen unterhalb des Existenzminimums

 5. Ursachen für diese Entwicklung

  

6. Reformvorschläge

   a. Abhilfe durch Individualgüter

   b. größerer Schutz Unbeteiligter

 

 

6. Reformvorschläge

    b. Größerer Schutz Unbeteiligter

 

Abschließend wollen wir uns mit der Frage befassen, ob es auch möglich ist, das Tarifvertragswesen so zu reformieren, dass bei Ausbruch eines Arbeitskonfliktes keine unbeteiligten Dritte in starkem Maße beeinträchtigt werden. Wir hatten weiter oben bereits daraufhin gewiesen, dass es hierbei nicht einfach möglich ist, diese Art von Arbeitskonflikten generell per Gesetz zu verbieten. Zwar ist es im Rahmen unserer Rechtsordnung möglich, dass in Fällen mit besonders starker Beeinträchtigung Dritter ein Gericht einen konkreten Streik verbieten kann, dann nämlich, wenn die eingesetzten Mittel im Hinblick auf die verfolgten Streikziele unangemessen sind und/oder das Allgemeinwohl durch den Streik stark beeinträchtigt würde. Das Streikrecht zählt aber ebenfalls zu den in unserem Grundgesetz geschützten Grundrechten.

 

Auch müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es wohl kaum möglich ist, durch eine einfache Regelung diese sehr komplexe Problematik zu lösen. Das weitgehend unbegrenzte Recht zum Streik ist in so starkem Maße in der öffentlichen Meinung verankert, dass eine grundlegende Reform auf diesem Gebiet einer sehr intensiven Erörterung in der Öffentlichkeit bedarf. An dieser Stelle kann ich nur versuchen, einen Anstoß zu einer solchen Reform zu geben, es wäre illusorisch zu meinen, dass ein Reformvorschlag – wie er auch aussehen mag  – in der heutigen Zeit sofort aufgegriffen und politisch umgesetzt würde.

 

Ich sehe im Grunde drei verschiedene Ansätze, mit deren Hilfe eine Reform des Tarifvertragswesens in dieser Frage eingeleitet werden könnte. Als erstes gehe ich davon aus, dass die eigentliche Wirkung, welche wir vom Streik auf den Ausgang der Tarifverhandlungen erwarten können, gar nicht so sehr vom tatsächlich durchgeführten Arbeitskampf, sondern bereits von der Androhung mit Streik ausgeht.

 

Nach der Lohntheorie von John Richard Hicks kommt es nur in Ausnahmefällen zum Ausbruch eines Streiks. Die Streikwaffe wird als Instrument zur Erkämpfung höherer Löhne oder besserer Arbeitsbedingungen angesehen. Die Arbeitnehmer haben ein Interesse daran, so lange mit Streik zu drohen, als sie damit rechnen können, dass die Arbeitgeber aufgrund der Streikdrohungen zu Lohnzugeständnissen bereit sind. 

 

Hierbei wird unterstellt, dass die Tarifpartner die Strategie der anwenden. Man einigt sich in einem ersten Schritt auf die Punkte, in denen Einigkeit besteht und versucht dann in weiteren Schritten Lösungen, welche beiden Partnern Vorteile bringen. Die Verhandlungen kommen zum Ende, wenn keine Lösung mehr gefunden wird, bei der zumindest eine Partei noch Vorteile erhält, keine der beiden Parteien jedoch bereits Nachteile gegenüber dem bisher Erreichten erlangt.

 

Bei jedem Schritt – so unterstellt Hicks  – führen die Arbeitgeber einen Kostenvergleich durch. Sie überprüfen, welche Kosten entstehen, wenn sie hart bleiben, also den Forderungen der Gewerkschaften nicht weiter nachgeben und damit einen Streik riskieren. Zu den Kosten eines Streikausbruchs zählen erstens die fixen Kosten, welche auch dann anfallen, wenn nicht produziert wird, zweitens fallen unter Umständen Vertragsbußen an, da die betroffenen Unternehmungen ihre Waren nicht rechtzeitig liefern können und drittens droht langfristig die Gefahr Kunden zu verlieren, wenn recht häufig gestreikt wird.

 

Geben jedoch die Arbeitgeber den Forderungen der Gewerkschaften nach, dann entstehen für die folgenden Perioden zusätzliche Lohnkosten. Diese Kosten fallen in allen weiteren Perioden an, deren Gesamtwert lässt sich im sogenannten Gegenwartswert berechnen. Es wird unterstellt, dass sich die Arbeitgeber stets für die kostengünstigste Alternative entscheiden.

 

Auch für die Arbeitnehmer wird in der Theorie von Hicks ein Kostenkalkül im Sinne von Opportunitätskosten unterstellt. Es wird überprüft, wie hoch die Kosten im Sinne von Nutzenverlusten ausfallen, wenn die Gewerkschaften sich mit dem bisher Erreichten zufrieden geben oder wenn sie auf eine Weiterverhandlung bestehen, auch dann, wenn sie den angedrohten Streik wahr machen müssen.

 

Geben sich die Gewerkschaften mit dem bisher Erreichten zufrieden, dann bestehen die Nutzenentgänge darin, dass sie auf die Lohnsteigerungen verzichten, welche sie unter Umständen bei einem Weiterverhandeln, bzw. bei Ausbruch eines Streiks hätten erreichen können. Die Kosten eines Streiks hingegen liegen in den geringeren Einkünften der Arbeitnehmer bei Ausbruch eines Streiks bzw. in der Verringerung des Vermögens der Gewerkschaft. Je geringer jedoch das verbleibende Vermögen der Gewerkschaften ist, umso geringer sind ihre Chancen bei den nächsten Tarifverhandlungen, da ja die Arbeitgeber wissen, dass die Gewerkschaften dann in geringerem Maße streiken können und dass deshalb ihre Streikwaffe einen Teil ihres Drohpotentials verliert.

 

Für beide Tarifparteien gilt hierbei, dass die einzelnen Kostenelemente keinesfalls als sicher eingestuft werden können, sie treten immer nur mit einer mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeit auf. Es kommt also primär nicht auf die tatsächlich erwarteten Kosten an, sondern auf den wahrscheinlichen Wert dieser Kosten, der dadurch ermittelt werden kann, dass man die erwartete Kostenhöhe mit der Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert (bewertet).

 

Wenn die Gewerkschaften nicht mehr damit rechnen können, dass die Arbeitgeber bei Ausweitung des Streiks zu weiteren Lohnzugeständnissen bereit sind, wenn also die äußerste Verhandlungsgrenze der Arbeitgeber bereits erreicht ist, haben die Gewerkschaften auch kein Interesse daran, weiter zu streiken. Jeder Streik ist für die Gewerkschaften mit Kosten verbunden; deshalb lohnt sich eine Streikdrohung nur solange, als die Gewerkschaften damit rechnen können, dass die Arbeitgeber aufgrund der Streikdrohung den gewerkschaftlichen Forderungen nachgeben.

 

Haben die Gewerkschaften nämlich mit Streik gedroht und sind die Arbeitgeber zu keinen weiteren Lohnzugeständnissen bereit, so sehen sich die Gewerkschaften gezwungen, die Verweigerung der Arbeitgeber mit der Ausrufung des Streiks zu beantworten, um nicht in den zukünftigen Tarifverhandlungen unglaubwürdig zu werden.

 

Bei rationalem Verhalten der Gewerkschaften und Arbeitgeber wird es deshalb nur dann zum offenen Arbeitskampf kommen, wenn sich einer der Tarifpartner verschätzt hat. Entweder waren die Gewerkschaften zu optimistisch und waren der Überzeugung, dass die Arbeitgeber bei Androhung eines Streiks noch weitere Lohnzugeständnisse machen werden, obwohl de facto die Arbeitgeber bereits ihre äußerste Verhandlungsgrenze erreicht haben.

 

Oder aber die Arbeitgeber haben die Streikwilligkeit der Arbeitnehmer unterschätzt, sie gingen also davon aus, dass die Streikdrohung der Gewerkschaften nicht ernst gemeint war, dass die Gewerkschaften nur geblufft hätten. Nur in dieser Situation kommt es zum Streik. In dem Vertrauen darauf, das die Gewerkschaften ihre Drohungen nicht wahr machen, blieben die Arbeitgeber hart, da aber die Gewerkschaften tatsächlich noch nicht die Grenze ihrer Streikbereitschaft erreicht hatten, werden sie diese Haltung der Arbeitgeber mit der Ausrufung eines Streiks beantworten.

 

Bei unseren bisherigen Überlegungen haben wir mit Hicks stillschweigend unterstellt, dass die Arbeitgeber auf die Streikdrohungen der Gewerkschaften nur damit reagieren können, dass sie entweder den Lohnforderungen der Gewerkschaften entgegenkommen oder hart bleiben und damit einen Streikausbruch riskieren. De facto können die Arbeitgeber jedoch zumindest in der BRD die Streikdrohung mit einer Drohung einer Aussperrung, und die Ausrufung des Streiks mit einer Aussperrung beantworten. Versuchen wir die Frage zu klären, unter welchen Bedingungen es zu einer Aussperrung der Arbeitnehmer kommt.

 

Eine Aussperrung führt genauso wie ein Streik zu einer vorübergehenden Stilllegung der Produktion und damit in der Regel zu Verlusten der Unternehmungen. Es fragt sich deshalb, weshalb die Arbeitgeber überhaupt zu dem Arbeitskampfmittel ‚Aussperrung’ greifen, wenn fast jede Aussperrung auch für die Unternehmungen mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.

 

Der Grund dafür, dass die Arbeitgeber trotzdem mit Aussperrung auf eine Streikdrohung oder einen Streikausbruch reagieren, liegt darin begründet, dass die bei den Arbeitgebern anfallenden Streikkosten sehr unterschiedlich hoch ausfallen je nachdem, in welcher Konjunkturphase und ein Arbeitskampf ausbricht und in welchen Betrieben tatsächlich gestreikt wir. Mit einer Aussperrung können die Arbeitgeber selbst Zeitpunkt und Ort des Arbeitskampfes mitbestimmen und damit erreichen, dass die Arbeitskämpfe vorwiegend in den Zeiten und in den Unternehmungen stattfinden, in denen entweder die Gewerkschaften auf eine geringere Streikwilligkeit bei den Arbeitnehmern stoßen oder den Unternehmungen geringere Streikkosten entstehen.

 

Wir wollen also festhalten, dass zwischen Streikandrohung und Streikdurchführung unterschieden werden muss, dass bei rationalem Vorgehen die erhofften Wirkungen auch schon bei bloßer Androhung des Streiks zu erwarten sind und dass sich eine Gewerkschaft immer besser stellt, wenn sie ihre Ziele auch ohne Durchführung des Streiks erreichen kann.

 

Dies bedeutet jedoch, dass immer nur dann, wenn die Tarifparteien von unrealistischen Annahmen ausgehen, sich also verkalkulieren, damit gerechnet werden muss, dass es tatsächlich zum Streik kommt. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wäre es deshalb sehr viel besser, wenn sichergestellt wäre, dass sich die Tarifpartner rational verhalten und über ausreichendes Wissen verfügen. Denn in diesem Falle bliebe es bei der Androhung eines Streiks, die Gewerkschaften würden trotzdem ihre Ziele genauso gut erreichen, als dann, wenn der Streik auch ausbrechen würde und vor allem würden dann die unerwünschten Belästigungen Dritter unterbleiben.

 

Ein erster Weg zur Vermeidung oder Verringerung dieser Belästigungen läge also darin, dass man über eine Streikordnung Anreize gibt, die auf gegenseitige hohe Information und rationales Verhalten hinwirken. Hierzu zählt auch, dass in den öffentlichen Medien eine möglichst objektive Darstellung der Tarifauseinandersetzungen erfolgt. Solange in den Medien die Meinung verbreitet wird, dass die Anfangsforderungen der Gewerkschaften in ihrer vollen Höhe berechtigt sind und wenn also vernachlässigt wird, dass Kompromisse nur dann erzielt werden können, wenn die Gewerkschaften in die Tarifverhandlungen mit Lohnforderungen gehen, die über dem Niveau liegen, das sie für berechtigt ansehen und dass auch die Arbeitgeber zunächst ein geringeres Zugeständnis machen als sie tatsächlich für möglich halten, solange wird der Prozess der Kompromissbildung erschwert und verlängert und damit auch die Belästigungen unbeteiligter Dritter erhöht.

 

Zweitens lässt sich der Ausbruch von Streiks auch dadurch reduzieren, dass zwischen Scheitern der Tarifverhandlungen und Ausbruch eines Streiks eine Schlichtung vorgesehen wird, also der Versuch unternommen wird, dass ein unbeteiligter Dritter eine Einigung herbeiführt. Weltweit kennen wir zwei verschiedene Arten von Schlichtung: Auf der eine Seite sehen einige Länder eine Zwangsschlichtung vor, während es in anderen Ländern freiwillig abgeschlossene Schlichtungsabkommen gibt, welche zwischen den einzelnen Tarifparteien abgeschlossen wurden.

 

Eine Zwangsschlichtung ist z. B. in den USA vorgesehen. Hier kann der Präsident unter bestimmten Bedingungen einen Arbeitskampf abbrechen lassen und einen Schlichtungsspruch aussprechen, der dann von den Tarifparteien zu befolgen ist. Allerdings darf dieses Verfahren nur dann eingeleitet werden, wenn die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt ernsthaft bedroht ist.

 

In der BRD kennen wir keine vom Staat verordnete Zwangsschlichtung, aber fast in allen größeren Tarifbezirken wurden zwischen den Tarifparteien auf freiwilliger Grundlage Schlichtungsabkommen vereinbart. All diesen freiwilligen Abkommen ist gemeinsam, dass nach dem Scheitern einer regulären Tarifverhandlung vor Ausbruch des Arbeitskampfes ein Schlichter angerufen werden muss, dessen Schlichtungsspruch jedoch für die Tarifparteien nicht bindend ist.

 

Ansonsten kennen diese freiwilligen Schlichtungsverträge recht unterschiedliche Verfahren, auf welchem Wege ein Schlichter gefunden wird. Es kann vorgesehen werden, dass beide Parteien gemeinsam einen Schlichter benennen oder aber eine der Parteien benennt allein einen Schlichter und die jeweils andere Tarifpartei hat dann im nächsten Schlichtungsfall den Schlichter zu berufen.

 

Im Rahmen der Schlichtungstheorie hat man sich die Frage gestellt, warum denn überhaupt ein unbeteiligter Dritter die Möglichkeit hat, zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln. Denn –   so scheint es – existiert eine Lösung, welcher beide Parteien zustimmen können, warum bedurfte es hier überhaupt eines außenstehenden Schlichters, warum konnten sich die beiden Tarifparteien nicht auf diesen Vorschlag von selbst einigen? In diesem Falle ist die Schlichtung möglich, aber nicht notwendig. Oder aber es ist keine Lösung bekannt, welche beiden Tarifpartnern Vorteile verschafft und welcher deshalb auch beide Parteien zustimmen können. In diesem Falle wäre zwar eine Schlichtung notwendig, aber gar nicht möglich.

 

Die Schlichtungstheorie hat nun den Versuch unternommen, dieses Schlichtungsdilemma (Schlichtung möglich aber nicht notwendig oder aber notwendig, aber nicht möglich) zu lösen. Es wurde darauf hingewiesen, dass im Zuge der Tarifauseinandersetzungen Emotionen hoch kämen und dass sich deshalb die Tarifparteien zu irrationalen, ihrem eigenen Interesse widersprechenden Handlungen hinreißen ließen. Diese Möglichkeit mag zwar beim Entstehen des Tarifvertragswesens eine gewisse Rolle gespielt haben, heutzutage werden jedoch die Tarifverhandlungen von Funktionären geleitet, welche das Geschäft des Verhandelns von Grund auf gelernt haben und welche deshalb sehr wohl auch dann noch rational handeln, wenn Emotionen ins Spiel kommen. Sie spielen mit den Emotionen der Mitglieder und der Öffentlichkeit, lassen sich aber wohl kaum dadurch zu irrationalen Verhaltensweisen verleiten.

 

Man hat weiterhin daraufhin gewiesen, dass im Zusammenhang mit Bluff-Strategien eine Ausweglosigkeit entstehen könne, aus der nur ein unbeteiligter Dritter herausführen könne. Es mag für die Tarifpartner durchaus als erfolgversprechend angesehen werden, wenn die Tarifpartner eine bestimmte Stärke nur vortäuschen. Die Gewerkschaften z. B. könnten sich einen größeren Erfolg davon versprechen, dass sie ihre Lohnforderung mit einer konkretisierten Streikdrohung verbinden, welche sie aufgrund ihrer Vermögenslage gar nicht verwirklichen können. Wenn es ihnen aber gelingt, den Arbeitgebern gegenüber glaubhaft mit einem Streik dieser Dauer zu drohen, können unter Umständen Lohnabschlüsse erreicht werden, die weit über dem Niveau liegen, das die Unternehmer zugestanden hätten, wenn ihnen klar gewesen wäre, dass die Gewerkschaften nur bluffen.

 

In ähnlicher Weise könnten die Arbeitgeber punkten, wenn es ihnen gelänge, die Gewerkschaften davon zu überzeugen, dass dann, wenn die Gewerkschaften nicht zum Einlenken bereit wären, Arbeitslosigkeit drohen würde, obwohl annahmegemäß diese Gefahr gar nicht besteht.

 

Solche Bluffstrategien können somit die Position eines Tarifpartners sehr wohl verbessern, wenn sie erfolgreich sind, wenn also die Gegenseite den Bluff nicht durchschaut. Sie sind jedoch äußerst gefährlich, wenn dieser Bluff von der Gegenseite durchschaut wird. Denn dann müssten die angedrohten Arbeitskampfmaßnahmen durchgeführt werden, obwohl die betreffende Tarifpartei gar nicht in der Lage ist, diese Drohung wahr zu machen. Hier können die Tarifpartner aus dieser Falle nur mit Hilfe eines unbeteiligten Dritten herausfinden. Schlichter können nach der Bruchlandung mit dem Bluff durchaus mögliche und für beide Parteien akzeptable Kompromisse vorschlagen.

 

Unterstellen wir z. B., die Gewerkschaften böten den Arbeitgebern an, auf weitere Streikdrohungen zu verzichten und sich zufrieden zu geben, wenn die Arbeitgeber eine letzte Forderung akzeptieren würden. Es könnte nun durchaus sein, dass die Unternehmer diese Forderung gerade noch verkraften, dass aber jedes weitere Zugeständnis mehrere Unternehmungen in ernste Gefahr eines Konkurses bringen würde. Hier käme eine Einigung zustande, wenn die Arbeitgeber sicher sein könnten, dass sie den Gewerkschaften Glauben schenken könnten. Die Tatsache aber, dass die Gewerkschaften vor dieser letzten Forderung geblufft haben, macht die Unternehmer unsicher, sie sind nicht bereit, nachzugeben, da sie befürchten, dass dann weitere Forderungen auf sie zukommen, wenn es zum Streik kommt und sie  deshalb in ernste Gefahr geraten könnten.

 

In einer solchen Situation kann ein Schlichter durchaus erfolgreich sein, wenn es ihm gelingt, den Arbeitgebern glaubhaft zu versichern, dass es dieses Mal die Gewerkschaften ernst meinen und nicht bluffen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Schlichter das Vertrauen beider Tarifparteien besitzt.

 

Schlichter könnten drittens erfolgreich sein, wenn es den Tarifführern nach einem Streik nicht gelingt, den mit der Gegenseite vereinbarten Tarifvertrag vor den Mitgliedern zu rechtfertigen. Bringen wir ein Beispiel. Die Gewerkschaften hätten die Tarifverhandlungen mit einer Lohnforderung von 6% begonnen und hätten nun nach zähen Verhandlungen mit den Arbeitgebern einen Tarifabschluss von 3% erreicht. Da es aber vorher zu einem Streik kam, sehen die Gewerkschaftssatzungen vor, dass der Streik nur beendet werden kann, wenn sich keine Mehrheit der Mitglieder für eine Fortsetzung des Streiks ausspricht.

 

Es besteht nun folgende Gefahr: Die Arbeitnehmer gingen – so wollen wir unterstellen – in den Streik in der Überzeugung, dass sie einen Anspruch auf eine 6%ige Lohnforderung hätten und würden sich nun von ihren Verhandlungsführern verraten fühlen, da diese einen bedeutend schlechteren Lohnabschluss akzeptiert hätten. Sie würden deshalb die Beendigung des Streiks verweigern. In einer solchen Situation mag die Einschaltung eines Schlichters eine Lösung bringen. Erfahrungsgemäß ist nämlich die Position der Verhandlungsführer gegenüber ihren Mitgliedern wesentlich besser, wenn sie darauf hinweisen können, dass sie durch einen Schlichter zu diesem Nachgeben quasi gezwungen worden seien, als dann, wenn sie von sich aus dieses Zugeständnis gemacht hätten.

 

Schlichtungen können weiterhin viertens erfolgreich sein, wenn der Schlichter die Möglichkeit besitzt, den Unternehmungen dann, wenn sie zu einem Nachgeben bereit sind, Subventionen in Aussicht zu stellen. So wurde früher einmal bei Tarifstreitigkeiten im Bergbau ein staatlicher Schlichter hinzugezogen, welcher dadurch eine Einigung erreichen konnte, dass er den Unternehmungen bei Zugeständnissen die Möglichkeit staatlicher Subventionen andeutete. Auf diese Weise führte das Kostenkalkül der Arbeitgeber automatisch dazu, dass das Gleichgewicht bei einem höheren Lohn erreicht wurde.

 

Natürlich stehen diese Möglichkeiten nur dem Staat offen. Ein nicht staatlicher Schlichter kann nicht dadurch eine Einigung herbeiführen, dass er von sich aus einer der Tarifparteien materielle Mittel in Aussicht stellt. Allerdings liegt ein ähnlich wirkender Mechanismus vor, wenn es dem Schlichter gelingt, in der Öffentlichkeit (also bei den öffentlichen Medien) die Überzeugung durchzusetzen, dass die von ihm vorgeschlagene Lösung im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegt und dass derjenige Tarifpartner, welcher sich weigert, den Schlichtungsspruch anzunehmen, dem öffentlichen Interesse schadet.

 

Wieweit nämlich die Tarifpartner frei agieren können, liegt sehr wohl unter anderem auch daran, inwieweit in der Öffentlichkeit die Interessenvertretung beider Gruppen akzeptiert wird. Geraten die Tarifpartner in den Geruch, gegen die öffentlichen Interessen zu verstoßen und wird auf diese Weise das Image der Tarifpartner verletzt, entwickelt sich in der Öffentlichkeit sehr schnell die Forderung, dass die freie Aktivität der Tarifparteien staatlicherseits beschränkt werden müsse.

 

Indem also der Schlichter Einfluss auf die öffentliche Meinung nimmt, kann er die Tarifparteien dazu bewegen, weitere Kompromisse einzugehen. Zwar mögen dann die dadurch erzielten Tarifabschlüsse aus der Sicht eines kurzfristigen Kostenkalküls für den einen oder anderen Tarifpartner verlustreich sein. Auf lange Sicht mag diese Lösung trotzdem im Interesse dieses Tarifpartners liegen, da befürchtet werden muss, dass bei einer größeren staatlichen Kontrolle die Interessen der einzelnen Tarifparteien in geringerem Maße als heute durchgesetzt werden können.

 

Eine Schlichtung kann schließlich fünftens dann erfolgreich sein, wenn es dem Schlichter mit seinem Schiedsspruch gelingt, einen Weg des Kompromisses zu finden, der bisher noch unbekannt war. Man kann in diesem Falle davon sprechen, dass dem Schlichter eine innovative Lösung gelungen ist.

 

Eine solche Innovation lag z. B. vor, als der Bundestagsabgeordnete Erwin Häußler in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in seiner Eigenschaft als Schlichter den Vorschlag machte, einen Teil der beschlossenen Lohnerhöhungen in Form von Investivlöhnen zu gewähren. Auf diese Weise konnten die Arbeitgeber zu einem Einlenken veranlasst werden, da die den Arbeitnehmern gewährten Investivlöhne zwar den Arbeitnehmern in Rechnung gestellt wurden (ihr Vermögen vergrößerte sich auf diese Weise), aber den Unternehmungen zur Investition wiederum zur Verfügung gestellt wurden. Die Investivlöhne sollten zunächst den Banken und Sparkassen zugeführt werden, diese sollten jedoch diese Beträge wiederum als Kredite den Unternehmungen zurückzahlen.

 

Die flächendeckende Einführung von freiwilligen Schlichtungsabkommen hat zwar sicherlich dazu beigetragen, dass die Häufigkeit von Streiks vermindert werden konnte, sie hat jedoch nicht verhindern können, dass trotzdem oftmals offene Arbeitskämpfe geführt werden. Wir wollen deshalb überprüfen, ob Möglichkeiten gegeben sind, auf der Grundlage dieser Erkenntnisse der Schlichtungstheorie Reformen zu entwickeln, aufgrund derer die Wahrscheinlichkeit eines offenen Arbeitskampfes um ein weiteres verringert wird.

 

Eine erste mögliche Funktion einer Schlichtung kann wie gezeigt darin liegen, dass der Schlichter bei bisher irrationalem Verhalten die Tarifparteien wiederum zu rationalem Verhalten führt. Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, dass Tarifverhandlungen heutzutage in aller Regel von Funktionären durchgeführt werden, welche dieses Geschäft berufsmäßig betreiben, sodass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass sich die Tarifführer von Emotionen überwältigen lassen. Es ist also unwahrscheinlich, dass auf diesem Wege Streiks stärker als bisher verhindert werden könnten.

 

Wir hatten zweitens gesehen, dass bei Anwendung von Bluff-Strategien dem Schlichter eine positive Funktion zukommen kann. Bluff setzt immer Unkenntnis über die Vermögenslage und über das Verhalten der Gegenseite voraus. Soweit es gelingt, diese Unkenntnis zu verringern, ist auch die Wahrscheinlichkeit eines Streikausbruchs reduziert. So hat z. B. die betriebliche Mitbestimmung, welche den Arbeitnehmern die Besetzung des Arbeitsdirektors brachte, sicherlich dazu beigetragen, dass auf informeller Ebene die Arbeitnehmerseite über die Lage und über das Verhalten der Arbeitgeberseite besser informiert wurde. Es wäre zu überlegen, ob man nicht auch auf dem Gesetzeswege diesen Informationsstrom erhöhen und damit die Wahrscheinlichkeit eines offenen Arbeitskampfes verringern könnte.

 

Wir hatten weiterhin gesehen, dass der Schlichter dadurch erfolgreich vermitteln kann, dass gesamtwirtschaftliche Argumente ins Spiel gebracht werden und damit der Druck der Öffentlichkeit auf die Tarifpartner erhöht wird. Je mehr dem Schlichter der Status einer öffentlichen Institution verliehen wird, umso größer sind auch die Erfolgsaussichten der Schlichtung.

 

Der größte Schlichtungserfolg dürfte jedoch dann zu erwarten sein, wenn man bereit wäre, dem Schlichter mehr Möglichkeiten einzuräumen, um auf die materielle wie immaterielle Situation der Tarifparteien Einfluss zu nehmen. Zwar ist es sicherlich nicht erwünscht, über den Weg der Schlichtung die Gewährung von staatlichen Subventionen auszulösen. Subventionen gefährden in der Mehrzahl der Fälle eine optimale Allokation und man sollte deshalb nur in Ausnahmefällen zu diesem Mittel greifen.

 

Es gäbe jedoch die Möglichkeit, dass dem Schlichter mehr Rechte eingeräumt werden, um bestimmte Kompromisse zu erzwingen. Wir haben oben gesehen, dass in anderen Ländern wie z. B. in den USA dem Staat unter gewissen Bedingungen (Gefährdung des Gemeinwohls) das Recht zugesprochen wird, einen Schlichtungsspruch bindend zu erlassen.

 

Es fragt sich, ob es nicht möglich ist, zwischen den beiden Extremen einer staatlichen Zwangsschlichtung und freiwilliger Schlichtungsabkommen einen Mittelweg zu beschreiten, indem zwar grundsätzlich die Tarifparteien selbst darüber befinden können, auf welchem Wege ein Schlichter berufen wird und inwieweit sie bereit sind, den Schlichtungsspruch anzuerkennen, aber durchaus Ausnahmesituationen vorgesehen werden, bei deren Eintreten dennoch die Möglichkeit besteht, den Schlichtungsspruch als verpflichtend anzusehen. So könnte man z. B. vorsehen, dass dann, wenn die Kosten der Endverbraucher deutlich höher ausfallen als die potentiellen Gewinne der Arbeitnehmer, der Schlichterspruch für als verbindlich erklärt werden kann.

 

Ein dritter möglicher Ansatzpunkt zur Vermeidung beachtlicher Schäden dritter Unbeteiligter liegt in der Möglichkeit eines Friedensabkommens der Tarifparteien. Bekanntlich hatten in der Schweiz die Tarifparteien in der Nachkriegszeit ein Friedensabkommen abgeschlossen, das sie verpflichtete, auf Arbeitskampfmittel zu verzichten. Auch heute noch verzichten die Tarifparteien in der Schweiz mit wenigen Ausnahmen auf den Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen. In ähnlicher Weise haben auch die Tarifparteien in Österreich wiederum mit einigen Ausnahmen auf den Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen verzichtet.

 

Nun könnte man vermuten, dass immer dann, wenn die Gewerkschaften auf ihr Recht zum Streik verzichten, auch die in den Tarifverhandlungen erreichten Lohnsätze nicht wesentlich zugunsten der Arbeitnehmer korrigiert werden könnten. In diesem Falle wäre also der Versuch, die tatsächlichen Lohnsätze an die Lohnsätze anzupassen, welche bei Konkurrenz erreicht worden wären, gescheitert.

 

Nun zeigen jedoch die Erfahrungen mit der langfristigen Lohnentwicklung in der Schweiz und in Österreich, dass die Lohnquote in diesen beiden Ländern im Vergleich zu anderen Ländern mit Streikpraxis keinesfalls wesentlich niedriger ausgefallen ist. Wie haben wir uns diese Entwicklung zu erklären?

 

Wenn die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern auf freiwilliger Basis ein Friedensabkommen abschließen und sich verpflichten, auf den Einsatz der Streikwaffe zu verzichten, so bedeutet dies keinesfalls, dass die Gewerkschaften gegenüber den Arbeitgebern überhaupt über kein Druckmittel mehr verfügen und somit wiederum die Marktform eines Nachfragemonopols auf den Arbeitsmärkten verwirklicht wäre. Die Gewerkschaften können nämlich sehr wohl diesen Vertrag kündigen und somit durch Androhung einer solchen Kündigung Einfluss auf die Unternehmer gewinnen.

 

Die Arbeitgeber sind sich sehr wohl darüber im Klaren, dass sie sich langfristig sehr viel schlechter stellen, wenn diese Drohung wahrgemacht würde. Es liegt deshalb auch im Interesse der Arbeitgeber, genauso auf die Lohnforderungen der Gewerkschaften einzugehen, wie dies der Fall wäre, wenn die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen mit der Androhung eines Streiks verbinden würden.

 

Hierbei bedarf es nicht unbedingt, dass die Gewerkschaften eine solche Drohung offen aussprechen. Im Allgemeinen wird man vermuten können, dass auch von einer versteckten, gar nicht ausgesprochenen, aber immer möglichen Drohung diese Wirkungen ausgehen. Je stärker und selbstbewusster eine Gewerkschaft aufritt, umso eher rechnen die Arbeitgeber damit, dass die Gewerkschaften auf jeden Fall berechtigte Lohnforderungen durchsetzen werden und deshalb als ultima ratio auch nicht davor zurückschrecken würden, wenn notwendig das Friedensabkommen zu kündigen.

 

Allerdings gelten diese Überlegungen nur für ein von den Tarifpartnern freiwillig abgeschlossenes Friedensabkommen. Das Streikrecht ist im Grundgesetz garantiert und deshalb kann niemand die Gewerkschaften zu einem solchen Abkommen zwingen. Auch muss man sich darüber klar sind, dass der Druck auf die Arbeitgeber, den Lohnforderungen der Gewerkschaften entgegenzukommen nur dann gegeben ist, wenn das Abkommen freiwillig geschlossen wurde und deshalb auch jederzeit gekündigt werden kann.

 

Realistischer Weise ist wohl kaum damit zu rechnen, dass die Gewerkschaften in der BRD von sich aus zu dem Abschluss eines solchen Friedensabkommens augenblicklich bereit sind. Das Streikrecht musste in Deutschland sehr hart erkämpft werden und es ist deshalb nicht damit zu rechnen, dass die Gewerkschaften von sich aus auf das Recht zu streiken generell verzichten.