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Liberalismus Sozialismus und christliche Soziallehre

 

Gliederung:

 

 1. Begriffliche Klärungen

 2. Zur historischen Entwicklung

 3. Das Freiheitsziel des Liberalismus

 4. Das Freiheitsziel des Sozialismus

 5. Das Freiheitsziel der christlichen Soziallehre

 6. Das Gerechtigkeitsziel des Liberalismus

 7. Das Gerechtigkeitsziel des Sozialismus

 8. Das Gerechtigkeitsziel der christlichen Soziallehre

 9. Liberale Gewichtung der Ziele

 10. Sozialistische Gewichtung der Ziele

 11. Christliche Gewichtung der Ziele

 12. Liberaler Mitteleinsatz

13. Sozialistischer Mitteleinsatz

14. Christlich-Sozialer Mitteleinsatz

 

 

 

1. Begriffliche Klärungen

 

Nach weitverbreiteter Vorstellung wird der Liberalismus als eine Weltanschauung verstanden, welche die Freiheit der Bürger gegenüber dem Staat betont und welche vor allem die Forderung aufstellt, dass sich der Staat jeglicher Eingriffe in das Wirtschaftsleben enthalten solle. Um die Verteilung der materiellen Ressourcen habe sich der Staat grundsätzlich nicht zu kümmern.

 

In ähnlicher Weise entspricht es weitverbreiteten Vorstellungen, dass der Sozialismus  primär für Gerechtigkeit kämpfe, dass dem Sozialismus vor allem das Wohl der Arbeiterschichten am Herzen liege und dass diese Ziele nur durch aktives Eingreifen des Staates in das Wirtschaftssystem zu realisieren seien. Die Freiheitsrechte vor allem der wirtschaftlichen Eliten müssten beschnitten werden, da nur auf diese Weise eine gerechte Ordnung verwirklicht werden könnte.

 

Das christliche Leitbild unterscheidet sich nach diesen Vorstellungen sowohl gegenüber dem Liberalismus als auch dem Sozialismus, als beide Weltanschauungen eine religiöse Orientierung ablehnen und im Zuge der Aufklärung jede Bindung des Menschen an ein göttliches Wesen verneinen. Im Hinblick auf die hier angesprochenen Ziele der Freiheit und Gerechtigkeit ist die Meinung weitverbreitet, dass eine christliche Politik entsprechend dem Gebot der Nächstenliebe vor allem den Schutz der Armen und der Schwächeren garantieren müsse.

 

Diese weitverbreiteten Begriffsauslegungen liegen nahe, wenn man von den Definitionen der hier zu behandelnden Weltanschauungen ausgeht. ‚Liber’ heißt frei und insofern ist zu erwarten, dass ein Liberalismus vor allem die Wahrung der Freiheitsrechte der Bürger betont und dieses Ziel über alle anderen Ziele stellt.

 

Der Begriff ‚sozial’ wird oftmals im Sinne von gerecht verstanden und wiederum wird man erwarten müssen, dass ein Sozialismus sich in erster Linie Sorgen um eine gerechte Wirtschaftsordnung macht und vor allem im Wirtschaftsleben entstandene Ungerechtigkeiten zu bekämpfen versucht.

 

Wer schließlich ‚christlich’ handelt, versucht entsprechend dem Gebot der Nächstenliebe dem Nächsten überall dort zu helfen, wo dieser in Not geraten ist. Von einer christlich-sozialen Politik dürfte somit immer dann gesprochen werden, wenn der Staat die Belange der Benachteiligten und Schwachen vertritt und insbesondere die materielle aber auch seelische Not dieser Bürger zu mildern versucht.

 

Eine eingehendere Untersuchung zeigt jedoch, dass mit diesen einfachen Schlagworten die Grundzüge der drei zu besprechenden Weltanschauungen nicht zu erfassen sind, dass die Vorstellungen dieser Weltbilder sehr vielschichtiger sind. Dies gilt erstens in dem Sinne, dass die Vorstellungen der einzelnen Vertreter auch innerhalb eines Leitbildes sehr unterschiedlich sind, dass sich zweitens die Aussagen aller drei Gruppierungen im Lauf der Geschichte entscheidend gewandelt haben, dass weiterhin drittens zwischen der theoretischen Formulierung der Vordenker dieser Weltanschauung und der praktischen Umsetzung in der Politik große Unterschiede klaffen und dass schließlich viertens heutzutage beide Zielsetzungen: Freiheit wie Gerechtigkeit in allen drei Leitbildern eine Rolle spielen.

 

Wir werden allerdings feststellen, dass unter den gleichen Begriffen sehr unterschiedliches verstanden wird; dies gilt gleichermaßen für das Ziel der Gerechtigkeit wie für das Ziel der Freiheit. Weiterhin wird sich zeigen: Die Unterscheide im Hinblick auf diese beiden Grundziele sind eher darin zu suchen, dass die einzelnen Ziele von den drei Weltbildern unterschiedlich gewichtet werden, es wird ein jeweils anders gearteter Kompromiss gesucht. Schließlich zeigen sich Unterschiede zwischen liberaler, sozialistischer und christlich-sozialer Politik vor allem in der Wahl der eingesetzten Mittel. Oftmals ist im politischen Alltagskampf nicht das Ziel, sondern der Weg strittig, auf dem man dieses Ziel realisieren will.

         

 

2. Zur historischen Entwicklung

 

Wenden wir uns zunächst der geschichtlichen Entwicklung der drei Weltbilder zu. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, eine auch nur annähernd vollständige Skizze der historischen Entwicklung der Weltanschaungssysteme zu geben. Es sollen nur einige Kernpunkte angesprochen werden, die für das Verständnis dieser drei Leitbilder (Liberalismus, Sozialismus und christliche Soziallehre) unbedingt erforderlich sind.

 

Die Entstehung des Liberalismus geht auf mehrere Wurzeln zurück. In erster Linie war der wirtschaftlich ausgerichtete Liberalismus eine Reaktion auf den Absolutismus des 16.  bis 18. Jahrhunderts. Der Absolutismus insbesondere in Frankreich hatte zunächst dazu beigetragen, dass moderne industrielle Volkswirtschaften entstehen konnten. So wurde vor allem durch zahlreiche Infrastrukturinvestitionen ein Verkehrsnetz aufgebaut und Investitionshilfen gewährt, die überhaupt erst die Entstehung moderner industrieller Unternehmungen ermöglichten; schließlich wurde durch Schutzmaßnahmen gegenüber ausländischen Unternehmungen dafür Sorge getragen, dass sich die inländischen Unternehmungen gegenüber ausländischer Konkurrenz behaupten konnten.

 

Sehr bald schlug jedoch mit dem Ausbau des protektionistischen Staates die anfängliche Unterstützung der Unternehmungen in ihr Gegenteil um, der Schutz artete in eine bürokratische Bevormundung aus, welche die Weiterentwicklung der Unternehmungen behinderte. Gegen diese Behinderung entstand die liberale Bewegung, welche Freiheit der Unternehmungen in der Binnenwirtschaft und vollständige Aufgabe der protektionistischen Maßnahmen gegenüber dem Ausland forderte. So entstand in England die Freihandelsbewegung. Adam Smith entwickelte im Jahre 1776 in seinem ‚Reichtum der Nationen’ ein sehr optimistisches Konzept der freien Entfaltung einer vom Staat befreiten Volkswirtschaft, er bot hiermit nicht nur die Grundlage für das Entstehen der modernen Wirtschaftswissenschaft, sondern darüber hinaus das Fundament einer wirtschaftswissenschaftlichen Konzeption zur Verteidigung liberaler Auffassungen.

 

Jeremy Bentham (1789: Einführung in die Prinzipien von Moral und Gesetzgebung) und andere kamen von der Aufklärung und übertrugen diese Ideen auch auf wirtschaftliche Tatbestände. Die Aufklärung richtete sich vor allem gegen die geistige Bevormundung durch die offizielle Kirche, sie appellierte an die Vernunft des Menschen und an die unbegrenzten Möglichkeiten eines aufgeklärten Menschen. So entstand die Bewegung des Utilitarismus, welche den Nutzen zum Maßstab wirtschaftlichen Handelns postulierte und eine Maximierung dieses Nutzens aller forderte. Dies bedeutete jedoch nicht nur – wie oft beklagt – die Abkehr von moralischen Werten. Von genauso großer Bedeutung ist der Umstand, dass mit der liberalen Bewegung erstmals davon Abstand genommen wurde, das Wohl der Volksgemeinschaft mit dem Wohl des absolutistischen Herrschers zu identifizieren. Das Gemeinwohl wurde nun mit dem Wohl der einzelnen Bürger dieser Volksgemeinschaft gleichgesetzt.

 

Bernard de Mandeville schuf 1714 mit  seiner berühmten Bienenfabel die Grundlage für eine liberale Wirtschaftsordnung. Danach führen Laster wie Luxus und Neid zu einer Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt, in dem sie Unternehmungen Anreize verschaffen genau das zu tun, was auch im Interesse des Gemeinwohls liegt.

 

Wie kaum eine andere Idee trug der Liberalismus zu der Entwicklung zur Industrialisierung weltweit bei. Es nimmt auch kein Wunder, dass bei dem Versuch, die staatlichen Fesseln abzuschütteln, auch berechtigte Schutzmaßnahmen vor allem der Arbeitnehmer über Bord geworfen wurden und im Zuge der Industrialisierung ein Massenelend unter den Arbeitnehmern entstand. Mit dem Zerfall der feudalen Strukturen auf dem Lande und dem massenweisen Zug in die Städte entstand ein Proletariat von Arbeitern, die ohne Schutz vor Ausbeutung, Krankheit und Elend ihr Leben oftmals in menschenunwürdigen Verhältnissen mit Kinder- und Frauenarbeit, mit extrem niedrigen Löhnen in Behausungen verbringen mussten, die noch nicht einmal das physische Existenzminimum garantierten. 

 

Gerade aus dieser Notsituation heraus entstand die Bewegung des Sozialismus als Gegenpool gegen liberale Ideen. Frühsozialistische Ideen wurden allerdings schon sehr früh mit dem ausgehenden Mittelalter entwickelt, ähnlich wie bei Thomas More in seiner ‚Utopia’ (1516) wurde hier eine gesellschaftliche Skizze entworfen, wie ein gesellschaftliches Leben auszusehen habe. Die Interessen des Einzelnen seien  denen der Gesellschaft als Ganzem untergeordnet. Jeder müsse arbeiten, Grund und Boden seien gemeinsamer Besitz der Volksgemeinschaft. Ähnliche utopische Leitbilder wurden vor allem im Zusammenhang mit der französischen Revolution von 1789 von zahlreichen Schriftstellern entwickelt.

 

Eine grundsätzlich neue Richtung entstand, als Karl Marx und Friedrich Engels den Versuch unternahmen, die Entwicklung zu einer sozialistischen Gesellschaft wissenschaftlich zu beweisen. In seinem ‚Kapital’ unternahm Karl Marx 1867 den Versuch – wie J. A. Schumpeter aufgezeigt hat – die Gedankengänge von David Ricardo (eines der Hauptbegründer der klassischen Wirtschaftswissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts) weiterzuführen und wissenschaftlich nachzuweisen, dass die kapitalistische Gesellschaft notwendigerweise im Sozialismus enden müsse.

 

Auf der einen Seite führe der Konkurrenzkampf der Unternehmungen dazu, dass die kleineren Unternehmungen von den größeren geschluckt würden, bis schließlich alle Unternehmungen in einigen wenigen großen Konzernen aufgegangen seien, die dann leicht vom Staat übernommen werden könnten. Der erbarmungslose Wettbewerb der Unternehmungen untereinander zwinge die Unternehmer, ihre Profite zu investieren und zwar in der Form von Rationalisierungsinvestitionen, die zwar die Produktivität vergrößerten, aber gleichzeitig durch Einführung von arbeitssparenden Maschinen zu einer Massenentlassung der Arbeiter führe. Es entstehe ein in materieller Not verharrendes Massenproletariat, das schließlich durch Revolution das bestehende Regime ablöse. So entstehe ein sozialistischer Staat, in dem kein Privateigentum an Erwerbsvermögen bestehe. Wie allerdings eine sozialistische Wirtschaft zu funktionieren habe, vor allem wie sie organisiert werden muss, um allen Arbeitnehmern einen Wohlstand zu garantieren, darüber hat sich Karl Marx kaum ausgelassen.

 

Vor allem in Deutschland wurden soziale Zielsetzungen mit weit geringerem Radikalismus in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auch von einer Gruppe von Wissenschaftlern formuliert, die wegen ihrer Ablehnung der abstrakt-theoretischen Methode der klassischen Theorie als Vertreter der historischen Schule bezeichnet wurden. Zu dieser Gruppe zählten Gelehrte wie Adolf Wagner, Wilhelm Roscher und vor allem Gustav von Schmoller. Von den Vertretern des wissenschaftlichen Sozialismus wurden sie etwas verächtlich ‚Kathedersozialisten’ genannt, um anzudeuten, dass hier wirklichkeitsfremde Überlegungen formuliert würden.

 

Diese Gruppe von Wissenschaftlern bejahten zwar die Marktwirtschaft, lehnten jedoch gleichermaßen das ‚Laisser-faire’ des Liberalismus wie die sozialrevolutionären Ideen des  Sozialismus ab und forderten stattdessen ein staatliches Eingreifen zum Schutze der Arbeiter. Um ihrer Forderung stärkeres Gewicht zu verleihen gründeten sie im Jahre 1873 den Verein für Socialpolitik als Forum für sozialpolitische Forderungen. Die Sozialgesetzgebung Bismarcks der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts wurde entscheidend mit den Vorstellungen dieser Gruppe gerechtfertigt.

 

Die christliche (vor allem die katholische) Soziallehre erhielt ihre Geburtsstunde mit der Enzyklika ‚Rerum novarum’ von Papst Leo XIII (1891).  In dieser Enzyklika versuchte das Kirchenoberhaupt das soziale Engagement der Kirche einerseits gegenüber dem Liberalismus andererseits gegenüber dem Sozialismus abzugrenzen. Beide Richtungen wurden wegen ihres areligiösen Weltbildes als Irrlehren abgetan. Die Enzyklika stellte in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen die Personalität des Menschen, die nichts mit rein utilitaristischen Kalkülen zu tun habe, weiterhin die Solidarität, die aus dem Gebot der Nächstenliebe erwachse sowie die Subsidiarität, wonach nur solche Aufgaben vom Staat (von den jeweils übergeordneten Instanzen) übernommen werden dürften, die nicht vom Einzelnen selbst (von der jeweils untergeordneten Instanz) sachgerecht erfüllt werden könnten.

 

Die Enzyklika betont eigens das Recht und die Pflicht der Staatsintervention zum Schutze der Menschen insbesondere der Arbeiter, das Recht auf Privateigentum wird verteidigt, aber in Bindung an das Gemeinwohl gesehen, schließlich wird die Koalitionsfreiheit der Arbeiter als Menschenrecht proklamiert.

 

Alle hier vorgestellten sozialen Leitbilder erfuhren im Verlaufe der Geschichte Weiterentwicklungen und Abwandlungen. Der Liberalismus erfuhr in der unmittelbaren Zeit nach dem zweiten Weltkrieg vor allem in Deutschland eine Renaissance im Neoliberalismus. Wenn auch unterschiedliche Varianten entwickelt wurden, war doch der von Walter Eucken entwickelte Ordo-Liberalismus maßgebend.

 

Walter Eucken wandte sich wie alle Liberalen gegen die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft, sowohl gegen die punktuell angesetzten Maßnahmen der Weimarer Republik, welche die Funktionen des Marktes beeinträchtigten, wie auch gegen die staatliche Planwirtschaft des Dritten Reiches, die gar nicht in der Lage sei, wirtschaftliche Probleme effizient zu lösen.

 

Im Gegensatz zum Altliberalismus bejaht Walter Eucken die Verpflichtung des Staates, für die Erhaltung des Wettbewerbes notfalls durch Verbot von Monopolen Sorge zu tragen. Wirtschaftlichkeit und faire Verteilung und damit die freie Entscheidung der einzelnen Marktpartner könnten nicht nur durch Staatseingriffe, sondern eben auch durch eine Übermacht weniger Monopolisten gefährdet werden. Allerdings seien nur marktkonforme Maßnahmen, die den Preismechanismus des Marktes nicht außer Kraft setzen, erlaubt.

 

Auch der Sozialismus erfuhr einen grundlegenden Wandel. So wurde im Bad Godesberger Programm  von 1959 eine Hinwendung auch zu mittelständischen Schichten vollzogen, die zum Teil marxistischen Teile der bisherigen Parteiprogramme aufgegeben und die im Grundgesetz festgelegte Anerkennung des Privateigentums, allerdings mit sozialer Verpflichtung bejaht. Damit wurde die Entwicklung des Sozialismus zu einem freiheitlichen Sozialismus eingeleitet. Neben der Verwirklichung einer gerechten Verteilung sei durchaus eine in die soziale Verpflichtung des Grundgesetzes eingebundene Freiheit des einzelnen, auch des Unternehmers zu bejahen.

 

Schließlich ist auch innerhalb der christlichen Soziallehre ein Wandel eingetreten. So wird vor allem von einer Gruppe katholischer Wirtschaftswissenschaftler der Versuch einer Synthese liberaler und christlicher Gedankengänge unternommen. Wir werden weiter unten auf diese Versuche noch ausführlich eingehen.

 

 

3. Das Freiheitsziel des Liberalismus

 

Nach diesen Vorklärungen wollen wir uns nun ausführlicher mit dem Freiheitsziel dieser drei Leitbilder beschäftigten und aufzeigen, dass unter dem Begriff ‚Freiheit’ bzw. wirtschaftliche Freiheit von den einzelnen Weltanschauungen sehr unterschiedliches verstanden wird. Beginnen wir mit dem Freiheitsbegriff des Liberalismus.

 

In der philosophischen Diskussion um die Freiheit wird oftmals zwischen den Themen einer Freiheit ‚wovon’ und einer Freiheit ‚wozu’ unterschieden. Im Hinblick auf diese Unterscheidung ging es dem Liberalismus stets in erster Linie darum, die Freiheit der Bürger vor Angriffen außenstehender zu verteidigen.

 

Der Altliberalismus wandte sich gegen die dirigistische Wirtschaftspolitik des Absolutismus bzw. seiner wirtschaftspolitischen Variante des Merkantilismus. Walter Eucken sah die Freiheit der Einzelnen zusätzlich durch monopolistische Macht von Marktpartnern bedroht. Der Staat finde seine Begrenzung in der individuellen Freiheit, wozu insbesondere die Glaubens- und Meinungsfreiheit sowie die Freiheit zur wirtschaftlichen und politischen Betätigung zählt.

 

Die Freiheit des einzelnen ende allerdings dort, wo individuelles Handeln den Freiheitsspielraum eines anderen beeinträchtige. Das staatliche Machtmonopol wird allerdings nicht in Frage gestellt.

 

Wenn also auch die Freiheit aller Individuen (aller Bürger) gefordert wird, so richtet sich das Augenmerk vor allem im Rahmen liberaler Vorstellungen auf die Freiheit der Unternehmer. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass unternehmerische Freiheit nicht nur um ihrer selbst willen gefordert wird, sondern weil nach liberaler Vorstellung nur eine freiheitliche, allerdings durch Wettbewerb getragene Marktordnung letztendlich die Produktion an den Bedürfnissen der Konsumenten bestmöglich ausrichte. Nur ein freier im Wettbewerb stehender Unternehmer habe ein Interesse daran, alle möglichen Kostensenkungen und Qualitätsverbesserungen vorzunehmen, der Wettbewerb und der freie Markt sorgen automatisch dafür, dass die Produktion genau dann auch an den Bedürfnissen der Konsumenten ausgerichtet ist, wenn auch der Unternehmer sein Gewinnmaximum erzielt.  

 

 

4. Das Freiheitsziel des Sozialismus

 

Wie unterscheidet sich nun gegenüber diesen liberalen Vorstellungen das Freiheitsziel des Sozialismus? Zunächst wird in den Grundsatzprogrammen des wissenschaftlichen und realen Sozialismus kaum von Freiheitsrechten gesprochen. Allerdings wird das Thema der Freiheit auch im Sozialismus thematisiert.

 

So wird befürchtet, dass eine freie Marktwirtschaft (eine kapitalistische Gesellschaft) mit ihrem Recht auf Privateigentum an den Produktionsmitteln de facto nur den Unternehmungen und Reichen, den Kapitalisten also nutze, für die Masse der Arbeiter jedoch Unfreiheit bedeute. So führt Friedrich Engels in seiner ‚Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft 1882 aus:

 

Die Freiheit und die allseitige Entfaltung aller menschlichen Fähigkeiten sei die Folge der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln.

 

Rosa Luxemburg ging noch einen Schritt weiter, indem sie auch die Freiheitsbegrenzung im real existierenden Sozialismus anprangerte. Sie stand zwar der Oktoberrevolution in Russland außerordentlich positiv gegenüber, erkannte aber auch schon frühzeitig die Gefahren und Defizite der Lenin’schen Herrschaftspraxis: den Mangel an Demokratie und Freiheit. So sagt sie in der im Jahre 1922 posthum erschienenen Schrift ‚Die russische Revolution’:

 

Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der „Gerechtigkeit”, sondern weil all das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die „Freiheit” zum Privilegium wird.

 

Im Rahmen der von den sozialdemokratischen Sozialisten vor allem in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg vertretenen Auffassungen findet das Freiheitsziel auch Eingang in die Parteiprogramme und die offizielle Politik. Zunächst bekannten sich die Sozialdemokraten zu den Freiheitsrechen einer Demokratie. In der im Jahre 1919 von der Nationalversammlung verabschiedeten Weimarer Verfassung sowie vor allem im Grundgesetz, an dem auch maßgeblich Carlo Schmid von der SPD mitgewirkt hat, werden die Grundrechte einer freiheitlichen Demokratie ausdrücklich akzeptiert. Im Godesberger Programm 1957 schließlich ringt sich die SPD zu einem Bekenntnis auch zu einer sozialen Marktwirtschaft durch. 

 

Während der Liberalismus in erster Linie von der Befürchtung ausgeht, dass die Freiheit vom Staat bedroht sei und dass es deshalb darauf ankomme, diese Freiheitsbegrenzung generell zu bekämpfen, liegt das Anliegen des Sozialismus in der Befürchtung, dass die Freiheit in einer sogenannten freien Marktwirtschaft nur einzelnen – den Reichen – zugutekomme, nicht aber den Arbeitern, er interessiert sich vor allem für die Verteilung der Freiheit auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen.

 

 

5. Das Freiheitsziel der christlichen Soziallehre

 

Die Enzyklika ‚Rerum novarum’ war in erster Linie als eine Stellungnahme zur sozialen Frage gedacht. Das Freiheitsziel findet hierin allerdings Beachtung, als einerseits das Recht auf Privateigentum auch an Produktivmittel eigens bejaht wird, als andererseits das Recht auf Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer unterstrichen wird.

 

Auf indirekte Weise wird jedoch in den Sozialenzykliken sowie in grundlegenden Arbeiten zur christlichen Soziallehre das Freiheitsziel auch insofern angesprochen, als neben den Leitbegriffen ‚Solidarität’ und ‚Subsidiarität’ auf den Grundsatz der Personalität abgehoben wird. Danach ist der Mensch eine Person, die erst in ihren Beziehungen zu den Mitmenschen verstanden werden kann und nicht nur ein Individuum, das unabhängig von seinem sozialen Umfeld frei bestimmen kann, was es ‚tun’ und ‚lassen’ will.

 

Nach christlichem Verständnis besteht die Wesensbestimmung des Menschen darin, sich für das moralisch Gute zu entscheiden und dieses moralisch Gute kann in dem Gebot der Nächstenliebe zusammengefasst werden. Es wäre allerdings falsch, wollte man unter Nächstenliebe eine gefühlvolle Empfindung verstehen, die korrekte Übersetzung dieses in der Bibel aufgeführten Gebotes lautet: Achte Deinen Mitmenschen, denn er ist wie Du.

 

Dies bedeutet insbesondere dreierlei: Erstens soll man seinem Mitmenschen kein Leid zufügen, zweitens soll man ihm mit Rat und Tat helfen, wenn er Hilfe benötigt und drittens – und dieses Gebot ist insbesondere auch an den Staat gerichtet -  sollen die Rechte des Mitmenschen auf ein existenzielles Minimum und auf einen eigenen Freiheitsraum gewahrt werden.

 

Nach christlicher Überzeugung soll sich der Mensch aus eigenen Stücken zu der so verstandenen Nächstenliebe entscheiden; damit er dies kann und somit seiner Wesensbestimmung nachkommen kann, ist die Gewährung der persönlichen Freiheit unerlässlich.  

 

   

6. Das Gerechtigkeitsziel des Liberalismus

 

Wenden wir uns nun der Frage zu, worin sich die Vorstellungen über Gerechtigkeit bei Liberalismus, Sozialismus und christlicher Soziallehre unterscheiden. Beginnen wir mit dem Gerechtigkeitsbegriff des Liberalismus.

 

In seiner ursprünglichen Verfassung lehnte der Liberalismus jede Form von Eingriffen des Staates in das Marktgeschehen strikt ab, die soziale Frage sowie Fragen der gerechten Verteilung seien Angelegenheiten, die von den Betroffenen selbst zu regeln seien.

 

Diese Ablehnung jeglicher verteilungspolitisch motivierter Eingriffe des Staates hat mehrere Wurzeln. Friedrich August von Hayek z. B. lehnt das Befassen mit Fragen der Gerechtigkeit unter anderem damit ab, da es sich hierbei um ein ‚Wieselwort’ handle und jeder in der Literatur unter diesem Begriff etwas anderes verstehe. Nun mag dies richtig sein, doch gilt dieser Vorwurf nicht auch gegenüber fast allen politischen Zielsetzungen wie Freiheit oder Demokratie? Eine Auseinandersetzung mit Gerechtigkeitsfragen ist durchaus sinnvoll, wenn man - wie dies z. B. John Rawls getan hat – zu Beginn der Erörterungen den Begriff ‚Gerechtigkeit’ präzisiert.

 

Die Ablehnung des Altliberalismus gegenüber allen verteilungspolitischen Bemühungen hängt zweitens damit zusammen, dass man an der Effizienz verteilungspolitischer Maßnahmen zweifelt und unerwünschte Nebeneffekte auf Allokation, Beschäftigung und Wachstum befürchtet. Diese Befürchtungen gelten – sicherlich zu Recht – nur gegen die traditionellen Maßnahmen der Verteilungspolitik, die in unmittelbaren Eingriffen in den Markt bestanden. Es gibt aber auch weitgehend allokationsneutrale und marktkonforme Formen der Verteilungspolitik.

 

Bisweilen wird im Rahmen des Liberalismus überhaupt bezweifelt, ob der Markt tatsächlich zu Ungerechtigkeiten führe, ob die tatsächlich auftretenden Ungerechtigkeiten nicht gerade darin liegen, dass die Marktergebnisse z. B. durch Zulassung von Monopolen verfälscht werden. Unvollkommenheiten gebe es in jeder Wirtschaftsordnung, es wird bezweifelt, ob der Markt im Vergleich zu bürokratischen Lösungen tatsächlich schlechtere Ergebnisse im Hinblick auf Fährnis und Gerechtigkeit bringe als die bürokratischen Systeme.

 

Wenn also der Altliberalismus Verteilungsfragen im Allgemeinen skeptisch gegenüberstand, so gibt es doch bedeutende Ausnahmen. So ist bereits John Stuart Mill – einer der Begründer des Liberalismus – im Jahre 1869 für ein aktives Wahlrecht der Frauen eingetreten.

 

Auch gilt es zu berücksichtigen, dass das Freiheitsziel immer auch einen verteilungspolitischen Aspekt besitzt. Eine Ausweitung der Freiheit des einen kann durchaus auch zu einer Beschränkung des Freiheitsraumes eines anderen führen. Es entspricht aber liberaler Tradition, dass die Freiheit dort ihre Grenzen findet, wo sie die Freiheit eines anderen verletzt. Später (so vor allem im Rahmen des Ordo-Liberalismus) wurden allerdings sozialpolitische Maßnahmen des Staates befürwortet, wenn sie dazu dienten zu verhindern, dass Arbeiter in Armut versinken und wenn sie vorwiegend in einer Hilfe zur Selbsthilfe bestehen.

 

Wenn auch die Verteilungstheorie, die von den Neoklassikern entwickelt wurde, insbesondere die Grenzproduktivität nicht der liberalen Theorie im engeren Sinne zugerechnet wird, so wird man trotzdem die von J. B. Clark aufgestellten Thesen durchaus im Einklang mit heutigen neoliberalen Vorstellungen bezeichnen können. Eine Entlohnung der Produktionsfaktoren zum Grenzprodukt bedeute danach, dass die Anbieter von Produktionsfaktoren entsprechend ihrem Beitrag zum Sozialprodukt entlohnt werden und dass ein solches Ergebnis als fair und gerecht bezeichnet werden kann.

 

 

 7. Das Gerechtigkeitsziel des Sozialismus

 

Der Sozialismus hat in seiner ursprünglichen Form Gerechtigkeit stets mit Gleichbehandlung gleichgesetzt. Nun geht – schon seit den Tagen eines Aristoteles – jede Beschäftigung mit der Forderung nach Gerechtigkeit davon aus, dass nur dann von gerechten Lösungen gesprochen werden kann, wenn gleiches gleich behandelt werde. Diese Aussage ist unwidersprochen. Allerdings eröffnet dieser Ausgangssatz große Interpretationen in der Frage, was denn als gleich anzusehen ist.

 

Dem Satz ‚gleiches gleich zu behandeln’ folgt der andere verteilungspolitisch relevante Satz, dass ungleiches auch ungleich zu behandeln ist. Die Meinungsverschiedenheiten darüber, in welchen Punkten die Menschen gleich sind und deshalb auch gleich zu behandeln sind und in welchen anderen Punkten Ungleichheiten vorliegen und auch zu berücksichtigen sind, sind groß, erst in dieser Frage ergeben sich unterschiedliche Positionen der einzelnen Leitbilder. Übereinstimmung besteht nur darin, dass alle hier zur Diskussion stehenden Leitbilder eine Gleichheit vor dem Gesetz und eine Gleichheit im Hinblick auf das Recht nach einem Existenzminimum bejahen.

 

Der Sozialismus vor allem der früheren Form (utopischer Frühsozialismus) hat Gleichheit im Allgemeinen mit Egalität gleichgesetzt. Im Hinblick auf wirtschaftliche Gerechtigkeit gelte, dass jedes Individuum das Recht auf ein gleich hohes Einkommen habe. Diese Forderung wurde dann im Rahmen der älteren Wohlfahrtstheorie (aber auch von A. P. Lerner 1944) wissenschaftlich zu untermauern versucht. Das wirtschaftliche Gesamtwohl wird danach genau bei Einkommensgleichheit erzielt. Solange Ungleichheit der Einkommen bestehe, könne der Gesamtnutzen einer Gesellschaft durch Umverteilung zugunsten der jeweils ärmeren Einkommensbezieher gesteigert werden. Dies ergebe sich daraus, dass der den Reichen durch Besteuerung entgangene Nutzen entsprechend dem Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen überkompensiert wird durch den Nutzenzuwachs bei den Ärmeren. (Zur Kritik an dieser Aussage, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann, siehe meinen Artikel über Wege zur Gerechtigkeit). 

 

Der wissenschaftliche Sozialismus, so vor allem Karl Marx ging noch von der Erwartung aus, dass in einer sozialistischen Gesellschaft, die sich von den Fesseln des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmittel befreit habe, Überfluss herrsche, sodass jeder Arbeitnehmer seinen Bedarf voll befriedigen könne, sodass in einer solchen Gesellschaft auch keine Notwendigkeit zu umverteilungspolitischen Maßnahmen bestünde.

 

Der heutige Sozialismus bejaht im Allgemeinen, dass Einkommen nach Leistung des einzelnen zu differenzieren sind. Nivellierungsmaßnahmen seien jedoch erforderlich, da die faktischen Einkommen der Reichen weit über der Leistung lägen. 

 

 

 8. Das Gerechtigkeitsziel der christlichen Soziallehre

 

Im Rahmen der Gerechtigkeitsvorstellungen von Seiten der christlichen Soziallehre wird im Allgemeinen bejaht, dass bei der Feststellung der Höhe der Löhne die individuell Leistung zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus sei es jedoch notwendig, dass bei der Feststellung eines gerechten Lohnes auch Bedarfselemente wie der Familienstand sowie der Schutz vor den sozialen Risiken berücksichtigt werden.

 

Vor allem habe die Entlohnung auch zu berücksichtigen, ob der einzelne Arbeitnehmer ledig ist und deshalb nur für sein eigenes Wohl aufkommen muss oder ob eine Familie, insbesondere Kinder mit zu ernähren sind. Der Familienlastenausgleich stellt hierbei ein besonderes Anliegen der christlichen Soziallehre dar, da der Familie bei der Wesensbestimmung des Menschen eine besondere Rolle zukommt.

 

Nach christlichen Vorstellungen ist der Mensch ein soziales Wesen, das seine Bestimmung nur in der Gemeinschaft finden kann. Die Familie stellt hierbei die Urzelle gemeinschaftlichen Lebens dar. Die Bedeutung der wichtigsten Familienereignisse kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Eheschließung (der Gründung der Familie) und der Taufe (der Aufnahme des Kindes in die Religionsgemeinschaft) als Sakrament gelten.

 

Die Familie als Urkern sozialer Bindungen ist es, innerhalb der das Kind die ersten sozialen Bindungen erfährt und lernt, sich in eine Gemeinschaft einzufügen. Die Familie ist es auch, in der das Urvertrauen gegenüber den Mitmenschen erzeugt und gefestigt wird.

 

Wenn auch in den Anfängen der christlichen Soziallehre die Meinung vorherrschte, dass die Unternehmungen den Arbeitnehmern einen familiengerechten Lohn zu zahlen haben, so wird heute doch allgemein akzeptiert, dass der Familienlastenausgleich nur durch den Staat realisiert werden kann.

 

Abschließend wollen wir somit feststellen, dass sich die drei hier zu diskutierenden Leitbilder zwar immer noch in gewissen Punkten unterscheiden, dass sie sich jedoch gegenüber den Anfängen ihrer Entstehung einander angenähert haben. Alle drei Leitbilder erkennen heutzutage an, dass die Höhe des Einkommens sowohl von Leistungs- wie auch Bedarfselementen bestimmt sein sollte. Deshalb liegen in der aktuellen Diskussion über die Ausgestaltung der sozialen Politik oftmals weniger in der Zielsetzung als in der Frage, mit welchen Mitteln die sozialen Ziele verwirklicht werden sollen.

 

 

 9. Liberale Gewichtung der Ziele

 

Bevor wir jedoch zu der Frage des erwünschten Mitteleinsatzes kommen, soll noch die Frage erörtert werden, wie entsprechend der einzelnen Leitbilder zu entscheiden ist, wenn Konflikte zwischen dem Freiheits- und  Gerechtigkeitsziel bestehen, welches Gewicht also diesen beiden Zielen zukommt. Wiederum wollen wir mit dem Liberalismus beginnen.

 

Ein erster Unterschied in dieser Frage liegt bereits darin, ob die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit eines solchen Zielkonfliktes bejaht wird. Der Grund, weshalb sich Liberale in geringerem Maße mit Fragen der Gerechtigkeit befassen, liegt unter anderem daran, dass man von der Vorstellung ausgeht, dass zwar sowohl eine Marktwirtschaft wie auch ein bürokratischen Wirtschaftssystem immer Unvollkommenheiten aufweist, dass aber nur im Markt ein System gefunden wurde, in dem beide Ziele gleichermaßen realisiert werden können.

 

Es ist der Wettbewerb, der dafür verantwortlich ist, dass das Problem der Allokation bestmöglich gelöst wird, es ist aber auch dem Wettbewerb, dem Fehlen von monopolistischen Machteinflüssen zu verdanken, dass die Aufteilung des Wohlstandes zwischen Anbietern und Nachfragern einigermaßen fair erfolgt.

 

Aus diesen Gründen geht der Liberalismus im Allgemeinen davon aus, dass es in der Realität in einer funktionierenden Marktwirtschaft gar nicht zu ernsten Konflikten zwischen dem Ziel der Freiheit und dem Ziel der Gerechtigkeit kommt. Darüber hinaus verbindet man innerhalb dieses Leitbildes fast ausschließlich dirigistische Maßnahmen mit dem Versuch, die Einkommensverteilung aus Gerechtigkeitsüberlegungen zu korrigieren. Diese werden jedoch nicht nur deshalb abgelehnt, weil sie die Allokation des Marktes behindern, sondern auch deshalb, weil bei ineffizienten Lösungen des Allokationsproblemes mit dem Rückgang der allgemeinen  materiellen Wohlfahrt auch gleichzeitig für die verbleibenden sozialen Ziele weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und somit letztlich eben aufgrund der verteilungspolitischen Maßnahmen auch die Verteilungsziele unbefriedigend gelöst werden.  

 

 

  10. Sozialistische Gewichtung der Ziele

 

Wenn der Sozialismus in Form der Sozialdemokratie heutzutage zwar die Notwendigkeit einer Marktwirtschaft im allgemeinen anerkennt, so wird doch bezweifelt, dass der Markt von sich aus Gerechtigkeit verwirklichen kann, der Markt sei immer aus sozial- und verteilungspolitischen Gründen zu korrigieren. Man bejaht eben nur eine soziale Marktwirtschaft, eine Marktwirtschaft ohne bedeutende soziale Korrektur wird abgelehnt.

 

Der Sozialismus geht also im Gegensatz zum Liberalismus davon aus, dass der Markt  zwar das Ziel der Produktionsfreiheit für die Unternehmer und damit das Ziel eines allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstandes einigermaßen befriedigend lösen kann, dass aber die Realisierung des Freiheitszieles nahezu immer in  gravierendem Umfang zu den Gerechtigkeitsvorstellungen in Konflikt gerät.

 

Kommt es aber in der Realität zum Konflikt zwischen diesen beiden Zielen, so wird dem Ziel der Gerechtigkeit fast immer der Vorrang eingeräumt; vielleicht nicht unbedingt in der theoretisch geführten Grundsatzdiskussion, aber doch bei der konkreten Verwirklichung der politischen Grundsatzziele.

 

So wurde z. B. in der heutigen Diskussion um die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform des Arbeitsmarktes allgemein auch von sozialdemokratischer Seite akzeptiert, dass zur Reduzierung der Massenarbeitslosigkeit einschneidende Reformmaßnahmen notwendig sind und dass das Ziel der Verminderung der Arbeitslosigkeit eindeutigen Vorrang besitze.

 

Bei der Umsetzung dieser Grundsätze sind jedoch die sozialdemokratischen Parteien und auch die Gewerkschaften bisher nicht bereit gewesen, den tatsächlich auftretenden Zielkonflikt eindeutig zugunsten der Marktfreiheit und damit auch zugunsten des Zieles der Reduzierung der Arbeitslosigkeit und zuungunsten der Verteilungsgerechtigkeit zu lösen.   

 

 

     11. Christliche Gewichtung der Ziele

 

Vordergründig scheint die christliche Soziallehre ebenfalls den Konflikt zwischen Freiheit (die Gewährung eines freien Marktes) und Gerechtigkeit ebenfalls zugunsten der Gerechtigkeit zu lösen. Päpste haben in der Vergangenheit immer dann zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen in den päpstlichen Enzykliken und in anderen offiziellen Verlautbarungen Stellung bezogen, wenn sie die Verwirklichung der Gerechtigkeit bedroht sahen. Und da sich die Kirche weniger um die Frage kümmert, mit welchen konkreten Mitteln diese Ziele zu verwirklichen sind, hat es den Anschein, als würde der hier zu diskutierende Zielkonflikt zu Lasten des Freiheitszieles entschieden.

 

Trotz dieses Augenscheines bestehen jedoch grundsätzlich beachtliche Unterschiede in der Beurteilung des hier zu behandelnden Zielkonfliktes zwischen christlicher Soziallehre und Sozialismus. Der Auftrag, den der Mensch nach christlicher Überzeugung hat, besteht zwar – wie oben gezeigt – darin, sich entsprechend dem Gebot der Nächstenliebe (achte Deinen Mitmenschen, denn er ist wie Du) zu verhalten; wesentlich ist aber, dass sich der Einzelne aus freien Stücken für das moralisch Gute entscheidet. Ein Mensch wird nicht bereits dadurch im moralischen Sinne ‚gut’, dass er faktisch beraubt oder auch zu Zwangsabgaben an die Gemeinschaft gezwungen  wird.

 

Wenn es nicht gelungen ist, den Einzelnen davon zu überzeugen, dass der Umfang der gesamten Abgaben gerechtfertigt ist, wenn der einzelne von der Vorstellung ausgeht, dass ihm hiermit Unrecht geschieht, hat diese Politik vermutlich zur Folge, dass immer mehr Personen den Versuch machen, sich das zurückzuholen, was sie vermeintlich zu viel an den Staat gezahlt haben, sie werden immer mehr zu Aktivitäten neigen, die eigentlich als unmoralisch einzustufen sind. Damit wird jedoch dem Freiheitsgebot immer weniger entsprochen.

 

Nur eine Ordnung, die auch dem Einzelnen die Möglichkeit einräumt, sich entsprechend dem christlichen Gebot der Nächstenliebe zu verhalten, kann als erwünscht angesehen werden. Umgekehrt gilt, dass eine noch so gut gemeinte Umverteilungspolitik, die jedoch dem Einzelnen die Möglichkeit raubt, sich auch als Christ zu verhalten, in dem er dem Gebot der Nächstenliebe aus freien Stücken entspricht, muss als eine nicht zu rechtfertigende Ordnung angesehen werden.

 

Dem Ziel der freien Gestaltung des einzelnen wird somit im Rahmen der christlichen Soziallehre ein sehr hoher Wert eingeräumt, die Verwirklichung der individuellen Freiheit ist Voraussetzung dafür, dass auch den sozialen Zielen entsprochen werden kann. Jede konkrete Lösung, die sich eindeutig zu Lasten eines dieser beiden  Ziele entscheidet, muss aus dieser Sicht abgelehnt werden.

 

 

    12. Liberaler Mitteleinsatz

 

Wenden wir uns schließlich der Frage zu, worin sich die hier zu diskutierenden Leitbilder in der Wahl ihrer Mittel unterscheiden. Wir hatten bereits weiter oben festgestellt, dass in der konkreten Politik oftmals die unterschiedlichen Positionen weniger in den Zielen als in dem geforderten Mitteleinsatz liegen. Beginnen wie wiederum mit dem Liberalismus.

 

Der Altliberalismus ging in seiner radikalsten Form von der Vorstellung aus, dass es ausreiche, eine Wettbewerbsordnung - vor allem durch Abschaffung aller Handelsbegrenzungen nach außen und aller Bevormundungen der Unternehmer im Innern - einmal einzuführen, dass sich die Wettbewerbsordnung von selbst erhalte und dass der Markt aus eigenen Kräften stets ohne Zutun des Staates zu optimalen Ergebnissen führe.

 

Im Rahmen des Neoliberalismus wurde anerkannt, dass die Wirtschaftsfreiheit nicht nur vom Staate, sondern auch durch die monopolistischen Bestrebungen der Unternehmer bedroht ist und dass es deshalb eine permanente Aufgabe des Staates sei, über die Erhaltung der Wettbewerbsordnung  zu wachen. Es wird auch zugegeben, dass Staatseingriffe aus sozialen Gründen notwendig sein können.

 

Allerdings geht auch der Neoliberalismus davon aus, dass nur marktkonforme Eingriffe des Staates berechtigt sind. Ob ein konkreter Eingriff des Staates als markt-inkonform eingestuft werden muss, wird daran gemessen, ob der Staat in den Preismechanismus unmittelbar eingreift. Als marktkonform kann eine Maßnahme nur dann gelten, wenn der Staat zwar Anreize setzt, um bestimmte Marktergebnisse herbeizuführen, aber die eigentliche wirtschaftliche Entscheidung den Marktpartnern selbst überlässt. Als wirtschaftliche Entscheidungen gelten hierbei insbesondere die Bestimmung des Standorts einer Unternehmung, der einzuschlagenden Produktionstechnik, der Höhe der Preise und der Verkaufsmengen.

 

Nach dieser Vorstellung gelten Steuern und Subventionen prinzipiell als marktkonform, da hier die wirtschaftlichen Entscheidungen nach wie vor bei den Marktpartnern verbleiben. Diese Schlussfolgerung wird allerdings nicht von allen Liberalen geteilt, so wird darauf hingewiesen, dass Subventionen und bestimmte Formen der Besteuerung durchaus als markt-inkonform gelten müssen, da sie den Allokationsmechanismus des Marktes stören. Als zusätzliche Bedingung für Staatseingriffe für wirtschaftspolitische Maßnahmen gilt dann die Forderung, dass die Eingriffe allokationsneutral – oder weil dies im strengen Sinne nie der Fall sein dürfte – doch zumindest weitgehend allokationsneutral ausgestaltet sein sollten.

 

 

13. Sozialistischer Mitteleinsatz

 

In ihrer ursprünglichen Form lehnte der Sozialismus das Privateigentum an Produktionsmitteln ab und verlangte deren Verstaatlichung. Bisweilen trat anstelle der Verstaatlichungsforderung die Vorstellung, dass die Produktionsstätten in die Hände der Arbeitnehmer zu legen seien. Im Rahmen einer staatlichen Planwirtschaft sollten dann alle eigentlichen Produktionsentscheidungen von einer staatlichen Bürokratie gefällt werden.

 

In praxi wurde allerdings sehr bald von den sozialdemokratischen Parteien eine etwas weniger radikale Form der Planwirtschaft angestrebt. Es reiche aus, die Schlüsselwirtschaftszweige (Bergbau, Stahl und Banken) zu verstaatlichen und die übrigen Wirtschaftszweige weitgehend dem freien Markt zu überlassen. Fast alle wichtigen Produktionen bedürften als Rohstoff der Energie und des Stahls und über die Kreditnahme könne Einfluss auf alle Investitionen genommen werden. So sei es möglich, mit einem wesentlich geringeren staatlichen Aufwand und auch mit einer kleineren,  nicht mehr allmächtigen wirtschaftlichen Staatsbehörde die gesamte Wirtschaft staatlicherseits zu beeinflussen und zu kontrollieren.

 

Vor allem Oskar Lange hatte in den 30er Jahren des 20 Jahrhunderts die Idee eines Konkurrenzsozialismus entwickelt, wonach der staatlichen Planbehörde die Aufgabe zu setzen sei, die Preise nach Grenzkosten festzulegen. Es wird hier anerkannt, dass bei vollständiger Konkurrenz der freie Markt eine optimale Produktion erreichen würde; ein staatliches Eingreifen sei nur notwendig, weil in einer realen Marktwirtschaft Monopole vorherrschten. Der freie Markt müsste simuliert werden, in dem die staatlichen Behörden sich verhielten wie Unternehmer unter Konkurrenzbedingungen. Nach wie vor wird jedoch eine Verstaatlichung wichtiger Produktionsstätten für notwendig erachtet.

 

Seit dem Godesberger Programm wird von Sozialdemokratien die marktwirtschaftliche Ordnung nicht mehr per se abgelehnt, es wird anerkannt, dass ein freier Wettbewerbsmarkt effizienter ist als jede bürokratisch gesteuerte Wirtschaftsordnung. Es wird jedoch nach wie vor davon ausgegangen, dass eine nicht modifizierte Marktwirtschaft in sozialer Hinsicht zu Ungerechtigkeiten führe und dass deshalb nur eine soziale Marktwirtschaft, die vom Staate beeinflusst und nach sozialpolitischen Zielen korrigiert wird als tragbar erscheine.

 

14. Christlich-Sozialer Mitteleinsatz

 

Die durch die päpstlichen Enzykliken inspirierte christliche Soziallehre beschränkte sich im Wesentlichen darauf, festzulegen, welche Ziele und damit auch Ergebnisse eines Wirtschaftssystems erfüllt sein müssen. Die Frage nach den geeigneten Methoden trat demgegenüber zurück.

 

Allerdings ist in der Enzyklika ‚Rerum novarum’ der Mitteleinsatz insoweit angesprochen, indem als leitende Idee das Subsidiaritätsprinzip formuliert wurde, wonach den jeweils untergeordneten Instanzen der Vorrang einzuräumen ist und die staatlichen übergeordneten Stellen ihre Beeinflussung möglichst auf eine Hilfe zur Selbsthilfe beschränken sollten.

 

In der Enzyklika ‚Quadragesimo Anno’ (1931) wurde allerdings diese Beschränkung auf die Formulierung der Ziele aufgegeben und die Errichtung einer berufsständischen Ordnung empfohlen. Dies bedeutete ein Zurückgehen auf einen Ständestaat, wie er im Mittelalter teilweise verwirklicht war. Diese Idee wurde aber sehr bald – vor allem von den katholisch ausgerichteten Wirtschaftswissenschaftlern – verworfen, da in einer berufsständischen Ordnung weder das Problem des Machtmissbrauchs noch der Allokation knapper Ressourcen zu lösen sei.

 

Von den Wirtschaftswissenschaftlern, die sich christlichen Normen verpflichtet fühlen, wird seit den Tagen der Nachkriegszeit eine Synthese zwischen Neoliberalismus und christlicher Soziallehre angestrebt. Es wird darauf hingewiesen, dass die Grundideen vor allem des Ordo-Liberalismus keinesfalls mit den sozialen Prinzipien der Christenheit in Widerspruch stehen und dass auch eine Reihe führender Neoliberaler – wie z. B. Walter Eucken und Alfred Müller-Armack – von christlich religiösen Motiven geleitet wurden und eine marktwirtschaftliche Ordnung nur deshalb anstrebten, weil sie davon  überzeugt waren, dass der wettbewerblich organisierte Markt nicht nur ein effizientes Instrument wirtschaftlichen Handelns darstelle, sondern gleichzeitig auch auf einen fairen Ausgleich der Interessen der Marktpartner hin wirke.