Die Idee der Gerechtigkeit in der Bibel -

war Jesus ein Kommunist?

 

 

Gliederung:

 

1. Das Problem

2. Gemeinsame Vorstellungen beider Weltbilder

3. Genauere Analyse dieser fünf Bibelstellen

4. Der Dekalog als Magna Charta des Judentums

5. Das Gleichnis vom anvertrauten Geld

6. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg

7. Schlussfolgerungen

 

 

 

4.  Der Dekalog als Magna Charta des Judentums

 

Weiteren Aufschluss über den Unterschied zwischen der Gerechtigkeitsidee des Christentums und des Kommunismus bringt uns das Studium des Dekaloges, den Moses – entsprechend dem Buch Exodus, Kapitel 20  – auf zwei steinernen Tafeln vom Berg Sinai den Juden auf dem Wege in das verheißene Land Kanaan gebracht hatte. Der Dekalog stellt hierbei eine Art Magna Charta dar, welche über die letztlichen Werte und damit auch über die Gerechtigkeitsidee im Alten Testament unterrichtet.

 

Zwar gilt der Dekalog zunächst nur für die Juden und die Religion der Christen unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom jüdischen Glauben. Trotzdem gilt der Dekalog auch für die Christen. Dies geht eindeutig aus den Worten Jesu hervor, als er gemäß Matthäus-Evangelium in Kapitel 5 vom Gesetz und von den Propheten sprach:

 

‚17  Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.

18  Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist.

19  Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.

20  Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.‘

 

Und zu dem Gesetz, das auch für Jesus maßgebend ist, zählt in erster Linie der Dekalog und diese Aufzählung der 10 Gebote Gottes (wörtlich der zehn Worte) werden von Jesus offensichtlich als Ausdruck der wahren Gerechtigkeit angesehen.

 

Der Dekalog gliedert sich in zwei Teile: Auf der linken Tafel werden in den ersten drei Geboten die Verpflichtungen der Juden gegenüber Gott formuliert, während die rechte Tafel das Verhalten der Menschen untereinander regelt. Das Problem der Gerechtigkeit wird also in nur sieben Geboten umschrieben. Von diesen wenigen sieben Geboten befassen sich immerhin zwei Gebote, das siebte und das zehnte Gebot mit der Bedeutung des Eigentums. Das siebte Gebot verbietet den Diebstahl und das zehnte Gebot weist die Menschen an, das Hab und Gut der Mitmenschen noch nicht einmal zu begehren.

 

Stärker hätte die zentrale Bedeutung des Rechts auf Eigentum gar nicht betont werden können. Das Eigentum, das ein Individuum durch seine eigenen Bemühungen rechtmäßig erworben hat, darf nicht von den anderen Menschen geraubt werden und hierbei ist schon das Begehren des Eigentums des jeweils Anderen eine Sünde. Neid ist also im Dekalog keine Tugend, sondern eine Todsünde.

 

Genauso entscheidend für die Gerechtigkeitsidee der Bibel ist aber auch das, was in dieser Magna Charta nicht gesagt wurde. Mit keinem Wort wird z. B. darauf eingegangen, welchen Lohn denn ein Arbeitnehmer für seine Arbeit erhalten soll, weiterhin dass das Einfordern eines Zinses für das Ausleihen von Kapital ein Betrug darstellt und dass schließlich die Einkommens- und Vermögensunterschiede eine bestimmte Grenze nicht überschreiten dürfen.

 

Zwar kennt die Thora eine Vielzahl weiterer Bestimmungen wie z. B. auch ein Zinsverbot. Doch diese Bestimmungen haben eher den Charakter von Ausführungsbestimmungen, welche den Zweck verfolgen, die in dem Dekalog niedergelegten Grundwerte des jüdischen Glaubens auf ganz konkrete Situationen anzuwenden, Schlussfolgerungen also, welche deshalb auch nicht ohne Weiteres ohne eine gesonderte Überprüfung und Anpassung auf andere konkrete Situationen übertragen werden können.

 

Im Buch Levitikus Kapitel 25 wird zwar auch die Einrichtung eines Jubeljahres und damit auch eine Begrenzung der Differenzierung in den Vermögen gefordert:

 

8 ‚Du sollst sieben Jahreswochen, siebenmal sieben Jahre, zählen; die Zeit von sieben Jahreswochen ergibt für dich neunundvierzig Jahre.

9  Im siebten Monat, am zehnten Tag des Monats, sollst du das Signalhorn ertönen lassen; am Versöhnungstag sollt ihr das Horn im ganzen Land ertönen lassen.

10  Erklärt dieses fünfzigste Jahr für heilig und ruft Freiheit für alle Bewohner des Landes aus! Es gelte euch als Jubeljahr. Jeder von euch soll zu seinem Grundbesitz zurückkehren, jeder soll zu seiner Sippe heimkehren…‘

 

Entsprechend dieser Bibelstelle dient allerdings das Jubeljahr nicht nur der Ruhe und des Dankes an Gott, sondern auch dazu, einen neuen Produktionszyklus einzuleiten, wobei auch die gegenüber dem vorhergehenden Jubeljahr veränderten Besitzverhältnisse wiederum restauriert werden sollen. Im Jubeljahr soll nämlich das Eigentum an sachlichen Gütern wiederum an den bisherigen Besitzer zurückgegeben und israelitischen Sklaven die Freiheit gewährt werden.

 

Auch wenn auf diese Weise einer zu starken Differenzierung in den Vermögen entgegengewirkt werden sollte, erwies sich diese Einrichtung des jüdischen Jubeljahres als wachstumshemmend, da bei einer solchen Regelung immer kurz vor Eintreten dieses Jubeljahres der Leistungsantrieb rapide zurückgeht, der Einzelne muss ja dann davon ausgehen, die Erträge seiner Leistung in den letzten Jahren vor dem Jubeljahr auf diese Weise zu verlieren.

 

Was aber auf den ersten Blick als ein Hinweis darauf erscheinen mag, dass nach Ablauf eines halben Jahrhunderts die durch wirtschaftliche Aktivitäten erworbenen Vermögensunterschiede wiederum aufgehoben werden sollten, erweist sich diese Einrichtung bei näherem Hinsehen eher als eine Bestätigung der Eigentumsordnung, da auf diese Weise vorübergehende Verluste wiederum wettgemacht wurden.

 

Vor allem sollte die Bedeutung des Jubeljahres nicht überschätzt werden. Es wird erstens bezweifelt, ob in der langen Geschichte des Judentums diese Vorschriften auch tatsächlich jemals eingehalten wurden, es wird bisweilen auch davon gesprochen, dass diese Einrichtung für jene Zeit angedacht war, nachdem der von den Propheten verheißene Messias erschienen und das Volk der Juden endgültig von der Besatzung fremder Mächte befreit worden sei.

 

Zweitens sollen ja nach diesen Bestimmungen nur jene Vermögen zurückgegeben werden, welche von anderen Israeliten erworben wurden, es wird nicht davon gesprochen, dass auch das an die Kinder vererbte Vermögen sowie das gesamte Vermögen, das durch eigene Anstrengungen, z. B. Landnahme jungfräulichen Bodens, welcher bisher niemandes Eigentum war, umzuverteilen ist.

 

Man wird davon ausgehen müssen, dass mit dieser Bestimmung in allererster Linie jene Fälle angesprochen wurden, bei denen ein Vermögender in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war und sich seiner Schulden nur dadurch erwehren konnte, dass er seinen gesamten Besitz an seine Gläubiger verkaufte. Aus diesem Blickwinkel betrachtet tragen die Bestimmungen des Jubeljahres lediglich dazu bei, dass diejenigen, welche vielleicht aus Gründen, die sie gar nicht zu vertreten haben, in Not geraten waren und eventuell aus diesen Gründen sogar versklavt wurden, nicht ins Uferlose abstürzen sollten und dass diese Not vor allem nicht auf die Kinder und Kindeskinder weitervererbt werden sollte.

 

Ganz anders klingt es bei den Kommunisten. Für Proudhon galt Privateigentum als solches als Diebstahl und Karl Marx war davon überzeugt, dass sich die Kapitalisten das Eigentum am Erwerbsvermögen durch Ausbeutung der Arbeiterklasse angeeignet haben, und zwar aufgrund der Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen Gesellschaft, nach der sich der Marktwert eines jeden Gutes – auch der Arbeit – nach den Kosten ausrichtet, welche zur Erstellung dieses Gutes benötigt werden.

 

Der wahre Wert eines Gutes werde durch die Anzahl der benötigten Arbeitsstunden bestimmt, während der den Kapitalisten als Erlös zufließende Marktwert den Arbeitswert übersteige, da ein Arbeiter immer mehr leisten könne als er zur Regeneration seiner eigenen Arbeitskraft benötigt. Deshalb könne man auch nicht davon sprechen, dass das Eigentum am Erwerbsvermögen durch eigene Leistung der Kapitalisten entstanden sei.

 

Für Marx ist deshalb das Privateigentum der Kapitalisten ebenso wie für Proudhon Diebstahl, obwohl er die theoretischen Begründungen Proudhons vehement ablehnt. Für Proudhon war es in erster Linie ein moralisches Problem, dass sich die Unternehmer das Eigentum aneignen, für Karl Marx hingegen ergab sich das gleiche Ergebnis aus der Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen Ordnung.

 

 

5. Das Gleichnis vom anvertrauten Geld

 

Weiteren Aufschluss über die Kernaussagen der christlich geprägten Gerechtigkeitsidee erfahren wir, wenn wir das Gleichnis vom anvertrauten Geld sowie von den Arbeitern im Weinberg heranziehen.

 

Rufen wir uns zunächst den Inhalt des Gleichnisses vom anvertrauten Geld in Erinnerung. Im Matthäusevangelium, Kapitel 25 erzählt Jesus dieses Gleichnis mit folgenden Worten:

 

14  ‚Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an.

15  Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab.

16  Sofort begann der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, mit ihnen zu wirtschaften, und er gewann noch fünf dazu.

17  Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei dazu.

18  Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn.

19  Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen.

20  Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen.

21  Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!

22  Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen.

23  Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!

24  Zuletzt kam auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast;

25  weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder.

26  Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe.

27  Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten.

28  Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat!

29  Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.

30  Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen.

 

Vergleichen wir hiermit die etwas abgeänderte Version dieses Gleichnisses bei Lukas Kapitel 19,12-19:

 

12 ‚Er sagte: Ein Mann von vornehmer Herkunft wollte in ein fernes Land reisen, um die Königswürde zu erlangen und dann zurückzukehren.

13 Er rief zehn seiner Diener zu sich, verteilte unter sie Geld im Wert von zehn Minen und sagte: Macht Geschäfte damit, bis ich wiederkomme.

14 Da ihn aber die Einwohner seines Landes hassten, schickten sie eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser Mann unser König wird.

15 Dennoch wurde er als König eingesetzt. Nach seiner Rückkehr ließ er die Diener, denen er das Geld gegeben hatte, zu sich rufen. Er wollte sehen, welchen Gewinn jeder bei seinen Geschäften erzielt hatte.

16 Der erste kam und sagte: Herr, ich habe mit deiner Mine zehn Minen erwirtschaftet.

17 Da sagte der König zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger Diener. Weil du im Kleinsten zuverlässig warst, sollst du Herr über zehn Städte werden.

18 Der zweite kam und sagte: Herr, ich habe mit deiner Mine fünf Minen erwirtschaftet.

19 Zu ihm sagte der König: Du sollst über fünf Städte herrschen.‘

 

Für jeden, der diese beiden Gleichnisse wortwörtlich auslegt und darüber hinaus sozialistischen Ideen anhängt, mag dieses Gleichnis wie eine unerhörte Provokation erscheinen. Hier erhält der eine viel Vermögen, der andere weniger und es ist dies nicht das Ergebnis kapitalistischer Ausbeuter, sondern ausgerechnet der Hausherr, der in diesem Gleichnis für Gott selbst steht, verteilt die Anlagen recht unterschiedlich.

 

Nicht genug damit. Als der Hausherr zurückkehrt und feststellen muss, dass der Reiche noch Reicher geworden ist, wird dieser nicht getadelt und ihm der Zuwachs genommen, sondern ganz im Gegenteil dem ohnehin Reicheren wird noch mehr gegeben, dem Armen wird sogar das verbleibende Vermögen genommen und der Reichere wird aufgrund seines Handelns ausdrücklich vom Hausherrn (also von Gott) gelobt. Und damit ja niemand diese Pointe übersieht oder meint, er habe sich verhört, wird nochmals unterstrichen, dass demjenigen, der schon viel hat, gegeben wird, während demjenigen, der nur wenig hat, dieses Wenige noch genommen wird. 

 

Zum Verständnis dieser Texte wird man als erstes daran erinnern müssen, dass die Gleichnisse Jesu stets davon handeln, wie es mit dem jenseitigen Reich Gottes steht, sie beginnen fast immer mit dem Einleitungssatz: ‚mit dem Reich Gottes verhält es sich wie mit …‘. Jesus will mit seinen Gleichnissen keinen Kodex verkünden, wie die irdischen Probleme zu lösen sind, also welche Verteilung der Einkommen und Vermögen hier auf Erden erwünscht ist.

 

Auf die Frage:Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht?‘ (Matthäus 22,17-21) antwortete Jesus: ‚So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!‘. Wenn auch diese Frage zunächst darauf zielte, ob man der römischen Besatzungsmacht Widerstand leisten dürfe, kommt in der Antwort Jesu auch zum Ausdruck, dass die irdischen Aufgaben in erster Linie Sache des Staates sind und dass diese auch von den Inhabern der Staatsmacht zu verantworten sind, während seine Botschaft allein darauf Antworten geben will, wie sich der Einzelne zu verhalten habe, um das ewige Leben zu erreichen.

 

Schon im ersten Kapitel des Schöpfungsberichts der Genesis fordert Gott die Menschen auf, sich die Erde untertan zu machen. Dies bedeutet unter anderem auch, dass dem Menschen die Aufgabe übertragen wurde, die Verteilung der irdischen Güter zu regeln. Da Gott dem Menschen die Freiheit belassen hat, sich für die Gebote Gottes oder auch gegen sie zu entscheiden, muss immer damit gerechnet werden, dass aufgrund menschlichen Versagens die Lösung der irdischen Probleme und damit auch die Verteilung der materiellen Ressourcen nicht immer in erwünschtem Sinne geregelt wird.

 

Das Gleichnis vom anvertrauten Geld spricht zwar davon, dass es der Hausherr ist, der den einzelnen Dienern eine unterschiedliche Vermögensmenge zuteilt, diese Aussage ist aber eher so zu deuten, dass es Gott zulässt, dass die Menschen unter Umständen auch gegen die Anweisungen Gottes handeln und damit eine Verteilung herbeiführen, die nicht dem ursprünglichen Willen Gottes entspricht.

 

Auch nimmt ja dieses Gleichnis nicht unmittelbar Bezug auf die Verteilung der irdischen Güter. Die in diesem Gleichnis angesprochene unterschiedliche Ausstattung mit Anlagen bezieht sich darauf, dass die Botschaft Gottes nicht alle Menschen gleichermaßen erreicht. So mag der eine aufgrund seiner Erziehung schon früh an die Glaubensbotschaften herangeführt worden sein, während ein anderer in einer Familie mit Eltern groß wurde, welche nicht an Gott glauben und auch deshalb ihre Kinder nicht im Glauben unterrichtet haben.

 

In relativer Hinsicht werden jedoch die Diener des Herrn in beiden Versionen dieses Gleichnisses, also bei Matthäus wie Lukas, gleich behandelt. Bei Matthäus erhalten zwar die einzelnen Diener eine unterschiedlich große Ausstattung, es wird jedoch hier nicht davon gesprochen, dass die Diener nach Rückkehr ihres Herrn in absoluten Größen gerechnet unterschiedlich belohnt wurden. Beide Diener, welche das Vermögen vermehrt hatten, werden gelobt, zu beiden Dienern spricht der Herr: Ich will dir eine große Aufgabe übertragen.

 

Bei Lukas hingegen erhalten alle Knechte ein gleichhohes Vermögen. Nun wird derjenige, welcher aus einer Mine zehn Minen erwirtschaftet hatte, mit der Herrschaft über zehn Städte belohnt, während der Knecht, welcher aus der einen Mine nur fünf Minen erwirtschaftet hatte, auch dementsprechend nur die Herrschaft über fünf Städte erhalten hatte. In relativer Hinsicht stellen sich also in beiden Versionen dieses Gleichnisses beide Diener gleich gut.

 

Der Hinweis, dass derjenige Diener, welcher sein anvertrautes Vermögen nicht vermehrt hatte, bestraft wird, macht vielleicht auch darauf aufmerksam, dass es nicht ausreicht, die Glaubensbotschaften nur zu bewahren. Wer nicht bereit war, diese Botschaften immer wieder auf die neuen Situationen zu beziehen und nur den äußeren Wortsinn weitergibt und damit unter Umständen dazu beiträgt, dass immer weniger Menschen am Glauben festhalten, hat seine Aufgabe  nicht erfüllt.

 

Obwohl also das Gleichnis zunächst nur etwas über das Verhalten im Hinblick auf das jenseitige Leben aussagen will, fällt doch immerhin auf, dass Jesus an keiner Stelle egalitäre Ideen verbreitet, sondern es offensichtlich als selbstverständlich und keinesfalls skandalös empfindet, wenn die Startchancen der einzelnen Menschen unterschiedlich sind. Die Menschen kommen mit sehr unterschiedlichen Begabungen auf die Welt und ihr Entwicklungsprozess trägt sehr oft zu einer Verschärfung dieser Ungleichheiten bei. Es wird an keiner Stelle die Forderung erhoben, dass demjenigen, der aufgrund seiner überdurchschnittlichen Anlagen viel erreicht hat, zum Ausgleich dieser Startchancenungleichheit ein Teil genommen wird.

 

Gerechtigkeit kommt vielmehr hier dadurch ins Spiel, dass die besonders hohen Startchancen primär dazu dienen, größere Aufgaben (Verpflichtungen) zu übernehmen und dies erfordert eben auch die Ausstattung mit einem größeren Ressourcenbestand. Die eigentliche Rechtfertigung eines höheren Ressourcenbestandes liegt eben gerade nicht darin, dass der Vermögende dieses größere Vermögen in erster Linie für seine eigenen Belange einsetzt. Ganz im Gegenteil ergeht die Forderung, mit seinem Vermögen – und zwar auf freiwilliger Grundlage – den Armen und Bedürftigen zu helfen.

 

 

6. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg

 

Wir beginnen unsere Analyse wiederum mit dem Wortlaut des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg.  Im Matthäusevangelium Kapitel 20,1–16 heißt es:

 

1  ‚Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben.

2  Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg.

3  Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten.

4  Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist.

5  Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso.

6  Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?

7  Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!

8  Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten.

9  Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar.

10  Als dann die ersten an der Reihe waren, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar.

11  Da begannen sie, über den Gutsherrn zu murren,

12  und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen.

13  Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart?

14  Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir.

15  Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin?

16  So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten.‘

 

Auch im Hinblick dieses Gleichnisses müssen wir als erstes – ähnlich wie bei dem bisher behandelten Gleichnis – darauf hinweisen: Dieses Gleichnis will keinerlei Auskunft darüber geben, was als gerechter Lohn zur Bezahlung der Arbeit der Winzer oder sogar allgemein in Unternehmungen hier auf Erden anzusehen ist. Auch dieses Gleichnis wird wie die meisten anderen Gleichnisse mit dem Satz eingeleitet: ‚Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit ….‘ Es soll also mit diesem Bild vom Gutsbesitzer auf eine Wahrheit aufmerksam gemacht werden, die sich auf das jenseitige Reich Gottes und eben gerade nicht auf die irdischen Geschehnisse bezieht. Die Schilderung über die Bezahlung der Winzer wird hier nur herangezogen, um den Zuhörern anhand eines Beispieles, das ihnen bekannt und geläufig ist, einen Zusammenhang näher zu bringen, der jenseits aller menschlichen Erfahrung liegt.

 

Wortwörtlich genommen, also als Grundsätze einer gerechten Entlohnung der Arbeitnehmer für ihre irdische Arbeit betrachtet, stehen diese Auskünfte in krassem Gegensatz zu allen heute allgemein gültigen Gerechtigkeitsvorstellungen über eine gerechtfertigte Entlohnung der Arbeitnehmer. Danach ist bei der Zumessung des Lohneinkommens in aller erster Linie auf die individuell erbrachte Leistung des einzelnen Arbeitnehmers zu achten. Natürlich kann zusätzlich auch der zusätzliche Bedarf, den z. B. ein Familienvater gegenüber einem Ledigen hat, Berücksichtigung finden. Es würde aber auf jeden Fall als äußerst ungerecht empfunden, wenn die Arbeit eines ganzen Tages nicht besser entlohnt würde als die Arbeit einer einzelnen Stunde. Nach heutigen Gerechtigkeitsvorstellungen ist der Umfang der erbrachten Arbeitsanstrengungen auf jeden Fall bei der Festsetzung des Lohnsatzes zu berücksichtigen.

 

Zwar ist das Leistungsprinzip eher dem Liberalismus zuzurechnen, der Sozialismus betont im Allgemeinen stärker die Forderung nach Abbau von Differenzierungen, trotzdem spielt auch im realen Sozialismus die Entlohnung nach Leistung als notwendiges Anreizsystem eine entscheidende Bedeutung.

 

Natürlich wird in der Realität ein Arbeitsgericht bei einer anhängenden Klage eines Arbeitnehmers auch danach entscheiden, welcher Lohnsatz tatsächlich vereinbart wurde. Aber gerade zu verhindern, dass ungerechte Lohnsätze vereinbart werden, hat das Grundgesetz den Gewerkschaften bei der Aushandlung der tariflichen Lohnsätze besondere Rechte zugestanden, damit beim Abschluss der Lohnverträge auch die allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen zum Zuge kommen können.

 

Auf jeden Fall würde man – wollte man das Gleichnis tatsächlich als Auskunft über eine gerechte Entlohnung hier auf Erden ansehen – nicht erwarten, dass sich Jesus auf einen Rechtsstandpunkt zurückzieht, vielmehr würde man davon ausgehen, dass Jesus etwas zu der Frage aussagt, welcher Lohn als gerecht anzusehen ist und er würde ein Verhalten eines Gutbesitzers, der nach solchen ungerechten Grundsätzen handeln würde, sicherlich verwerfen. Aber wie gesagt, dieses Gleichnis will auch gar nicht auf die erwünschte Lösung irdischer Probleme eingehen.

 

Was will uns aber dieses Gleichnis sagen? Der Gutsbesitzer, welcher Arbeiter anheuern lässt, ist in Wirklichkeit Gott, der den Menschen einen Bund anbietet. Genauso wie die Winzer, welche Arbeit im Weinberg des Gutbesitzers leisten, für getane Arbeit am Abend einen Denar als Lohn erhalten, genauso gehen die Menschen, welche dem von Gott angebotenen Bund beigetreten sind und entsprechend den Geboten Gottes gelebt haben, am Ende ihres Lebens als Entlohnung ins Himmelreich ein.

 

Genauso wie im Gleichnis nicht alle beschäftigten Arbeitnehmer in der ersten Stunde angeworben wurden, genau sowenig erreichte die Botschaft Gottes nicht alle Menschen von Kindheit an. Viele wurden erst später zum Glauben geführt, aus Gründen, die sie oftmals gar nicht zu vertreten hatten. Auch diesen Menschen macht Gott sein Angebot; selbst denjenigen, welche erst kurz vor ihrem Tode zum Glauben finden, wird der Eintritt ins Himmelreich nach ihrem Tode nicht verwehrt.

 

Bei Lukas 23,39-43 heißt es:

 

‚39 Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns!

40 Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen.

41 Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.

42 Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.

43 Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.‘  

 

Es ist weiterhin nicht ungerecht, dass auch die Arbeiter entlohnt werden, welche erst sehr viel später angeheuert wurden und deshalb auch weniger Arbeit verrichtet hatten, es war ja nicht unbedingt ihre Schuld, dass sie erst später angeheuert wurden. Die Entlohnung, welche die Arbeiter bzw. die Menschen, welche zum Glauben gefunden haben, erhalten, ist stets ein einziger Denar, will heißen, jeder dieser Gläubigen erhält nach seinem Tode Eintritt ins ewige Leben.

 

Es geht in diesem Gleichnis nur um diese eine Art der Entlohnung: Einzug ins Himmelreich, und nicht um die Frage, wie unterschiedlich im Himmel letztendlich die Taten der Einzelnen belohnt bzw. bestraft werden. Dass die Menschen im Himmelreich nach ihren Taten entlohnt werden, können wir anderen Stellen der Heiligen Schrift entnehmen, diese Frage ist jedoch nicht Gegenstand des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg.

 

Wir können sogar davon ausgehen, dass selbst Menschen, welche schon früh zum Glauben gefunden haben, jedoch die Gebote Gottes wiederholt übertreten haben, Eingang ins Himmelreich erlangen können, wenn sie ihre Taten bereuen und ernsthaft bestrebt sind, umzukehren und fortan die Gebote Gottes zu befolgen. Aber auch dieses Thema ist nicht Gegenstand des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg.

 

Der Satz zum Schluss dieses Gleichnisses: ‚So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten‘ verweist darauf, dass auch diejenigen, welche schon sehr früh zum Glauben gefunden haben und nach außen hin unter Umständen zu den führenden (ersten) Mitgliedern der Gemeinde zählen, am Ende dennoch zu den Letzten zählen können, wenn sie sich in der Zwischenzeit vom Glauben abgewandt bzw. es mit der Einhaltung der Gebote Gottes nicht so genau genommen hatten. Wenn es ihnen gelang, diese Verfehlungen vor der Öffentlichkeit zu verbergen und auf Erden die ersten waren, zählen sie trotzdem beim Endgericht unter Umständen zu den letzten.

 

7. Schlussfolgerungen

 

Fassen wir die Ergebnisse unserer Analyse zusammen: Im Rahmen der christlichen Gerechtigkeitsidee kommt dem Privateigentum eine zentrale Bedeutung zu.

 

Zwar kommt dem Eigentum auch in der marxistischen Lehre eine zentrale Bedeutung zu. Im Gegensatz zum Kommunismus kommt dem Eigentum in der christlichen Lehre jedoch eine ganz andere Bedeutung zu. Bei Karl Marx entsteht das Eigentum der Kapitalisten dadurch, dass die Unternehmer die Arbeiter ausbeuten, in dem sie ihnen den vollen Ertrag ihrer Arbeit vorenthalten. Und dieser Mehrwert, den sich die Kapitalisten aneignen, dient selbst wiederum lediglich dazu, das eigene Vermögen zu mehren, wobei der hierdurch erzeugte Wettbewerb der Kapitalisten untereinander zu einer Konzentration auf immer weniger Unternehmungen führt.

 

Ganz im Gegensatz hierzu dient das den einzelnen Wirtschaftssubjekten zur Verfügung stehende Privateigentum nach der Lehre Jesu genauso wie die ererbten Begabungen der Einzelnen dazu, für die Gemeinschaft tätig zu werden. Diese Rolle steht damit auch im Einklang damit, dass derjenige, welcher das gemeinschaftliche Tun anführt, nicht über die Untergebenen herrschen und sie ausbeuten, sondern den Anderen dienen soll. Bei Matthäus Kapitel 20 lesen wir:

 

‚25  Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen.

26  Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein,

27  und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein.

28  Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

 

Natürlich wird im Allgemeinen derjenige, welcher für die Gemeinschaft tätig ist, einen Teil seines Eigentums auch für die eigenen Bedürfnisse verwenden. In dem Maße, in dem er mit Hilfe seinen Eigentums tatsächlich für die Gemeinschaft Gutes getan hat, ist es auch durchaus gerechtfertigt, dass er als Lohn für seine Bemühungen auch einen Teil dieser Erträge für sich selbst verwenden kann. Diese Entlohnung stellt ja einen starken Anreiz dar, weiterhin für die Gemeinschaft tätig zu sein.

 

Folgerichtig ist die Sorge für die Armen und Notleidenden auch nicht wie im Sozialismus in erster Linie Aufgabe des Staates, sondern jedes Einzelnen. Natürlich gibt es Notsituationen, welche durch individuelle Hilfe allein nicht zu bewältigen sind. Hier ist es auch nach christlicher Überzeugung Aufgabe des Staates, die Hilfe zu organisieren und auch zu erzwingen, da nur bei einem Zusammenwirken Aller die Not beseitigt werden kann.

 

Andererseits ist es jedoch undenkbar, dass durch staatliche Regelungen allein alle Not überwunden werden kann. Die Ursachen und Spielarten der Not sind zu vielfältig, um für sie alle per Gesetz Abhilfe zu bringen. Und selbst dann, wenn es dem Staat gelingen sollte, in einem Gesetz alle bekannten und im Augenblick auftretenden Notsituationen zu erfassen und selbst dann, wenn jedem einzelnen Notleidenden im Augenblick der Einführung dieses Gesetzes tatsächlich geholfen werden könnte, müssen wir uns der Dynamik unserer Gesellschaft bewusst werden und zur Kenntnis nehmen, dass die andauernden Veränderungen in unserer Gesellschaft stets wieder neue Ungerechtigkeiten und Notlagen hervorrufen.

 

Und da eine Anpassung der Gesetze an diese veränderte Situation Zeit benötigt, bedeutet dies auch, dass zumindest in diesen Übergangsphasen der Anpassung Notlagen entstehen, welche gar nicht von Seiten des Staates befriedigend gelöst werden können. Und da diese Änderungen permanent erfolgen, bedeutet dies, dass diese Übergangsphasen nicht nur ausnahmsweise, sondern in Wirklichkeit  immer vorhanden sind.

 

Eine einigermaßen befriedigende Lösung dieses Problems lässt sich eben nur dadurch verwirklichen, dass man das eine tut (die vom Einzelnen ausgehende Nächstenliebe) ohne das andere (vom Staat zentral organisierte Hilfe) zu lassen. In diesem Sinne sieht die Bibel auf der einen Seite die Verpflichtung vor, von allen Erträgen den Zehnten zu opfern sowie den Einzelnen zur Nächstenliebe jeweils entsprechend seiner Möglichkeiten zu verpflichten.

 

Und ein Letztes ist im Rahmen der biblischen Gerechtigkeitsidee von Bedeutung. Der Kommunismus ist im Grundsatz atheistischer Natur. Es gibt weder einen Gott noch ein Leben nach dem Tode. Gerechtigkeit kann sich immer nur – wenn überhaupt – hier auf Erden verwirklichen. Ungerechtigkeiten, welche nicht hier auf Erden gesühnt werden, können überhaupt nicht gesühnt werden.

 

Im Gegensatz hierzu legt die Bibel ihr Hauptaugenmerk auf das jenseitige Leben, das erst nach dem Tode der einzelnen Menschen beginnt. Gott hatte entsprechend dem Schöpfungsbericht des Alten Testamentes zwar den ersten Menschen ein Paradies geschaffen, in dem sie sorgenlos und auch ewig leben konnten. Da die ersten Menschen jedoch nicht bereit waren, trotz Verbotes auf die geschlechtliche Vereinigung zu verzichten, war es nicht mehr möglich, dass sich die Menschen rasant vermehren und trotzdem ewig leben. Es folgte auf der einen Seite die Vertreibung der Menschen aus dem Paradies, auf der anderen Seite hat Gott den Menschen aufgetragen, sich die Erde untertan zu machen und sich entsprechend der vorhandenen knappen Ressourcen zu vermehren.

 

Wie sich die Menschen hier auf Erden einrichten, ist hierbei in erster Linie Sache der Menschen, in religiöser Hinsicht ist den Menschen allein aufgetragen, dieses irdische Leben als eine Art Bewährungszeit für das viel wichtigere Leben nach dem Tode zu führen und die im Dekalog niedergelegten Pflichten einzuhalten. Jesus hat in diesem Zusammenhang Pilatus gegenüber davon gesprochen, dass sein Königtum nicht von dieser Welt sei (Johannesevangelium, Kapitel 18,36).

 

Deshalb ist es auch nicht primäres Ziel der christlichen Religion, minutiös festzulegen, welchen Lohn der einzelne Arbeitnehmer erhält und welche Verteilung der Einkommen und Vermögen als optimal anzusehen ist, sofern nur die Gebote Gottes eingehalten werden. Und Jesus selbst hat auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot die Gottesliebe sowie die Nächstenliebe benannt.