Gliederung:
0. Das Problem
1. Erscheinungsformen der Krise
a. Die Schuldenkrise
b. Die Flüchtlingskrise
2. Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten
a. Die europäische Werteordnung
b. Der Verzicht auf kriegerische Auseinandersetzungen
c. Die vier Grundfreiheiten
d. Der optimale Währungsraum
e. Der optimale Wirtschaftsraum
3. Lösungsmöglichkeiten
a. Überwindung der Schuldenkrise
b. Lösungsmöglichkeiten der Flüchtlingskrise
c. Freihandel versus Wirtschaftsunion
4. Schlussbemerkungen
2. Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten
b. Der Verzicht auf kriegerische Auseinandersetzungen
Europa
stellt nicht nur eine Werteordnung dar. Eines der wichtigsten politischen Ziele
der Europäischen Gemeinschaft besteht auch in dem bewussten Verzicht auf
kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedsstaaten. In der
Vergangenheit haben die unterschiedlichen Interessen der einzelnen europäischen
Staaten immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt. Der
bewusste Verzicht auf kriegerische Auseinandersetzungen beruht im Wesentlichen
auf der Erkenntnis, dass die Kriege, welche auf europäischem Boden in den beiden letzten Jahrhunderten
geführt wurden, nicht in der Lage waren, die Interessenkonflikte endgültig zu
lösen. Sie führten vielmehr zu einer Unterdrückung der jeweils besiegten Nation
und diese Demütigung war aber gerade wiederum die Ursache dafür, dass die
unterlegene Nation auf Rache sann, so bald wie möglich wieder aufrüstete, um im
nächsten Kampf die Oberhand zu gewinnen.
Der
Verzicht auf kriegerische Auseinandersetzungen basiert aber keinesfalls darauf,
dass nun für alle Zeiten zwischen den europäischen Staaten keine größeren
Interessenkonflikte bestehen und deshalb kriegerische Auseinandersetzungen gar
nicht mehr notwendig sind. Unterschiedliche Interessen wird es in einer Gesellschaft,
in der Knappheit herrscht, immer geben. Es ist vielmehr die Einsicht, dass
kriegerische Auseinandersetzungen auf der einen Seite gar nicht in der Lage
sind, eine für alle Teile befriedigende Lösung herbeizuführen und dass auf der
anderen Seite die Opfer, welche die Kriege herbeiführen, für Sieger wie
Besiegte im Vergleich zu dem geringen Vorteil, den ein Krieg bringen kann, viel
zu hoch sind. Diese Erkenntnis erwuchs vor allem aus der Tatsache, dass das in
einem Krieg eingesetzte Vernichtungspotential und damit die Leiden aller
kriegsführender Länder immer größer wurden.
Dieser
Verzicht auf kriegerische Auseinandersetzungen führt allerdings zunächst nur
dann eindeutig zu einer besseren Lösung, wenn dieser Verzicht von allen Beteiligten
ausgesprochen und eingehalten wird. Dadurch, dass ein einzelner Staat diese
Bereitschaft einzuhalten gedenkt, während die anderen Staaten, mit denen ein
Interessenkonflikt besteht, nach wie vor willens sind, Konflikte auf kriegerische
Weise zu lösen, stellt sich der friedliche Staat in aller Regel eindeutig
schlechter, als wenn er sich bewaffnet und bei einem Angriff bereit ist, sich
zu verteidigen: ‚Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen
Nachbarn nicht gefällt‘. Gegen rohe Gewalt gibt es nun einmal kein anderes Mittel
als das der bewaffneten Verteidigung.
Dies
bedeutet allerdings nicht, dass jede Aggression automatisch zu einem
Gegenangriff führen muss. Ein Staat, der angegriffen wird, kann sich nämlich
unter bestimmten Voraussetzungen sehr wohl besser stellen, sich nicht gegen
einen Angriff von außen zu erwehren, auch dann, wenn dieser Angriff zu Unrecht
erfolgt. Jede kriegerische Auseinandersetzung ist auf beiden Seiten mit hohen
Verlusten verbunden, per Saldo kann dieser Verlust bei einer Verteidigung in
Einzelfällen sehr wohl größer ausfallen, als dann, wenn sich der angegriffene
Staat dem Angreifer unterwirft.
Ist
nämlich das Kräfteverhältnis von vornherein sehr ungleich und der Angegriffene
eindeutig der Unterlegene, dann wird der Angegriffene auf jeden Fall verlieren,
er wird zu den Verlusten, die er im Zusammenhang mit den kriegerischen
Auseinandersetzungen erleidet, das Diktat des Siegers erfahren. Und das Diktat
des Siegers wird im Allgemeinen besonders hart ausfallen, da ja auch der Sieger
im Zusammenhang mit den Kämpfen hohe Verluste hatte, für welche er in den
anschließenden Friedensverhandlungen eine zusätzliche Kompensation fordern
wird.
Umgekehrt
kann im Einzelfall durchaus damit gerechnet werden, dass der Angreifer seine
Forderungen reduziert, wenn sich der Angegriffene sofort ohne Verteidigung
unterwirft, vermeidet doch in diesem Falle der Angreifer ebenfalls hohe
Verluste.
Verzicht
auf Lösung der anstehenden Probleme durch kriegerische Auseinandersetzungen
bedeutet jedoch keinesfalls, dass derjenige, welcher die anstehenden Interessenkonflikte
auf friedliche Weise zu lösen versucht, stets den Kürzeren zieht. Auch muss
nicht befürchtet werden, dass das Ergebnis friedlicher Verhandlungen
willkürlich erfolgt. Genauso, wie bei kriegerischen Auseinandersetzungen jede
Partei die Möglichkeit hat, durch vorherige Aufrüstung ihre Anfangsposition zu
verbessern, hängt auch das Ergebnis bei friedlichen Verhandlungen entscheidend
davon ab, wie sich die einzelnen Parteien auf die Verhandlungen vorbereitet
haben und das Geschick der Verhandlungsführer entscheidet über den Ausgang der
Verhandlungen mit.
Besondere
Beachtung erfuhr in diesem Zusammenhang die Forderung Jesu, ‚dem, der dich auf
die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin‘. Wir wollen uns mit dieser
Forderung etwas ausführlicher befassen. Sie hat aus mehreren Gründen
Widerspruch erfahren.
Als
erstes kann man feststellen, dass sich die Menschen im Allgemeinen nicht nach
dieser Maxime verhalten. Dies gilt gleichermaßen für das Verhalten der
einzelnen Menschen untereinander, also für persönliche Feindschaften wie auch
für die Beziehungen feindlicher Völker. Es wird davon gesprochen, dass sich allenfalls
Heilige in dieser Weise verhalten und dass man von normalen Menschen nicht
erwarten könne, dass sie diese Maxime befolgen.
Zweitens
wird in der öffentlichen Diskussion im Allgemeinen – vor allem auch im
Völkerrecht – davon ausgegangen, dass die Menschen auch das Recht haben, sich
zu verteidigen, sich also zu wehren und zurückzuschlagen, wenn sie angegriffen
werden. Auch diese Überzeugung gilt sowohl für die persönlichen Beziehungen
einzelner Menschen zueinander wie für die Beziehungen feindlicher Völker
zueinander, wenn auch in Beziehung zu den persönlichen Feinden der einzelne
nicht das Recht selbst in die Hand nehmen darf und seine Verteidigung darin
besteht, dass er sich an die staatlichen Institutionen wendet, welche dann den
Angreifer anklagen und gegebenenfalls der gerechten Strafe zuführen.
Drittens
lässt sich auch zeigen, dass ein wehrhaftes Verhalten dazu beiträgt, Gewalt
unter den Menschen zu reduzieren. Die Bereitschaft, sich zu wehren und sich
nicht alles gefallen zu lassen, führt im Allgemeinen dazu, dass der Erfolg des
Angreifers verringert wird und dass gerade der Umstand, dass der Angreifer über
das wehrhafte Verhalten der Angegriffenen Bescheid weiß, diesen oftmals davon abhält, einen Angriff zu wagen.
Diese
Beweisführung mag nun zwar auf den ersten Blick überzeugend erscheinen, sie ist
jedoch nur unter bestimmten Annahmen gültig. Zu den wichtigsten Annahmen dieser
Beweisführung, die zumeist stillschweigend gemacht werden, zählt die Annahme,
dass sich beide Konfliktparteien rational im Sinne ihres Eingeninteresses
verhalten und dass der Angreifer das Ziel verfolgt, seinen Reichtum und seinen
Einfluss zu vergrößern, während der Angegriffene seine Unabhängigkeit
verteidigt und so wenig wie möglich materielle Einbußen erfahren möchte. Es
wird weiterhin unterstellt, dass die Konfliktparteien über das Verteidigungs-
bzw. Angriffspotential und darüber hinaus über das Verhalten des Gegners
informiert sind.
Die
in diesem Modell unterstellten Annahmen entsprechen jedoch keinesfalls immer
der Wirklichkeit. Es gibt mehrere Gründe dafür, dass sich bei konkreten
Auseinandersetzungen die Konfliktparteien nicht immer in diesem Sinne rational
verhalten.
Als
erstes muss bezweifelt werden, ob die Konfliktpartner in jedem Falle die Informationen
über ihre Gegner besitzen, die notwendig sind, sich im obengenannten Sinne
rational zu verhalten. Wiederholt hat sich im Verlaufe der Geschichte der
Aggressor maßlos überschätzt und Angriffe begonnen, obwohl bei rationaler Überlegung
es eigentlich hätte klar sein müssen, dass der Angriff erfolglos bleiben wird.
Zweitens
sind bei feindlichen Auseinandersetzungen immer auch Emotionen im Spiel, welche
ein rationales Kalkül unterbinden. Gerade die Tatsache, dass bei der
kriegerischen Auseinandersetzung Menschen verletzt und getötet werden, bringt
es mit sich, dass die Gegner gehasst werden und dass man auf Rache sinnt und
auch dann zum Gegenangriff ‚bläst‘, wenn ein solcher Angriff irrational
erscheint und die eigenen Erfolgsaussichten verschlechtert.
Es
kommt dann sehr leicht zu einer Spirale der Gewalt. Ein erster Schlag hat zu
Menschenverlusten geführt, die geschlagene Seite schlägt zurück. Um gegenüber
dem Angreifer einen Anreiz zu setzen, in Zukunft auf weitere Angriffe zu verzichten,
wird sogar oftmals in stärkerem Maße zurückgeschlagen, als eigene Verluste zu
beklagen waren. Auch diese Gegenangriffe werden durch weitere erneut verstärkte
Gewalttaten beantwortet.
Es
wird dabei außer Acht gelassen, dass die Angriffe des Verteidigers oftmals nur
aus einer Reaktion auf die anfänglichen Übergriffe des Verteidigers zustande
kamen. Es kommt dann sehr schnell zu einem Zustand, bei dem gar nicht mehr klar
ist, wer den Anderen angreift, wer sich nur verteidigt. Auch dann, wenn bei
rationaler Überlegung den Konfliktparteien klar würde, dass es in beiderseitigen
Interesse der Konfliktparteien läge, den gegenseitigen Kampf zu beenden, ist
keine Partei bereit, den ersten Schritt zu wagen, weil dieser leicht als
Schwäche eingestuft wird und auf diese Weise die Gefahr mit sich bringt, dass
bei zukünftigen Verhandlungen derjenige den Kürzeren zieht, der diesen ersten
Schritt wagt.
Selbst
dann, wenn sich beide Seiten aus einem rationalen Kalkül heraus zu einer
Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen und zu Verhandlungen bereitfinden,
besteht immer noch die Gefahr, dass dieser Einigungsprozess schnell wiederum
beendet wird, da es immer kleine terroristische Gruppen gibt, die gar nicht an
der Einigung interessiert sind und die auf eine Zerstörung aller überkommenen
Ordnungen aus sind. Es ist also dann immer zu befürchten, dass einige kleine
terroristische Gruppen erneut Angriffe durchführen und dass sich dann auch die
rational denkenden Politiker gezwungen sehen, diese Angriffe erneut durch
Gegenangriffe zu beantworten.
Im
Allgemeinen wird man unterstellen können, dass gute Politiker durchaus Herr
ihrer Emotionen sind, dass sie ihre Ziele nicht durch Ausbruch von Emotionen
verraten. Emotionen werden von Politikern vielmehr oftmals lediglich dafür
eingesetzt, um ihre Ziele besser zu erreichen und ihre eigenen Landsleute zu
dem Kampf mit dem Feind zu verpflichten. Sie spielen mit den Emotionen ihrer
Untergegebenen wie auf einem Klavier.
Es
ist jedoch zu befürchten, dass sie die Emotionen ihrer Untergebenen dann nicht
mehr zügeln können, wenn ein rationales Handeln eine Beendigung der
kriegerischen Handlungen nahelegt. Es besteht dann die Gefahr, dass sie gegen
besseres Wissen mit den kriegerischen Handlungen fortfahren müssen, da sie
sonst die Kontrolle über ihre eigenen Landleute verlieren und diese eine
friedfertige Politik nicht verstehen würden.
Es
fragt sich, ob rationales Handeln im oben definierten Sinne auch bei den religiös
motivierten Selbstmordattentätern vorliegt. Im Allgemeinen wird davon
ausgegangen, dass der Tod zumindest der eigenen Landsleute als größter Verlust
angesehen wird und dass deshalb im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen
das Ziel verfolgt wird, solche Verluste zu vermeiden oder wo dies nicht möglich
ist, so klein wie möglich zu halten.
Die
Selbstmordattentäter stürzen sich jedoch selbst in den Tod. Sie können auf
diese Weise nicht nur ihr Ziel, den Gegner zu vernichten, besser erreichen, sie
werden auch gegenüber den Feinden unangreifbar. Die Gegenseite kann nun nicht
mehr darauf bauen, dass ihr Feind alles tun wird, um eigene Menschenverluste zu
vermeiden und deshalb auch zu einem Nachgeben gezwungen werden kann, wenn
solche Verluste nicht vermieden werden können.
Die
Belohnung, welche den Selbstmordattentätern für solche Taten versprochen wird,
bezieht sich nicht mehr auf irdische Güter und auf persönliche Freiheiten. Es
wird ihnen vorgegaukelt, dass Gott selbst zu diesen Taten aufgerufen habe, es
sei ein heiliger Krieg gegen die Ungläubigen und die Belohnung der Täter bestehe
darin, dass sie unmittelbar nach ihrem Tod in den Himmel aufgenommen würden.
Rationales
Verhalten im obengenannten Sinne kann unter diesen Voraussetzungen nicht mehr
erwartet werden. Es wird deshalb auch fragwürdig, ob eine bloße Gegenwehr gegen
diesen Terror dazu beiträgt, die Terroristen dazu zu bewegen, den Angriff zu
beenden.
Natürlich
widerspricht ein terroristisches Verhalten diametral den Geboten Gottes. Und
dies gilt nicht nur im Hinblick auf christliche Religionen. Da Gott gerecht und
barmherzig ist, wird er niemals das Abschlachten von unschuldigen Menschen, vor
allem von Kindern gutheißen, terroristische Akte sind das Gegenteil dessen, was
in den Geboten der Nächstenliebe einschließlich der Feindesliebe gefordert wird
und solche Handlungen ausgerechnet im Namen Gottes zu verüben, ist wohl die
größte Beleidigung Gottes, die man sich vorstellen kann.
Heilige
Kriege wurden allerdings im Mittelalter auch im Namen des christlichen Gottes
angezettelt, heute werden Angriffskriege aller Art von allen christlichen
Kirchen eindeutig verurteilt; leider wird auch heute noch im Namen des islamischen
Gottes zumindest vereinzelt von islamischen Religionsführern und Politikern zu
heiligen Kriegen aufgerufen.
Die
moderne Konflikttheorie hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Innenverhältnis
zwischen Führen und Geführten auch das Konfliktverhalten nach außen
mitbestimmt. Besteht die Gefahr, dass aufgrund innerer Konflikte die Gefolgschaft
in Frage gestellt wird, brechen die Führer oftmals einen äußeren Konflikt vom
Zaun, um von den inneren Schwierigkeiten abzulenken. Es besteht zumeist Einigkeit
darüber, dass dann, wenn eine Gemeinschaft von außen bedroht wird, innere
Zwistigkeiten zu schweigen hätten.
Wenn
aber innere Schwierigkeiten zum Ausbruch von kriegerischen Handlungen mit
Nachbarvölkern führen können, kann nicht mehr damit gerechnet werden, dass auf
feindliche Angriffe dann verzichtet wird, wenn sie bei rationaler Überlegung
dem angreifenden Staat per Saldo Wohlfahrtsverluste bringen. Das Wohl der Gemeinschaft
spielt dann in dem Kalkül der Herrschenden eine geringere Rolle, entscheidend
ist dann vielmehr, ob die Herrschenden darauf hoffen, durch Ausbruch
kriegerischer Handlungen nach außen ihre Position im eigenen Land zu stärken.
Bei
der Bewertung und Auslegung der Aufforderung, auch die andere Backe hinzuhalten,
sollten wir darüber hinaus auch bedenken, dass bestimmte Feststellungen der
Heiligen Schrift nicht wörtlich auszulegen sind, dass also z. B. die Aussage,
dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe als ein Reicher ins Himmelreich,
sicherlich nicht so zu verstehen ist, dass es einem Reichen vollkommen unmöglich
ist, ins Himmelreich einzugehen. Es sollte eben nur darauf hingewiesen werden,
dass es für einen Reichen außerordentlich schwer ist, sich stets moralisch
richtig zu verhalten. Es entspricht orientalischer Denkweise und auch der
Intention von den in der Bibel erzählten Gleichnissen, dass der Grundgedanke
pointiert hervorgehoben und zugespitzt formuliert wird, um überhaupt wahrgenommen
zu werden.
Übertragen
auf die Forderung, auch die andere Backe hinzuhalten, bedeutet es sicherlich
nicht, dass die Christen aufgefordert sind, sich bei jedem Angriff wehrlos zu
ergeben oder auch wegzulaufen und sich zu verkriechen. Wer seinem Gegner die
andere Backe hinhält, läuft übrigens gerade nicht weg, er stellt sich, er
beschämt unter Umständen den Angreifenden, in dem er durch sein Verhalten das
Unrecht des Angreifenden für alle deutlich macht. Gleichzeitig stellt die Aufforderung
einen Weg dar, wie man bei kriegerischen Auseinandersetzungen aus dem oben
geschilderten Zirkel der Eskalation der Gewalt wiederum ausbrechen kann.
Wir
haben also gezeigt, dass es eine ganze Reihe von Gründen gibt, die Möglichkeit
kriegerischer Auseinandersetzungen so weit wie nur möglich dadurch zu
vermeiden, dass man von vornherein sich festlegt, gegenüber bestimmten anderen
Ländern auf kriegerische Auseinandersetzungen zu verzichten, soweit dieser
ebenfalls sich zu dieser Selbstbindung bereit findet.
Wie
sehen nun die politischen Lösungen internationaler Konflikte aus, wenn auf
kriegerische Auseinandersetzungen bewusst verzichtet wird? Im Grunde finden
solche Lösungen ja auch innerhalb einer Demokratie statt. Es sind im Grunde die
gleichen Einigungsmechanismen, welche in den nationalen Parlamenten
stattfinden, welche nun auch bei der Lösung internationaler Probleme Anwendung
finden, nur dass eben der Integrationsgrad der Europäischen Gemeinschaft
geringer ist als der der einzelnen Mitgliedsstaaten.
In
einer repräsentativen Demokratie finden Abstimmungen über Sachfragen in erster
Linie im Parlament statt. Die Regierung verfügt im Normalfall über eine
ausreichende Mehrheit und es käme eher der Verwässerung des Wählerwillens
gleich, wenn nun die Regierung jeweils den Versuch unternehmen würde, auch die
Opposition von ihren Argumenten zu überzeugen, sie gewissermaßen ins Boot zu
holen und diese dazu zu bewegen, eigene Positionen aufzugeben.
Diese
Überlegungen bedeuten nun allerdings keinesfalls, dass die Regierungsparteien
mit fertigen Programmen antreten und dass es deshalb keiner Diskussion und
keiner sachlichen Auseinandersetzung im Parlament und in den Unterausschüssen
des Parlaments bedürfe. Ganz im Gegenteil müssen wir davon ausgehen, dass vor
nahezu jeder parlamentarischen Abstimmung eine sehr ausführliche und zumeist
auch sehr kontrovers geführte Debatte notwendig wird. Dies ergibt sich einmal
daraus, dass die Parteien vor der Wahl, aber auch bei den Verhandlungen zur
Regierungsbildung nur sehr unvollkommene Vorstellungen darüber besitzen, wie
bestimmte in Aussicht genommene Zielsetzungen im Einzelnen umgesetzt werde
können. Über die Einzelheiten muss stets diskutiert werden und der Teufel sitzt
ja bekanntlich im Detail.
Zum
andern muss aber auch erkannt werden, dass die Welt nicht still steht, während
einer Legislaturperiode treten immer wieder neue Probleme auf, auf welche
sofort reagiert werden muss und die schnelles Handeln erfordern. Das Auftreten
neuer Probleme bringt es jedoch mit sich, dass man im Allgemeinen noch über
keine fertigen Rezepte verfügt, selbst die Wissenschaft kennt in diesen Fällen
noch keine abschließenden, von allen Wissenschaftlern akzeptierten Lösungsvorschläge.
Hier
ist es also dringend notwendig, dass innerhalb der Regierungsparteien intensive
Diskussionen stattfinden darüber, worin die eigentlichen Ursachen des
vorliegenden Problems liegen, welche Alternativen zur Lösung dieser Probleme
möglich sind, inwieweit die einzelnen Alternativen eine Lösung der Probleme
wahrscheinlich machen und mit welchen Nebenwirkungen auf andere Ziele der
Politik zu rechnen sein wird.
Auch
leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft, nicht über alle Grundwerte
bestehen zwischen den Diskutanten völlige Übereinstimmung, wenn auch davon
ausgegangen werden kann, dass gerade die Zugehörigkeit zu ein- und derselben
Partei auch im Allgemeinen garantiert, dass alle Parteimitglieder zumindest von
einem ähnlichen Weltbild ausgehen. Aber bereits bei Diskussionen zwischen
mehreren Koalitionsparteien mögen auch in Grundfragen Meinungsverschiedenheiten
auftreten. Noch größere Unterschiede treten natürlich dann auf, wenn
Gesetzesvorhaben zur Diskussion stehen, welche nur mit einer qualifizierten
Mehrheit verabschiedet werden können, über die normaler Weise die Regierungsparteien
nicht verfügen und die deshalb auch eine Auseinandersetzung mit den
Oppositionsparteien notwendig machen.
Diese
Diskussionen dienen zunächst einmal dazu, alle anstehenden Zusammenhänge
anzusprechen und bei unterschiedlichen Positionen den jeweils anderen von der
Richtigkeit seiner Argumente zu überzeugen.
Aber
man kann nicht erwarten, dass es trotz gemeinsamer Grundwerte stets möglich
ist, den jeweils anderen von der eigenen Position so zu überzeugen, dass dieser
aus Einsicht der Argumentation des andern freiwillig zustimmt. Es bedarf
vielmehr in vielen Fällen ein echtes Entgegenkommen der streitenden Parteimitglieder
und zwar nicht, weil sie von der Richtigkeit der Argumentation des andern
überzeugt sind, sondern weil sie wissen, dass es einer Einigung bedarf und dass
diese Einigung Kompromisse voraussetzt und dass der Einzelne auch dann einer
Gesetzesvorlage zustimmen muss, wenn er nicht in allen Punkten diesem Entwurf
zustimmen kann.
Kompromisse
sind allerdings nur dann zu erwarten, wenn alle kontrovers diskutierenden
Seiten bereit sind, der Position des anderen entgegenzukommen. Man kommt also
dann dem andern entgegen, nicht weil man aus Überzeugung diesen Kompromiss
eingeht, sondern weil der andere ebenfalls einen Teil seiner bisherigen Auffassung
aufgegeben hat. Es findet hier eine Art Tausch zwischen Kompromissen statt, der
Kompromiss des Einen wird mit dem Kompromiss des Andern getauscht und ein
solcher Tausch setzt voraus, dass der Wert dieser Tauschgüter in den
Vorstellungen der Diskutierenden in etwa übereinstimmt.
Man
spricht in diesem Zusammenhang von einem Logrolling. Hierbei ist es nicht
unbedingt erforderlich, dass sich die getauschten „Güter“ auf ein- und dieselbe Gesetzesvorlage
beziehen, dass also der eine Abgeordnete A einem bestimmten Paragraphen der
Vorlage gegen seine eigentliche Überzeugung zustimmt, wenn der andere (der
Abgeordnete B) bei einem anderen Paragraphen der gleichen Vorlage den
Vorstellungen des Abgeordneten A folgt. Wir haben davon auszugehen, dass
innerhalb einer Legislaturperiode eine Vielzahl von Gesetzesvorlagen verabschiedet
werden müssen, sodass das Entgegenkommen des Abgeordneten A bei der einen
Vorlage dadurch wiederum belohnt werden kann, dass Abgeordneter B in einer
anderen Vorlage dem Abgeordneten zum Ausgleich entgegenkommt.
Dieses
Logrolling wird oftmals als unerwünschter Kuhhandel hingestellt. Formal gesehen
entbehren solche Absprachen auch jeglicher Rechtsgrundlage und sind deshalb
auch nicht einklagbar, wenn sich ein Abgeordneter einmal nicht an diese
Absprachen hält. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass in aller Regel
solche informellen Absprachen eingehalten werden, da eine Einigung nur mit
zahlreichen Kompromissen erreicht werden kann und da sich keine Regierungspartei
leisten kann, bei vielen der anstehenden Fragen keine Lösung durchzuführen.
Aus
der Sicht der Wohlfahrt eines Landes ist eine negative Bewertung eines solchen
Handels auch gar nicht richtig zu rechtfertigen. Zwar stellen die Gesetzesvorlagen,
die aufgrund eines Logrolling zustande kommen, stets aus der Sicht der
abstimmenden Abgeordneten eine zweit- oder drittbeste Lösung dar, keiner
erreicht die für ihn beste Lösung. Da aber auch ein Nichthandeln in aller Regel
bedeutet, dass erhebliche Wohlfahrtsverluste eintreten und diese Wohlfahrtsverluste
in aller Regel größer sind als die Minderungen der Wohlfahrt, die bei einer
solchen zweit- oder drittbesten Lösung im Vergleich zu einer optimalen Lösung
zu erwarten sind, kann in der Einrichtung des Logrolling sehr wohl ein wohlfahrtssteigerndes
Verfahren gesehen werden.
c. Die vier Grundfreiheiten
Zu
den wichtigsten Zielen der Europäischen Gemeinschaft zählen weiterhin der
Freihandel, die Freizügigkeit, der freie Kapitalverkehr sowie die
Reisefreiheit.
Freihandel
bedeutet: Der Staat übt keinen direkten Einfluss auf Importe und Exporte von
und nach den anderen europäischen Staaten aus, er verzichtet darauf, Importe
und Exporte mit Zöllen zu belegen oder den Export oder Import bestimmter Güter
ganz zu verbieten oder für diese Güter einen Höchstumfang (ein Kontingent)
festzulegen. Auch greifen die Staaten zu keinen sonstigen nichttarifären
Handelshemmnissen. Zu den Gütern zählen hier sowohl Waren wie auch
Dienstleistungen. Natürlich können die Staaten sehr wohl das Ziel verfolgen,
den Export oder auch Import bestimmter Güter indirekt durch freiwillige Anreize
zu fördern, es ist nur nicht erlaubt, auf direktem Wege die Export- uns
Importströme festzulegen.
Freizügigkeit
besagt, dass jeder Bürger das Recht hat, seinen Wohnsitz in jedem Mitgliedsland
der Europäischen Gemeinschaft nach freier Entscheidung zu wählen und dass jeder
Unternehmer seine Unternehmung ebenfalls in jedem Land der Europäischen Gemeinschaft
errichten kann. Wird Freizügigkeit garantiert, dann verzichtet der Staat
grundsätzlich darauf, Aufnahmekontingente für Bürger anderer Mitgliedsstaaten
festzulegen und strikt einzuhalten, noch kann er die Ausweisung einzelner
Bürger verfügen. Auch hier gilt wiederum, dass die Staaten sehr wohl das Recht
haben, indirekte Anreize zu vermehrter Ein- oder Auswanderung einzuführen, nur
direkte Festlegungen sind hier verboten.
Freier
Kapitalverkehr hat zum Inhalt, dass es jedem Bürger und jeder Unternehmung
erlaubt sein muss, selbst zu entscheiden, Ersparnisse im europäischen Raum
anzulegen und somit ausländische Wertpapiere anzukaufen bezw. inländische
Wertpapiere ins Ausland zu verkaufen. Auch hier hat z. B. die Europäische Notenbank sehr wohl das Recht, die Zinsen zu
verändern und damit die innereuropäischen Kapitalströme zu beeinflussen, nur
gilt eben, dass kein Bürger der Mitgliedsstaaten gezwungen werden kann,
entweder bestimmte Kredite aufzunehmen
bzw. auf bestimmte Kredite zu verzichten.
Das
Ziel der Reisefreiheit schließlich legt fest, dass es jedem Bürger der europäischen
Mitgliedsstaaten erlaubt ist, sich vorübergehend in jedem Land dieser
europäischen Union aufzuhalten. Auch hier gilt schließlich, dass die einzelnen
Regierungen sehr wohl Anreize setzen können, um die Reiseströme zu beeinflussen.
Diese
Zielsetzung der vier europäischen Grundfreiheiten basiert auf den Grundthesen,
welche Davis Ricardo in seiner berühmten Theorie der komparativen Kosten
entwickelt hatte. Diese Grundthesen besagen: Im Außenhandel bestimmen nicht die
absoluten, sondern die komparativen Kosten über die Wettbewerbsfähigkeit einer
Volkswirtschaft. Hierbei werden die komparativen Kosten als Kostenverhältnisse (k1/k2) definiert. Die
komparativen Kosten des Inlandes werden mit denen des Auslandes in Beziehung
gesetzt, wobei das Inland dann in Gut x1 einen komparativen Vorteil
aufweist, wenn folgende Beziehung gilt:
kn:
Stückkosten I: Inland A:Ausland
Ein
Land i hat danach genau dann im Hinblick auf Gut x1 einen
komparativen Vorteil, wenn das Kostenverhältnis des Gutes x1 zu einem andern
Gut x2 (k1/k2) im Inland geringer ausfällt als
im Ausland.
Die
Theorie der komparativen Kosten geht davon aus, dass jede Volkswirtschaft
mindestens in einem Gut einen komparativen Kostenvorteil aufweist, und zwar
auch dann, wenn die absoluten Kosten des Inlandes bei allen Gütern höher als im
Ausland liegen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel würde nur dann gelten,
wenn die Kostenstrukturen aller Länder identisch wären, was jedoch äußerst
unwahrscheinlich ist.
Die
Grundlage dieser Theorie in ihrer ursprünglichen Form liegt in der klassischen
Arbeitswertlehre: Die relativen Preise werden langfristig nur vom Angebot, und
zwar von den Durchschnittskosten bestimmt. Die Nachfrage hingegen beeinflusst
nur kurzfristig die Preishöhe. Alle Kosten lassen sich im Rahmen der
Arbeitswerttheorie auf einen homogenen Faktor Arbeit und damit auf eine bestimmte
Anzahl von Arbeitsstunden zurückführen.
Die
Rente ist nämlich Folge von Preissteigerungen, kann also nicht Ursache der
langfristigen Preishöhe sein. Die Kapitalkosten (Zinskosten) erhöhen alle
Preise proportional, scheiden also als Bestimmungsgrund der Preisverhältnisse
ebenfalls aus. Voraussetzung für diese Aussage ist allerdings, dass die
Nutzungsdauer bei allen Kapitalgütern gleich groß ist. Die Struktur der
einzelnen Arbeitsqualitäten wird schließlich technisch bestimmt, sodass
verschiedene Arbeitsstunden in eine Standardgröße umgerechnet werden können.
Die Technik legt die Höhe der Durchschnittskosten eindeutig fest, es besteht
vor allem keine Abhängigkeit von der Ausbringungsmenge.
Ricardo
versuchte nun nachzuweisen, dass eine Vergrößerung der Weltproduktion erzielt
wird, wenn sich jedes Land auf die Güter spezialisiert, in denen es einen
komparativen Kostenvorsprung aufweist.
Die
Tabelle vergleicht die Produktionsverhältnisse vor und nach der Spezialisierung
durch den Außenhandel. Das Inland hat einen komparativen Vorteil in Gut x1
und wird sich deshalb nach Aufnahme des Außenhandels auf dieses Gut spezialisieren,
während das Ausland komparative Vorteile in Gut x2 besitzt und es
wird sich deshalb auf dieses Gut spezialisieren. Wie die Tabelle zeigt, werden
nach der Spezialisierung sowohl von Gut x1 wie von Gut x2
mehr Güter produziert.
Vor
der Spezialisierung hat das Inland von Gut x1 10 Einheiten zu Kosten
von 4 Arbeitsstunden pro Einheit produziert, sodass für die Produktion von Gut
x1 insgesamt 40 Kosteneinheiten aufgewandt wurden. Von Gut x2
hingegen hat das Inland 12 Einheiten zu Kosten von 5 Arbeitsstunden produziert,
es wurden also für Gut x2 60 Kosteneinheiten aufgebracht. Zur
Verfügung für beide Güter standen also insgesamt 100 Kosteneinheiten.
Nach
der Spezialisierung werden im Inland alle 100 Kosteneinheiten für die
Produktion x1 eingesetzt, da in diesem Gut der komparative Vorteil
des Inlandes liegt. Also können insgesamt 100/4 = 25 Einheiten dieses Gutes
produziert werden.
Für
das Ausland wird nun unterstellt, dass bei beiden Produkten absolut geringere
Kosten entstehen, bei der Produktion des Gutes x1 3 Kosteneinheiten,
bei der Produktion des Gutes x2 sogar nur 1 Kosteneinheit. Bisher
produzierte das Ausland von Gut x1 10 und von Gut x2 12 Einheiten. Da das Ausland bei Gut x2
seinen komparativen Vorteil hat, spezialisiert es sich nun auf dieses Gut und
kann mit seinen 42 Kosteneinheiten auch 42*1 = 42 Mengeneinheiten dieses Gutes
produzieren.
Für
beide Länder zusammen werden also nun von Gut x1 25 und von Gut x2 42 Mengeneinheiten produziert. Bisher wurden
von Gut x1 nur 20 und von Gut x2 nur 24 Einheiten
erstellt. Folglich können nach der Spezialisierung von beiden Gütern mehr
Einheiten produziert werden.
Es
besteht hier eine Tendenz zur vollständigen Spezialisierung, da sich die Kosten
und damit auch die Kostenverhältnisse nach Aufnahme des Außenhandels nicht
verändern. Wenn wir den Spezialisierungsprozess
schrittweise verfolgen, so gilt bei jedem durchgeführten Umfang der
Spezialisierung, dass beide Länder jeweils in einem Gut einen eindeutigen
Kostenvorteil besitzen und dass deshalb eine Ausweitung der Spezialisierung
solange vorteilhaft bleibt, bis schließlich eine vollständige Spezialisierung
erreicht ist.
Es
wird auch keine Aussage darüber gemacht, wie sich der Außenhandelsgewinn auf
die beiden Länder verteilt. Der neue Gleichgewichtspreis liegt – je nach
Machtverhältnissen – zwischen den bisherigen komparativen Kosten beider Länder.
Es wird unterstellt, dass dieser Gesamtgewinn in aller Regel auf beide Länder
aufgeteilt wird.
Wie
kommt es nun zu dieser Spezialisierung? Zunächst exportiert das Land mit den
absolut niedrigeren Kosten (in unserem Beispiel das Ausland [rot]) beide Güter.
Dieses Land erzielt deshalb zunächst einen positiven Leistungsbilanzsaldo. Das
Inland zahlt seine Importe mit Gold, es fließt also Gold ins Ausland, während
das Inland Gold verliert. Entsprechend der Praxis der Notenbanken wird im
Inland die Geldmenge reduziert, es kommt zu allgemeinen Preissenkungen, während
im Ausland die umlaufende Geldmenge ansteigt und mit ihr das allgemeine
Preisniveau. Die Preisverhältnisse nähern sich einander an.
Schließlich
ist das Exportland (in unserem Beispiel das Ausland) nur noch in dem Gut
absolut billiger, das auch die geringeren komparativen Kosten aufweist. Das
Inland bietet somit schließlich das Gut mit den komparativen Kostenvorteilen (x1)
auch zu einem absolut geringeren Preis an, es kommt zum Austausch beider Güter
und der Saldo der Devisenbilanzen kann sich wiederum verringern.
Diese
Schlussfolgerungen gelten analog in Systemen freier Wechselkurse; hier führt
allerdings nicht der Export oder Import von Gold, sondern Auf- bzw. Abwertungen
der Devisenkurse schließlich zu dem aufgezeigten Ergebnis.
Die
ursprüngliche Theorie der komparativen Kosten enthielt mehrere ungeklärte
Fragen. So wurde nicht geklärt, wie die Nachfrage die Höhe des Preises bestimmt.
Auch ist die Annahme, dass es nur einen Produktionsfaktor (eine standardisierte
Arbeitskraft) gibt, unhaltbar. Der Versuch Ricardos, vor allem den
Produktionsfaktor Kapital als Bestimmungsgrund der Preisbildung auszuscheiden,
war gescheitert. Der prozentuale Anteil der Zinskosten an den Gesamtkosten wäre
nur dann bei allen Produktionen gleich und würde nur dann die Preisstruktur der
einzelnen Güter nicht beeinflussen, wenn bei allen Produktionen die
Nutzungsdauer des Kapitals gleich lang wäre. Dies widerspricht jedoch jeder Erfahrung.
Schließlich gehen wir seit der Neoklassik davon aus, dass die Durchschnittskosten
von der Ausbringungsmenge abhängen und mit der Produktionsausweitung im
Allgemeinen ansteigen.
Gottfried
von Haberler hatte nun vorgeschlagen, anstelle der Arbeitskosten Opportunitätskosten
zu wählen. Hierbei geben die Opportunitätskosten an, auf wie viel Nutzen des
Gutes x2 verzichtet werden muss, um eine Einheit des Gutes x1
zu erwerben. Wir gehen also davon aus, dass das Einkommen oder auch die
Ressourcen für mehrere Alternativen eingesetzt werden können. Man entscheide
sich für Alternative 1, die zweitbeste Wahl wäre die Alternative 2 gewesen. In
diesem Falle geben die Opportunitätskosten der getroffenen Wahl an, dass auf
den Nutzen verzichtet werden muss, der bei der zweitbesten Wahl erzielt worden
wäre.
Auf
diese Weise lässt sich die Theorie der komparativen Kosten auch dann noch
aufrechterhalten, nachdem die ebenfalls von Ricardo entwickelte klassische
Arbeitswertlehre wegen unrealistischer Annahmen aufgegeben werden musste. Es
bleibt also bei der Feststellung, dass bei Freihandel die Wohlfahrt aller beteiligten
Volkswirtschaften gesteigert werden kann. Obwohl Ricardo seine Theorie der
komparativen Kosten lediglich für die Handelsbilanz und damit für Waren
entwickelt hatte, lassen sich jedoch diese Schlussfolgerungen auch auf die drei
weiteren Grundfreiheiten übertragen. Auch wenn Ricardo seine Theorie auf Warenströme
beschränkte, gelten diese Thesen im Grunde für alle Güter, zu den Gütern zählen
jedoch auch die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sowie das Reisen der
Einwohner der europäischen Staaten.
Fortsetzung folgt!