Dies ist ein Auszug aus der Serie über Sozialabgaben. Dieser Teil setzt sich zwar nicht ex pressis verbis mit den Vorzügen und Nachteilen einer Bürgerversicherung auseinander. Eine Sozialversicherung stellt aber immer einen Mix aus Versicherungs- und Versorgungsprinzip dar und eine Bürgerversicherung enthält mehr Versorgungselemente als die derzeitige Rentenversicherung. In dem Abschnitt über Versorgung versus Versicherung wird ausführlich dargelegt, warum Sicherungssysteme nicht geeignet sind, größere Umverteilungen durchzuführen. Das wohl einzige, scheinbar überzeugende Argument zugunsten einer Bürgerversicherung ist jedoch die Umverteilung.
Versorgung
versus Versicherung
Wir hatten weiterhin zwischen erwerbswirtschaftlich orientierten Privatversicherungen und bürokratischen Sicherungseinrichtungen unterschieden. Wir wollen überprüfen, wie sich die Entscheidungen der unterschiedlichen Einrichtungen in allokativer und distributiver Hinsicht unterscheiden und inwieweit unerwünschte Sekundärwirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen in unterschiedlichem Maße eintreten.
Privatversicherungen arbeiten nach den gleichen Grundsätzen wie jede andere marktwirtschaftlich orientierte Unternehmung. Wir können unterstellen, dass die wichtigsten Entscheidungen gewinnorientiert erfolgen und dass die Gewinne den Eignern der Privatversicherung zufließen.
Damit allerdings die allokativen Entscheidungen der privaten Unternehmungen letztendlich dem Bedarf der Versicherungsnehmer entsprechen, dürfen die einzelnen Unternehmungen keine monopolistische Macht besitzen und müssen in gegenseitiger Konkurrenz zueinander stehen. Nur dann können wir davon ausgehen, dass die Anreize, die vom Markt ausgehen, so kanalisiert sind, dass eine gewinnorientierte Entscheidung auch dem Wohl der Versicherungsnehmer am besten entspricht.
Eine bürokratische Einrichtung hat es demgegenüber im Hinblick auf die allokativen Zielsetzungen wesentlich schwieriger. Es gibt auf der einen Seite keinen dem Markt vergleichbaren Mechanismus der Information, der den Bürokraten eröffnet, welche allokative Entscheidung dem Bedarf der Versicherungsnehmer am besten entspricht, noch gehen von einer bürokratischen Einrichtung genügend materielle Anreize aus, die jeweils kostengünstigste Lösung zu wählen und zwischen dem Ziel der Qualitätsverbesserung und der Kostensenkung einen vernünftigen Kompromiss anzusteuern, der von den Versicherten nachgefragt wird.
Bürokratische Systeme weisen darüber hinaus einen weiteren Allokationsmangel auf. So werden die Beitragssätze sowie die Leistungskataloge bei diesen Systemen in aller Regel von den Regierungen bzw. Parlamenten, also auf politischem Wege beschlossen. Haben wir eine funktionierende repräsentative Demokratie, so spiegeln zwar die politischen Beschlüsse ähnlich wie in marktwirtschaftlichen Systemen den Willen der Bürger wider. Im Gegensatz zum Markt hingegen, in dem im Prinzip jeder Konsument selbst bestimmen kann, welchen Umfang an Leistungen er nachfragt, zeichnen sich die politischen Systeme der Demokratie dadurch aus, dass der Wille der Mehrheit zum Zuge kommt. Dies bedeutet, dass immer eine Minderheit überstimmt werden kann und sich nach den Entscheidungen dieser Mehrheit richten muss. Hierbei ist keinesfalls sicher, dass es sich hier stets um eine verschwindend kleine Minderheit handelt, es ist durchaus denkbar – bei knappen Mehrheiten –, dass fast die Hälfte der Bürger überstimmt wird.
Man kann nun davon ausgehen, dass die Masse der Wähler relativ risikoscheu ist. Dies bedeutet, dass bei politischen Entscheidungen die Tendenz besteht, möglichst viele Risiken abzudecken und einen sehr hohen Risikoumfang zu versichern und dass deshalb die Minderheit, die durchaus mehr oder weniger risikobewusst handeln und einen Teil der geringeren Risiken selbst übernehmen möchte, entgegen ihrem Willen zu einer höheren Risikoabsicherung gezwungen wird. Die Minderheit wird so zu einer Lösung gezwungen, welche für sie suboptimal ist.
Die Variante der Sozialversicherungen weist in der in der BRD realisierten Form noch einen weiteren Allokationsmangel auf. Die Sozialversicherungen stellen in der BRD Körperschaften mit Selbstverwaltung dar. Soweit den Sozialversicherungen ein Entscheidungsspielraum belassen wird und nicht alle Entscheidungen durch Gesetzte und Verordnungen festgelegt werden, entscheiden die Vertreter der Versicherten im Rahmen dieser Selbstverwaltung zusammen mit den Vertretern der Arbeitgeber über die anstehenden Probleme. Die Vertreter der Versicherten werden hierbei in periodisch stattfindenden Sozialwahlen gewählt.
Nun ist bekannt, dass die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Sozialwahlen äußerst gering ist. Dies hat jedoch zur Folge, dass die Entscheidungen dieser Selbstverwaltungsorgane noch nicht einmal dem Willen der Mehrheit der Mitglieder entsprechen müssen. Nur der Entscheidungswille der Versicherten, welche sich an der Sozialwahl beteiligen, kommt hier zum Zuge.
Wenden wir uns nun der distributiven Problematik zu. Wir haben weiter oben bereits gesehen: Das wichtigste verteilungspolitische Ziel einer Sicherungseinrichtung besteht darin, dass diejenigen, welche von den sozialen Risiken überproportional betroffen sind, materiell zu Lasten derjenigen, welche unterproportional von den Risiken betroffen sind, begünstigt werden. Obwohl der Markt im Allgemeinen nur eine Verteilung der Ressourcen entsprechend dem Leistungsprinzip ermöglicht, kann – wie bereits gezeigt – auch eine Privatversicherung diesem primären Ziel jeder kollektiven Sicherungseinrichtung entsprechen.
Das Äquivalenzprinzip sorgt nämlich allein dafür, dass die Beiträge der Höhe der zu versichernden Risiken entsprechen, die Gleichheit von Beitrag und Leistung bezieht sich allein auf die ex ante Verteilung. Gerade weil aber bei Abschluss eines Versicherungsvertrages (bzw. bei Eintritt in die Versicherung) nicht bekannt ist, in welchem Umfang der einzelne Versicherungsnehmer in Zukunft von den sozialen Risiken tatsächlich betroffen ist, wird ex post gesehen derjenige, welche stärker von den Risiken betroffen wurde, auch stärker materiell entlastet.
Nun werden im Rahmen der Einrichtungen der Sozialen Sicherheit zumeist weitergehende Verteilungsziele verfolgt. Als erstes haben wir davon auszugehen, dass erbbedingt und aufgrund einer unterschiedlichen vergangenen individuellen Krankengeschichte das Risiko jedes einzelnen unterschiedlich hoch ist. Im Allgemeinen wird die Überzeugung geäußert, dass unterschiedliche Risiken bei Vertragsabschluss – zumindest soweit den einzelnen keine Schuld an einem überproportional hohen Risiko trifft –, von der Allgemeinheit getragen werden sollten.
Diese weitergehende Zielsetzung kann bei einer rein privatwirtschaftlich ausgerichteten Versicherung nicht realisiert werden. Die Privatversicherungen stehen in Konkurrenz zueinander. Jeder Mitkonkurrent könnte dadurch, dass er nur Personen mit geringem Risiko bei Vertragsabschluss versichert, sich Wettbewerbsvorteile verschaffen, da solche Versicherte annahmegemäß weniger Kosten verursachen als Versicherte mit hohem Risikoniveau.
Man könnte natürlich vorsehen, dass Versicherungsverträge bereits bei der Geburt eines Individuums abgeschlossen werden, sodass mit keinem unterschiedlichen Risikoumfang zu rechnen wäre, soweit diese Unterschiede auf die unterschiedliche Krankengeschichte der einzelnen zurückgeführt werden könnten. Es bleiben jedoch insoweit Unterschiede bestehen, als bestimmte Krankheiten erbbedingt auftreten. Dieser zweite Bestimmungsgrund eines unterschiedlichen Risikoumfangs dürfte umso mehr eine Rolle spielen, je mehr die medizinische Forschung die Ursachen genetischer Erkrankungen erkannt hat.
Darüber hinaus werden in der Regel im Rahmen der Sozialen Sicherheit weitergehende verteilungspolitische Ziele angestrebt, welche nicht mit den eigentlichen Risikotatbeständen zusammenhängen. Hierzu zählen die Versuche, die Beitragshöhe nach der Einkommenshöhe und dem Familienstand zu staffeln, also die Einkommensschwachen und die kinderreichen Familien zu begünstigen sowie einen großen Teil (in der BRD bisher die Hälfte) der Beitragszahlungen von den Arbeitgebern zu erheben. Diese Ziele lassen sich im Rahmen einer erwerbsorientierten Lösung nicht realisieren. Auch hier gilt wiederum, dass die Versicherung, welche nur einkommensstarke und ledige Personen versichern würde, Wettbewerbsvorteile erlangen könnte.
Bei der Beurteilung dieser distributiven Mängel eines privatwirtschaftlichen Systems gilt es zwischen der Frage zu unterscheiden, ob und in welchem Umfang eine solche weitergehende Umverteilung überhaupt erwünscht ist und der ganz anderen Frage, ob eine solche Umverteilung – wenn sie denn erwünscht ist – im Rahmen der Sicherungseinrichtungen realisiert werden soll. Über die erstgenannte Frage soll hier nicht entschieden werden, sie ist eine politische Frage und kann sicherlich mit wirtschaftspolitischen Argumenten nicht abschließend untersucht werden. Wir wollen an dieser Stelle einfach davon ausgehen, dass die politische Absicht besteht, eine solche Umverteilung aus sozialen Gründen durchzuführen und uns auf die Frage beschränken, auf welchem Wege dieses Ziel am effizientesten realisiert werden kann.
In der Tat gibt es gute Gründe dafür, dass man im Rahmen der sozialen Sicherungseinrichtungen auf jede weitergehende Umverteilung verzichten sollte, dass es sehr viel zweckmäßiger ist, solche Zielsetzungen außerhalb der Einrichtungen der sozialen Sicherheit anzugehen.
Als erstes muss festgestellt werden, dass Allokation und Distribution in marktwirtschaftlichen Systemen immer uno actu entschieden werden. Der gleiche Beitragssatz, der von den einzelnen Versicherungsnehmern erhoben wird, entscheidet darüber, welche allokativen Leistungen möglich werden und wie die einzelnen Sicherungsnehmer unterschiedlich begünstigt werden. Gleiches gilt für die Entscheidungen über die Verwendung der Einnahmen einer Sicherungseinrichtung. Auch hier gilt, dass mit einer Verwendung nicht nur über die Allokation, sondern gleichzeitig darüber entschieden wird, wie stark einzelne Sicherungsnehmer begünstigt werden.
Erfolgen jedoch Allokation und Distribution uno actu, so muss man damit rechnen, dass eine verteilungspolitisch motivierte Entscheidung in der Regel auch zu einer suboptimalen Allokation führt. Diese Allokationsmängel sind übrigens auch unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten unerwünscht. Allokationsmängel schlagen sich stets in einer Minderung der Gesamtwohlfahrt nieder und reduzieren gerade auf diese Weise die Möglichkeit, knappe Ressourcen für sozialpolitische Zielsetzungen einzusetzen.
Es besteht in diesem Falle immer die Gefahr, dass die endgültige Höhe der Transfereinkommen nicht wie beabsichtigt, daran gemessen wird, ob der einzelne Begünstigte ein ausreichendes Mindesteinkommen bezieht. Personen mit gleichem Erwerbseinkommen und gleicher Bedürftigkeit erhalten dann unter Umständen ein recht unterschiedliches Transfereinkommen je nachdem, bei welchen Dienstleistungen Transferzahlungen gewährt werden. Hier kann auf der einen Seite eine Verschwendung knapper Ressourcen eintreten, gleichzeitig werden Transfereinkommensempfängern, welche aus sozialer Sicht eigentlich ein gleich hohes Einkommen erhalten sollten, recht unterschiedlich hohe Transferleistungen gewährt.
Diese Überlegungen gelten zwar zunächst in stärkerem Maße für erwerbsorientierte Einrichtungen, eine bürokratische Institution kann im Prinzip zwischen Allokation und Distribution stärker unterscheiden als der Markt. Trotzdem gilt das oben genannte Argument auch für bürokratische Einrichtungen. Auf der einen Seite wirkt sich eine allokative Entscheidung einer staatlichen Versorgungseinrichtung nicht nur auf den Einsatz innerhalb des Sicherungssystems aus. In dem Maße, in dem knappe Ressourcen für Sicherungszwecke eingesetzt werden, stehen sie allen übrigen Verwendungsarten der Volkswirtschaft eben nicht mehr zur Verfügung.
Auf der anderen Seite sind auch innerhalb der bürokratischen Einrichtungen der Sozialen Sicherheit zahlreiche Kompromisse zwischen den einzelnen Zielen der Sozialen Sicherheit zu schließen. So sehen z. B. die historisch gewachsenen Sozialversicherungen vor, dass nur solche Individuen versichert werden, welche überhaupt ein Erwerbseinkommen beziehen und dass die Versicherungspflicht nur bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze gilt.
Dies bedeutet, dass sowohl die ganz Armen als auch die ganz Reichen nicht Mitglieder der Sozialversicherung sind und dass insoweit jede Form von Umverteilung, die innerhalb der Sozialversicherung stattfindet, den ganz Armen gerade nicht zugute kommt, noch dass die ganz Reichen an dieser Umverteilung beteiligt werden. Diese Tatsache widerspricht sicherlich allgemeinen Vorstellungen einer gerechten Verteilung. Denn danach geht es vor allem darum, die Ärmsten zu begünstigen und die Finanzierung dieser Hilfen sollte vor allem durch eine Belastung der Reichsten erfolgen.
Noch ein weiterer Grund spricht dafür, dass in den bürokratischen Systemen der Sozialen Sicherheit die Umverteilung in dem beabsichtigten Umfang gar nicht stattfindet. Beiträge und Steuern werden nämlich im Allgemeinen überwälzt und treffen damit letzten Endes gar nicht die Personengruppen, welche die Gebühren eigentlich zahlen sollen.
Zweierlei Überwälzungsprozesse sind im Zusammenhang mit der Entrichtung von Arbeitgeberbeiträgen und Steuern möglich. Auf der einen Seite stellen die Arbeitgeberbeiträge Arbeitskosten dar. In den Tarifverhandlungen sind die Arbeitgeber in erster Linie bemüht, die Gesamtsumme der Arbeitskosten zu begrenzen, je höher der Anteil der Lohnnebenkosten ist – und die Arbeitgeberbeiträge zählen zu den Lohnnebenkosten – um so weniger sind die Arbeitgeber bereit, den Lohnforderungen der Gewerkschaften zu entsprechen. Eine Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge wird zu dem Versuch führen, diese zusätzlichen Lasten auf die Lohnsätze dadurch rückwärts zu überwälzen, dass eben geringere Lohnsatzsteigerungen von den Arbeitgebern akzeptiert werden.
Auf der anderen Seite ist immer damit zu rechnen, dass Unternehmungen jede Form von Kostensteigerungen – also auch die Arbeitgeberbeiträge – auf den Güterpreis abzuwälzen versuchen. Dies gelingt vor allem dann, wenn die Mitkonkurrenten auf den Gütermärkten vor der gleichen Kostensteigerung stehen, sodass bei einer Überwälzung dieser Kosten auf den Güterpreis keine Gefahr besteht, dass die Konsumenten zu Konkurrenten abwandern. Nur dort, wo eine starke Konkurrenz zu ausländischen Konkurrenten besteht und wo darüber hinaus im Ausland geringere Sozialbeiträge entrichtet werden müssen, sind die Möglichkeiten der Arbeitgeber beschränkt, eine Steigerung in den Arbeitgeberbeiträgen auf die Güterpreise abzuwälzen.
Findet jedoch eine weitgehende Überwälzung der Beiträge zu den Systemen der Sozialen Sicherheit statt, so ist die Absicht, einen Teil der Kosten der Sozialen Sicherheit den Unternehmern aufzubürden, gescheitert. Als Konsumenten haben die Arbeitnehmer letztlich über Preissteigerungen zum großen Teil auch die Arbeitgeberbeiträge zu tragen. Darüber hinaus gilt, dass Überwälzungsprozesse je nach Elastizität auf den einzelnen Märkten in sehr unterschiedlichem Umfang stattfinden, sodass die tatsächlich eingetretene Lastenverteilung sehr willkürlich und damit ungerecht stattfindet.
Es sollte immer unterschieden werden, ob mit bestimmten Abgaben die Unternehmungen oder die Unternehmerhaushalte belastet werden sollen. Abgaben von Unternehmungen verringern im Allgemeinen gerade nicht die Einkommen der Unternehmer. Gleichzeitig besteht immer die Gefahr, dass sich die hierdurch erzielte Kostensteigerung negativ auf die Produktion und damit auch auf die Beschäftigung auswirkt.
Gegen eine weitergehende Umverteilung im Rahmen der spezifischen Einrichtungen der Sozialen Sicherheit spricht vor allem der Umstand, dass die sozialen Verteilungsziele keinesfalls befriedigend im Rahmen einer verwendungsorientierten Einrichtung realisiert werden können. Sozialpolitisch geht es darum, jedem Bürger ein bestimmtes Mindesteinkommen zu garantieren. Die Höhe dieses Mindesteinkommen sollte eigentlich nicht davon abhängen, in welchem Umfang die einzelnen Versicherten bestimmte Leistungen nachfragen.
Überall dort, wo im Rahmen von Einrichtungen, welche bestimmte Allokationsentscheidungen zu treffen haben, Umverteilungen durchgeführt werden, hängt die Zuwendung an den Einzelnen eben auch davon ab, in welchem Umfang er diese Leistungen beansprucht. Insoweit wird gerade das Verteilungsziel sehr viel genauer erreicht, wenn die Umverteilung nicht als Summe der Leistungen sehr unterschiedlicher Einrichtungen zustande kommt, sondern einer zentralen Einrichtung übertragen wird.
In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg kam es sehr oft zu unerwünschten Rentenkumulationen, in dem eine Reihe von Rentnern in ihrem Alter mehrere Renten bezogen. Sie hatten nicht nur Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern bezogen darüber hinaus auch Renten von anderen öffentlichen Sicherungseinrichtungen, z. B. eine Unfallrente, eine Kriegsopferrente, eine Rente aus der Rentenversicherung für Arbeiter, während die Hauptrente aus der Rentenversicherung für Angestellte bezogen wurde.
Soweit die Höhe der Einzelrenten allein durch den Umfang des eingetretenen Risikos bestimmt wird, ist eine solche Kumulation erwünscht und unbedenklich. Kritisch wird es erst in dem Augenblick, in dem in den einzelnen Teilrenten nicht nur der Risikoumfang berücksichtigt wird, sondern weitergehende Umverteilungsziele der Sozialpolitik verfolgt werden, vor allem sichergestellt werden soll, dass der einzelne Rentner ein bestimmtes Mindesteinkommen erhält.
Hier besteht die Gefahr, dass gerade über diese Rentenkumulation neue Ungerechtigkeiten entstehen und dass insgesamt zu hohe Rentenbezüge in der Summe ausgezahlt werden. Natürlich sind die einzelnen Einrichtungen der Sozialen Sicherheit bemüht, bei der Festsetzung der Rente auch zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfang der Rentner auch Ansprüche an andere Versicherungszweige besitzt und diese sonstigen Bezüge von der auszuzahlenden Rente abzuziehen.
Trotzdem war dieses Verfahren aus mehreren Gründen höchst unbefriedigend. Es entstand sehr viel an und für sich überflüssige Bürokratie, dem Missbrauch war Tür und Tor geöffnet, da stets die Gefahr bestand, dass bestimmte Einkommensquellen im Einzelfall verschwiegen wurden und dieser Missbrauch von den Behörden nur sehr unvollkommen aufgedeckt werden konnte. Es fand hier nicht nur eine Vergeudung von knappen Ressourcen statt, da manche Rentner in der Summe wesentlich höhere Renten bezogen, als es der Zielsetzung der Armutsbekämpfung entsprach, vor allem aber stellten sich die einzelnen Rentner in der Frage der Mindestabsicherung recht unterschiedlich, je nachdem, ob sie einen Anspruch auf nur eine oder auf mehrere Renten besaßen.
Die Frage, ob eher die bürokratischen oder die erwerbsorientierten Einrichtungen der Sozialen Sicherheit überlegen sind, darf aber nicht nur an der Frage gemessen werden, inwieweit die primären Allokations- und Distributionsaufgaben erfüllt werden, sondern muss auch danach beurteilt werden, wie stark die unerwünschten Sekundärwirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele in den einzelnen Einrichtungen im Einzelnen ausfallen. Unsere Ausführungen haben gezeigt, dass sich die einzelnen konkurrierenden Einrichtungsarten vor allem darin unterscheiden, mit welchen Kosten die allokativen Aufgaben durchgeführt werden. Da es bürokratischen Systemen an ausreichenden finanziellen Anreizen mangelt, die jeweils kostengünstigste Lösung anzusteuern, muss damit gerechnet werden, dass die bürokratischen Systeme insgesamt höhere Kosten verursachen als Privatversicherungen.
Diese Tatsache wirkt sich nun in zweierlei Weise negativ auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele aus. Auf der einen Seite tragen höhere Durchschnittskosten zu einem Rückgang in der Produktion und damit auch der Beschäftigung in der privaten Wirtschaft bei. Auf der anderen Seite kann jedoch zumindest ein Teil der durch bürokratische Einrichtungen verursachten Kosten auf die Güterpreise abgewälzt werden und führt somit zu einem Anstieg in der Inflationsrate. Welche dieser beiden Gefahren konkret bestehen, hängt von vielen Faktoren ab. Insbesondere die Geldpolitik der Notenbank bestimmt darüber mit, ob Kostensteigerungen die Beschäftigung mindern oder die Inflation erhöhen.
Ist die Notenbank aus stabilitätspolitischen Gründen nicht bereit, bei bestehendem Zinssatz die Geldmenge bereitzustellen, welche zur Finanzierung der höheren Kosten benötigt wird, kommt es zu Zinssteigerungen, die selbst wiederum einen Rückgang in der Investitionsnachfrage und damit auch in der Beschäftigung auslösen. Ist jedoch die Notenbank bei gleichbleibendem Zinssatz zu einer Ausweitung der Geldmenge bereit, kommt es zu den befürchtenden Steigerungen in den Güterpreisen, soweit die Geldvermehrung nicht durch eine gleich große Ausweitung der Güterproduktion kompensiert wird.
Wieweit das wirtschaftliche Wachstum schließlich aufgrund des Wirkens der unterschiedlichen Einrichtungen der sozialen Sicherheit beeinflusst wird, hängt selbst wiederum von verschiedenen Faktoren ab. In dem Maße, in dem es gelingt, den Umfang und die Schwere der sozialen Risiken als solche zu vermindern, gehen natürlich von diesen Einrichtungen positive Wachstumseffekte aus. Einerseits wird die Erwerbstätigkeit ansteigen, wenn es aufgrund der sozialen Risiken weniger Arbeitsausfälle gibt, andererseits stellt der bloße Tatbestand, dass weniger Krankheiten oder Unfälle auftreten, als solcher bereits eine immaterielle Wohlfahrtssteigerung dar.
Die Tatsache aber, dass vor allem in bürokratischen Systemen insgesamt weniger effizient gearbeitet wird, dass also in der Regel für die gleiche Leistung mehr Kosten aufgewandt werden müssen, führt natürlich zu einem Wachstumsverlust, hätte doch mit den gleichen Ressourcen bei effizienterer Produktion ein höheres Inlandsprodukt erzielt werden können.
Fragen wir uns nun, welche Unterschiede zwischen Sozialversicherungs- und Versorgungseinrichtungen in dieser Frage bestehen. Die Sozialversicherung ist eine Mischform, welche Elemente der Privatversicherung sowie der Versorgung enthält. Der erste wichtigste Unterschied zwischen beiden Formen besteht darin, dass es innerhalb einer Sozialversicherung einen begrenzten Kreis von Mitgliedern gibt – so z. B. alle Arbeitnehmer bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze –, während in einer Versorgung prinzipiell alle Bürger eines Staates mitversorgt werden.
Ein zweiter Unterschied ergibt sich daraus, dass innerhalb einer Sozialversicherung Beiträge – also zweckgebundene Abgaben – zur Finanzierung der Ausgaben erhoben werden, während in Versorgungseinrichtungen die Ausgaben zumeist aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden. Bisweilen wird es allerdings für notwendig angesehen, auch in der Sozialversicherung einen Teil der Ausgaben aus Staatszuschüssen zu finanzieren, so war z. B. bei der Rentenreform von 1957 vorgesehen, dass immerhin 1/3 der Ausgaben aus Steuermitteln zu finanzieren waren.
Diese beiden Unterschiede wirken sich nun bei der Erfüllung der primären Aufgaben dieser Einrichtungen der Sozialen Sicherheit aus. Da Beitragssätze zweckgebunden sind, ist bei den Mitgliedern der Zusammenhang zwischen Leistungen und Beiträgen enger und gerade deshalb dürfte der Versuch, diese Einrichtungen missbräuchlich auszunutzen, insgesamt in den Sozialversicherungen geringer ausfallen als bei einer Finanzierung aus dem allgemeinen Staatshaushalt.
Es ist dann unklar, aus welchen genauen Gründen die Steuern zu bezahlen sind und gegebenenfalls erhöht werden, es wird dem Einzelnen nun nicht mehr unmittelbar vor Augen geführt, dass eine Zunahme der Leistungen immer auch mit einem Anstieg in den Beiträgen verbunden ist. Also wird man auch erwarten können, dass die Entscheidungen, die Leistungen der Sicherungseinrichtungen zu verändern, eher in der Sozialversicherung als in Versorgungseinrichtungen dem Bedarf der Betroffenen entspricht.
Das Allokationsproblem wird also in der Sozialversicherung eher den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechend gelöst werden als in Versorgungseinrichtungen. Nur dann, wenn man ex pressis verbis von einem meritorischen Bedarf ausgeht, wenn man also unterstellt, dass der einzelne Sicherungsnehmer diese Allokationsentscheidung gar nicht sachgerecht fällen kann, dass er die Bedürfnisse der Sozialen Sicherheit systematisch unterschätzt (These von der Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse, Böhm-Bawerk), wird man eine Finanzierung aus Steuermitteln vorziehen.
Wir hatten weiterhin bereits gesehen, dass auch das Verteilungsproblem in den beiden Sicherungseinrichtungen unterschiedlich gelöst wird, dass gerade deshalb, weil nur Erwerbspersonen einer Sozialen Versicherung angehören und weil darüber hinaus gerade die besonders Reichen keiner Sozialversicherungspflicht unterliegen, in der Sozialversicherung eine Umverteilung angesteuert wird, in der eine Umverteilung zugunsten der nicht ganz Armen und zu Lasten der nicht ganz Reichen durchgeführt wird.
Dieser Umstand führt dazu, dass man die Lösung der Verteilungsprobleme eher den Versorgungs- und weniger den Sozialversicherungssystemen überträgt. Allerdings hatten wir auch schon darauf hingewiesen, dass weitergehende Umverteilungsziele zugunsten der Ärmeren und der kinderreichen Familien ohnehin in zweckgebunden Einrichtungen sehr ineffizient angegangen werden, dass aufgrund allokativer Nebenwirkungen solcher Umverteilungsmaßnahmen es wesentlich effizienter wäre, wenn man diese weitergehenden Umverteilungsziele außerhalb der Einrichtungen der Sozialen Sicherheit verfolgen würde und den Einrichtungen der Sozialen Sicherheit nur solche Verteilungsaufgaben übertragen würde, welche sich auf die unterschiedliche Häufigkeit und Schwere der sozialen Risiken selbst beziehen.
Hiermit ist eine letzte Unterscheidung einzelner bürokratischer Sicherungseinrichtungen angesprochen, wir haben nämlich auch danach zu unterscheiden, ob die Probleme der Sozialen Sicherung in risikospezifischen Einrichtungen oder aber in allgemeinen, unspezifischen Versorgungseinrichtungen angegangen werden sollen. Da es im Rahmen der Sozialen Sicherheit immer darum geht, denjenigen, welche aufgrund des Auftretens sozialer Risiken in materielle Schwierigkeiten geraten, Zuwendungen zu gewähren, könnte diese Funktion natürlich auch von einem allgemeinen Versorgungswerk erfüllt werden, unabhängig davon, welcher Risikotatbestand jeweils diesen außerordentlichen Bedarf ausgelöst hat.
In der Vergangenheit zählten vor allem die Einrichtungen der Fürsorge zu diesen unspezifischen Institutionen. Sie hatten einzelne Bürger überall dort, wo diese in materielle Not geraten sind, finanzielle und sachbezogene Hilfen zu gewähren, unabhängig davon, aufgrund welcher persönlicher Schicksalsschläge die betroffenen Bürger in diese Not geraten sind. Es wird also in diesen Einrichtungen zur Feststellung der Berechtigung zur Unterstützung nicht überprüft, aufgrund welcher Tatbestände der einzelne in Not geraten ist, sondern ob er bedürftig ist, ob er also ohne diese Hilfe ein bestimmtes Existenzminimum nicht erreichen würde.
Da in solchen Einrichtungen die Gefahr des Missbrauchs natürlich besonders groß ist, werden diese Zuwendungen in der Regel auch nur dann geleistet, wenn feststeht, dass der Einzelne tatsächlich bedürftig ist. Dies bedeutet, dass der einzelne Antragssteller zunächst seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen legen muss und nur dann einen Anspruch auf Leistungen erhält, wenn seine sonstigen Einkünfte einschließlich der Vermögenserträge unter dem festgesetzten Existenzminimum liegen.
Nun galt lange Zeit der Bezug einer Fürsorgezuwendung als etwas Verpöntes und Ehrenrühriges. Gerade aus diesen Gründen gab es viele notleidende Bürger, welche aus nicht berechtigter Scham heraus keinen Antrag auf Fürsorge stellten, obwohl sie die objektiven Voraussetzungen für einen Fürsorgebezug durchaus erfüllten. Um diesen Charakter der Diffamierung den Fürsorgemaßnahmen zu nehmen, wurden in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts die Fürsorgeeinrichtungen in den meisten hoch entwickelten Staaten reformiert. Man spricht seither nicht mehr von Fürsorge, sondern von Sozialhilfe. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass auch der Begriff der Sozialhilfe durchaus etwas Diffamierendes an sich haben kann, wenn nicht das Regelwerk der Sozialhilfe gegenüber früher entscheidend verändert wird und wenn sich nicht die Einstellung der Bevölkerung gegenüber den Sozialhilfeempfängern grundsätzlich verändert hat.
Während in der Vergangenheit der einzelne Betroffene kein einklagbares Recht auf Fürsorge hatte, also gewissermaßen auf die Gnade der Fürsorgebehörden angewiesen war, hat der einzelne heute, wenn er die Voraussetzungen für den Bezug der Sozialhilfe erfüllt, auch einen Rechtsanspruch auf diese Hilfe, den er notfalls gerichtlich einklagen kann. Dies mag erwünscht sein und in gut funktionierenden Volkswirtschaften auch ohne größere Probleme realisierbar erscheinen, man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass ein solcher Rechtsanspruch nur gewährt werden kann, wenn eine Volkswirtschaft reibungslos funktioniert und über ausreichende Steuermittel verfügt.
Nehmen wir die zerrütteten Volkswirtschaften (wie z. B. Palästina), in denen teils über 50% der Bürger arbeitslos sind, dann besteht die Gefahr, dass dieser Rechtsanspruch gar nicht eingelöst werden kann. Eine Erhöhung der Steuersätze bringt dann in der Regel keine Lösung, da nicht jede Erhöhung des Steuersatzes auch die Steuersumme erhöht, es besteht immer die Gefahr, dass gerade dieser verzweifelte Versuch die Volkswirtschaften in noch größere Arbeitslosigkeit und Armut stürzen kann, da immer größere Teile der wirtschaftlichen Aktivität auf die nicht offizielle Schattenwirtschaft verlagert werden.