Zur These von der sozialen Schieflage

 

 

Gliederung:

 

1. Einführung

2. Zum empirischen Befund

3. Absoluter versus relativer Maßstab

4. Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens bei Egalität

5. Gründe für Vermögensdifferenzierung

 

 

 

4. Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens bei Egalität

 

Wer im Zusammenhang mit dem hohen Differenzierungsgrad der Einkommen und Vermögen von einem sozialen Skandal spricht, verbindet hiermit zumeist die Erwartung, dass man über eine höhere Besteuerung und damit Nivellierung die Netto-Einkommen der Arbeitnehmer entscheidend anheben oder sehr ehrgeizige Projekte z. B. in der Bildungspolitik realisieren könnte.

 

Wir wollen im Folgenden zeigen, dass es sich hierbei um äußerst unrealistische Erwartungen handelt, dass in Wirklichkeit die Möglichkeiten einer anhaltenden Umverteilung äußerst begrenzt sind. Obwohl wir bereits weiter oben darauf hingewiesen haben, dass die realen sozialistischen Staaten der Vergangenheit in keinem Falle ernsthaft bemüht waren, für alle Individuen ein gleich hohes Einkommen zu verwirklichen, wollen wir trotzdem hier in einem Gedankenexperiment unterstellen, dass wir entsprechend dem Egalitätsprinzip allen Bürgern der BRD ein gleichhohes Einkommen garantieren würden, um auf diese Weise die äußersten Grenzen einer solchen Umverteilungspolitik auszuleuchten.

 

Ausgangspunkt unseres Gedankenexperimentes sei das in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2011 geschaffene Bruttoinlandsprodukt. Das Inlandsprodukt fasst die Wertsumme aller Güter einschließlich der Dienstleistungen zusammen, welche in einer bestimmten Zeitperiode (z. B. in einem Jahr) innerhalb einer Volkswirtschaft (z. B. in der BRD) erzeugt worden waren.

 

Dieses Inlandsprodukt lässt sich nun in vier Bereiche einteilen, in das Investitionsvolumen, in den Anteil des Staates, in den Außenbeitrag sowie in die Wertsumme der Konsumgüter. Hierbei steht nur die Konsumsumme zur Umverteilung zur Verfügung. Das Investitionsvolumen dient der Erhaltung und Erweiterung der Produktionsanlagen und steht gerade deshalb nicht zur Umverteilung zur Verfügung. Jeder Versuch, das Investitionsvolumen zu reduzieren, um dadurch höhere Lohneinkommen zu erreichen, würde unweigerlich zu einer Reduktion des gesamten Inlandsproduktes führen.

 

Auch die Staatsausgaben können nicht entscheidend zugunsten einer Umverteilung reduziert werden. Staatsausgaben sind notwendig, um die Kollektivgüter bereitzustellen, es handelt sich hierbei insbesondere um Ausgaben für staatliche Infrastrukturinvestitionen wie Ausbau und Erhalt der Verkehrswege, weiterhin für die Aufrechterhaltung der Bildungsstätten sowie Bereitstellung der Gerichtsbarkeit und kultureller Einrichtungen. Auch hier wird man davon ausgehen müssen, dass zumindest der größte Teil dieser Kollektivgüter wiederum die Voraussetzung dafür bildet, dass die bestehende Produktion erhalten bleibt.

 

An dritter Stelle steht der Außenbeitrag, er entspricht der Differenz zwischen der Ausfuhr und der Einfuhr von Gütern. In diesem Gedankenexperiment soll von diesem Teil des Inlandsproduktes abgesehen werden. Es ist eigentlich erwünscht, dass Export und Import übereinstimmen, jede Differenz verweist auf ein Ungleichgewicht in den außenwirtschaftlichen Beziehungen, das auf lange Sicht auf jeden Fall abgebaut werden sollte. Da in der BRD mit wenigen Ausnahmen fast jedes Jahr ein Überschuss in der Leistungsbilanz erzielt wurde, würde bei einer Berücksichtigung auch dieses dritten Anteils des Inlandsproduktes ohnehin eine noch etwas geringere Wertsumme für eine Umverteilung zur Verfügung stehen.

 

Umverteilt werden können deshalb immer nur die Teile des Inlandsproduktes, welche die Wertsumme der Konsumgüter darstellen. Zwar ist es richtig, dass auch aus den Lohneinkommen gewisse Teile gespart werden können und somit die realisierte Lohnsumme die Wertsumme der produzierten Konsumgüter übersteigen kann. Wenn wir trotzdem in diesem Gedankenexperiment als Umverteilungsmasse lediglich die Konsumgütermenge berücksichtigen, so erfolgt dies deshalb, weil die Ersparnis der Arbeitnehmer ohnehin gering ausfällt, weil auf jeden Fall die Arbeitnehmer das Recht haben, ihr Lohneinkommen auf Wunsch auch ganz für den Ankauf von Konsumgütern zu verwenden und weil schließlich das bestehende Investitionsvolumen nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn die Bereitschaft besteht, das zur Verfügung gestellte Kapital für risikobehaftete Investitionen vorzusehen. Wir werden uns mit diesem letzten Aspekt (Zurverfügungstellung von Risikokapital) noch ausführlich im nächsten Abschnitt dieses Artikels befassen.

 

Wir wollen also in unserem Gedankenexperiment davon ausgehen, dass eine Umverteilung von den Selbstständigen zu den Lohnempfängern letztendlich durch die Wertsumme der produzierten Konsumgüter begrenzt wird. Diese Wertsumme für Konsumgüter belief sich im Jahre 2011 in der Bundesrepublik auf 1470 Mrd. Euro. Wir wollen nun unterstellen, dass diese Konsumgütermenge vollkommen gleichmäßig auf alle Einwohner der BRD aufgeteilt würde. Da die Bevölkerung im Jahre 2011 65,47 Millionen Personen umfasste, bedeutet dies, dass bei einer egalitären Verteilung dieser Konsumgütermenge auf die einzelne Person pro Jahr eine Wertsumme von 1474 Mrd. / 65,47 Mill. = 22.514 € entfallen würde.

 

Diese auf jeden Bürger entfallende Konsumgütersumme wollen wir nun vergleichen mit dem Pro-Kopf-Nettolohneinkommen der Arbeitnehmer wiederum im Jahre 2011 in der Bundesrepublik. Das gesamte an die Arbeitnehmer in der BRD im Jahre 2011 ausgezahlte Nettolohneinkommen belief sich auf 713,6 Mrd. €. Wir teilen nun diese gesamte Lohnsumme durch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, welche 2011 in der BRD 22,989 Mill. betrug und erhalten auf diese Weise ein heutiges Pro-Kopf-Nettojahreslohneinkommen von 19.560 €.

 

Vergleichen wir diese beiden Wertsummen miteinander, so ergäbe sich bei einer totalen Nivellierung eine nur geringfügige Zunahme des durchschnittlichen Einkommens der Arbeitnehmer von etwa 250 € im Monat. Dieses Ergebnis erscheint zunächst auf den ersten Blick als eine – wenn auch geringe – Zunahme des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens. Bei einer eingehenderen Analyse ergibt sich jedoch, dass die Umverteilungsergebnisse in Wirklichkeit noch wesentlich ungünstiger ausfallen dürften.

 

Als erstes ist darauf hinzuweisen, dass auch die Verteilung der Lohneinkommen einen Differenzierungsgrad aufweist, sodass bei einer totalen Nivellierung aller Einkommen ein beachtlicher Teil der Arbeitnehmer nach der Umverteilung ein geringeres Nettoeinkommen als bisher beziehen würde.

 

Darüber hinaus führt jede größere Umverteilung zu einem beachtlichen Ressourcenverzehr, sodass in Wirklichkeit die Einkommen der bisher unteren Einkommensklassen in viel geringerem Maße ansteigen werden als in diesem Gedankenexperiment zunächst ausgerechnet wurde. Mit der Wohlfahrtssteigerung, welche aufgrund einer egalitären Umverteilung zu erwarten ist, hat sich vor allem die ältere Wohlfahrtstheorie befasst.

 

Im Rahmen der älteren Wohlfahrtstheorie wurde nämlich der Versuch unternommen, nachzuweisen, dass eine Gemeinschaft gerade dann ihre Gesamtwohlfahrt maximiert, wenn alle Einkommen die gleiche Höhe aufweisen. Gehen wir von einer Differenzierung der Einkommen aus, kann also nach dieser Überlegung die Gesamtwohlfahrt dadurch gesteigert werden, dass die Einkommen der Reicheren (z. B. über eine Steuer) vermindert werden, die der Ärmeren jedoch (z. B. über die Gewährung von Transfereinkommen) erhöht werden. Entsprechend dem Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen des Einkommens ist der Grenznutzen der letzten Einkommenseinheit der Reicheren geringer als der Grenznutzen der Ärmeren. Schichtet man also das Einkommen zugunsten der Ärmeren um, so ist der bei den Reichen entgangene Wohlfahrtsverlust geringer als der erreichte Wohlfahrtsgewinn bei den Ärmeren. Also sei die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft gestiegen.

 

Dieser Wohlfahrtsgewinn aufgrund einer Umverteilung der Einkommen ist solange zu erwarten, als der Grenznutzen der Besteuerten geringer ist als der Grenznutzen der Ärmeren und dies ist solange der Fall, als das Einkommen der Besteuerten höher liegt als das der Begünstigten. Also kann man schließen, dass erst bei einer totalen Egalität (jeder erhält ein gleich hohes Einkommen) der Nutzen der Gesamtheit maximiert ist.

 

Machen wir uns diese Gedankengänge anhand eines Diagramms klar. Der Einfachheit halber gehen wir nur von zwei Personen (A und B) aus, Person A habe im Ausgangszustand ein höheres Einkommen als Person B. Für beide Personen gelte das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen des Einkommens, es werde weiterhin unterstellt, dass beide Individuen die gleiche Bedarfsstruktur aufweisen und dass deshalb für beide eine identische Grenznutzenfunktion gelte. Auf der Abszisse tragen wir die Einkommen beider Personen ab, auf der Ordinate die Höhe der jeweiligen Grenznutzen. Die gemeinsame Grenznutzenfunktion gebe an, wie hoch der Grenznutzen bei alternativen Einkommenshöhen sei.

 

  

 

 

Die Graphik lässt erkennen, dass der Nutzenverlust des Reichen (-) geringer ausfällt als der Nutzengewinn des Armen. Also steigt aufgrund einer Nivellierungsmaßnahme der Gesamtnutzen und dies ist solange richtig, als die Einkommen noch unterschiedlich hoch sind.

 

Nun gelten diese Schlussfolgerungen nur unter einer Vielzahl von Annahmen, die wir im Folgenden kritisch beleuchten wollen.

 

Erste Annahme: Es gilt das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen des Einkommens. Wir wissen, dass diese Annahme nicht von allen Wohlfahrtstheoretikern geteilt wird, bisweilen wird unterstellt, dass die Gesetzmäßigkeit des abnehmenden Grenznutzens nur partiell für die einzelnen Güter, nicht aber gegenüber Einkommensänderungen gilt. Trotz allem können wir davon ausgehen, dass in der Regel auch für das gesamte Einkommen ein abnehmender Grenznutzenverlauf unterstellt wird.

 

Zweite Annahme: Es wird von identischen Bedarfsstrukturen ausgegangen. Diese Annahme dürfte in der Realität im Allgemeinen nicht vorliegen. Es wird vielmehr zumeist davon ausgegangen, dass sich die einzelnen Personen sehr wohl darin unterscheiden, welchen Nutzen sie von einzelnen Gütern und vom Gesamteinkommen maximal erzielen, dass diese Unterschiede auch als erwünscht angesehen werden; daraus ergibt sich jedoch ein unterschiedlicher Verlauf der Grenznutzenkurven der einzelnen Individuen.

 

Unterstellen wir nun, dass Person A (der Reichere) z. B. aufgrund seiner höheren Ausbildung eine Bedarfsstruktur aufweist, bei welcher die Grenznutzenkurve oberhalb der Grenznutzenkurve von Person B verläuft. Folgende Graphik zeigt, dass in diesem Falle das Maximum an Gesamtwohlfahrt nicht bei vollständiger Gleichheit, sondern bei einer der Differenzierung der Grenznutzenkurven entsprechenden Differenzierung der Einkommen erreicht wird.

 

  

 

 

Wie die Graphik erkennen lässt, ist zwar zu Beginn unter Umständen der Grenznutzen des Reicheren geringer als der des Armen. Eine Gleichheit der Grenznutzen und damit eine Maximierung des Gesamtnutzens ist jedoch bei einer ganz bestimmten Einkommensdifferenzierung (E10 / E20) erreicht. Eine weitere Nivellierung würde zu einer Minderung der gesamten Wohlfahrt führen.

 

Dritte Annahme: Bei unseren bisherigen Überlegungen gingen wir stillschweigend von der Annahme aus, die Umverteilung von den Reichen zu den Armen würde ohne weitere Zusatzkosten erreicht werden. Dies ist natürlich eine vollkommen unrealistische Annahme. In Wirklichkeit bedarf es eines Ressourcen verzehrenden Beamtenapparates, um diese Umverteilung durchzuführen. Dieser Beamtenapparat muss erstens die Einkommen der zu Besteuernden und zu Begünstigenden eruieren, um festzustellen, wer besteuert und wer begünstigt werden soll, weiterhin feststellen, welche Steuerbeträge notwendig sind, um die erwünschte Wohlfahrtssteigerung zu erzielen; Steuern müssen erhoben werden, die Transferzahlungen müssen ausgezahlt werden. Schließlich muss kontrolliert werden, ob Missbräuche stattfinden, bei den Reichen dadurch, dass sie nicht alle Einkommen deklarieren, um weniger Steuern zahlen zu müssen, bei den Armen dadurch, dass sie ein zu geringes Einkommen vortäuschen, um höhere Transferzahlungen zu erhalten.

 

Alle diese Aktivitäten verursachen Kosten, sodass für Transferzahlungen nur ein Teil der Steuereinnahmen zur Verfügung steht, mit der Folge, dass wiederum bereits bei einer bestimmten Einkommensdifferenzierung alle Möglichkeiten einer Wohlfahrtsvermehrung aufgrund Umverteilung ausgeschöpft sind. Folgende Graphik macht diese Zusammenhänge klar:

 

 

 

 

 

 

Trotz beachtlicher Einkommensunterschiede sind wegen des Ressourcenverzehrs die Unterschiede in den Nutzenveränderungen beider Personen sehr viel geringer, es ist deshalb auch sehr viel weniger Raum für eine wohlfahrtssteigernde Umverteilung.

 

In besonders starkem Maße dürften die Kosten zur Erhebung einer Vermögenssteuer ausfallen. Gerade weil in diesem Falle eine laufende Statistik über die jährlichen Veränderungen in den Vermögenswerten fehlt, bedarf es einer erheblichen Ausweitung des Beamtenapparates, um diese Statistiken zu erstellen. Gerade aus diesen Gründen dürfte es nicht möglich sein, eine Vermögenssteuer allein für die relativ kleine Gruppe von Millionären und Milliardären einzuführen, da die aufzubringenden Erhebungskosten vermutlich die zusätzlichen Steuererträge übersteigen würden. Aus diesem Grunde wird es notwendig werden, die Steuerpflicht für Vermögen bereits auf mittlere Vermögen auszuweiten.

 

Vierte Annahme: Wir hatten zwar bisher unterstellt, dass die Betroffenen u. U. ihre tatsächliche Einkommenshöhe zu verschleiern versuchen, es wurde jedoch stets davon ausgegangen, dass die tatsächliche Höhe der Leistungseinkommen von der Umverteilung unberührt bleibt. Auch diese Annahme muss kritisiert werden. Sowohl die Reicheren wie auch die Ärmeren haben nämlich bei Umverteilungsaktivitäten des Staates sehr wohl ein Interesse daran, weniger Leistungseinkommen als vor der Umverteilung zu erzielen.

 

Für den Ärmeren bedeuten die Transferzahlungen Einkünfte, welche ohne zusätzliche Leistung erhalten werden, hier kann es sich durchaus Nutzen steigernd auswirken, wenn der Betroffene seine Leistung reduziert, er erhält dadurch einen größeren Freizeitnutzen der aufgrund der größeren Gesamteinkünfte (Leistungseinkommen plus Transferzahlungen) größer ist als der Grenznutzen der letzten Einkünfteeinheit.

 

Für den Reicheren gilt in analoger Weise, dass der Grenznutzen des verbleibenden Nettoeinkommens aufgrund der höheren Besteuerung gesunken ist; auch hier wird es im Allgemeinen  Nutzen steigernd sein, wenn mehr Freizeit in Anspruch genommen wird. Wenn bisher vor der zusätzlichen Besteuerung die Grenznutzen der erwerbswirtschaftlichen Aktivität und der Freizeit ausgeglichen waren, sind nun aufgrund der Besteuerung die Grenznutzen der erwerbswirtschaftlichen Aktivität gesunken, ein Ausgleich kann dadurch erzielt werden, dass mehr Freizeit in Anspruch genommen wird.

 

  

 

 

 

Die roten Pfeile zeigen die Wirkung der ursprünglichen Umverteilung, die blauen Pfeile unterrichten über den Einfluss der Antileistungsanreize. Der verbleibende Gesamtgewinn an Wohlfahrt wird hierdurch wiederum wesentlich geringer, mit der Folge, dass auch weniger Raum für eine wohlfahrtssteigernde Umverteilung bleibt.

 

Eine ähnlich wohlfahrtsmindernde Wirkung besteht in dem Umstand, dass Umverteilungen im Allgemeinen nicht allokationsneutral abgewickelt werden können, dass sie die Preisverhältnisse verzerren und auf diese Weise zusätzlich zu einer Aufteilung der knappen Ressourcen auf die einzelnen Güter führen, die von einer optimalen Aufteilung wegführt.

 

Fünfte und sechste Annahme: Bei unseren bisherigen Überlegungen haben wir stets stillschweigend unter-stellt, dass sich Grenznutzen kardinal messen und darüber hinaus interpersonell vergleichen lassen. Genau diese Annahmen werden jedoch von Vilfredo Pareto und den Anhängern der Paretianischen Wohlfahrtstheorie bezweifelt. Nach Pareto lassen sich Nutzeneinheiten nur ordinal, nicht aber kardinal messen. Von einem ordinalen Nutzenmaßstab spricht man hierbei immer dann, wenn man sich darauf beschränkt, anzugeben, ob zwei Güterbündel einen gleich hohen Nutzen stiften oder das eine Güterbündel einen höheren Nutzen stiftet als das andere. Von einem kardinalen Nutzenmaßstab würde man hingegen sprechen, wenn darüber hinaus angegeben werden könnte, um das Wievielfache das eine Güterbündel einen höheren Nutzen bieten könne als das andere.

 

Wenn es auch in der Literatur einzelne Versuche gibt, die Möglichkeit eines kardinalen Nutzenmaßstabes zu verteidigen, gelang es nicht, diesen Nachweis allgemein überzeugend zu erbringen, sodass die Mehrzahl der Wohlfahrtstheoretiker mit Pareto von der Annahme ausgeht, dass Nutzen nur ordinal gemessen werden kann.

 

In diesem Falle ist es jedoch nicht möglich, den Grenznutzenverlauf in einem Diagramm mit kardinalem Nutzenmaßstab abzubilden. Wir können zwar angeben, dass der Grenznutzen mit wachsendem Einkommen zurückgeht, können aber nicht mehr bestimmen, um wie viel Einheiten der Grenznutzen sinkt.

 

Nun ist diese Kritik eher formaler Art. Wir könnten ja ein Nutzendiagramm so interpretieren, dass eben zwei unterschiedlich hohe Punkte auf der Ordinate nur noch darüber Auskunft geben, dass der höhere Punkt auch einen höheren Grenznutzen widerspiegelt, dass aber der konkrete Abstand zwischen diesen Punkten nichts darüber aussagen kann, um wie viel der Grenznutzen des höheren Punktes höher ist als der des niedrigeren Punktes.

 

Viel entscheidender ist die zweite Kritik, dass Nutzeneinheiten nach Ansicht von Pareto nicht interpersonell verglichen werden können. Wenn Person A nicht in der Lage ist, den selbst erfahrenen Nutzen mit dem Nutzen einer andern Person zu vergleichen und wenn deshalb auch ein Dritter (der Staat) die Nutzen zweier Personen nicht miteinander vergleichen kann, dann ist auch keinerlei Aussage darüber möglich, ob die Gesamtwohlfahrt einer Gesellschaft bei einer Nivellierung der Einkommen gesteigert werden kann. Die Beweisführung der älteren Wohlfahrtstheorie, dass Egalität ein Wohlfahrtsmaximum erzeugt, bricht in sich zusammen. Man könnte höchstens davon sprechen, dass ein wohlwollender Diktator den Nutzen der betroffenen Personen aus seiner Sicht einschätzt, das kann er natürlich; aber eine solche Vorgehensweise würde dem Selbstbestimmungskriterium widersprechen.

 

Unsere bisherigen Überlegungen gingen von einem statischen Bild aus. Wir beschränkten uns auf die Frage, wie sich das durchschnittliche Einkommen der Arbeitnehmer bei einer radikalen Umverteilung entsprechend dem Egalitätsprinzip im Augenblicke der Umverteilung ändern würde. In Wirklichkeit müssen wir davon ausgehen, dass sich bei einer radikalen Umverteilung längerfristig die Einkommensverteilung zuungunsten der Arbeitnehmer entwickeln würde. Diese Verschlechterung hängt damit zusammen, dass die gesamtwirtschaftliche Sparneigung von der Einkommensverteilung abhängt und mit wachsender Nivellierung zurückgeht.

 

Mit steigendem Einkommen nimmt nämlich erfahrungsgemäß die Sparquote zu. Dadurch, dass es bei einer Egalität überhaupt keine hohen Nettoeinkommen mehr geben wird, wird insgesamt weniger gespart, der Zinssatz steigt und dies wiederum verringert das Investitionsvolumen. Verringert sich jedoch die Investitionsquote, so verringert sich das wirtschaftliche Wachstum, das Inlandsprodukt und auch die Lohneinkommen wachsen nun in geringerem Maße als bisher. Bei einem geringeren Wachstum der Lohneinkommen wird der Abstand zwischen dem Lohneinkommen, das ohne Umverteilung erreicht worden wäre und dem Lohneinkommen, das aufgrund der Umverteilung erwartet werden kann, immer geringer. Es gibt in der Zukunft einen Break-Even-Point, von dem ab die Lohneinkommen trotz Umverteilung zugunsten der Lohnempfänger geringer ausfallen als dann, wenn auf diese Umverteilung verzichtet worden wäre.

 

Machen wir uns diese Zusammenhänge anhand einer Graphik klar. Auf der Abszissenachse tragen wir die Zeit ab, auf der Ordinatenachse jedoch das jeweilige durchschnittliche Lohneinkommen. Als erstes zeichnen wir den Verlauf des durchschnittlichen Lohneinkommens auf, der sich ergeben würde, wenn keine weitergehende Umverteilung als bisher durchgeführt würde und wenn deshalb aufgrund des hohen Differenzierungsgrades der Einkommen und Vermögen mit einer relativ hohen Ersparnis und damit auch Wachstumsrate gerechnet werden könnte. Die relativ hohe Wachstumsrate drückt sich in unserer Graphik in einem steilen Verlauf aus.

 

Als zweites zeichnen wir in dieses Diagramm den zeitlichen Verlauf der Lohneinkommen ein, der erwartet werden könnte, wenn eine zusätzliche Umverteilung zugunsten der Empfänger niedriger Einkommen durchgeführt würde. Gerade wegen der Umverteilung liegt das durchschnittliche Lohneinkommen im Zeitpunkt 0 höher als ohne Umverteilung. Da aber wegen der geringeren Ersparnis die Wachstumsrate geringer ausfällt, ist auch die Steigung des Wachstumspfades nun geringer als ohne zusätzliche Umverteilung. Aus diesen Gründen schneiden sich diese beiden Kurven in einem kritischen Zeitpunkt z0 mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt das Lohneinkommen bei Umverteilung geringer ausfällt als ohne Umverteilung:

 

 

 

 

 

5. Gründe für eine Vermögensdifferenzierung

 

Wir hatten weiter oben bereits gesehen, dass der Differenzierungsgrad in den Einkommen und Erwerbsvermögen zum Teil durch einige gravierende politische Fehlentscheidungen in der Vergangenheit stark angestiegen ist. Unabhängig von diesen politischen Entscheidungen sind jedoch auch quasi natürliche Faktoren dafür verantwortlich, dass auch in einer funktionierenden Marktwirtschaft Einkommen und Vermögen ungleich verteilt sind, es liegt also in der Natur einer marktwirtschaftlichen Ordnung, dass die materiellen Ressourcen ungleich verteilt sind.

 

Das wirtschaftliche Ergebnis, also die Wertsumme aller produzierten Güter wird im Wesentlichen vom Einsatz aller Produktionsfaktoren bestimmt und zu den Produktionsfaktoren zählen auf der einen Seite die Arbeitskraft sowie das Eigentum an Kapital einschließlich des Bodens. Fragen wir uns zunächst, wovon es denn abhängt, wie der Produktionsfaktor Arbeit auf eine Bevölkerung verteilt ist. Zunächst könnte man davon ausgehen, dass gerade im Hinblick auf diesen Produktionsfaktor eine natürliche weitgehend gleiche Verteilung auf die einzelnen Individuen gegeben ist.

 

Wenn wir einmal die im Altertum vorherrschende Möglichkeit, dass Menschen versklavt und damit in das Eigentum anderer Individuen fallen können, als unmoralisch verwerfen, verfügt jeder Einzelne über genau eine und nur eine, nämlich seine Arbeitskraft und für jeden hat der Tag genau 24 Stunden. Natürliche Unterschiede sind dann zunächst nur dadurch vorgegeben, dass ein Teil der Menschen aus Krankheitsgründen in der Ausübung der Arbeit behindert ist, dass weiterhin die Lebensdauer sehr unterschiedlich ausfällt und dass schließlich auch natürliche Faktoren gewisse Unterschiede in der physischen Arbeitskraft der Einzelnen aufweisen. Diese Unterschiede halten sich jedoch durchaus in Grenzen.

 

Größere Unterschiede ergeben sich aus der Qualität der Arbeitskraft. Zwar lässt sich die Qualität einer Arbeitskraft durch Ausbildung verbessern. In der Vergangenheit hatten nicht alle Jugendlichen Zugang vor allem zu den weiterführenden Schulen, sei es, dass den Jugendlichen aus Arbeiterfamilien der Zugang zu diesen Ausbildungsstätten verwehrt wurde oder sei es, dass diese Jugendlichen nach Beendigung der Grundschulausbildung unmittelbar erwerbstätig werden mussten, da die Eltern darauf angewiesen waren, dass ihre Kinder baldmöglichst für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen und unter Umständen das elterliche Einkommen, das im Alter zurückging, aufzubessern hatten.

 

Der Verbesserung der Qualität der Arbeitskraft sind jedoch eindeutig natürliche Grenzen gesetzt. Es ist nicht möglich, alle Jugendlichen zu einer gleichhohen Qualität allein durch Teilnahme an den weiterführenden Schulen heranzuführen. Nicht jeder Jugendliche hat sozusagen den Marshallstab im Gepäck. Es gibt erblich bedingte Begabungen, welche sich von Individuum zu Individuum sowohl in der Art als auch im Umfang der Begabung unterscheiden. So hat sowohl im Hinblick auf handwerkliche Fähigkeiten, weiterhin künstlerischen und intellektuellen als auch auf Führungsqualitäten immer nur eine äußerst geringe Zahl von Individuen Höchstleistungen erreicht, es gibt in der Musik nur wenige mit Wolfgang Amadeus Mozart vergleichbare Begabungen genauso wie es auch nur wenige Wissenschaftler gibt, welche das Begabungsniveau eines Albert Einstein erreicht haben.

 

Diese Unterschiede treten vor allem auch im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wachstum auf. Ein hohes wirtschaftliches Wohlfahrtsniveau und vor allem ein permanentes Wachstum des Inlandsproduktes lässt sich nur aufgrund eines anhaltenden technischen Fortschritts garantieren. Technischer Fortschritt, welcher sich darin äußert, dass neue Produkte kreiert werden und sowohl Kostensenkungen als auch Qualitätsverbesserungen der bereits bekannten Produkte ermöglicht werden, ist einer relativ kleinen Gruppe von Erfindern zu verdanken. Wesentliche Verbesserungen des Lebensstandards verdanken wir weniger der Fülle von Mini-Erfindungen, sondern lassen sich auf wenige grundlegende Erfindungen einiger weniger Forscher zurückführen. Joseph Alois Schumpeter ging davon aus, dass die langfristigen von Kondratief nachgewiesenen etwa 40 bis 50 Jahre dauernden Konjunkturzyklen von solchen grundlegenden Erfindungen (wie etwa des Webstuhls, der Dampfkraft oder des Elektromotors) ausgelöst wurden und mehrere Konjunkturaufschwünge im Sinne der 8 bis 9 Jahre dauernden Juglar-Konjunkturzyklen alimentiert haben.

 

In einer marktwirtschaftlichen Ordnung, in welcher das persönliche Einkommen weitgehend dadurch bestimmt wird, welchen Beitrag der Einzelne zur allgemeinen materiellen Wohlfahrtssteigerung beiträgt, wird sich notwendiger Weise auch die Einkommensverteilung an dieser Verteilung der natürlichen, erbbedingten Begabungen ausrichten. Der Markt wird deshalb nie von selbst eine möglichst egalitäre Verteilung der Einkommen herbeiführen. Zwar kann dadurch, dass allen Begabten ein Zugang zu den weiterführenden Ausbildungseinrichtungen erlaubt wird, diese Differenzierung etwas abgebaut werden, es bleibt jedoch stets bestehen, dass einige wenige aufgrund ihrer Begabung in einer Marktwirtschaft ein weit höheres Einkommen beziehen als der Rest der Bevölkerung. Und für denjenigen, der das Leistungsprinzip bejaht, ist eine solche auf Leistungsunterschiede basierende Differenzierung auch durchaus berechtigt. Und wer sich an dem von John Rawls formulierten Maximinprinzip ausrichtet, wird eine Zunahme derjenigen, welche weniger als 60% des Pro-Kopf-Einkommens erhalten, durchaus akzeptabel erscheinen, sofern sich nur das Einkommen der Ärmsten nicht absolut verringert hat.

 

Solche gravierenden Leistungsunterschiede lassen sich aufgrund unterschiedlicher Begabungen auch in anderen Gesellschaftsbereichen wie zum Beispiel im Leistungssport feststellen. Es ist immer nur eine verschwindend kleine Minderheit, der es gelingt, Höchstleistungen hervorzubringen und diese noch Jahr für Jahr zu steigern. Auch hier wird man es einfach hinnehmen müssen, dass sich Jahr für Jahr aufgrund dieser Höchstleistungen der Abstand zwischen dem sportlichen Leistungsniveau der Spitzensportler und der allgemeinen Bevölkerung immer mehr vergrößert. Man stelle sich vor, man würde hier eine Norm aufstellen, nach welcher verhindert werden müsse, dass dieser Abstand Jahr für Jahr größer wird. Man könnte dieses Ziel ja nur dadurch erreichen, dass man entweder den Spitzenathleten verbietet, sich um weitere Leistungssteigerungen zu bemühen oder jeden Bürger zwingen würde, Jahr für Jahr seine sportlichen Leistungen zu verbessern.

 

Es fragt sich deshalb, ob es nicht einfach tolerierbar erscheint, dass einzelne Bürger dann, wenn sie tatsächlich zu einer allgemeinen Wohlfahrtssteigerungen beitragen, auch den Einkommensabstand zur gesamten Bevölkerung vergrößern und damit auch zwangsweise bewirken, dass ein immer größerer Teil der Bevölkerung weniger als 60% des Pro-Kopf-Einkommens erhält. Viel wichtiger ist die Frage, ob alle Bürger, auch die Ärmsten ein absolutes Einkommen erhalten, welches ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und gegebenenfalls die weitere Frage, ob gewisse Einkommensunterschiede auf – als mit den Verteilungsprinzipien unvereinbare – Ursachen zurückzuführen und deshalb zu bekämpfen sind.

 

Fragen wir uns nun, inwieweit Unterschiede im Einkommen auf Unterschiede in der Verteilung des Produktionsfaktors Kapital (einschließlich des Bodens) zurückzuführen sind. Ausgangspunkt soll hierbei die Feststellung sein, dass die marktwirtschaftliche Verteilung der Einkommen immer aus der Verteilung der materiellen Ressourcen, also insbesondere des Vermögens hervorgeht, sodass eine gerechte Verteilung der Einkommen auch eine gerechte Verteilung der Vermögen voraussetzt. Das Vermögen entsteht hierbei dadurch, dass Teile des Einkommens gespart werden.

 

Unterschiede im Vermögen lassen sich hierbei zunächst immer, aber auch nur dann mit dem marktwirtschaftlichen Leistungsprinzip rechtfertigen, wenn der Einzelne entweder aus eigenen Anstrengungen ein höheres Einkommen als andere erzielt hat und deshalb in der Lage war, einen höheren absoluten Betrag zu sparen oder wenn er bei gleichem Einkommen einen überdurchschnittlich hohen Anteil am Einkommen der Ersparnis zuführt. Hier sind es die eigenen, in der Vergangenheit erbrachten Anstrengungen, welche zu einem höheren Vermögen geführt haben und die es deshalb auch ermöglichen, in der Gegenwart und Zukunft ein höheres Einkommen zu erreichen.

 

Nun stellt die Ersparnis nicht die einzige Möglichkeit dar, Vermögen zu bilden. Vermögen kann auch auf legale Weise durch Vererbung gebildet werden. Im Todesfalle werden in aller Regel die Vermögen der Eltern auf ihre Kinder übertragen. Eine solche Vermögensbildung entspricht sicherlich nicht dem marktwirtschaftlichen Leistungsprinzip. Der Erbe hat ja für das vererbte Vermögen keinen eigenen Beitrag geleistet. Trotzdem lässt sich das Institut der Vererbung von Vermögen aus wachstums- und familienpolitischen Gründen durchaus rechtfertigen.

 

Wachstumspolitisch trägt sicherlich der Umstand, dass Eltern ihr Vermögen an ihre Kinder weitervererben können, dazu bei, ihren Leistungswillen zu stärken und sichert auf diese Weise auch den Erhalt und die Vermehrung der allgemeinen Wohlfahrt. Familienpolitisch trägt die Möglichkeit der Vererbung zum Familienerhalt bei. Der Umstand, dass die Kinder damit rechnen können, dass sie nach dem Tode ihrer Eltern durch Vererbung Vermögen erhalten können, verstärkt die Bereitschaft der Kinder, am Zusammenhalt der Familie festzuhalten. Der Familie kommt in unserer Gesellschaft nach wie vor eine positive Funktion zu, es sind die Familien, in denen Kinder geboren und zumindest in den ersten Jahren erzogen werden auch dann, wenn die Familie gegenüber dem Mittelalter eine Reihe von Aufgaben (wie z. B. die berufliche Erziehung sowie die Sicherung im Alter und bei Krankheit) in der Zwischenzeit an außerfamiliäre Einrichtungen (Schulen und Sozialversicherung) abgetreten hat.

 

Die Möglichkeit, Vermögen an die Kinder zu vererben, trägt nun allerdings auch auf indirekte Weise dazu bei, den Differenzierungsgrad der Vermögen höher werden zu lassen als er ohne diese Möglichkeit wäre. Weiter oben haben wir bereits gesehen, dass eine Vererbung zwar den Differenzierungsgrad selbst nicht unmittelbar erhöht, eher sogar etwas verringert. Wenn über die Vererbung indirekt und langfristig trotzdem der Differenzierungsgrad höher ausfällt als ohne diese Möglichkeit, so liegt dies in dem Umstand, dass ein Jugendlicher dann, wenn er ins Erwerbsleben eintritt, bei Vererbung bereits über Vermögen verfügt und deshalb im Verlaufe seines Erwerbslebens auch im Allgemeinen ein höheres Vermögen erwirtschaften kann als dann, wenn er stets ohne jegliches Vermögen seine berufliche Laufbahn beginnen müsste. Und da auch die vererbte Vermögensmasse bei den einzelnen Erben sehr unterschiedlich hoch ist, erwächst aus diesem Umstand selbst wiederum eine Zunahme des Differenzierungsgrades der Vermögen.

 

Wie wir bereits gezeigt haben, werden diese Tendenzen dadurch etwas abgeschwächt, dass der Staat in aller Regel einen hohen Anteil der Vererbungsmasse in der Form einer Erbsteuer vereinnahmt und dass immer dann, wenn mehrere Kinder erben, die Erbmasse geteilt werden kann. Im altertümlichen Israel gab es darüber hinaus das sogenannte Jubeljahr, wonach alle 50 Jahre die Sklaven in die Freiheit entlassen wurden, ein Schuldenerlass gewährt wurde und der verkaufte Boden zurückgegeben werden musste (3. Buch Moses, Kapitel 25, Vers 8). Auch wenn auf diese Weise einer zu starken Differenzierung in den Vermögen entgegengewirkt wurde, erwies sich diese Einrichtung des jüdischen Jubeljahres als wachstumshemmend, da immer kurz vor Eintreten dieses Jubeljahres der Leistungsantrieb rapide zurückging, da ja der einzelne davon ausgehen musste, die Vergütung für seine Leistung zu verlieren.

 

Wirtschaftliches Wachstum hängt nun entscheidend neben dem technischen Fortschritt auch vom Umfang des bei der Produktion eingesetzten Kapitals ab. Nebenbei bemerkt steht diese Aussage in keinem Widerspruch zu dem Ergebnis der neoklassischen Wachstumstheorie, wonach die gleichgewichtige Wachstumsrate einer Volkswirtschaft vom Umfang des eingesetzten Kapitals unabhängig ist. Auch die neoklassische Theorie kommt zu dem Ergebnis, dass das Wachstumsniveau im Gegensatz zur Wachstumsrate sehr wohl vom Umfang des eingesetzten Kapitals abhängt.

 

Der Umfang des gesamtwirtschaftlichen Kapitalangebotes hängt jedoch unmittelbar von der Einkommensverteilung ab. Je höher das Einkommen eine Wirtschaftssubjektes ist, um so höher ist seine Ersparnis, sowohl im Hinblick auf die gesamte Sparsumme als auch dem Anteil der Ersparnis am Einkommen (der sogenannten Sparneigung). Wird also bei gegebenem Volkseinkommen das Einkommen zugunsten der Reicheren umverteilt, steigt die von der gesamten Bevölkerung zurückgelegte Sparsumme, was natürlich auch bedeutet, dass eine politisch durchgeführte Nivellierung im Allgemeinen das wirtschaftliche Wachstum beeinträchtigt. Also auch dann, wenn man sich durch politische Maßnahmen darum bemüht, dass ein größerer Teil der Bevölkerung als bisher Vermögen bildet und eine breitere Streuung des Vermögens erzielt würde, müsste damit gerechnet werden, dass hierdurch das durchschnittliche Einkommen verringert würde und dass auch die Arbeitnehmer trotz der zusätzlichen Zinserträge auf Dauer keinesfalls immer ein höheres Gesamteinkommen erreichen würden.

 

Für die Höhe des Wachstumsniveaus kommt es jedoch nicht allein auf den Umfang des eingesetzten Kapitals an. Viel entscheidender ist der Umstand, dass bei jeder Produktion Risiken eintreten und dies bedeutet, dass Produktion und Wachstum nur gesichert sind, wenn die Kapitalgeber auch bereit sind, mit der Zurverfügungstellung von Kapital Risiken einzugehen, also Risikokapital anbieten. Und im Hinblick auf die Bereitschaft, Risikokapital anzubieten, gilt in noch viel stärkerem Maße als im Zusammenhang mit dem bloßen Umfang des Kapitalangebotes, dass Produktion und Wachstum gefährdet sind, wenn die Bereitschaft zum Angebot an Risikokapital fehlt.

 

Nun müssen wir davon ausgehen, dass die Masse der Bevölkerung risikoscheu ist, dass also keinesfalls damit gerechnet werden könnte, dass bei einer breiten Streuung des Erwerbsvermögens das zur Verfügung gestellte Risikokapital ausreichen würde, um das für die Produktion, aber insbesondere für die Investitionen und die Innovationen notwendige Kapital bereitzustellen.

 

Man wird auch nicht erwarten können, dass die Empfänger geringen und mittleren Einkommens mit einem relativ geringen Vermögensbesitz überhaupt in der Lage sind, größere Risiken einzugehen. Größere Risiken kann nur derjenige eingehen, der über soviel Vermögen verfügt, dass nicht jeder auftretende Misserfolg zu einer totalen Zahlungsunfähigkeit führt. Wer nur über ein geringes Vermögen verfügt, kann dieses zwar in Aktien anlegen, die hierbei eingegangene Haftung ist gerade aufgrund dieser Beschränkungen auf die Einlagen beschränkt. Da der Umsatz einer Unternehmung zumeist ein Vielfaches des eingesetzten Kapitals ausmacht, reicht bei einem unternehmerischen Misserfolg zumeist auch nicht das Eigenkapital aus, um alle Verluste zu decken. Entweder würden deshalb bei einer breiten Streuung des Erwerbsvermögens risikoreiche Investitionen unterbleiben und das wirtschaftliche Wachstum wäre beeinträchtigt oder aber der Staat und mit ihm die Steuerzahler werden herangezogen, wenn die Investitionen nicht den erhofften Gewinn gebracht haben und die Gefahr besteht, dass größere Unternehmungen pleite gehen und damit die gesamte Wirtschaft lahmlegen.

 

Unsere Überlegungen haben also gezeigt, dass eine Marktwirtschaft nur bei einer gewissen Differenzierung der Einkommen und Vermögen überhaupt ein stetiges Wachstum ermöglicht. Ein politischer Handlungsbedarf besteht deshalb auch gar nicht so sehr deshalb, weil die Vermögenskonzentration angestiegen ist und eine bestimmte Grenze überschritten hat. Bedenklich wird eine Vermögensverteilung genau dann, wenn bestimmte Prinzipien verletzt wurden, welche für ein befriedigendes Ergebnis einer Marktwirtschaft unerlässlich sind. Unbefriedigend werden die Marktergebnisse dann, wenn Gewinne aufgrund von Monopolstellungen entstehen und vor allem dann, wenn das Haftungsprinzip so durchlöchert wird, dass Unternehmer zwar bei erfolgreichen Investitionen hohe Gewinne einstreichen können, wenn aber der Staat die Zeche begleichen muss, falls die unternehmerischen Aktivitäten zu hohen Verlusten führen.