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Vom Wandel der Parteienstruktur

und ihrer Bedeutung

für die Wohlfahrt der Bevölkerung

(Teil 1)

 

Gliederung:

  1. Einführung

  2. Der Wohlfahrtsmaßstab

  3. Mögliche Unterscheidungskriterien der Parteien

  4. Ein Modell der Parteienstärke

  5. Parteienstruktur und Wahlrechtsysteme

  6. Die Bedeutung der Selbstbindung

  7. Schlussfolgerungen

 

1. Einführung

 

Anlass dieses Artikels sind die wiederholt in der Öffentlichkeit geäußerten Meinungen, die Parteienlandschaft habe sich in den letzten Jahren geändert und diese Änderungen machten es notwendig, dass sich die Parteien in ihrem Verhalten an diesen Wandel anpassen. In den vergangenen Jahren hätte – mit gewissen Ausnahmen wie z. B. lange Zeit in Bayern – keine Partei bei den Wahlen zum Parlament eine absolute Mehrheit erlangen können mit der Folge, dass sich die zu bildenden Regierungen aus mehreren Parteien zusammengesetzt hatten, dass also Koalitionsregierungen gebildet werden mussten. Allerdings war es wiederum – mit gewissen Ausnahmen – fast immer möglich, eine Koalitionsregierung aus zwei Parteien zu bilden, wobei in der Regel eine Koalition – gemessen an den Wählerstimmen – aus einer großen und einer kleinen Partei gebildet wurde.

So gab es Regierungen, welche aus der CDU/CSU und der FDP oder der SPD und der FDP oder schließlich der SPD und der grünen Partei bestanden. Nur in ganz wenigen Ausnahmen gab es in der Vergangenheit auch sogenannte große Koalitionen, welche aus der CDU/CSU und der SPD gebildet wurden. Hierin sei spätestens seit der letzten Bundestagswahl ein entscheidender Wandel eingetreten.

Obwohl einerseits die CDU/CSU gerne mit der FDP und andererseits die SPD gerne mit den Grünen oder eventuell auch mit der FDP eine Koalition gebildet hätten, hatte der Wahlausgang solche Koalitionen unmöglich gemacht. Möglich blieben nur noch die Bildung einer großen Regierung oder eventuell einer Koalitionsregierung, welche aus mehr als zwei Parteien gebildet werden. Der Ausgang der letzten Landtagswahl in Hessen scheint diese Tendenz zu bestätigen. Wiederum erreichten weder die CDU/CSU und die FDP noch die SPD und die Grünen zusammen eine regierungsfähige absolute Mehrheit. Selbst der Ausgang der letzten Wahl in Bayern hat diese Tendenz zu Mehrparteienregierungen bestätigt.

Die Parteien gerieten sowohl nach der letzten Bundestagswahl wie auch nach den letzten Landtagswahlen vor allem deshalb in größere Schwierigkeiten, die schließlich zu einem entscheidenden Vertrauensbruch geführt haben, weil sie sich vor der Wahl auf ganz bestimmte Koalitionen festgelegt hatten. So hatte sich vor allem die FDP vor der Wahl gebunden, nur mit der CDU zu koalieren, eine Festlegung, welche weder nach der letzten Bundestagswahl noch nach der letzten Landtagswahl in Hessen mangels Wählerstimmen realisiert werden konnte. Auch die SPD hatte – vor allem vor der letzten Landtagswahl in Hessen – eindeutig erklärt, dass ein Zusammengehen mit der neuen Linken (der ehemaligen PDS) nicht in Frage komme.

Wegen der Unmöglichkeit, diese Wahlzusagen einzulösen, entstand nun ein heftiger Streit darüber, wie sich die Parteien sowohl vor den Wahlen wie auch bei der Regierungsbildung verhalten sollten, ob sie – wie dies schließlich die SPD beabsichtigt – trotz Zusagen vor der Wahl mit der neuen Linken eine gemeinsame Regierung bzw. eine Regierung mit Duldung der Linken bilden sollte oder ob sie – wie dies die FDP getan hat – an den Zusagen vor der Wahl festhalten soll, auch dann, wenn gerade dadurch mögliche Koalitionen verhindert und eine mehrheitsfähige Regierung fast unmöglich wurde. Der SPD wurde in diesem Zusammenhang Vertrauensbruch vorgeworfen und diese Haltung führte in den wöchentlichen Meinungsumfragen zu einem enormen Vertrauensverlust. Umgekehrt wurde die Haltung der FDP von Seiten der SPD kritisiert und ihr vorgeworfen, aufgrund ihrer Ablehnung eine Regierungsbildung unnötig zu erschweren.

Fast alle Parteien, die CDU/CSU, die SPD genauso wie die FDP und die Grünen haben aus diesen Schwierigkeiten den Schluss gezogen, dass sie die Festlegung auf bestimmte Koalitionen vor der Wahl aufzugeben haben, dass sie also den Wähler vor der Wahl im Ungewissen lassen sollten, mit welchen anderen Parteien sie nach der Wahl gegebenenfalls Koalitionen bilden werden. Obwohl diese Entscheidungen auf den ersten Blick als verständlich und notwendig erscheinen, sie stellen – wie wir weiter unten noch sehen werden – den Erfolg eines Systems der repräsentativen Demokratie ernsthaft in Frage.

Eine Einparteienregierung hat gerade gegenüber einer Regierung, welche aus mehreren Parteien zusammengesetzt ist, den Vorteil, dass dem Wähler vor der Wahl bereits bekannt ist, welche Kompromisse in den anstehenden Fragen eine Partei ansteuern will, falls sie die Mehrheit erlangt. Durch den Umstand, dass sich bei Bildung von Koalitionsregierungen die einzelnen Parteien bereits vor der Wahl festlegen, mit welchen Parteien sie eine Koalitionsregierung bilden möchten und welche Koalitionen ausgeschlossen werden, werden die Nachteile einer Koalitionsregierung zumindest gemildert.

Als schließlich nach der letzten Bundestagswahl eine große Koalition gebildet wurde, war dies allerdings nicht das erste Mal, dass in der BRD die beiden großen Parteien CDU/CSU und SPD gemeinsam eine Regierung bildeten. Auch bereits in den 60er Jahren wurde unter der Kanzlerschaft Georg Kiesingers eine große Koalition gebildet. Trotzdem unterscheidet sich die zurzeit bestehende große Koalition von der großen Koalition der 60er Jahre.

Die große Koalition der 60er Jahre unterschied sich von der heutigen Koalition in erster Linie im Anlass, der zu diesem Schritt geführt hat, sie wurde damals vor allem deshalb gebildet, da man angesichts der Bedrohungen seitens der Studentenunruhen Änderungen des Grundgesetzes für notwendig erachtete und deshalb eine Regierung benötigte, welche im Parlament über eine 2/3 Mehrheit verfügte. Die erste Rezession hatte die Bundesrepublik Deutschland 1966/67 ergriffen, die Studenten protestierten immer lauter, unter anderem gegen die geplanten und dann später von der Großen Koalition beschlossenen Notstandsgesetze. Die heutige große Koalition wurde hingegen ausschließlich deshalb gebildet, da andere Koalitionen ausgeschlossen erschienen.

Der Hauptunterschied beider Koalitionen besteht somit darin, dass die Koalition der 60er Jahre in dem Sinne groß war, dass sie im Parlament auch Entscheidungen durchsetzen konnte, die nur mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen werden konnten, während die heutige große Koalition vor allem deshalb groß genannt wird, da sie aus den beiden größten Parteien gebildet wurde.

Die Große Koalition verfügt zwar immer noch mit 72% aller Parlamentssitze über eine qualifizierte Mehrheit. Da aber in der Zwischenzeit beide Parteien, vor allem aber die SPD stark geschrumpft sind, besteht für die Zukunft die Wahrscheinlichkeit, dass beide Parteien zusammen zwar immer noch über eine eindeutige Mehrheit verfügen würden, bei der die Koalition auch nicht auf jede einzelne Stimme angewiesen ist, aber dass dennoch nicht mehr mit Sicherheit damit gerechnet werden kann, dass beide Parteien zusammen eine qualifizierte Mehrheit erreichen.

Damit entfällt jedoch für die künftigen großen Koalitionen der Haupteinwand gegenüber der Koalition der 60er Jahre. Im Gegensatz zu der großen Koalition der 60er Jahre hätten große Koalitionen in Zukunft sehr wohl Opposition zu befürchten, sie verfügten dann nicht mehr über eine 2/3 Mehrheit im Parlament und könnten deshalb auch nicht jede beliebige Verfassungsänderung beschließen.

Im Rahmen des Artikels über die ökonomische Theorie der Demokratie hatten wir einen Gesamtüberblick über die Funktionsweise demokratischer Systeme gegeben. Hier in diesem Artikel geht es um ein Teilproblem einer Demokratie und zwar um die Rolle, welche den Parteien innerhalb demokratischer Systeme zufällt. Innerhalb des Artikels über die ökonomische Theorie der Demokratie ging es weiterhin stets um explikative Fragen, es sollte geklärt werden, wie ein demokratisches System funktioniert und welche unterschiedlichen Möglichkeiten gegeben sind, demokratische Ziele zu verwirklichen. In dem hier vorliegenden Artikel geht es hingegen vorwiegend um eine normative Frage, es soll untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen die demokratischen Grundziele realisiert werden können, wie sich der oben skizzierte Strukturwandel in der Parteienlandschaft auf die demokratischen Grundziele auswirkt und welche Anpassungen in dem Verhalten der Parteien notwendig werden, damit die demokratischen Grundwerte nach wie vor erreicht werden können.

Gemeinsam ist jedoch beiden Artikeln (über die ökonomische Theorie der Demokratie und über die Bedeutung der Parteienstruktur) eine ökonomische Betrachtungsweise. Hiermit ist nicht gemeint, dass ökonomische, sprich materielle Faktoren das politische Geschehen allein bestimmen. Es soll vielmehr nach einem Vorschlag Joseph Alois Schumpeters das politische System der Demokratie mit ähnlichen Denkinstrumenten analysiert werden, wie wirtschaftliche Prozesse seit den Tagen Adam Smiths untersucht werden.

Es geht hierbei nicht darum, die These zu verbreiten, politische Prozesse würden letztendlich von ökonomischen Interessen bestimmt. Dieser hier zum Zuge kommenden Betrachtungsweise liegt vielmehr die Vorstellung zugrunde, dass in unseren modernen und komplexen Gesellschaftssystemen – Hans Freyer hat in diesem Zusammenhang von Sekundärsystemen gesprochen – sowohl das wirtschaftliche wie auch das politische System ähnlichen und gemeinsamen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, welche es ratsam sein lassen, die Wirtschaftstheorie als eine spezielle Theorie komplexer Gesellschaftssysteme zu verstehen, deren Gesetzmäßigkeiten auch in den anderen Sekundärsystemen beobachtet werden können.

Wenn wir das hier angesprochene Problem des Wandels in der Parteienstruktur in einem etwas größeren Rahmen diskutieren, können wir feststellen, dass diese Wandlungen keinesfalls erst heutzutage auftreten und dass sie auch keine Besonderheit der Parteiengeschichte des Nachkriegsdeutschlands darstellen. So hatten wir sowohl im deutschen Kaiserreich zur Zeit Bismarcks als auch in der Weimarer Republik fast immer mehrere links ausgerichtete Parteien, sowohl die mehr marxistisch orientierten kommunistischen Parteien als auch die gemäßigten sozialdemokratischen Parteien. Auch im rechten Parteienspektrum lassen sich fast zu allen Zeiten vor 1933 mehrere Parteien feststellen, die sich wiederum ähnlich wie bei den linken Parteien im Grad der Radikalität unterschieden.

Auch in der unmittelbaren Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bei Beginn der Bundesrepublik gab es mehrere Parteien (z. B. die deutsche Partei und die demokratische Partei), welche dem rechten Parteienspektrum zugerechnet werden konnten.

Wenn wir uns weiterhin in den demokratischen Ländern Europas, Nordamerikas und Australiens umschauen, so können wir auch hier ein sehr buntes Bild zahlreicher Parteien beobachten, wenn auch in den angelsächsischen Staaten (vor allem in Großbritannien und den USA) die Zahl der Parteien wesentlich geringer ausfällt, was vor allem damit zusammenhängt, dass in diesen Staaten das Mehrheitswahlsystem verwirklicht ist. Wir werden auf diese Zusammenhänge weiter unten noch ausführlich eingehen.

Die Diskussion um die Zukunft der Parteien wurde in den letzten Monaten noch aus einem weiteren Grund angefacht. Nicht nur allgemeine Änderungen unserer Gesellschaftsordnung, sondern auch das Verhalten einzelner Parteimitglieder habe den Parteien geschadet. So wurde vor allem gegen Wolfgang Clement der Vorwurf erhoben, er habe sich parteischädigend verhalten, als er vor der letzten Wahl in Hessen öffentlich davor warnte, die SPD zu wählen.

Wolfgang Clement war bekanntlich von 1998 bis 20002 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und von 20002 bis 2005 Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit. Der wichtigste Grund, den Clement veranlasste davor zu warnen, bei der Hessenwahl die SPD zu wählen, lag vor allem in den energiepolitischen Zielsetzungen der Hessen-SPD. Gegen Clement wurde aufgrund dieses Aufrufes ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet und von der ersten Instanz des Schiedsgerichtes auch bestätigt. Clement legte gegen diesen Ausschluss Berufung ein, das Verfahren vor der Revisionsinstanz läuft noch.

Diese Diskussion hat die Frage aufgeworfen, worin denn der Schaden einer Partei bestehen kann, der durch Verhaltensweisen einzelner Parteimitglieder hervorgerufen wird. Misst man die Position einer Partei an den wöchentlichen Meinungsumfragen über die Beliebtheit einer Partei, so kann bezweifelt werden, ob Clements Verhalten tatsächlich seiner Partei mit seinen Äußerungen geschadet hat, immerhin hatte die SPD bei den letzten Wahlen in Hessen deutlich aufgeholt. Natürlich bleibt unklar, ob die SPD bei diesen Wahlen noch mehr Stimmen erhalten hätte, wäre es nicht zu diesen Äußerungen Clements gekommen.

Trotzdem kann nicht bezweifelt werden, dass der rapide Sturz der SPD bei den Meinungsumfragen der letzten Monate mit anderen Verhaltensweisen zusammenhing. Die Tatsache, dass die Parteivorsitzende der Hessen-SPD Frau Ypsilanti entgegen den Versprechungen vor der Hessenwahl mit Unterstützung der Partei der Linken eine Regierungsbildung anstrebt und die weitere Tatsache, dass auch der Bundesvorstand der SPD unter Führung Becks sich programmatisch der Partei der Linken annäherte, hat schließlich dazu beigetragen, dass die Bundes-SPD zeitweise von etwa 40% auf fast 20% absank. Hier könnte man sehr viel eher die Frage aufwerfen, ob diese Verhaltensweisen nicht der Partei sehr viel mehr geschadet haben.

Wir wollen diese Diskussion zum Anlass nehmen, ganz generell die Frage zu erörtern, worin denn der Nutzen oder Schaden einer Partei gemessen werden kann und worin denn die Bestimmungsgründe für das Wachsen und Schrumpfen einer Partei liegen können.

Wir wollen erstens klären, worin denn die Grundziele der Demokratie bestehen, und anhand welchen Maßstabes überprüft werden soll, wie sich die Veränderungen in der politischen Struktur auf diese Grundziele ausgewirkt haben und wie die einzelnen in der Öffentlichkeit diskutierten Vorschläge im Hinblick auf das Verhalten der Parteien die Wohlfahrt der Bevölkerung tangieren.

Es soll zweitens der Frage nachgegangen werden, nach welchen Kriterien sich Parteien bilden und organisieren können und inwieweit sich die einzelnen Parteien darin unterscheiden, wie sie die Wohlfahrt der Bevölkerung realisieren helfen. Es soll ein Modell entwickelt werden, dass die wichtigsten Bestimmungsgründe der Veränderungen in der Stärke einer Partei aufzeigt.

Es soll drittens der Zusammenhang zwischen der Parteienlandschaft und den unterschiedlichen Wahlsystemen aufgezeigt werden und überprüft werden, welche Wahlsysteme die Grundziele einer Demokratie besser realisieren helfen.

Es soll viertens speziell auf das Instrument der Selbstbindung von Parteien eingegangen werden, ein Instrument, das vor allem im Rahmen der Verhandlungstheorie wissenschaftlich untersucht worden ist.

 

2. Der Wohlfahrtsmaßstab

 

Wir wollen also als erstes die Frage klären, an welchem Maßstab wir denn messen wollen, ob bestimmte Formen und Verhaltensweisen der Parteien ihren Zweck besser als andere erfüllen. Demokratische Systeme verfolgen als letztliches Ziel stets den Willen der Bevölkerung zu erfüllen, wobei dieser Wille an den Zielvorstellungen der Wähler gemessen wird.

Nun haben wir allerdings davon auszugehen, dass die einzelnen Wähler sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber besitzen, wie bestimmte öffentliche Probleme bestmöglich gelöst werden sollten. Da von der Freiheit der Meinung aller Bürger ausgegangen wird, ist gegen unterschiedliche Auffassungen auch nichts einzuwenden.

Nun gibt es sehr wohl Probleme, welche sich grundsätzlich für jeden einzelnen Bürger getrennt und deshalb auch unterschiedlich lösen lassen. Dies gilt grundsätzlich für fast alle Fragen, welche im Rahmen eines marktwirtschaftlich geregelten Wirtschafssystems gelöst werden. Die Frage, wie ein privater Haushalt sein Einkommen verwendet, wie viel er spart und wie viel er für seinen Konsum ausgibt, welche Güterarten er wählt und welchen Beruf er ergreift, kann in einer Marktwirtschaft grundsätzlich für jeden getrennt entschieden werden, die Entscheidungen des einen Haushaltes engen den Freiheitsspielraum der anderen Haushalte nur insofern ein, als ein Gut bei großer Nachfrage knapper werden kann und deshalb einen höheren Preis erzielt.

Politische Systeme unterscheiden sich nun in dieser Frage von marktwirtschaftlichen Systemen. Die Güter und Leistungen, welche im Rahmen politischer Systeme angeboten werden, werden in aller Regel als Kollektivgüter produziert und Kollektivgüter zeichnen sich gegenüber Individualgüter dadurch aus, dass immer nur ein einzelnes Gut für alle Bürger angeboten werden kann, sodass also eine Einigung darüber notwendig ist, für welches Kollektivgut sich die Bürgerschaft entscheidet.

Würde man das von Vilfried Pareto entwickelte und nach ihm benannte Pareto-Kriterium zugrundelegen, könnte man bei einer politischen Maßnahme nur dann eindeutig von einer Wohlfahrtssteigerung einer Bevölkerung sprechen, wenn zumindest eine Person dieser Gemeinschaft eine Steigerung des Nutzens erfahren, kein anderes Individuum jedoch hierdurch eine Minderung des Nutzens erleiden würde. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass es wohl kaum ein politisches Problem gibt, das diese Voraussetzung erfüllt. Bei allen zur Diskussion stehenden Fragen wird es immer eine mehr oder weniger große Gruppe geben, welcher aufgrund einer politischen Entscheidung Schaden verursacht wird.

Wollte man in demokratischen Systemen dem Pareto-Kriterium folgen, dürften nur solche Entscheidungen akzeptiert werden, welche einstimmig beschlossen wurden. Eine solche Einstimmigkeitsregel würde jedoch dazuführen, dass nahezu keine Probleme gelöst werden könnten, da annahmegemäß bei keinem Vorschlag eine einstimmige Entscheidung zu erwarten wäre.

Nun könnte man natürlich der Meinung sein, dass diese politische Enthaltsamkeit auch gut und berechtigt sei, da eben annahmegemäß jede Änderung für bestimmte Bevölkerungsgruppen Schaden brächte und deshalb zu unterbleiben habe, da die Interessen keines Individuums oder keiner Bevölkerungsgruppe übergangen werden dürften.

Diese Argumentation wäre jedoch zu einfach. In Wirklichkeit müssen wir nämlich davon ausgehen, dass auch dann, wenn keine Entscheidung gefällt wird, bestimmte Bevölkerungsgruppen Schaden erleiden, dass also auch das Vermeiden einer Entscheidung gewissermaßen eine Entscheidung darstellt, für die ebenfalls das Pareto-Kriterium zu gelten hat. Da aber in aller Regel der Schaden bei Verzicht einer politischen Regelung sehr viel größer sein dürfte und sehr viel mehr Individuen belasten dürfte, als dann, wenn eine konkrete Maßnahme beschlossen worden wäre, würde auch der Verzicht auf eine politische Regelung in den meisten Fällen Schaden verursachen, der gerade entsprechend dem Pareto-Kriterium hätte vermieden werden können und deshalb auch vermieden werden sollte.

Da also eine Einstimmigkeitsregel keine akzeptable Lösung politischer Probleme darstellt, hat man sich in den Verfassungen demokratischer Systeme darauf geeinigt, auch solche Entscheidungen zu akzeptieren, welche aufgrund einer Mehrheitsentscheidung zustande kommen. Der Wille einer Gemeinschaft wird also dann am Willen der Mehrheit der Gemeinschaftsmitglieder gemessen.

Damit haben wir natürlich keinesfalls immer eine optimale Lösung politischer Probleme zu erwarten. Eine Mehrheit ist auch dann zustande gekommen, wenn nur 51% der Wahlberechtigten dieser Lösung zugestimmt haben, wenn also 49% und damit fast die Hälfte der Abstimmenden sich gegen diese Lösung ausgesprochen haben. Wir haben also davon auszugehen, dass es sehr unterschiedliche Mehrheiten gibt, knappe und sehr reichlich ausgefallene Mehrheiten und dass es deshalb zusätzlich darauf ankommt, darauf hinzuwirken, dass möglichst hohe Mehrheiten erzielt werden. Wie groß nämlich eine Mehrheit ausfällt, stellt keine vorgegebene und unabänderliche Frage dar, sie kann sehr wohl beeinflusst werden und sollte auch beeinflusst werden, wobei natürlich nicht jede Beeinflussungsart akzeptabel erscheint.

Wir haben also davon auszugehen, dass einer Abstimmung ein Willensbildungsprozess vorauszugehen hat. Dieser Willensbildungsprozess besteht darin, dass die einzelnen Parteien und Abgeordneten ihre Position darlegen und verteidigen und jeweils die anderen Beteiligten für ihre Lösung zu überzeugen versuchen.

Das Interesse daran, andere vom eigenen Lösungsvorschlag zu überzeugen, besteht darin, dass zu Beginn der Aussprache in der Regel nicht klar ist, ob der eigene Vorschlag bereits bei der Abstimmung eine Mehrheit erlangen wird. Vielleicht fehlen tatsächlich diesem Vorschlag noch einige Stimmen, vielleicht ist auch einfach nur unklar, wer für die eigenen Vorschläge stimmen wird.

Und worin liegt nun das Interesse derjenigen, welche sich von den Lösungsvorschlägen überzeugen lassen und damit ihre eigenen Konzeptionen aufgeben? Als erstes kann durchaus mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass einzelne zunächst von falschen Annahmen ausgegangen sind und durch eine Aussprache erkannt haben, dass die Lösungsvorschläge anderer Parteien ihren eigenen Zielvorstellungen und auch Interessen besser entsprechen als die bisher angestrebten Lösungen. Insofern kann die Aussprache im Parlament vor der Beschlussfassung durchaus zur Klärung beitragen und damit dazu führen, dass sich die anfänglichen unterschiedlichen Zielvorstellungen einander annähern.

Dieser Weg stellt allerdings keinesfalls die einzige und wohl auch nicht die häufigste Methode dar, wie der Abstimmungsprozess zu einer Annäherung der Zielvorstellungen führt. Oftmals ist einfach damit zu rechnen, dass im Parlament Probleme anstehen, bei denen echte Umverteilungsprozesse zur Diskussion stehen, bei denen also die materiellen Ressourcen zu Lasten bestimmter Bevölkerungsgruppen umverteilt werden und bei denen noch so viel Überzeugungsarbeit keine Einigung herbeiführen kann.

Es gibt jedoch noch eine zweite Möglichkeit, wie unterschiedliche Zielvorstellungen im Rahmen des Willensbildungsprozesses abgebaut werden können. Die ökonomische Theorie der Politik spricht hierbei vom Vote Trading, also vom Stimmentausch. Wir haben hierbei davon auszugehen, dass in Parlamenten sehr viele Abstimmungsprozesse zur Diskussion stehen werden und dass deshalb bei Abstimmungen ein Handel stattfinden kann nach dem Motto: Kommst du meinen Zielvorstellungen bei der gerade anstehenden Abstimmung entgegen, dann bin ich bereit, bei einer zukünftigen Abstimmung über eine andere Frage deinen Zielvorstellungen entgegen zu kommen.

Hier kann es durchaus im wohlverstandenen eigenen Interesse liegen, eigene Zielvorstellungen aufzugeben und den Zielen anderer Parteien entgegenzukommen, auch dann, wenn auf diesem Wege das Eigeninteresse bei der zur Diskussion stehenden Frage für sich allein betrachtet verletzt wird. Betrachtet man jedoch das Paket aller innerhalb einer Legislaturperiode anstehenden Fragen, so kann eine Partei durch Nachgeben bei einzelnen Fragen sehr wohl das langfristige Eigeninteresse fördern.

Während die beiden bisher besprochenen Formen der Willensbildung durchaus erwünscht sind und somit die allgemeine Wohlfahrt steigern helfen, gibt es eine weitere dritte Form der Willensbildung, welche keinesfalls immer im Sinne der Gesamtgesellschaft als wohlfahrtssteigernd und erwünscht angesehen werden kann. Es ist nämlich durchaus möglich, andere Parteien oder Gruppierungen dadurch zum Einlenken zu bewegen, dass man dieser Gruppe einen Schaden androht für den Fall, dass diese Gruppe nicht zum Einlenken bereit ist.

Es gibt gesellschaftliche Prozesse, wie z. B. die Tarifverhandlungen, bei denen die Einigung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern in der Regel dadurch zustande kommt, dass die Gewerkschaften die Möglichkeit haben, ihren Vorstellungen dadurch Nachdruck zu verleihen, dass sie mit Streik drohen, genauso wie auch die Arbeitgeber die Möglichkeit haben, einen Streik mit einer Aussperrung zu beantworten. Es ist in diesen Fällen noch gar nicht unbedingt notwendig, dass ein Arbeitskampf tatsächlich ausbricht, noch nicht einmal, dass die Streikdrohung offen ausgesprochen wird, die Einigungsbereitschaft wird oftmals allein dadurch erzielt, dass die jeweiligen Tarifpartner die Möglichkeit haben, Arbeitskampfmaßnahmen einzusetzen.

Diese Form der Auseinandersetzung zwischen den Tarifparteien ist sogar vollkommen legal, in der Verfassung der BRD wird den Gewerkschaften eigens das Recht zum Streiken zugesprochen und es entspricht der Rechtssprechung der obersten Gerichte, dass auch die Arbeitgeber ein Recht auf eine Aussperrung – allerdings begrenzt auf eine Abwehraussperrung in Beantwortung eines zuvor ausgerufenen Streiks – besitzen.

Es entspricht jedoch auch der allgemeinen Rechtsauffassung, dass dieses Instrument der Bedrohung gegenüber Parlament und Regierung als ungesetzlich zu gelten hat. Die Abgeordneten sollten bei ihren Entscheidungen im Parlament nur ihrem Gewissen unterworfen sein. Trotz dieser Rechtslage gibt es natürlich in der Realität immer wieder Versuche der unterschiedlichsten Art, einzelne Abgeordnete unter Druck zu setzen und sie damit zu einem Abstimmungsverhalten zu veranlassen, das Zielvorstellungen bestimmter Teilgruppen entgegenkommt, aber aus gesamtpolitischer Sicht unerwünscht ist.

Interessengruppen haben in unserer repräsentativen Demokratie zahlreiche Möglichkeiten, Regierung und Parlament zu beeinflussen. Hierzu zählen nicht nur die illegalen Methoden der Bestechung und Korruption. Wir haben davon auszugehen, dass die Formulierung wie auch die Durchführung von Gesetzen und Verordnungen der Mithilfe zahlreicher Interessengruppen bedarf. Nur diese Interessengruppen verfügen bisweilen über das Wissen, das notwendig ist, um die Gesetze so zu formulieren, dass sie auch den angestrebten Zweck erreichen.

Auch ist oftmals davon auszugehen, dass Gesetze nur dann zum Erfolg führen, wenn die betroffenen Interessengruppen an der Durchführung der Gesetze mitwirken und sie nicht zu torpedieren versuchen. Die Politiker mögen in diesen Fällen den Vorstellungen einzelner Interessengruppen stärker entgegenkommen, als dies eigentlich erwünscht ist, um auf diese Weise sicherzustellen, dass ein Gesetz überhaupt zustande kommt. Hier kann sich die Willensbildung im Einzelfall durchaus am Rande der Illegalität bewegen.

Wir haben also festgestellt, dass der politische Willensbildungsprozess durchaus in der Lage ist, die anfänglich großen Unterschiede in den Zielvorstellungen der einzelnen Bevölkerungsgruppen und auch Parteien abzubauen und damit darauf hinzuwirken, dass die einzelnen Zielvorstellungen mehrheitsfähig werden.

Allerdings wird man nicht erwarten können, dass der Einigungsprozess auch dann noch weitergeführt wird, wenn bereits feststeht, dass eine Mehrheit dem Vorschlag der Regierung zustimmt. Dies bedeutet, dass trotz dieser Möglichkeiten einer Annäherung unterschiedlicher Positionen zu Beginn der Beratungen damit zu rechnen ist, dass in der Regel die Vorstellungen einer recht großen Minderheitengruppe nicht zum Zuge kommen, obwohl durch Ausdehnung des Willensbildungsprozesses die überstimmte Minderheit vermindert werden könnte und obwohl deshalb oftmals eine Fortsetzung des Willensbildungsprozesses im Sinne des Gesamtwohles erwünscht wäre.

Lediglich der Umstand, dass es oftmals bis zur Abstimmung unsicher bleibt, wie einzelne Parteien und Abgeordnete abstimmen werden, dürfte die regierenden Parteien dazu bewegen, weiterhin durch Kompromissvorschläge auf eine Einigung hinzuarbeiten, auch dann noch, wenn objektiv betrachtet bereits eine Mehrheit für die zur Diskussion stehende Gesetzesvorlage erreicht ist. Unsicherheit ist somit der wohl wichtigste Faktor, der die Parteien veranlasst, nicht nur knappe Mehrheiten anzustreben, sondern den Umfang der überstimmten Minderheit zu reduzieren.

Von der Zielsetzung her wäre es auf jeden Fall erwünscht, den Umfang der überstimmten Minderheit zu minimieren, wobei zwei Ziele in einen Konflikt zueinander geraten. Auf der einen Seite wird jede Verminderung im Umfang der überstimmten Minderheit einen partiellen Wohlfahrtsgewinn bedeuten, auf der anderen Seite bringt das Hinausschieben der Verabschiedung eines Gesetzes selbst wiederum Wohlfahrtsverluste. Ein Wohlfahrtsoptimum wird dann erreicht sein, wenn sich Wohlfahrtsgewinne und Wohlfahrtsverluste gerade ausgleichen.

In praxi ist nicht damit zu rechnen, dass der Einigungsprozess solange fortgeführt wird, bis dieses Wohlfahrtsoptimum erreicht ist, vielmehr wird der Willensbildungsprozess wie gezeigt abgebrochen, sobald sich die regierenden Parteien sicher sind, eine Mehrheit für die zur Abstimmung stehende Gesetzesvorlage zu erreichen. Dies wird in der Regel bei einer weit größeren überstimmten Minderheit der Fall sein, als es eigentlich erwünscht wäre.

Gerade aus diesen Gründen sehen die demokratischen Verfassungen einen zusätzlichen Minderheitenschutz vor. Nahezu alle demokratischen Verfassungen enthalten Bestimmungen darüber, dass keinem Bürger – mag er noch so sehr einer Minderheit angehören – bestimmte Rechte, die sogenannten Menschenrechte vorenthalten werden dürfen. Erst das Zusammenwirken dieser beiden Vorkehrungen (die Mehrheit entscheidet über den Wahl- und Abstimmungsvorgang sowie allen Menschen müssen ganz bestimmte in der Verfassung aufgezählte Mindestrechte gewährt werden) trägt letzten Endes dazu bei, dass dem Willen der Bevölkerung soweit wie möglich entsprochen wird.

 

3. Mögliche Unterscheidungskriterien der Parteien

 

Die einzelnen Parteien werden und wurden nach unterschiedlichen Kriterien gebildet. So lassen sich vor allem vier Unterscheidungskriterien feststellen. Die Parteien können erstens bestimmte Bevölkerungsgruppen und Klassen ansprechen. So bildeten sich in der Vergangenheit vor allem Arbeiterparteien heraus, aber auch oftmals Parteien für die Selbständigen aus der Mittelschicht, weiterhin Parteien, welche vorwiegend die ältere Bevölkerung ansprechen und schließlich Parteien, welche die Interessen bestimmter Nationalitäten und Rassen vertreten.

Die wohl ältesten Parteien in der modernen Demokratie sind hierbei die Arbeiterparteien, so die Sozialdemokraten, die Sozialisten und Kommunisten. Aber auch schon sehr früh bildeten sich Parteien für die Selbständigen heraus, welche vor allem die Interessen der Gewerbetreibenden, aber auch der gehobenen Bildungsschicht gegenüber sozialistischen Parteien zur Geltung zu bringen versuchen. Heute zählt man hierzu oft die FDP.

Das Anwachsen der älteren Bevölkerungsjahrgänge und die lange Zeit anhaltende Vernachlässigung der Interessen der Rentner und Pensionäre hat in jüngster Zeit zur Bildung der Grauen Panther, der Partei der älteren Bürger geführt. Parteien, welche die Interessen bestimmter Nationalitäten verfolgen, haben sich vor allem in den Staaten herausgebildet, welche aus verschiedenen Nationalitäten bestehen und bei denen Volksgruppen, welche eine Minderheit darstellen, Gefahr laufen, dass ihre landsmännischen Besonderheiten bei der Verabschiedung von Gesetzen unberücksichtigt bleiben.

So bildete sich z. B. in Schleswig-Holstein eine Partei der dänischen Minderheit heraus, der auch in der Landesverfassung besondere Minderheitenrechte zugestanden werden. So entsendet diese Partei auch dann Abgeordnete ins Parlament, wenn diese Partei die sonst geltenden Hürden einer Mindestanzahl von Wählern unterschreitet.

Verschiedene Faktoren haben die Herausbildung von Parteien einzelner Bevölkerungsgruppen begünstigt. So haben wir bereits darauf hingewiesen, dass eine Vernachlässigung der Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen die Bildung einer politischen Interessenbildung begünstigt hat. So erklärt sich nicht nur die Bildung von Parteien einzelner nationaler Minderheiten sowie der Partei für Rentner und Pensionäre. Auch das Entstehen von Arbeiterparteien muss im Wesentlichen darauf zurückgeführt werden, dass in den Anfängen der Demokratie im ausgehenden 19. Jahrhundert die Interessen der Arbeiter gravierend vernachlässigt wurden.

Die Industrialisierung führte nämlich im Zusammenhang mit der Wanderung in die Städte zu einer Auflösung der mittelalterlichen Familienstrukturen, es kam zu einem rapiden Anstieg der Bevölkerung, die anfänglich so groß war, dass trotz Vergrößerung der Produktion das Pro-Kopf-Einkommen der arbeitenden Bevölkerung auf das Existenzminimum sank und dies, obwohl die einzelnen Arbeiter 14 und mehr Stunden am Tag arbeiten mussten. Da gleichzeitig auch die Kinder zur erwerbswirtschaftlichen Arbeit herangezogen wurden, blieb keine Zeit für die Ausbildung dieser Kinder, mit der Folge, dass zunächst auch die nachwachsende Generation keine Aussicht hatte, in der Einkommenshierarchie aufzusteigen.

Es bildeten sich auf diese Weise einmal Gewerkschaften, welche vor allem den Versuch unternahmen, für die Arbeiter höhere Löhne zu erkämpfen, zum andern aber auch politische Parteien, welche durch Änderung von Gesetzen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben zu erreichen versuchten.

Dass sich vor allem in der Anfangsphase der Demokratie vorwiegend Parteien herausbildeten, welche die Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen vertraten, hängt aber vor allem auch mit dem jeweiligen Wahlsystem zusammen. Wir haben zwischen einem Proporz- und einem Mehrheitswahlsystem zu unterscheiden. Bei einem Proporzwahlsystem entspricht der Prozentsatz der Sitze einer Partei im Parlament dem Prozentsatz der Stimmen, welche diese Partei bei den allgemeinen Wahlen erreichen konnte. Gelang es also z. B. einer Partei 35% der Wahlstimmen auf sich zu vereinen, erhielt sie auch 35% der Abgeordnetensitze im Parlament.

Bei einem Mehrheitswahlreicht weicht der Anteil der Abgeordnetensitze in der Regel beachtlich vom Anteil der Wahlstimmen ab. Nur die Partei, welche in einem Wahlbezirk die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnte, entsendet für diesen Wahlbezirk einen Abgeordneten. Die Stimmen der Parteien, welche nicht die Mehrheit in den einzelnen Wahlbezirken erlangen konnten, bleiben jedoch bei der Verteilung der Parlamentssitze unberücksichtigt.

Diese Art der Auszählung der Stimmen bringt es nun mit sich, dass die erfolgreichere Partei zumeist wesentlich mehr Abgeordnetensitze erlangt, als es ihrem Anteil an den Wählerstimmen entsprechen würde. Nehmen wir das Extrembeispiel, dass eine Partei X in allen Stimmbezirken eine 51% Mehrheit erlangen würde, dann würden nur Abgeordnete dieser Partei ins Parlament einziehen, die restlichen Parteien würden leer ausgehen. In der Realität wird natürlich in der Regel jede Partei bestimmte Wahlbezirke – sogenannte Hochburgen – aufweisen, in denen sie bei den Wahlen die Mehrheit erlangen können. So gibt es z. B. Wahlbezirke, in denen Arbeiter überproportional vertreten sind, in diesen Wahlbezirken hat natürlich eine Arbeiterpartei die besten Chancen, die Mehrheit zu erlangen.

Wie wir weiter unten noch ausführlich sehen werden, beeinflusst das jeweilige Wahlsystem die Art der Bildung von Parteien. Während sich im allgemeinen in Mehrheitswahlsystemen Parteien herausbilden, welche die meisten größeren Bevölkerungsschichten ansprechen und deshalb als Volksparteien bezeichnet werden können, bilden sich bei Proporzwahlsystemen aus Gründen, welche wir weiter unten noch ausführlich besprechen werden, vorwiegend Parteien heraus, welche lediglich die Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen ansprechen.

So ist es auch zu erklären, dass sich in den kontinentaleuropäischen Staaten, welche vorwiegend das Proporzwahlrecht bevorzugten, vor allem Parteien herausbildeten, welche sich zur Aufgabe gesetzt haben, die Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen zu vertreten.

Es nimmt deshalb auch kein Wunder, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika, welche ein reines Mehrheitswahlrecht praktizieren, keine Klassen bezogenen Parteien entstanden sind, hier konkurrieren im wesentlichen nur zwei Parteien miteinander, die demokratische und die republikanische Partei, beide Parteien verstehen sich als Volksparteien, wenn auch sicherlich in praxi die demokratische Partei in etwas stärkerem Maße die Arbeitnehmer und die Minderheiten anspricht, während die republikanische Partei vor allem von der Mittelschicht gewählt wird.

Allerdings gibt es auch hier wiederum eine bedeutende Ausnahme. Auch Großbritannien zeichnet sich durch ein Mehrheitswahlsystem aus. Auch in Großbritannien haben wir im Wesentlichen nur zwei große Parteien und eine oder zwei kleinere, welche um die Macht kämpfen. Schließlich wurden die Regierungen auch hier in aller Regel (mit Ausnahme von nationalen Notzeiten) lediglich aus einer Partei gebildet. Trotzdem entwickelte sich hier aus der der Gewerkschaftsbewegung heraus in der Neuzeit (im Jahre 1906) eine Labor-Partei, nachdem lange Zeit die Whigs und die Tories einander gegenübergestanden sind.

Parteien können sich auch nach einem zweiten Unterscheidungsmerkmal differenzieren, in dem sie sich nach den Grundwerten unterscheiden, nach denen die anstehenden politischen Probleme gelöst werden sollen. So gab es schon immer sozialistische, konservative und liberale Parteien. Die sozialistischen Parteien untergliedern sich weiterhin in Parteien, welche kommunistische Ziele verfolgen und mehr oder weniger Karl Marx als ihren Urvater anerkennen. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass Karl Marx zwar eine kritische Analyse des damals vorherrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystems vorgenommen hat und nachzuweisen versuchte, dass sich die kapitalistischen Systeme notwendigerweise und von selbst zu einer kommunistischen Gesellschaft ohne Privateigentum am Erwerbsvermögen entwickelten, er hat aber sehr wenig über die Funktionsweise kommunistischer Systeme ausgesagt.

Von den kommunistischen Parteien unterscheiden sich die sozialdemokratischen Parteien, welche sich zwar auch als Sozialisten bezeichnen, aber im Gegensatz zu den kommunistischen Parteien einen freiheitlichen Sozialismus vertreten und die Grundzüge eines freiheitlichen Rechtsstaates bejahen; seit dem Godesberger Programm in den späten 50er Jahren des letzten Jahrhunderts wird von der Sozialdemokratie eine nach sozialen Kriterien modifizierte marktwirtschaftliche Ordnung durchaus anerkannt.

Konservativen Parteien wie z. B. der Republikanischen Partei der USA geht es demgegenüber in erster Linie um die Erhaltung tradierter Grundwerte. Hierzu zählen vor allem der Bestand einer funktionsfähigen Familie, die Erhaltung des Privateigentums, Stärkung der staatlichen Macht zur Bekämpfung von Verbrechen, wobei vor allem die Sicherheit der Bürger gewährleistet werden soll.

Liberale Parteien schließlich streben die Erhaltung und Sicherung der Freiheitsrechte der Bürger an, sie vertrauen auf die Kräfte des Marktes und auf die Privatinitiative des einzelnen Individuen, sie sind davon überzeugt, dass zu große staatliche Eingriffe letzten Endes die Wohlfahrt der Bürger behindern. Hierbei gilt es durchaus anzuerkennen, dass auch der Liberalismus seit seiner Entstehung im ausgehenden 18. Jahrhundert Wandlungen vollzogen hat.

So sieht der vor allem von Walter Eucken entwickelte Ordo-Liberalismus die Freiheit der Bürger nicht nur durch den Staat, sondern auch durch mächtige private Interessengruppen bedroht. Es wird von Walter Eucken durchaus ein starker Staat gefordert, welcher zwar nicht in den Markt eingreifen solle, der aber sehr wohl darüber wachen müsse, um monopolistische Zusammenschlüsse von Unternehmungen zu verhindern.

Die konkreten liberalen und konservativen Parteien verfolgen zum Teil durchaus gleiche oder ähnliche Ziele, beide Parteien treten für eine im Grundsatz freie Marktwirtschaft ein. Trotzdem unterscheiden sich Konservatismus und Liberalismus im Ansatz von einander. Als der Liberalismus im ausgehenden 18. Jahrhundert entstand, richtete er sich gegen die bestehende (absolutistische Staatsform), in diesem Sinne verfolgte der Liberalismus durchaus revolutionäre Ziele, er wollte im wirtschaftlichen Bereich anstelle einer staatlichen Planwirtschaft eine freie Marktwirtschaft einführen und er wollte das politische System eines selbstherrlichen Königtums in eine durch Verfassung begrenzte repräsentative Demokratie umwandeln. Es ging als dem Liberalismus im Zeitalter seiner Entstehung gerade nicht um die Erhaltung der bestehenden Ordnung.

Demgegenüber kann der heutige Liberalismus davon ausgehen, dass die meisten hoch­entwickelten Staaten Europas und Amerikas sowohl repräsentative Demokratien und marktwirtschaftlich geordnete Wirtschaftssysteme sind, die es zu erhalten gilt. In dem Sinne verfolgen die heutigen Liberalen keine revolutionären Ziele mehr, sondern treten genauso wie die Konservativen für die Erhaltung der bestehenden Ordnung ein. Trotzdem ist der Ansatz beider Parteien ein anderer.

Während die Liberalen von der Grundüberzeugung ausgehen, dass eine demokratische und marktwirtschaftlich geordnete Gesellschaft die bestmögliche Gesellschaftsform darstellt und deshalb erhalten bleiben sollte, geht der Konservatismus davon aus, dass Grundwerte per se erhalten bleiben sollten, dass jede Änderung und Anpassung der Werte an die veränderten Situationen als solche kritisch zu beurteilen und deshalb zu bekämpfen sei.

Verfolgen wir speziell die Entwicklung der Parteien in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, so begegnet uns in der CDU/CSU eine Partei, welche sowohl konservative, liberale und darüber hinaus christliche Werte verfolgt. Im Gegensatz zum Zentrum der Weimarer Republik, das lediglich die Katholiken ansprach, wurde bei der Begründung der CDU der Versuch unternommen, zumindest auf politischem Gebiet die Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken zu überwinden und eine Partei für alle Christen zu entwickeln.

Für einen Christen haben in erster Linie die Grundwerte der Familie zu gelten, insofern ist die CDU eine konservative Regierung. Sie ist davon überzeugt, dass nur in einer Marktwirtschaft Gewähr gegeben ist, dass effizient und im Sinne der Konsumenten produziert wird, insofern ist die CDU eine liberale Partei. Schließlich gilt es im Sinne des christlichen Gebotes der Nächstenliebe die Marktwirtschaft so zu ordnen, dass auch die Belange der Empfänger niedriger Einkommen und der wirtschaftlich Schwachen Berücksichtigung finden und somit die Marktwirtschaft sozial auszugestalten ist. Insoweit gibt es auch Berührungspunkte zu den sozialistischen Parteien. Beiden geht es darum, eine möglichst gerechte Einkommensverteilung zu garantieren.

Religiös fundierte Parteien finden wir nicht nur in den europäischen und amerikanischen Staaten. Vor allem in den asiatischen Staaten treten Parteien auf, welche auf dem Islam basieren und die Errichtung eines Gottesstaates zum Ziele haben. Diese Parteien lassen sich deshalb auch nicht mehr der Gruppe demokratischer Parteien zurechnen.

Im rechtsradikalen Bereich treten Parteien mit faschistischem Grundziel auf, sie zählen ebenfalls nicht zur Gruppe demokratischer Parteien, auch dann nicht, wenn sie zunächst in Staaten agieren, welche eine demokratische Verfassung besitzen. Ziel dieser Parteien ist es, sich zwar im Rahmen dieser Verfassungen wählen zu lassen, dann aber, wenn sie über die Mehrheit verfügen, die demokratische Verfassung zu beseitigen.

Ein drittes Unterscheidungsmerkmal hebt auf die Lösung einer ganz konkreten Aufgabe ab. So entstand die liberale Partei Großbritanniens aus der Anti Corn Law League, welche sich zum Ziel setzte, die Importzölle auf Getreide abzuschaffen. In neuerer Zeit wurde seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Partei der Grünen gebildet, zunächst vorwiegend um ökologische Ziele zu verfolgen, allerdings hat sich die Partei der Grünen in der Zwischenzeit zu einer Partei entwickelt, die sich um die Lösung aller wichtigen politischen Fragen bemüht und einen neuen Stil der Politik erreichen will.

Auf ein viertes Unterscheidungsmerkmal der Parteien hat Joseph Alois Schumpeter in seinem Werk ‚Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie‘ hingewiesen. Schumpeter verstand unter einer Partei eine Organisation, welche vorwiegend das Ziel verfolgt, die Wahl eines Politikers zu unterstützen. Danach hat eine Partei vor allem die Aufgabe, die Geldmittel aufzubringen, welche notwendig sind, um erfolgreich bei den anstehenden Wahlen kandidieren zu können. Gleichzeitig obliegt es der Partei, durch Propagandamaßnahmen und durch Beteiligung an öffentlichen Diskussionen für den nominierten Kandidaten zu werben.

Diese vierte Sichtweise begegnet uns vor allem in den USA, wobei die beiden wichtigsten Parteien, die Republikaner und die Demokraten nicht wie die Parteien in Europa entweder bestimmten Bevölkerungsgruppen oder auch bestimmten politischen Leitbildern zugeordnet werden können. Aber auch in den USA sind die Parteien schon lange nicht mehr Organisationen, die gebildet wurden, um einen bestimmten Bewerber um das höchste Amt im Staat zu unterstützen. Die Parteien lösen sich nicht nach Beendigung der Wahl auf, wenn das Ziel die Macht zu erringen erreicht oder verfehlt wurde. Die Parteien bilden auch hier Koalitionen im Parlament und in einem aufwändigen Nominierungsprozess kämpfen stets mehrere Konkurrenten um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten.

Auch sollte man berücksichtigen, dass gerade die von Schumpeter entwickelte ökonomische Theorie der Demokratie darauf aufmerksam gemacht hat, dass man bei politischen Fragen genauso wie bei wirtschaftlichen Problemen unterscheiden muss zwischen den Motiven, welche die einzelnen Politiker bewegt und den Gemeinwohlaufgaben, welche durch die politischen Maßnahmen letztlich erreicht werden sollen.

Die Aussage, dass es den Politikern darum geht, die Macht zu erringen und dass sich in einer Demokratie ein Politiker für die politischen Lösungen entscheidet, die ihm den höchsten Stimmengewinn bei den Wahlen versprechen, steht somit auch keinesfalls in Widerspruch zu der anderen Forderung, dass die politischen Aktionen und Systeme daraufhin zu überprüfen und zu bewerten sind, inwieweit sie zur Realisierung des Gemeinwohls beitragen.

Eine politische Maßnahme ist nicht deshalb schlecht und zu verwerfen, weil sie von den Politikern durchgeführt wurde, um die Macht dieses Politikers zu verstärken. Eine politische Maßnahme ist dann zu kritisieren, wenn sie dem Gemeinwohl schadet. Wir können aber nicht davon ausgehen, dass alle Maßnahmen, welche aufgrund des Machtstrebens der Politiker durchgeführt wurden, bereits wegen dieses Motivs schlecht sind, genauso wenig, wie wir davon ausgehen können, dass alle Maßnahmen, bei denen die Politiker vorrangig das Gemeinwohl im Auge haben, allein schon wegen dieser Motivation positiv zu bewerten sind.

Es war gerade das Verdienst der liberalen Wirtschaftstheorie, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass eine liberale Wirtschaftsordnung besser in der Lage ist, die Wohlfahrt der Bevölkerung zu mehren als eine politische Ordnung, bei der die Politiker die wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen fällen. Der Liberalismus und vor allem Schumpeter haben gezeigt, dass Politiker oftmals nur vorgeben, allein um des Gemeinwohls willen zu handeln, in Wirklichkeit jedoch genauso ihren Eigennutz zu vermehren versuchen wie freie Unternehmer in einer Marktwirtschaft.

Der Liberalismus hat gezeigt, dass gerade in einer funktionierenden Marktwirtschaft eine Kanalisation der Eigeninteressen stattfindet, aufgrund derer die Unternehmer gerade dann ihren Gewinn maximieren, wenn sie ihre Produktionsentscheidungen an den Wünschen der Konsumenten ausrichten. Allerdings setzt dies voraus, dass auch ein starker Wettbewerb zwischen den Produzenten um die Konsumenten stattfindet.

Es ist das Verdienst Schumpeters, aufgezeigt zu haben, dass auch im politischen System einer funktionierenden Demokratie eine solche Kanalisation der Eigeninteressen stattfindet. Aufgrund des Wettbewerbs der Parteien um die Wählergunst sehen sich auch hier die Politiker gezwungen, solche Maßnahmen in Aussicht zu stellen und durchzuführen, die der Mehrheit der Wähler zugute kommen. Die Wahl wird der Politiker gewinnen, der es am besten versteht, den Wünschen der Wähler entgegenzukommen.

Wir wollen also festhalten, dass das Eigenwohl als Motiv und die Realisierung von Gemeinwohlaufgaben keine Widersprüche darstellen und dass deshalb die hier diskutierten vier Unterscheidungskriterien der Parteien auch keine Gegensätze darstellen, die sich gegenseitig ausschließen. Das eigentliche Motiv, das die Parteiführer bewegt, wird immer das Ziel sein, die Wahlen zu gewinnen und an die Macht zu kommen bzw. die Macht zu erhalten. Dem widerspricht nicht, dass Parteien zumindest als Stammwähler fast immer eine ganz bestimmte Bevölkerungsschicht bevorzugen und dass sie sich von bestimmten übergeordneten Leitbildern leiten lassen.

Nachdem wir geklärt haben, nach welchen Unterscheidungsmerkmalen die Parteien gebildet wurden, wollen wir uns nun der Frage zuwenden, wie die einzelnen Gliederungsmerkmale der Parteien wohlfahrtspolitisch zu beurteilen sind.

Als erstes kann festgestellt werden, dass nur dann von einer befriedigenden Ordnung gesprochen werden kann, wenn die in der Politik anstehenden Probleme nicht nach Interessen, sondern nach übergeordneten Gesichtspunkten entschieden werden. Es kann nicht darum gehen, die Probleme nur nach dem Interesse einer einzigen Bevölkerungsgruppe zu lösen, mag diese Bevölkerungsgruppe noch so groß sein, sondern es gilt einen fairen Kompromiss zwischen den streitenden Bevölkerungsgruppen anzusteuern.

In diesem Sinne kann eigentlich nur eine Untergliederung der Parteien nach weltanschaulichen Gesichtspunkten überzeugen. Keine Bevölkerungsgruppe ist im allgemeinen so groß, dass sie die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, und selbst dann, wenn dies der Fall wäre, besteht dann, wenn eine solche Partei an die Macht kommt, immer die Gefahr, dass die Minderheiten ausgebeutet werden. Auch eine Gliederung nach Problemgruppen, wie sie bei der Anti Corn League oder bei der Grünen Partei anfangs aufgetreten ist, kann langfristig nicht befriedigen, da in der Politik immer Probleme der unterschiedlichsten Bereiche auftreten und eine Regierung über Lösungskonzepte für alle auftretenden Fragen verfügen muss.

Historisch gesehen kann allerdings in einem begrenzten Umfang die Entstehung von Parteien, die sich auf einzelne Bevölkerungsschichten stützen, verständlich erscheinen und auch vorübergehend berechtigt sein, wenn zuvor die Interessen einzelner Bevölkerungsgruppen vollkommen vernachlässigt wurden. Hier besteht die Möglichkeit, dass durch den Wahlsieg einer Partei, welche solche bisher vernachlässigten Bevölkerungsschichten vertritt, die politischen Lösungen in Richtung fairer Kompromisse bewegt werden.

Auch kann zu einem bestimmten Zeitpunkt die Lösung einer einzelnen politischen Frage so zentral sein, dass zu dieser Zeit vorwiegend Lösungskonzepte nur für diese Fragestellung benötigt werden. So mag sowohl die Entstehung der Anti Corn League im 19. Jahrhundert wie auch die Bildung ökologisch orientierter Parteien in einem bestimmten historischen Zeitpunkt durchaus ihre Berechtigung gehabt haben. Nichtsdestotrotz ist eine Gliederung der Parteien nach Bevölkerungsschichten sowie nach Themengruppen auf Dauer nicht in der Lage, eine wohlfahrtspolitisch optimale Lösung aller politischen Fragen herbeizuführen.

Zweitens können allseits befriedigende Lösungen nur dann erwartet werden, wenn die politischen und weltanschaulichen Überzeugungen der einzelnen Bevölkerungsgruppen nicht zu stark differieren. Nur dann, wenn alle Bevölkerungsgruppen von einem gemeinsamen Satz von Grundwerten ausgehen, können politisch befriedigende Lösungen erreicht werden. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, dass die einzelnen Bevölkerungsgruppen integriert sind und die in den Verfassungen eines Staates verankerten Grundwerte einer Gesellschaft akzeptieren.

Dieser Zusammenhang muss vor allem dann beachtet werden, wenn sich ein Land als Einwanderungsland versteht und Massen von Personen einzugliedern versucht, welche einem fremden Kulturbereich entstammen. Wenn bei den einwandernden Bevölkerungsgruppen nicht die Bereitschaft besteht, die Sprache des Einwanderungslandes zu übernehmen und die in der Verfassung dieses Landes formulierten Grundwerte anzuerkennen, ist auch keine befriedigende Lösung der anstehenden politischen Probleme zu erwarten. In diesem Sinne würde eine Parteiengliederung, welche zwischen einzelnen nach nationalen Gesichtspunkten gegliederten Bevölkerungsgruppen unterscheidet, sicherlich nicht zu einer befriedigenden Lösung der anstehenden Probleme führen.

Drittens lassen sich bei den traditionellen Parteien, welche einer konservativen, liberalen, sozialistischen, christlichen oder auch ökologischen Orientierung folgen, im Ansatz lediglich unterschiedliche Antworten auf gemeinsame Fragen sehen. Stets geht es um das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Gerechtigkeit und jede dieser Parteien ist sowohl dem Ziel der Freiheit wie auch der Gerechtigkeit verpflichtet, wobei die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien in dieser Frage einmal darin bestehen, welches dieser beiden Ziele in den Vordergrund gestellt wird, was man zum andern im einzelnen unter Freiheit und Gerechtigkeit zu verstehen hat und mit welchen Mitteln man die Verwirklichung dieser beiden Ziele schließlich anzustreben versucht.

Liberale Parteien präferieren die freie Entscheidung jedes Bürgers in allen Lebenslagen, sie sind davon überzeugt, dass der freie Markt und das Spiel der Demokratie im Ansatz sehr wohl auch gerechte im Sinne fairer Lösungen herbeiführt und dass der Staat nur in Ausnahmefällen aus Gerechtigkeitsgründen die Freiheitsrechte der Bürger beschneiden sollte.

Sozialistische Parteien betonen demgegenüber stärker die Verantwortung des Staates zur Herbeiführung gerechter Lösungen und zur Absicherung gegenüber den sozialen Risiken. Im Hinblick auf die Freiheitsrechte hat der Sozialismus – zumindest in der Form  des freiheitlichen Sozialismus – gegenüber seinen Anfängen einen entscheidenden Wandel vollzogen. Die anfänglichen Vorstellungen, dass nur eine staatliche Planwirtschaft zu befriedigenden Lösungen führen könne, wurden spätestens seit dem Godesberger Programm (1959) zugunsten einer Überzeugung aufgegeben, dass der freie Markt sehr besser in der Lage ist, effiziente Lösungen herbeizuführen, die allerdings in sozialer Hinsicht zu korrigieren seien.

Auch für die christlich orientierten Parteien gilt, dass nur in einer Marktwirtschaft die Zielvorstellungen von Freiheit realisiert werden können, aber auch aus der Sicht dieser Parteien bedarf es einer Korrektur der Märkte in sozialer Hinsicht. Christliche Parteien betonen allerdings in der Regel auch Ziele des Konservatismus, sie sind der Überzeugung, dass die tradierten Grundwerte vor allem einer Familie erhalten werden müssten, dass diese Werte zwar vielleicht der veränderten Situation angepasst werden müssten, dass sie aber keinesfalls aufgegeben werden dürften.

Ökologische Parteien schließlich betonen die Gefahr, dass die modernen Produktionsweisen die Umwelt und damit das ökologische System grundlegend gefährden und dass deshalb ein radikaler Wandel in den Produktionsmethoden notwendig sei. Auch wenn die konkreten liberalen und grünen Parteien ihre Ziele gegensätzlich formulieren, muss trotzdem betont werden, dass sie im Grunde ähnliche Ziele verfolgen. Sowohl der Liberalismus wie auch die Ökologie gehen davon aus, dass weder das wirtschaftliche noch das ökologische System ein Übermaß an Einflussnahme seitens des Staates oder auch der Gesellschaft vertragen und beide Leitbilder werden vom dem Urvertrauen getragen, dass Markt und Ökologie sich selbst überlassen durchaus harmonische und verträgliche Lösungen herbeiführen.

Dass marktwirtschaftliche Systeme in ihrer praktischen Verwirklichung zu Umweltschäden größten Ausmaßes geführt haben, liegt nicht in der Natur der Märkte, sondern eher in einer Pathologie der Märkte. Wie die Wohlfahrtstheorie gezeigt hat, ist gerade der Marktmechanismus und nur er in der Lage, die Vor- und Nachteile einer Produktion aufzuzeigen und nur solche Lösungen herbeizuführen, bei denen die Vorteile die Nachteile überwiegen.

Dass es in praxi dennoch zu Umweltschäden größten Ausmaßes gekommen ist, muss darauf zurückgeführt werden, dass in der Realität nicht alle volkswirtschaftlichen Kosten in das Kalkül der Unternehmungen und Haushalte eingehen und das wiederum ist darauf zurückzuführen, dass Umweltgüter wie vor allem Luft und Wasser wie freie Güter behandelt werden und keine auf diese Güter bezogene Eigentumsrechte bestehen.

Nicht das marktwirtschaftliche System als solches, sondern eine mangelnde Eigentumsordnung ist dafür verantwortlich, dass es zu Umweltschäden dieses Umfanges gekommen ist. Auf diese Zusammenhänge haben übrigens nicht erst die Grünen Parteien seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hingewiesen. Bereits Arthur Cecil Pigou, einer der Hauptvertreter der Neoklassik, hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf diese Zusammenhänge hingewiesen und Lösungsvorschläge unterbreitet.

Bei unseren bisherigen Überlegungen gingen wir stillschweigend davon aus, dass sich die Parteien im Rahmen der bestehenden demokratischen Verfassung bewegen. Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt jedoch, dass vor allem in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwunges, aber auch bei anderen politischen Krisen, radikale Parteien entstehen, welche offen oder verdeckt das Ziel verfolgen, über Wahlen oder auch auf anderem Wege (durch revolutionäre Akte) an die Macht zu gelangen, um dann die demokratische Verfassung aufzuheben. Hierbei lassen sich rechts- wie linksradikale Parteien unterscheiden.

Es sollte eigentlich unter allen demokratischen Parteien klar sein, dass ein Bündnis mit diesen radikalen Parteien nicht in Frage kommt, dass das Paktieren mit diesen Parteien einem Spiel mit dem Feuer gleicht. Das historische Beispiel des Zusammengehens der am rechten Spektrum angesiedelten Parteien mit den Nationalsozialisten am Ende der Weimarer Republik zeigt deutlich, dass der Versuch, radikale Parteien in eine Regierung einzubinden, scheitern muss, da die auf dem Boden der Verfassung stehenden Parteien gegenüber den radikalen Parteien immer den Nachteil haben werden, dass sie sich im Gegensatz zu den radikalen Parteien an die von der Verfassung gesetzten Spielregeln halten.

Es ist mir unverständlich, wie Vertreter der SPD bei der Regierungsbildung in Hessen auf der einen Seite davon sprechen, dass ein Bündnis mit der CDU – einer Partei, welche genauso wie die SPD auf dem Boden des Grundgesetzes steht – unzumutbar sei, dass aber gleichzeitig der Versuch unternommen wird, mit der linksradikalen Partei der Linken eine Koalition einzugehen bzw. mit Duldung dieser Partei eine Minderheitsregierung zu bilden. Auch das zurzeit  realisierte Zusammengehen mit den Linken bei einzelnen Gesetzesvorhaben trägt sicherlich in gleichem Maße dazu bei, die verfassungsmäßigen Bedenken gegen diese Partei aufzuweichen und sie für die Zukunft ‚hoffähig‘ zu machen.

Natürlich mag es richtig sein, dass es Frau Ypsilanti, der Vertreterin des äußersten linken Flügels der SPD schwer fällt mit dem Parteivorsitzenden der hessischen CDU Koch in einer Regierung zusammenzuarbeiten, der dem rechten Flügel der CDU zugerechnet werden muss. Aber selbstverständlich gibt es sehr wohl zwischen CDU und SPD genügend gemeinsame Berührungspunkte, welche ein gemeinsames Regierungsbündnis möglich machen würde, genauso wie nach der letzten Bundestagswahl ein Bündnis der großen Koalition möglich wurde. Es wäre nur notwendig, dass diese Regierung aus Vertretern der gemäßigten Mitte beider Parteien angeführt würde.

Radikale Parteien haben in einem demokratischen System nichts zu suchen, sie gehören verboten, da es nicht angeht, dass eine Partei, welche die bestehende Verfassung auszuhöhlen trachtet, auch noch durch den gleichen Staat finanziell unterstützt wird. Das Verbot der rechtsradikalen Parteien scheiterte ja in der Vergangenheit  nur daran, dass der Staat mit sehr fragwürdigen und ungesetzlichen Methoden die Verfassungsfeindlichkeit dieser Partei zu belegen versuchte.

Wenn immer wieder behauptet wird, dass man sich mit den radikalen Parteien politisch auseinandersetzen müsse, so ist zwar dieser Grundsatz als solcher richtig, steht aber keinesfalls in Widerspruch zu einem Verbotsverfahren. Ein Verbot einer Partei wird sicherlich in der Bevölkerung nur dann akzeptiert werden, wenn dem einzelnen Bürger auch klar gemacht wird, warum die Aktivitäten einer Partei nicht der demokratischen Verfassung entsprechen. Man wird ja auch allgemein verbrecherische Handlungen wie Todschlag und Raub nicht einfach deshalb nicht verbieten und strafrechtlich nicht verfolgen wollen, weil es auch hier natürlich notwendig ist, der Bevölkerung klar zu machen, warum diese Aktivitäten verbrecherisch sind und deshalb verfolgt werden müssen.

Leider besteht in der Öffentlichkeit – vor allem bei der Intelligenz – eine weitverbreitete Auffassung, dass Linksradikalismus sehr viel weniger gefährlich sei als Rechtsradikalismus, dass linksradikale Theorien im Gegensatz zu rechtsradikalen Ideen berechtigt seien und dass man die Ideen als solche durchaus wünschenswert halten könne, dass nur in der Verwirklichung des realen Kommunismus Fehler begangen wurden.

Ich habe diese Differenzierung immer schon für falsch gehalten. Sowohl von rechts- wie auch linksradikalen Parteien und Regierungen wurden Verbrechen geübt und Menschen gemordet, welche in die Millionen gingen; beide Gruppen haben ganze Bevölkerungsschichten radikal liquidiert und zwar unabhängig davon, wie sich die Betroffenen gegenüber dem Staat verhalten haben, beide Gruppen haben auch die Freiheit der Bürger massiv unterdrückt.

Die größere Bedeutung kommt nicht so sehr den Ideologien, sondern den Mitteln zu, welche diese Parteien zur Erreichung ihrer Ziele eingesetzt haben. Es ist auch falsch zu behaupten, dass sich ein Kommunismus ohne Zwangsmaßnahmen und Verbrechen realisieren ließe. Auch die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft bedarf zunächst zahlreicher Führungskräfte, welche brutal ihre Macht durchsetzen. Zu viel Macht korrumpiert aber und wer einmal unbegrenzte Macht errungen hat, wird auch kaum bereit sein, auf diese Macht zu verzichten, sodass ein solches Regime  nur wiederum durch eine Revolution abgelöst werden kann, welche selbst wiederum ohne Missbrauch und Verbrechen gar nicht erfolgreich zu Ende geführt werden kann.

Selbst auf dem Gebiet der Ideologie haben die kommunistischen Staaten der Vergangenheit ihre Versprechungen nicht eingehalten. Der für die Bevölkerung realisierte Wohlstand hinkte weit hinter dem Wohlstand in den marktwirtschaftlichen Systemen hinterher. Diese Systeme haben insgesamt auch zu viel neue Ungerechtigkeit herbeigeführt. Nur in sehr formalem Sinne fand eine Nivellierung in den Ressourcen statt. Die Differenzierung in den Einkommen ging zwar in der Regel zurück, dafür sicherten sich jedoch die Führungskräfte ihren Einfluss durch unmittelbaren Zugriff auf die materiellen Ressourcen.

Fortsetzung folgt!