Das im Jahre 1967 verabschiedete Stabilitätsgesetz erlaubte dem Bundesminister für Wirtschaft die Einberufung einer Konzertierten Aktion. Hierbei sollten sich die Regierung und die Tarifpartner gemeinsam auf Orientierungsdaten für die anstehenden Tarifverhandlungen einigen. Diese Lohnleitlinien waren jedoch nicht bindend.
Karl Schiller (damaliger Wirtschafts und Finanzminister der Bundesregierung) hatte diese Ordnungskonzeption entwickelt, da er der Auffassung war, dass das Ziel der Geldwertstabilität den Charakter eines Kollektivgutes besitze und deshalb – entsprechend einer von Mancur Lloyd Olson entwickelten Theorie – in unzureichendem Maße nachgefragt werde.
Mancur Lloyd Olson hatte aufgezeigt, dass Kollektivgüter in zu geringem Maße nachgefragt würden. Der Grund hierfür liege darin, dass bei Kollektivgütern die den Produzenten zufließenden privatwirtschaftlichen Grenzerträge stets geringer seien als die der gesamten Volkswirtschaft entstehenden Grenzerträge mit der Folge, dass der Schnittpunkt zwischen der Nachfrage und der Angebotskurve (das privatwirtschaftliche Gleichgewicht) bei einer geringeren Ausbringungsmenge liege als der Schnittpunkt zwischen gesamtwirtschaftlichen Grenzerträgen und der Angebotskurve (dem Wohlfahrtsoptimum). Folgende Graphik verdeutlicht diese Zusammenhänge:
Die rote Linie zeige den Verlauf der Angebots (Grenzkosten) kurve, die hellblau dargestellte Kurve die gesamtwirtschaftliche, die dunkelblau eingezeichnete Kurve schließlich die privatwirtschaftliche Grenzertragskurve. (xp) markiere das privatwirtschaftliche, (xg) hingegen das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht.
Da der Schnittpunkt mit der privatwirtschaftlichen Grenzertragskurve bei einer geringeren Ausbringungsmenge liegt als der Schnittpunkt mit der gesamtwirtschaftlichen Kurve, ist nachgewiesen, dass von den Kollektivgütern eine zu geringe Menge nachgefragt wird. Jeder ist an dem Kollektivgut ‚Geldwertstabilität’ interessiert, trotzdem werden zu wenig Anstrengungen unternommen, um dieses Gut zu erhalten. Dieser Konflikt wird in der Literatur als Kollektivgutdilemma bezeichnet.
Karl Schiller hat nun die Konzertierte Aktion zur Überwindung dieses Kollektivgutdilemmas vorgeschlagen. Werden die Lohn-sätze in den einzelnen Tarifverhandlungen beschlossen, so muss befürchtet werden, dass oftmals auch Lohnsteigerungen durchgesetzt werden, welche die Geldwertstabilität gefährden.
Die einzelne Gewerkschaft würde sich besserstellen, wenn sie geringere Lohnsteigerungen fordern würde und wenn gleichzeitig die Geldwertstabilität gewahrt bliebe. Hierfür wäre jedoch Voraussetzung, dass alle Gewerkschaften preisniveauneutrale Lohnforderungen durchzusetzen versuchten. Eine einzelne Gewerkschaft würde sich somit nur dann bei einer preisniveauneutralen Lohnsteigerung besserstellen, wenn sie fest damit rechnen könnte, dass sich auch die übrigen Gewerkschaften Geldwert bewusst verhielten.
Da sie jedoch damit nicht rechnen können, werden sie Lohnsteigerungen durchsetzen, welche preisniveausteigernd wirken. Verhält sich nämlich eine Einzelgewerkschaft konform zur Geldwertstabilität, folgen ihr jedoch die übrigen Gewerkschaften in diesem Verhalten nicht, so fallen auf der einen Seite die realisierten Lohnsteigerungen in diesen Wirtschaftszweigen unterdurchschnittlich hoch aus, auf der anderen Seite tragen die Arbeitnehmer in diesen Wirtschaftszweigen jedoch die von den übrigen Gewerkschaften verursachten Preissteigerungen mit. Es lohnt sich somit für die Gewerkschaften nicht, sich Geldwert konform zu verhalten.
Hier setzt nun der Vorschlag der Konzertierten Aktion ein. Wenn alle Gewerkschaften zusammen mit der Regierung festlegen, welche Lohnsteigerungen als geldwertneutral eingestuft werden und damit gesamtwirtschaftlich verkraftet werden können, dann könne auch jede einzelne Gewerkschaft damit rechnen, dass sich alle übrigen Gewerkschaften an die gemeinsam festgelegten Beschlüsse halten. Wenn jedoch eine Gewerkschaft davon ausgehen kann, dass sich alle übrigen Gewerkschaften Geldwert konform verhalten, ist es auch für sie zweckmäßig, sich diesem konzertierten Verhalten anzuschließen und sich ebenfalls Geldwert konform zu verhalten.
Dieses Konzept gleicht den Ordnungsvorstellungen der französischen Planifikation. Auch hier liegt seitens des Staates eine indikative Planung vor, die eigentliche Entscheidungshoheit verbleibt bei den Tarifpartnern. Auch hier wird mit Zuckerbrot und Peitsche gearbeitet. Das Zuckerbrot besteht darin, dass die Tarifverbände bei der Beratung über die Lohnleitlinien beteiligt werden. Die Peitsche stellt die versteckte Drohung dar, dass dann, wenn dieses Konzept nicht zum Erfolg führt, immer noch eine Einschränkung der Tarifautonomie erfolgen könnte.
Da die damalige Große Koalition im Parlament über eine ausreichende Mehrheit verfügte, hätte in der Tat notfalls eine die Tarifautonomie einschränkende Änderung des Grundgesetzes beschlossen oder zumindest ein Ausführungsgesetz zur Tarifautonomie durchgesetzt werden können, welches die gesamtwirtschaftliche Verantwortung der Tarifpartner unterstreicht und den Tarifpartnern gewisse Auflagen auferlegt.
Zur Eindämmung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen wurde 1977 ebenfalls eine Konzertierte Aktion eingeführt. Hier sollten die beteiligten Gruppen (Krankenversicherungsträger, Ärzteschaft, Tarifpartner) zusammen mit dem Staat wiederum unverbindliche Leitlinien für die gesamtwirtschaftlich noch tragbaren Kostensteigerungen beschließen.
In beiden Bereichen konnten in den ersten Jahren nach ihrer Einführung gewisse Anfangserfolge erzielt werden. Die von den Gewerkschaften durchgesetzten Lohnsteigerungen blieben zunächst weitgehend preisniveauneutral, entsprachen also dem Wachstum der Arbeitsproduktivität, die Kosteninflation im Gesundheitswesen konnte in der Tat für die Jahre nach Einführung der Konzertierten Aktion reduziert werden.
Dieser anfängliche Erfolg konnte jedoch nicht auf längere Zeit beibehalten werden. Sowohl auf dem Arbeitsmarkt wie vor allem im Gesundheitswesen traten Kostensteigerungen ein, welche die Geldwertstabilität beeinträchtigten.
Diese historische Entwicklung (anfängliche Erfolge sowie Versagen in langfristiger Hinsicht) lässt sich auch theoretisch leicht erklären. Man kann Interessengruppen sehr wohl dazu bewegen, aus gesamtwirtschaftlicher Verantwortung heraus ihre Einzelinteressen einmalig hinter das Gemeinwohl hintanzustellen. Es wird jedoch nicht gelingen, ein solches verantwortungsbewusstes Verhalten auf Dauer herbeizuführen. Aufgabe der Interessengruppen ist nun einmal die Vertretung ihrer eigenen Interessen, von diesem Ziel wird man keine Gruppe langfristig abbringen können.
In Wirklichkeit ist es auch nicht gelungen, mit der Einführung der Konzertierten Aktion das Kollektivgutdilemma aufzulösen. In Wirklichkeit gehen nämlich von der Einrichtung der Konzertierten Aktion ebenfalls Fehlanreize aus, welche denjenigen belohnen, welcher sich nicht an die gemeinsam beschlossenen Lohnleitlinien hält und denjenigen materiell bestraft, der sich Lohnleitlinien konform verhält. Setzt nämlich eine Einzelgewerkschaft Lohnsteigerungen durch, welche über der Leitlinie liegen, so erhält sie auf der einen Seite eine überdurchschnittlich hohe nominelle Lohnsteigerung, die hierdurch verursachten Preissteigerungen müssen jedoch von allen getragen werden, sodass das Realeinkommen der jeweils anderen Arbeitnehmergruppen zurückgeht.
Es dürfte sich nun folgende Dynamik ergeben: Zunächst einmal halten sich fast alle Gewerkschaften an die gemeinsam beschlossenen Lohnleitlinien; da sich alle daranhalten, werden ihre Erwartungen auch bestätigt. Über kurz oder lang wird jedoch eine Einzelgewerkschaft aus diesem Konzert ausbrechen und höhere Lohnforderungen durchsetzen, entweder weil in diesem Tarifbereich ein besonders hoher Nachholbedarf besteht oder auch deshalb, weil aufgrund überdurchschnittlich hoher Gewinne die Unternehmungen diesen Forderungen nachgeben werden.
Der Erfolg dieser Einzelgewerkschaft wird in den nächsten Tarifrunden weitere Gewerkschaften in diesem inkonformen Verhalten folgen lassen. Nun da mehrere Gewerkschaften aus dem Konzert ausbrechen, werden die hierdurch bedingten Preissteigerungen immer größer und dies bedeutet, dass konformes Verhalten immer mehr materiell bestraft wird und dass gerade deshalb die Gefahr besteht, dass immer mehr Einzelgewerkschaften aus der Konzertierten Aktion ausbrechen. Eines Tages bricht deshalb die Konzertierte Aktion schließlich notwendigerweise zusammen. Diese Prognose ist in der Tat auch sowohl im Bereich der Arbeitsmärkte wie im Gesundheitswesen eingetreten.
Auch die innere Logik, nach der Tarifverhandlungen stattfinden, spricht gegen einen langfristigen Erfolg der Konzertierten Aktion. Tarifverhandlungen sind langfristig erfolgreich, wenn beide Tarifpartner zu Kompromissen bereit sind und deshalb keine Tarifseite auf Dauer ihr Gesicht verliert. Um aber überhaupt Kompromisse schließen zu können, werden die Arbeitgeber die Tarifverhandlungen mit Lohnzugeständnissen beginnen, welche deutlich unter dem Lohnniveau liegen, welches sie bereit sind zuzugestehen, während umgekehrt die Gewerkschaften mit Lohnforderungen in die Tarifverhandlungen eintreten, welche deutlich über dem Lohnniveau liegen, welche sie für realistisch ansehen.
Wenn nun im Rahmen einer Konzertierten Aktion eine bestimmte Lohnsteigerung als akzeptabel und erwünscht beschlossen wird, so ist es für die Arbeitgeber kaum möglich, die Tarifverhandlungen mit einem Angebot zu beginnen, welches unterhalb dieser Lohnleitlinie liegt. Schließlich wurde ja bereits hoch offiziell eine höhere Lohnsteigerung als erwünscht akzeptiert. Die Arbeitgeber müssen also wohl oder übel mit einer Lohnbewilligung in die Tarifverhandlungen einsteigen, welche der von der Konzertierten Aktion beschlossenen Lohnleitlinie weitgehend entspricht.
Jedes andere Verhalten wäre widersprüchlich und würde auch den Erfolg weiterer Runden der Konzertierten Aktion gefährden, da die Arbeitgeber nicht einerseits in der Konzertierten Aktion den beschlossenen Lohnleitlinien zustimmen können, andererseits aber in den nachfolgenden Tarifverhandlungen diesen gemeinsam beschlossenen Leitlinien widersprechen können.
In diesem Falle fehlt jedoch den Arbeitgebern der Spielraum für weitere Konzessionen im Verlaufe der Tarifverhandlungen; das Verhandlungsklima verschärft sich, es wird nun schwieriger, zu einem Ergebnis zu gelangen. Auf jeden Fall werden die Tarifverhandlungen in der Regel mit höheren Lohnsteigerungen enden, als in der Konzertierten Aktion als erwünschte Lohnsteigerungen bezeichnet wurden.
Nun könnte man diesem Einwand dadurch begegnen, dass man vorschlägt, in der Konzertierten Aktion solle bei der Festlegung der Lohnleitlinie dieser Zusammenhang berücksichtigt werden und etwas geringere Lohnsteigerungen festgelegt werden, als tatsächlich erwünscht sind. Betrage also z. B. die erwartete Steigerung der Arbeitsproduktivität 3%, so müsse eben nur eine 2%ige Lohnsteigerung als Lohnleitlinie ausgegeben werden, damit dann während des Verlaufs der Tarifverhandlungen die eigentlich erwünschte Lohnsteigerung von 3% erreicht würde. Aber gerade damit würden sicherlich die Gewerkschaften im Rahmen der Konzertierten Aktion nicht bereit sein und gesamtwirtschaftliche Argumente dafür anführen, dass die volkswirtschaftlich erwünschte Lohnsteigerung eben doch 3% betrage.
Ein weiteres Argument kommt hinzu. De facto haben wir davon auszugehen, dass in den Verhandlungen einer Tarifrunde unterschiedliche Lohnabschlüsse vereinbart werden, da die einzelnen Gewerkschaften über unterschiedliche Machtpositionen verfügen und da die einzelwirtschaftlichen Steigerungen der Arbeitsproduktivität in den einzelnen Wirtschaftszweigen unterschiedlich ausfallen. Solche unterschiedlichen Abschlüsse mögen sogar in begrenztem Umfang volkswirtschaftlich erwünscht sein, da sich die Knappheitsrelationen der einzelnen Wirtschaftszweige immer wieder verändern und deshalb auch Veränderungen in der Lohnstruktur notwendig werden.
Wird nun jedoch im Rahmen der Konzertierten Aktion eine generelle Lohnleitlinie festgelegt, so werden auch diejenigen Gewerkschaften diese allgemein akzeptierte Lohnsteigerung durchzusetzen versuchen, welche aufgrund der Besonderheiten in den einzelnen Branchen durchaus ansonsten mit etwas unterdurchschnittlich hohen Lohnsteigerungen zufrieden gewesen wären. Der Druck der Mitglieder auf die gewerkschaftlichen Verhandlungsführer wird größer, wenn generelle Lohnleitlinien beschlossen werden, mag die Regierung oder auch die Wissenschaftler noch so sehr darauf hinweisen, dass eine Lohnleitlinie nur den Durchschnitt der Lohnsteigerungen festlege.
Liegen hingegen die in der Konzertierten Aktion beschlossenen Lohnleitlinien unterhalb dem Niveau, das die Gewerkschaften in diesem Wirtschaftszweig anstreben, werden sie Argumente finden, weshalb in ihrem Tarifbereich ein Abweichen in der Lohnhöhe nach oben angezeigt ist. Sie melden vielleicht einen Nachholbedarf an, weil in den vergangenen Tarifrunden nur eine unterdurchschnittlich hohe Lohnsteigerung durchgesetzt wurde oder aber in der eigenen Branche werden überdurchschnittlich hohe Gewinn erzielt, welche es aus verteilungspolitischen Gründen notwendig werden lassen, an diesem überdurchschnittlich hohem Wachstum beteiligt zu werden.
Auch gilt es zu berücksichtigen, dass in der Konzertierten Aktion niemals alle Verhandlungsführer beteiligt werden können, zu groß ist wegen der dezentralen Struktur die Zahl der einzelnen Tarifverhandlungen, die in der BRD stattfinden, nur die Vertreter der Spitzenverbände und einzelner sehr großer Gewerkschaften können an der Sitzung der Konzertierten Aktion teilnehmen.
In diesem Falle aber fällt es einem Verhandlungsführer sehr viel leichter, sich von den Beschlüssen der Konzertierten Aktion zu distanzieren; er selbst hat ja an diesen Beschlüssen in der Regel gar nicht teilgenommen. Damit entfällt jedoch eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Gelingen der Konzertierten Aktion. Karl Schiller wollte ja gerade dadurch das Kollektivgutdilemma der Geldwertstabilität überwinden, dass die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen die Lohnleitlinien als ihre eigenen Beschlüsse akzeptieren und sich deshalb auch an diese Beschlüsse halten.
Diese Überlegungen dürften im Großen und Ganzen auch für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen gelten. Überprüfen wir die Erfolgsaussichten einer Konzertierten Aktion im Gesundheitsbereich, so kommt jedoch ein weiteres Argument hinzu. Legt man Leitlinien für erlaubte Kostensteigerungen fest, so werden die beteiligten Gruppen nach Argumenten suchen, warum gerade in ihrem Bereich besonders hohe Kostensteigerungen gerechtfertigt sind. Ein solches Verhalten ist jedoch in einer Wettbewerbswirtschaft kontraproduktiv.
Erwünscht ist nämlich, dass die beteiligten Unternehmungen nach möglichen Kostensenkungen Ausschau halten und durch Verbesserung der Produktionstechnik die Kosten senken. Es besteht nun die Gefahr, dass bei Vorliegen einer Konzertierten Aktion die Unternehmungen oder Krankenhäuser immer weniger nach Rationalisierungen und immer stärker nach Argumenten zugunsten von Kostensteigerungen oder zumindest eines Festhaltens am bisherigen Kostenniveau suchen. Auf diese Weise unterbleiben immer mehr mögliche Kostensenkungen und das allgemeine Kostenniveau steigt.