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Vom Sinn und Unsinn des Zitierens

 

Gliederung:

 

  1. Vorbemerkung

  2. Ziel dieser Arbeit

  3. Der Sinn des Zitierens

  4. Zielerreichung

  5. Verfälschung der Absicht durch Verkürzung wörtlicher Zitate

  6. Die Rolle unverständlicher Theorien

  7. Wann sind Ideen ‚neu‘?

  8. Dogmengeschichtliche Erfahrungen

  9. Wissenschaft als umfassendes Wissensgebäude

10. Geistiges Eigentum als Individualgut?

11. Patentgesetzgebung

12. Schlussbemerkungen

 

 

 

 

 

1. Vorbemerkung

 

Nach dem sich die Wogen über die Plagiatsvorwürfe gegenüber Karl-Theodor zu Guttenberg etwas gelegt haben, hoffe ich, dass die Bereitschaft wieder gestiegen ist, sich sachlich mit der Zitierpraxis auseinanderzusetzen. Hetzjagden eignen sich im Allgemeinen sehr wenig zu einer sachlichen Aus­einander­setzung über Sachthemen.

 

Vorweg möchte ich betonen, dass ich in diesem Artikel auf die konkreten Plagiatsvorwürfe gegenüber Karl-Theodor zu Guttenberg nicht eigens eingehen möchte. Um zu überprüfen, inwieweit Plagiats-vorwürfe in einem konkreten Einzelfall zu Recht bestehen und vor allem wie schwer diese Vorwürfe einzustufen sind – auch in diesem  Zusammenhang gibt es so etwas wie Todsünden und lässliche Sünden oder um einen anderen Vergleich zu wählen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten – bedarf es vertiefter Kenntnisse über den Gesamtbereich des in der wissenschaftlichen Arbeit gewählten Themas, weiterhin über die lehrgeschichtliche Entwicklung auf diesem Gebiet und auch über die Frage, inwieweit es sich bei den monierten Zitierstellen um wissenschaftlich neue Kenntnisse handelt oder inwieweit diese Stellen nur Allgemeinwissen auf diesem Gebiet weitergeben.

 

Es handelt sich bei der missglückten Dissertation von Herrn von Guttenberg um eine rechtswissen­schaftliche Arbeit. Ich selbst verstehe mich als Wirtschaftswissenschaftler, der selbstverständlich diesen Überblick über ein ganz anderes Wissenschaftsgebiet nicht haben kann und deshalb auch die Beurteilung des Plagiats­vorwurfes nicht endgültig beurteilen kann, auch dann nicht, wenn sehr wohl enge Berührungspunkte zwischen Wirtschaftswissenschaft und Rechtswissenschaft bestehen und ich mich wiederholt mit Grenzfragen zwischen der Wirtschafts- und Rechtswissenschaft befasst habe.

 

Um über die Schwere eines Plagiatsvorwurf zu entscheiden, bedarf es schon etwas mehr an Kenntnissen als die Fähigkeit, eine Internetsuchmaschine bedienen zu können, zumal auch heute noch nur ein Bruchteil der wirklichen theoretischen Erneuerungen im Internet zugänglich ist. Gerade eine solche vorzeitige Veröffentlichung neuerer Theorien würde einem Plagiat Tür und Tor öffnen, da durch solche Veröffentlichungen Mitkonkurrenten im Bemühen um wissenschaftlichen Fortschritt erfahren würden, wieweit andere Wissenschaftler bei der Lösung der selbst untersuchten Probleme bereits gekommen sind und da diese Mitkonkurrenten auf diese Weise aufgrund dieses Wissens über die Fortschritte der anderen nicht gerechtfertigte Vorteile erlangen könnten.

 

Herr von Guttenberg hatte wie jeder Doktorand bei der Abgabe seiner Dissertation eine eidesstaatliche Erklärung abzugeben, dass er alle wörtlich übernommenen Stellen als solche gekenn­zeichnet hat, das ist nachweislich nicht geschehen und deshalb war es nur konsequent, dass Herr von Guttenberg seinen Antrag auf das Dissertationsverfahren zurückgezogen hat und dass ihm deshalb die Doktorwürde nicht verliehen werden konnte.

 

 

2. Ziel dieser Arbeit

 

Ich spreche vom „Sinn“ des Zitierens, weil ich durchaus der Überzeugung bin, dass die geltenden Zitiervorschriften zweckmäßig sind, ich spreche aber auch vom ‘Unsinn‘ des Zitierens, da dieses Prinzip oftmals überstrapaziert wird. Vor allem werde ich zeigen, dass man auf der einen Seite sehr wohl korrekt zitieren kann und trotzdem ein Plagiat sogar gravierender Art begehen kann und dass auf der anderen Seite auch jemand, der nicht korrekt zitiert hat, unter Umständen kein ernst zunehmendes Plagiat begangen hat. Es bleibt natürlich auch in diesem letzteren Falle bestehen, dass derjenige, welcher zum Erwerb eines akademischen Grades eine eidesstaatliche Erklärung unterschrieben hat, dass er alle wörtlich übernommenen Zitate als solche gekennzeichnet hat, eine ernstzunehmende Verletzung des Wahrheits­gebotes begangen hat.

 

Mir geht es in diesem Artikel in erster Linie um das allgemeine Problem, was man mit Zitiervorschriften erreichen will (welche Ziele man also damit verfolgt) und inwieweit man durch Zitiervorschriften diese Ziele auch erreichen kann. Ich verstehe also eine Vorschrift über das Zitieren als ein Mittel zur Sicherstellung bestimmter Ziele und wie bei jeder Mittelanalyse gilt es zu überprüfen, inwieweit denn diese Mittel in der Lage sind, diese Ziele auch zu erreichen und inwieweit das vorschriftsgemäße Zitieren eine notwendige und ausreichende Bedingung dafür darstellt, dass Plagiate vermieden werden.

 

Auch bei dieser Vorschrift muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass rein formal gesehen die Zitiervorschriften haargenau eingehalten werden und dass trotzdem das Ziel, um dessentwillen diese Vorschrift eingeführt wurde, verletzt wurde. Vor allem ist es nicht möglich, allein aus der Anzahl der nicht apostrophierten wörtlichen Zitate bereits über die Schwere des vorliegenden Plagiatsvorwurfes zu entscheiden.

 

 

3. Der Sinn des Zitierens

 

Fragen wir uns deshalb als erstes nach den Zielen, welche mittels der Zitiervorschriften erreicht werden sollen.

 

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf drei Ziele aufmerksam machen, die mit diesen Zitier­vorschriften verbunden werden können. Als erstes will man auf diese Weise ein Plagiat verhindern oder etwas vorsichtiger ausgedrückt, die Wahrscheinlichkeit vermindern, dass Plagiate gemacht werden. Wie bei jeder Vorschrift oder jedem Gesetz ist nämlich nicht damit zu rechnen, dass auch die Zitiervorschriften in praxi restlos in jedem einzelnen Falle eingehalten werden. Wir leben in einer unvollkom­menen Welt, in der es immer einen kleinen Prozentsatz an Übertretungen jeglicher Vorschriften gibt. Dieser Prozentsatz ist im Allgemeinen aber so gering, dass trotz dieser Übertretungen ein normales Arbeiten möglich ist. Diese Überlegungen gelten auch für die Zitiervorschriften, es entsteht also kein großer Schaden, wenn in einigen wenigen Fällen falsch zitiert wird.

 

Von einem Plagiat spricht man immer dann, wenn jemand wissentlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse als eigene ausgibt, obwohl er diese von einem anderen abgeschrieben (übernommen) hat. Man will also mit anderen Worten verhindern, dass sich Autoren wissenschaftlicher Abhandlungen ‚mit fremden Federn schmücken‘. Es soll klar gemacht werden, wer denn wohl als erster eine bestimmte Theorie oder auch nur einen neuen Gedanken veröffentlicht hat und wer bestimmte Gedanken einfach nur von einem anderen übernommen hat, was als solches durchaus erwünscht und auch notwendig sein kann, aber eben nicht als eigene Leistung gekennzeichnet werden sollte.

 

Die Zitiervorschriften dienen weiterhin dem Zweck, auch denjenigen zu schützen, der die Schriften des Zitierenden liest. Wenn ein Autor über die Theorien und Gedanken anderer Autoren berichtet, weiß der Leser dieser Schriften nie, wieweit diese anderen Autoren richtig dargestellt wurden. Wenn nun Teile dieser Gedanken wörtlich zitiert werden und als solche auch gekennzeichnet werden, kann der Leser davon ausgehen, dass er bestimmte Passagen des zitierten Autors selbst zur Kenntnis genommen hat, er kann also davon ausgehen – allerdings wie wir noch sehen werden nicht mit absoluter Sicherheit –, dass diese Gedanken auch richtig dargestellt wurden.

 

Drittens schließlich können die Zitiervorschriften auch demjenigen, der über andere Autoren berichtet, einen gewissen Schutz verleihen. Ein Autor, der über andere Autoren berichtet und deren Werke auslegt, läuft stets die Gefahr, dass ihm vorgeworfen wird, er habe den zitierten Autor falsch ausgelegt. Hier kann der zitierende Autor darauf hinweisen, dass er bestimmte (die in seinen Augen wichtigsten) Passagen wörtlich übernommen hat, sodass sich der Leser selbst über die Richtigkeit dieser Ausführungen überzeugen kann.

 

 

4. Zielerreichung

 

Inwieweit handelt es sich nun bei den geltenden Zitiervorschriften um ein Mittel, das die Erfüllung der genannten Ziele garantiert? Ich hatte bereits weiter oben darauf hingewiesen, dass die geltenden Zitiervorschriften weder eine ausreichende noch eine notwendige Bedingung dafür darstellen, dass die genannten Ziele (vor allem die Verhinderung von Plagiaten) erreicht werden.

 

Die geltenden Vorschriften sind erstens nicht ausreichend. Ein Autor kann sehr wohl auch ein sehr schwer wiegendes Plagiat begehen, obwohl er alle übernommenen wörtlichen Passagen entsprechend den Zitier­vorschriften als Zitate gekennzeichnet hat. Für die Frage, ob ein Plagiat vorliegt oder nicht und wie schwer diese Verstöße wiegen, ist allein von Bedeutung, dass immer dann, wenn ein Autor neue Gedanken und Theorien, welche von anderen Autoren bereits vorgetragen wurden, vorstellt, dem Leser klar gemacht wird, dass diese Gedanken bereits von einem anderen Autor entwickelt wurden und welcher Autor diese Gedanken erstmals entwickelt hat. Auch dann, wenn keine wörtlichen Zitate übernommen werden, können nämlich sehr wohl fremde Gedanken anderer Autoren übernommen werden, ohne dass der Leser erfährt, dass diese Gedanken bereits von anderen gedacht und öffentlich gemacht worden sind.

 

Das einzige, was man in diesem Zusammenhang sagen kann, besteht darin, dass dann, wenn wörtliche Zitate angeführt werden, es dem Leser erleichtert wird, sich ein Bild darüber zu machen, was nun von dem Autor selbst entwickelt wurde und was bereits von anderen Wissenschaftlern erforscht wurde und nun von dem Autor übernommen wurde.

 

Die geltenden Vorschriften sind zweitens auch nicht notwendig, um ein Plagiat zu verhindern. Es ist durchaus denkbar, dass ein Autor durchaus korrekt über die Theorien und Gedanken anderer Autoren berichtet, aber diesen Bericht mit keinem wörtlichen Zitat untermauert. Er mag sogar einzelne Passagen aus den Werken anderer Autoren wörtlich übernehmen und diese fälschlicher Weise nicht als Zitate kennzeichnen, ohne ein schwerwiegendes Plagiat zu begehen. Natürlich hat er hier gegen die geltenden Zitiervorschriften verstoßen und wenn diese Verstöße im Zusammenhang mit der Erlangung eines akademischen Grades begangen wurden, hat er auch nicht die Voraussetzungen erfüllt, die zur Erlangung dieses akademischen Grades notwendig sind.

 

Für die Frage jedoch ob ein Plagiat vorliegt und vor allem wie schwer es wiegt, ist allein von Bedeutung, ob sich der Autor ‚mit fremden Federn schmückt‘, ob er also wissentlich beim  Leser den falschen Eindruck hervorruft, bestimmte von anderen Autoren übernommenen Gedanken selbst entwickelt zu haben. Dies ist jedoch in dem oben konstruierten Beispiel nicht der Fall.

 

Eine Notwendigkeit zum wörtlichen Zitieren ergibt sich erst dann, wenn ein Autor über Theorien anderer berichtet und diese Auslegungen in der Folge von anderen Wissenschaftlern angezweifelt werden. Hier kann es unerlässlich sein, dass ein Autor seine Interpretationen mit wörtlichen Zitaten belegt und durch eine Kennzeichnung dieser Passagen als Zitate untermauert. Hier steht jedoch nicht so sehr das Ziel im Vordergrund, ein Plagiat zu verhindern, sondern das Ziel, dem Leser dieser Ausführungen die Sicherheit zu geben, dass diese Auslegungen fremder Autoren korrekt erfolgte und weiterhin das Ziel, den zitierenden Autor gegen unberechtigte Vorwürfe, er habe die Lehren anderer Autoren falsch wiedergeben, zu schützen.

 

 

5. Verfälschung der Absicht durch Verkürzung wörtlicher Zitate

 

Aber auch dann, wenn in formaler Hinsicht korrekt zitiert wird, besteht durchaus die Gefahr, dass die Ansichten des Zitierten trotz wörtlicher Zitate verfälscht wiedergegeben werden. Das beste Beispiel für diese Möglichkeit ist die Emser Depesche.

 

Zur Erinnerung:  Im Jahre 1868 war der spanische Thron verwaist, da die bisherige Königin Isabella vertrieben wurde. Die Spanier bemühten sich um eine Kandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen. Der französische Kaiser Napoleon III. setzte sich bei dem preußischen König Wilhelm I. dafür ein, mit aller Gewalt diese Thronfolge zu verhindern, er drohte auch mit Krieg, falls es dazu komme, da er befürchtete, dass Frankreich in diesem Falle von einer Allianz zwischen Spanien, Österreich und Preußen eingekreist werde. Es fanden mehrere Gespräche zwischen dem französischen Botschafter und dem deutschen Kaiser statt, in denen Frankreich darauf drang, dass sich der preußische König öffentlich festlegte, eine solche Kandidatur  nicht zu dulden. Auch nachdem der Prinz Leopold auf eine Kandidatur verzichtet hatte, bestand Frankreich nach wie vor auf eine formelle Ablehnung einer Kandidatur des Prinzen Leopold auch für alle Zukunft.

 

König Wilhelm I. lehnte dieses Ansinnen ab, da es seiner Meinung nach einer Demütigung Preußens gleichkäme. Nach seinem letzten Gespräch in dieser Sache mit dem französischen Botschafter Graf Benedetti in Bad Ems, ließ der König Bismarck eine Depesche zukommen, in der er mitteilen ließ, dass er es gegenüber Graf Benedetti abgelehnt habe, sich für alle Zeiten in dieser Frage festzulegen, im übrigen erwarte er noch einen ausführlichen Bericht seitens Bismarck und könne deshalb ohnehin noch nichts endgültiges sagen.

 

In einem weiteren Absatz erwähnt die Depesche, dass er (der König) in der Zwischenzeit den Bericht Bismarcks erhalten habe und dass er durch einen Adjutanten dem französischen Botschafter sagen ließ, dass er diese Nachricht nun erhalten habe, dass sich aber seine ablehnende Haltung seit dem letzten Gespräch mit dem französischen Gesandten nicht verändert habe und dass sich deshalb ein weiteres Gespräch erübrige. Die Depesche endet mit dem Hinweis, dass der König Bismarck anheimstelle, den Inhalt dieser Depesche der Presse mitzuteilen.

 

Bismarck ließ nun diese Emser Depesche in einer etwas verkürzten Form veröffentlichen. Es wird darin festgehalten, dass der französische Gesandte auch nach dem offiziellen Rücktritt des Prinzen Leopold von einer Kandidatur auf den spanischen Thron den preußischen König Wilhelm I. aufgefordert habe, für alle Zeiten sich gegen eine Kandidatur von Leopold auszusprechen. Es folgt dann unmittelbar der Satz, der König habe es hierauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, dass Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter zu sagen habe.

 

In dieser Form musste die Verlautbarung des preußischen Königs wie ein Affront gegenüber Frankreich erscheinen, vor allem auch deshalb, weil das französische Büro bei der Übersetzung dieser Depesche ins Französische nicht von einem Adjutanten, sondern von einem Unteroffizier sprach. König Wilhelm hatte jedoch in keiner Weise die Absicht, den französischen Kaiser vor den Kopf zu stoßen und zu beleidigen, er wollte nur zum Ausdruck bringen, dass er eben nicht dem Wunsch des französischen Kaisers in der Sache folgen könne und dass sich seine Meinung in dieser Frage seit der letzten Unterredung mit dem französischen Botschafter nicht verändert habe und dass sich aus diesen Gründen ein weiteres Treffen erübrige.

 

Soweit zur Emser Depesche als Beispiel dafür, dass auch wörtliche Zitate etwas verkürzt den Sinn einer Aussage in ihr Gegenteil kehren können.

 

 

6. Die Rolle unverständlicher Theorien

 

Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb bisweilen der Versuch, durch wörtliche Zitate den Inhalt einer bestimmten wissenschaftlichen Theorie darzustellen, scheitern muss. Nicht jeder Wissenschaftler, der eine neue, vielleicht sogar revolutionäre Theorie entwickelt, besitzt auch die Fähigkeit, die Grundzüge dieser Theorie verständlich darzustellen. Oftmals konnte eine bestimmte neue Idee gerade dadurch innerhalb der Wissenschaft einen Siegeszug starten, dass diejenigen, welche diese Lehre kommentierend darstellten, vom Wortlaut des zitierten Autors abwichen, die Grundzüge vereinfachten, präzisierten und in ein innerhalb des Wissenschaftskreises verständliches Modell einfügten.

 

Ich wage es z. B. zu bezweifeln, ob die von Keynes entwickelte Lehre tatsächlich diesen Siegestriumph erfahren hätte – immerhin waren in den Nachkriegsjahren für lange Zeit  die meisten wirtschaftswissen­­schaftlichen Lehrstühle in der BRD sowie in den angelsächsischen Ländern von Keynesianern besetzt –, wenn die keynesianischen Lehren nur dadurch verbreitet worden wären, dass diese Lehre mit den eigenen Worten von Keynes vorgestellt worden wäre.

 

Diese weite Verbreitung und Popularität konnte die keynesianische Revolution nur dadurch erlangen, dass andere Wissenschaftler, wie vor allem John Richard Hicks, einer der Hauptvertreter der neoklassischen Wertlehre in Abweichung vom Wortlaut der keynes’schen Schriften die Gedankengänge von Keynes vereinfacht, präzisiert und in ein graphisches Modell, das der Denkweise der neueren Wirtschafts­wissenschaft entsprach, gekleidet haben und dass diese Lehren überhaupt erst nach dieser Umformulierung Eingang in fast alle modernen ( makroökonomischen) Lehrbücher finden konnten. Einem wissenschaftlichen Innovator wird man also nicht immer dadurch gerecht, dass man ihn wortwörtlich zitiert.

 

 

7. Wann sind Ideen ‚neu‘?

 

Wir haben oben davon gesprochen, dass wir nur dann von einem Plagiat sprechen, wenn neue wissenschaftliche Ideen ohne Erwähnung der Autoren, welche diese Idee erstmals verbreiteten, als eigene Leistung vorgetragen werden. Es ist nun zu klären, wann wir von neuen Ideen sprechen und warum wir die Zitiervorschrift auf neue Ideen begrenzen wollen.

 

Zunächst mag es durchaus erwünscht erscheinen, alle von anderen Autoren übernommenen Ideen durch Zitate als solche auszuzeichnen, sodass dann nur noch die eigenen Gedanken ohne Zitat aufzuführen wären. Eine solche Auslegung der Zitiervorschrift müsste jedoch zu einem unübersichtlichen und nur schwer lesbaren Sammelsurium von Ideen führen, da im Laufe des letzten Jahrtausends nahezu jeder Gedanke schon einmal in irgendeiner Form gedacht und veröffentlicht worden war.

 

Gerade aus diesen Gründen ist es eine sehr zweckmäßige Praxis, die Notwendigkeit eines wörtlichen Zitats und vor allem der Benennung des Forschers, der diese Erkenntnis als erster formuliert hat, auf Ideen zu begrenzen, die noch keinen Eingang in die Lehrbücher gefunden haben. Man geht hierbei davon aus, dass Theorien immer dann, wenn sie in den meisten gängigen Lehrbücher übernommen wurden, nicht mehr als eine spezielle Theorie angesehen werden, welche sich mit dem Namen eines ganz bestimmten Forschers verbinden, sondern zum allgemeinen Wissensgut gehören, welche mehr oder weniger von allen Lehr- und Forschungsrichtungen anerkannt werden.

 

Bringen wir als Beispiel nochmals die Keynes’sche Lehre, die ja sicherlich nicht von allen wirtschafts­wissen­schaftlichen Richtungen akzeptiert wird. Trotzdem wird wohl in jedem gängigen Lehrbuch zur Makroökonomie das IS-LM-Schema behandelt, das ja auch nicht von Keynes selbst, sondern von J. R. Hicks entwickelt wurde, der der Neoklassik zugerechnet wurde, der aber dieses Schema gewählt hat, um sich besser mit dem keynes’schen Gedankengebäude auseinandersetzen zu können. Keynesianer wie Kritiker der Keynes-Lehre bedienen sich hier dieses Schemas, das nun zu einem von fast allen Wirtschaftswissenschaftlern anerkannten Denkmodell wurde. 

 

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass sehr viele Ideen heute als Allgemeingut zu verstehen sind, die zwar sicherlich irgend wann einmal von einem Denker ausgesprochen und zu Papier gebracht worden sind, bei denen man jedoch heute nicht mehr weiß, von wem genau diese Ideen das erste Mal gedacht wurden und bisweilen noch nicht einmal genau bestimmen kann, in welchem Zeitraum diese Ideen erstmals entstanden sind. Hierbei gilt es vor allem auch zu bedenken, dass viele Gedanken in einer Zeit ausgesprochen wurden, in denen man noch gar nicht die Fähigkeit besaß, Gedanken in schriftlicher Form aufzuschreiben, in der also das erkannte Problem vorwiegend mündlich weitergegeben wurde und auch niemand daran dachte, diese Erkenntnisse bestimmten Personen zuzusprechen.

 

Auch gilt es zu berücksichtigen, dass viele Ideen von denjenigen, die sie aussprechen, nur vermeintlich als neue Gedanken aufgefasst werden, die jedoch in Wirklichkeit sehr viel früher auch von anderen bereits erkannt worden waren, ohne dass also ein echtes Plagiat vorliegt, da ja der einzelne Autor von diesen früheren Bemühungen gar nichts wusste und deshalb guten Glaubens war, dass diese Ideen von ihm selbst formuliert wurden.

 

Oftmals wird auch davon gesprochen, dass bestimmte gedankliche Zusammenhänge sozusagen in der Luft liegen und deshalb von mehreren Autoren etwa zur selben Zeit veröffentlicht werden, die noch nicht einmal in einem regen Gedankenaustausch zu einander stehen. So wurde z. B. ein Teil der von John Maynard Keynes entwickelten Gedanken einige Jahre vorher und unabhängig von Keynes in Deutschland von Carl Föhl und einigen anderen deutschen Forschern entwickelt, die als Deutsch­keynesianer in die Geschichte eingegangen sind.

 

Es ist auch bekannt, dass die Grundzüge der Neoklassik von drei Orten aus und zwar erstens von der Wiener Schule um Carl Menger und von Böhm-Bawerk, zweitens von der Cambridge Schule um Jevons und Alfred Marshall und drittens schließlich von der Lausanner  Schule um G. Walras etwa zur gleichen Zeit entwickelt wurden. Auch ohne die Persönlichkeit eines Carl Menger oder Böhm-Bawerk wären deren Gedankengänge sicherlich von anderen Autoren entwickelt worden, weil in der Tat die realen Vorgänge es nahelegten, einerseits die Gedankengänge der älteren Klassik weiter zu entwickeln und andererseits die Vorherrschaft der historischen Schule zu beenden, welche fast auf allen deutschen Universitäten eine verheerende Unkenntnis in Theorie hervorgebracht hatte.

 

Man sollte also sehr vorsichtig sein mit dem Anspruch, eine wirklich neue Idee entwickelt zu haben. Ich erinnere mich an meine Zeit an der  Kölner Universität als junger Dozent. Wir hatten dort einen Kollegen, welcher immer dann, wenn ein anderer Kollege vermeinte, in einem Vortrag eine neue Idee entwickelt zu haben, darauf hinwies, dass der hier vorgetragene Gedanke bereits von Adam Smith (dem Begründer der modernen Volkswirtschaftslehre) in seinem berühmten 1776 veröffentlichten Werk über ‚Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations‘ auf Seite soundso entwickelt worden war.

 

Jeder, der auch nur eine ungefähre Kenntnis über die wirtschaftswissenschaftliche Lehrgeschichte besitzt, weiß, dass nahezu jede als revolutionäre Bewegung in der Nationalökonomie gefeierte Theorie bedeutende Vordenker hatte, sodass von einer wirklich neuen revolutionären Wende in der Wirtschaftswissenschaft eigentlich gar nicht gesprochen werden kann.

 

 

8. Dogmengeschichtliche Erfahrungen

 

Es war vor allem Joseph Alois Schumpeter, welcher in  seinem dogmengeschichtlichen Hauptwerk ‚The History of Economics‘ aufzeigte, dass z. B. fast alle wichtigen Teile des von Adam Smith und David Ricardo entwickelten klassischen Gedankengutes bereits einige Jahre vorher von andern, zumeist unbekannten Autoren entwickelt wurden, ja dass sogar einige bedeutende der Klassik zugerechnete Erkenntnisse bis weit ins Mittelalter und sogar Altertum zurückreichen.

 

Es war ebenfalls J. A. Schumpeter, welcher in seiner Arbeit ‚Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie‘ aufzuzeigen versuchte, dass Karl Marx im Hinblick auf seine wirtschaftswissenschaftlichen Ausführungen im geistigen Sinne ein getreuer Schüler David Ricardos war und weite Passagen des klassischen Ideenge­bäudes übernahm und nur an einigen Stellen von David Ricardo abwich.

 

So hatte David Ricardo die objektive Kostentheorie für eine Zeit entwickelt, in welcher die land­wirtschaftliche Produktion noch im Vordergrund stand und deshalb das Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag für eine langfristige Stagnation verantwortlich gemacht wurde, während Karl Marx seine Ideen zu einer Zeit entwickelte, in der mit der Industrialisierung die industrielle Produktion im Vordergrund stand, deren Gesetzmäßigkeit vor allem – wie sich Karl Marx ausdrückte – durch die Akkumulation des Kapitals (wir würden heute von einer kapitalintensiven Produktion sprechen) geprägt wurde und ein technischer Fortschritt unterstellt wurde, der arbeitsintensiv war (Karl Marx sprach von der Verschlechterung der organischen Zusammensetzung des Kapitals) und deshalb Arbeitslosigkeit verursachte.

 

Auch die Renaissance der Klassik, die Entstehung der Neoklassik war keinesfalls von den Vertretern der Wiener Schule mit Carl Menger und Böhm-Bawerk neu entwickelt worden. Der Hauptgedanke der Grenznutzenschule, dass die Preise der Güter nicht – wie von der klassischen und marxistischen Lehre unterstellt – letztendlich durch die Kosten bestimmt werden, welche zur Produktion der einzelnen Güter aufgebracht werden müssen, sondern von dem Nutzenzuwachs abhängen, den die Konsumenten beim Konsum dieser Güter erfahren, war bereits sehr viel früher von Gossen dargelegt worden, zu seinen Ehren werden ja die beiden wichtigsten Lehrsätze der Wiener Schule auch als das erste und zweite Gossen‘sche Gesetz bezeichnet.

 

Auch die Keynesianische Revolution war keine echte Revolution, welche völlig neue Gedanken hervorbrachte. John Maynard Keynes führte vielmehr die Gedankengänge fort, welche bereits vor Keynes von den Vertretern der Unterkonsumtionstheorie aufgestellt worden waren.

 

Wir wollen also festhalten, dass im Verlaufe der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrgeschichte die meisten als revolutionär gefeierten Lehren gar nicht so neu waren wie oftmals angenommen, dass sie vielmehr zumeist bereits sehr viel früher von anderen, weniger bekannten Autoren entwickelt worden waren. Weder waren diese Ideen neu in dem Sinne, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit formuliert wurden, noch konnte man dann, wenn tatsächlich gewisse Erneuerungen festgestellt werden konnten,  von einer gravierenden Änderung in der Auffassung über die wirtschaftlichen Zusammenhänge sprechen. Eher ist es richtig, dass die meisten Forscher mit ihrer ‚neuen‘ Theorie lediglich ein i-Tüpfelchen zu der bereits bestehenden Theorie hinzugefügt haben.

 

 

9. Wissenschaft als umfassendes Wissensgebäude

 

Das wissenschaftliche Lehrgebäude der Wirtschaftswissenschaft (und wohl auch aller anderen Wissens­gebiete) besteht eben nicht aus einer Vielzahl einzelner nebeneinanderstehender Einzelhypothesen, sondern aus einem sehr komplexen Geflecht von Aussagen, welche von einander abhängen, sich gegenseitig teils bedingen, teils aber ausschließen und es sind immer nur kleine Korrekturen, welche von den heutigen Forschern an diesem Lehrgebäude angebracht werden.

 

Diese Erkenntnis schmälert allerdings nicht das Verdienst der einzelnen Forscher. Auch dann, wenn bestimmte Teile einer Theorie oder auch ein ganzes Theoriegebäude bereits sehr viel früher entwickelt wurde, kann oftmals durchaus von einem echten Beitrag zur Forschung gesprochen werden. Auf der einen Seite sind unter Umständen bestimmte alte Wahrheiten nicht mehr gegenwärtig, also vergessen worden und es trägt natürlich auch zur Gesamtwohlfahrt einer Bevölkerung bei, wenn diese Wahrheiten nun neu entdeckt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nur, dass ohne diese Wiederentdeckung einer bereits schon früher bekannten Wahrheit der augenblickliche Kenntnisstand und damit auch die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt geringer wären.

 

Vielleicht lag es auch daran, dass die bereits an und für sich bekannten Lehren so unverständlich geschrieben waren, dass in einer mehr populären, verständlicheren Formulierung nun diese an und für sich bereits bekannten, wegen der unverständlichen Ausdrucksweise jedoch kaum verbreiteten Lehren nun größere Beachtung und Anwendung finden konnten. Auch darin kann ein wesentlicher Beitrag bestehen.

 

 

10. Geistiges Eigentum als Individualgut?

 

In der Diskussion um die Plagiatsvorwürfe wurde bisweilen auch die Befürchtung laut, dass durch diese Praktiken Individualrechte gravierend verletzt würden und dass sogar das Recht auf geistiges Eigentum in Gefahr sei. Mir scheinen hier einige Verwechslungen vorzuliegen. Unser Wissen um die Dinge in dieser Welt stellen eben gerade keine Individualrechte zumindest nicht im üblichen Sinne unseres Sprachge-brauchs dar. Unser gesamtes Wissen stellt vielmehr ein Kollektivgut mit den typischen Merkmalen eines solchen Gutes dar, das der gesamten Menschheit dient.

 

Bei der Unterscheidung zwischen Individualgütern und Kollektivgütern wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass der Eigentümer eines Individualgutes im Prinzip mit seinem Gut machen kann, was er will, er kann es nutzen wie er will und andere vom Nutzen an diesem Gut ausschließen, er kann dieses Gut auch weiter veräußern an wen er will, er kann sogar – wenn ihm beliebt – dieses Gut vernichten. Diese Rechte finden nur eine einzige Begrenzung. Selbstverständlich hat auch der Eigentümer eines Individualgutes nicht das Recht, mit Hilfe dieses Gutes anderen Mitbürgern Schaden zu verursachen oder dieses Gut dafür einzusetzen, um irgendwelche Straftaten zu begehen.

 

Ein Kollektivgut steht hingegen der gesamten Menschheit zur freien Verfügung. Die Gemeinschaft vertreten durch den Staat entscheidet darüber, wie dieses Gut verwendet wird, auf welche Weise es der gesamten Bevölkerung zu gute kommen soll. Der einzelne Bürger darf sich nicht an diesem Gut vergreifen, es also z. B. mutwillig zerstören oder einseitig zu seinen Gunsten einsetzen. Die staatlichen Organe sind gehalten, sicher zu stellen, dass diese öffentlichen Güter den höchstmöglichen Nutzen stiften und dass auch alle Bürger nach Möglichkeit einen Nutzen durch Gebrauch dieser Güter erhalten.

 

Wissen stellt nun ein typisches Beispiel eines Kollektivgutes dar, Wissen darf eben gerade nicht wie dies bei einem Individualgut der Fall wäre,  einzelnen Bürgern vorenthalten oder auch zurückgehalten werden, gemeinsam mit einem Individualgut ist allerdings, dass von niemand – von  keinem Bürger und auch nicht von den staatlichen Organen – dieses Wissen für nicht erlaubte Zwecke eingesetzt werden darf.

 

Dieses Kollektivgut ‚Wissen‘ zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht in eine Vielzahl nebeneinander stehender Einzelsätze zerfällt, sondern ein Gefüge darstellt, in dem die einzelnen Sätze in der Regel auch nur in ihrer Gesamtheit der Menschheit nutzt. Gerade dann, wenn man zulassen würde, dass diejenigen, welche einzelne Teil zu diesem Gesamtwissen durch ihre Entdeckungen hinzugefügt haben, über dieses Wissen im Sinne eines Individualgutes frei entscheiden könnten, wäre das allgemeine Recht auf Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung gefährdet, da wir eben gerade  dadurch, dass wir das allgemeine Wissen nutzen, uns überhaupt erst frei entfalten können.

 

Der einzelne Mensch wäre nämlich völlig überfordert, wenn er darauf angewiesen wäre, all das Wissen, das er zum Überleben und zu seiner eigenen Entfaltung benötigt, selbst erfinden müsste. Menschlicher Fortschritt war nur dadurch möglich, dass jeder auf das Wissen der anderen, vor allem der vorhergehenden Generationen zurückgreifen konnte, wir würden uns auch heute noch auf dem Lebensstandard bewegen, den einmal die Steinzeitmenschen zu Beginn der Menschheit hatten, wollten wir das Wissen wie ein Individualgut behandeln und seine Benutzung dem jeweiligen ‚Erfinder‘ einer Idee überlassen.

 

 

11. Patentgesetzgebung

 

Es gibt eine wichtige - allerdings wie wir weiter unten noch sehen werden – nur scheinbare Ausnahme dieses Prinzips. Im Rahmen der Patentgesetzgebung erhält der Erfinder einer Idee das Recht, für eine bestimmte Zeit allein diese Idee erwerbswirtschaftlich zu nutzen und wirtschaftliche Erträge aus dieser Verwertung zu ziehen. Wenn ein Erfinder seine Erfindung zum Patent angemeldet hat und diese Idee als Patent abgesichert wurde, darf nur der Erfinder, bzw. derjenige Unternehmer, der dieses Patentrecht erworben hat, das durch Patent geschützte Wissen in der Produktion einsetzen und auf diesem Wege neue Güter oder qualitativ bessere Güter produzieren bzw. neue Techniken zur Produktion bereits bekannter Güter einsetzen.

 

Der Grund für diese Ausnahmeregelung liegt einfach darin, dass nur auf diese Weise technischer Fortschritt überhaupt möglich wird. Ohne einen gewissen Patentschutz wäre nämlich die Bereitschaft zur Entwicklung neuer Güter und Verfahren der Produktion gering und die allgemeine Wohlfahrtssteigerung dementsprechend begrenzt.

 

Wir haben davon auszugehen, dass für die meisten technischen Erfindungen hohe Entwicklungskosten entstehen, bevor diese Erfindungen in der Produktion von Gütern eingesetzt werden können. Es muss abgeklärt werden, unter welchen Bedingungen das neue Produkt oder das neue Verfahren überhaupt produziert werden kann und vor allem mit welchen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Diese Feststellung erfordert hohen Investitionsaufwand und benötigt Zeit.

 

Es besteht nun die Gefahr, dass ohne Patentschutz dann, wenn die produktionsreifen Verfahren vorliegen und mit der Produktion begonnen werden kann, Imitatoren auftreten, welche diese neuen Verfahren übernehmen, ohne sich an den Kosten zur Entwicklung dieser Verfahren zu beteiligen.

 

Ein solches Vorgehen würde die eigentlichen Innovatoren (Erfinder) nicht nur um ihre hart verdienten Früchte bringen. Es bestünde vielmehr auch die Gefahr, dass es den Imitatoren gelingt, die eigentlichen Innovatoren aus dem Markt zu drängen. Dies würde deshalb gelingen, weil ja die Innovatoren – Schumpeter nennt sie die Unternehmer im eigentlichen Sinne – bei der Preiskalkulation die Entwicklungskosten in Form von fixen Kosten berücksichtigen müssen, während die Imitatoren gerade deshalb, weil sie keine Entwicklungskosten hatten,  den Preis an den sehr viel niedrigeren variablen Kosten ausrichten können und wegen dieser Preisdifferenz die Unternehmer im Schumpeter‘schen Sinne aus dem Markt drängen könnten.

 

Dies würde bedeuten, dass der Versuch, Erneuerungen einzuführen, dem Innovatoren Verluste bringen müsste. Und gerade deshalb, weil diese Gefahr besteht, würden die Unternehmer natürlich unterlassen, nach neuen Produkten und Verfahren zu suchen. Ohne Erfindungen wäre auch das gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsniveau geringer, es fände kein qualitatives Wachstum statt, wir hätten keinen oder zumindest nur einen wesentlich geringeren technischen Fortschritt. Ein Unternehmer nimmt Investitionen vor, weil er sich hieraus langfristig einen Gewinn verspricht. Eine Investition ist dadurch ausgezeichnet, dass in den ersten Phasen nur Kosten entstehen, dass aber nach Ausreifung einer Investition die Erträge so hoch werden, dass auch per Saldo, bei Aufrechnung der Kosten und Umsätze ein Gewinn verbleibt.

 

Aus genau diesen Gründen wurde die Patentgesetzgebung eingeführt. Sie soll sicherstellen, dass derjenige, der Erfindungen bei der Produktion von Gütern einsetzen will, zumindest auch die Möglichkeit hat, die Kosten der anfänglich notwendigen Investitionen durch die Umsätze wiederum hereinzuholen. Die Patentgesetzgebung sieht vor, dass ein Erfinder die Möglichkeit erhält, seine Erfindung zum Patent anzumelden und jede Erfindung, die durch ein Patent geschützt wird, darf für eine begrenzte Zeit nur vom Erfinder oder dem Unternehmer, dem der Erfinder dieses Patent zur Verfügung stellt, in der Produktion eingesetzt werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass (zumindest nicht auf legalem Wege) Imitatoren die eigentlichen Erfinder aus dem Markt drängen können.

 

Dieser Patentschutz ist jedoch auf eine gewisse Periode begrenzt, nach einer Reihe von Jahren läuft das Patent aus und danach ist jeder Unternehmer berechtigt, diese bisher patentgeschützten Erfindungen in der eigenen Produktion einzusetzen. Damit kommen wir zu dem Schluss, dass selbst bei den wirtschaftlich verwertbaren Ideen auf lange Sicht auch dieses neue Wissen zum Allgemeingut wird und nicht auf alle Zeit ein Individualgut darstellt, über deren Verwendung allein der Erfinder dieser Idee verfügen darf.

 

Der scheinbare Widerspruch, dass bei wirtschaftlich verwertbaren Gütern ein Individualrecht auf das erfundene Wissen  besteht, entsteht dadurch, dass man nur für eine vorübergehende Frist dem Wissen den Charakter als Individualgut verleiht, um den technischen Fortschritt überhaupt zu ermöglichen. Auf lange Sicht hingegen stellt auch das verwertbare Wissen ein Kollektivgut dar; auf lange Sicht sollen sehr wohl auch nach Auffassung des Patentschutzgesetzgebers die wirtschaftlichen Vorteile dieses Wissens der Allgemeinheit zugute kommen.

 

 

12. Schlussbemerkungen

 

Wir haben gesehen, dass die Zitiervorschriften ein durchaus brauchbares Mittel darstellen, um Plagiats­vorwürfe zu untersuchen. Allerdings ist es nicht möglich, allein mit der Überprüfung, inwieweit von anderen Autoren wörtlich übernommene Stellen korrekt zitiert wurden, den Vorwurf eines Plagiats abschließend zu beurteilen. Es bedarf vielmehr vor allem vertiefter Kenntnisse über den Stand der Wissenschaft, über die lehrgeschichtliche Entwicklung sowie darüber, inwieweit die übernommenen Zitate selbst wiederum neu entdecktes oder althergebrachtes Wissen darstellen. Es kann keinesfalls aus einer nichtkorrekten Zitierweise auf die Schwere eines Plagiats­vorwurfes geschlossen werden genauso wenig  wie aus einem formal korrekten Zitierverhalten bereits das Vorliegen eines schwerwiegenden Plagiats von vornherein ausgeschlossen werden kann.

 

Wir haben weiterhin gesehen, dass die im Verlaufe der Lehrgeschichte angeblich neu entdeckten Wahrheiten in sehr vielen Fällen bereits sehr viel früher im Verlaufe der Geschichte ausgesprochen worden waren und dass der Beitrag des einzelnen Forschers ohnehin nur darin besteht, dass er einem schon bekannten Wissen eine Kleinigkeit, ein i-Tüpfelchen hinzufügt, dass diese Erkenntnis jedoch keinesfalls die Bedeutung der einzelnen Beiträge schmälert, da es auch ein Verdienst darstellt, Wissen, das schon sehr viel früher entdeckt wurde, in der Zwischenzeit aber vergessen wurde, wiederum aus der Vergessenheit hervorzuholen.

 

Mit Plagiaten haben wir es in der Wissenschaft schon immer zu tun gehabt und werden es auch in Zukunft zu tun haben, genauso wie es wohl keine Vorschrift und kein Gesetz gibt, die 100%ig befolgt werden. Stets wird eine kleine Gruppe von Bürgern gegen Gesetze und Vorschriften verstoßen, ohne dass dadurch ein ernst zunehmender Schaden für die Wissenschaft und für die Gesellschaft entsteht.

 

Viel größer scheint mir die Gefahr einer anderen Straftat im Umfeld wissenschaftlichen Arbeitens zu sein. Ich erinnere mich daran, dass wir bereits in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wiederholt in den Prüfungs- und Promotionsausschüssen mit der Tatsache konfrontiert wurden, dass es Institutionen gibt, welche erwerbsmäßig fertige Diplomarbeiten und Doktorarbeiten gegen eine horrende Geldsumme anbieten. Auch hier wird man davon ausgehen müssen, dass es nicht möglich ist, durch noch so penible Korrekturarbeiten eindeutig alle solche Vergehen nachzuweisen. Trotzdem dürfte der hierdurch entstandene Schaden sehr viel größer sein als dann, wenn nicht immer korrekt zitiert wurde, da hier in der Tat das Renommee, das eine Fakultät oder Universität genießt, beeinträchtigt werden kann, wenn der Eindruck entsteht, dass man an bestimmten Fakultäten oder Universitäten einen akademischen Grad erkaufen kann.